Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 590)

Nehmen wir indessen den Faden unsres Argumentes wieder auf, ehe er uns vollends entgleitet; der innere Schwung der Untersuchung und der Zusammenhang der Tatsachen haben uns weiter fortgeführt, als wir voraussehen konnten, da wir den eben begangenen Weg betraten.

Mit einer Theorie des Hellsehens beschäftigt, stießen wir auf die Tatsachen des Exkursionsbewußtseins und der Telephanie des Hellsehers. Die Tatsachen der Telephanie und des Spuks verstrickten uns dann in das Problem der Objektivität des Phantoms, denn der Fernerscheinende erwies sich angeblich als in der Ferne Wirkender; diese fragwürdigen objektiven Wirkungen aber fanden wir am stärksten verbürgt im Rahmen des metaphysikalischen Mediumismus, wo sie ebenfalls in engster Verbindung mit


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 591)

erweislich objektiven Phantomen auftraten. Der so durchmessene Weg hat uns Einsichten gebracht, die ihre Wichtigkeit für unsre Gesamtuntersuchung immer deutlicher erweisen werden, aber hängt sein Ende noch nützlich mit seinem Anfang zusammen?

Soll etwa das objektive Phantom der mediumistischen Sitzung identisch sein mit dem Phantom der Telephanie des Fernschauenden? - Gehen wir in Ordnung vor: wickeln wir das zweifelhafte Fadenende rückwärts wieder auf, bis zu der Stelle, wo es in die gerade Richtung unsrer Theorie des übernormalen Erkennens einmündet.

Der erste Schritt rückwärts führt uns von experimentellen Materialisationen zu den 'spontanen' Phantomen, zu telepathischen und Spukerscheinungen. Mit den Bürgschaften ausgestattet, die uns jene verschafften, stehen wir dem Problem des objektiven Spuks und der objektiven Telephanie doch anders gegenüber, als nach der reichlich unbefriedigenden Erörterung dieser Frage in ihren eigenen Grenzen.

Objektivitätsmerkmale, die damals nur zu denken gaben, ohne zu überzeugen, geben jetzt mindestens sehr viel mehr zu denken. Andere Merkmale erscheinen uns in einem völlig neuen Lichte, vor allem die behauptete Fähigkeit mancher 'Freiluftphantome' zu objektivem Wirken.

Öffnet und schließt das Sitzungsphantom den Deckel eines Koffers, [1] warum nicht ein 'spontanes' Gespenst eine Zimmertür? Oder selbst: packt und kneift die Hand eines Experimentalgespenstes den Arm eines Sitzers, warum soll der Freiluftgeist nicht einen Schlafenden wecken, indem er ihn 'rüttelt'? [2]

Hat uns das Sitzungszimmer an Klopflautunterhaltungen wie an das Alltäglichste des Alltäglichen gewöhnt, warum sollen wir dem Spuk nicht trauen, wenn er sich auf Grund eines ähnlichen Kodex in Gespräche einläßt? [3]

Hört man während Eusapias Materialisationssitzungen Händeklatschen und Fußtritte, [4] warum sollen Spuke, die sich hauptsächlich durch solche Geräusche kundgeben, nicht die gleichen Ansprüche auf 'Objektivität' haben wie die Phantome der Palladino?

Wenn die Hände der Phantome dieses Mediums ihre Nägel in das Fleisch der Sitzer pressen .können, warum schließlich sollen wir einer Zeugin nicht glauben, die behauptet, nach dem Tode ihres ältesten Sohnes von dessen Finger wiederholt berührt worden zu sein, und zwar so, daß 'die Vertiefung (dieses Druckes) deutlich auf meiner Hand zu sehen war, während die Berührung gefühlt wurde, und zuweilen ist (dies) auf (meine) Bitte mehrere Male (nacheinander) wiederholt worden, damit Andere es sehen könnten'. [5]

Noch harmlosere, flüchtigere, noch mehr nach Halluzinationen schmeckende Erlebnisse beginnen uns nachdenklich zu stimmen. Gurneys Sammlung enthält mehr als einen Bericht, wonach ein Agent – z.B. in todähnlichem Transseinen Besuch in der Ferne damit einleitet, daß er an eine bestimmte Tür klopft, welches Klopfen gehört wird. [6] In einem typischen Falle dieser Art 'träumt' die Agentin

[1] S. Maxwell 100: Nichtsichtbarkeit der Bewirkung.
[2] Ein Fall von 'Griff', ohne Gesichts-, aber mit Gehörswahrnehmung: Gurney II 472f.
[3] S. dazu etwa Pr II 148; X 340 (auch Anm.).
[4] z.B. APS v 353.
[5] Pr X 206 (Ber. v. Mrs. A. C. S., bestät. von ihrem Gatten).
[6] S. Gurney II 595 f.; 599.


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 592)

'in einer Art von Trans', daß sie nach Southampton geht und zweimal an der Tür ihrer Schwester anklopft, die ihr beim zweiten Male öffnet. Aber die Unfähigkeit, sie anzureden, bringt die Agentin mit einem Gefühl des Unbehagens zu sich.

Dieser Traum entsprach angeblich im Einzelnen der Wirklichkeit: die Schwester hörte das zweimalige Anklopfen, öffnete beim zweiten Mal und sah - niemand. [1]

Während so einige der anscheinenden Objektivitätsmerkmale spontaner Phantome durch die Beobachtungen an den experimentellen des Mediumismus Gewicht gewinnen, werden wir auf die objektivistische Bedeutsamkeit anderer durch die Beobachtungen des Experimentierraums beinahe erst aufmerksam.

So würde man vielleicht versucht sein, die Empfindungen von Kälte, die so häufig Telephanien und Spuke begleiten, leichtfertig genug für subjektive Schreckwirkungen zu erklären, wenn sie nicht im Bereiche des metaphysikalisch-wirksamen Materialisationsmediums eine hervorragende Rolle spielten. - Um zunächst Belege aus ersterem Gebiet zu geben:

Miss Du Crane’s früher mitgeteilter Bericht über ein auch im Spiegel wahrgenommenes Phantom erwähnt, daß mehrere Perzipientinnen eine 'kalte Luft' gespürt hätten, welche die Erscheinung 'zu begleiten schien', ja daß eine der Schwestern nur diese spürte, weil ihr Blick von der Erscheinung fortgerichtet war.

In einem andern, gleichfalls kollektiven Falle sahen zwei Brüder, nachdem sie 'durch eine unwiderstehliche und unerklärliche Macht' plötzlich und gleichzeitig geweckt waren, die Gestalt ihres Vaters zwischen ihren Betten stehen, die Hand erheben und auf die eigenen Augen weisen: 'eine unerklärliche Kälte', sagen beide aus, 'wie von einer eisigen Atmosphäre (sie) war der vorherrschende Eindruck'. [2]

In einem von Dr. med. Marie de Thilo mitgeteilten Falle wird die Kollektivität durch eine Katze begründet, welche 'wütend knurrt und zitternd und in Schweiß gebadet aufrecht sitzt'. 'Die Tür erzitterte, ich sah eine Gestalt erscheinen, eingehüllt in eine Art nebliger weißer Masse. ..

Sie kam an mich heran. Ich fühlte einen eisigen Hauch über mich hinwehen.' [3] - In einigen Fällen geht der kalte Lufthauch dem Erblicken der Gestalt voraus, [4] was natürlich noch weiter gegen eine subjektivistische Deutung spricht. -

Auch typische Spuke zeigen, wie gesagt, dies Merkmal: z.B. die sorgfältig beobachtete Gestalt einer alten Frau im Hause der Mortons. [5]

Ein gleichfalls unabhängig-kollektiv wahrgenommener Spuk, von dem Frau de Ferriem berichtet, 'rauscht mit eiskaltem Hauch stark hörbar vorüber', [6] und in dem von Mrs. R-d beschriebenen Spukhaus, wo die Beobachtungen u.a. Fußtritte, Seufzer, Erscheinungen einer Gestalt und Öffnen von unberührten Türen betrafen, fühlte

[1] Harrison 146 (aus H. Spicer, Sights and Sounds (Lond. 1853). Vgl. Lombroso 293f. (aus Dr. Joire, Les phén. psychiques), u. den höchst bedeutsamen Fall Pr XX 328ff. (Vogelfußabdrücke in ausgestreutem Kalk, durch die völlig unbeteiligte Mrs. Verrall (!) mehrere Stunden vorher automatisch angekündigt.) Ganz ähnlich in dem berühmten Drummer of Tedworth-Fall, s. Görres III 376. Umwerfen von Stühlen in versiegeltem Zimmer: s. Dr. Dariex' u. A. sehr kritische Experimente Pr. VII 193ff.
[2] Gurney II 618.
[3] I felt an icy breath pass over me. - FIammarion, Fall CXXX, in Pr XV 430. Vgl. Pr V 410; Gurney 249; Pr X 200f.
[4] z.B. Pr V 409ff. (auch mit Berührung). Vgl. Gurney II 512.
[5] vgl. o. 536, u. Pr VIII 319f. 325.
[6] de Ferriem 26; vgl. Lombroso 320 (Fr. Raffles) u. Pr III 125 o. (mit Berührung).


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Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 593)

die Berichterstatterin eines Nachts 'einen eisigen Wind durch mein Zimmer wehen und hörte laute Seufzer, die Bettvorhänge wurden zurückgezogen und mein Haar gezupft. In einer andern Nacht wurde ich geweckt durch ein helles Licht in meinem Zimmer und denselben kalten Wind.' [1] -

Auch der Spuk in der Haftzelle der Eßlinger offenbarte sich mitunter gleichzeitig durch ein 'gelbliches Licht' und 'kühlen Wind', aus welchem die Stimme zu kommen schien. Kerner sagt aus, daß er selbst und Richter Heyd 'deutlich einen kalten Wind auf uns blasen fühlten, wenn nach der Behauptung (der Eßlinger) der Geist nahe war, obgleich keine Öffnung vorhanden war, durch welche Luft hätte eindringen können'. [2]

Im Bereich des experimentellen Mediumismus nun ist, wie gesagt, die Beobachtung dieser 'eisigen Kälte' in Verbindung sowohl mit metaphysikalischen Leistungen als auch mit Materialisationen etwas durchaus Banales.

Crookes fand sie zuweilen so heftig, 'daß ich sie nur der Kälte vergleichen könnte, die man fühlt, wenn man die Hand auf einige Zoll gefrorenem Quecksilber nahebringt'. [3] Maxwell beobachtete sie ständig in Experimentalsitzungen, oft der Erzeugung einer abnormen Bewegung vorausgehend, oft sie begleitend, oft auch für sich allein auftretend. [4]

Dr. Lampa, damals (1894) Assistent für Physik an der Wiener Universität, fand, daß während der Bewegung des Tisches beim sog. Tischrücken unter diesem die Temperatur um etwa 10° C. sinke. [5] -

In manchen Fällen wird über den Zusammenhang dieser Erscheinung mit dem Auftreten einer materialisierten Gestalt nicht der geringste Zweifel gelassen.

'Ein kalter Wind', heißt es im Bericht über eine von Eusapias Sitzungen (1907), 'kam hinter dem Vorhang (des Kabinetts) hervor, der sich plötzlich öffnete, als wäre er von zwei Händen geöffnet worden, und ein. menschlicher Kopf erschien, mit bleichem, hagerem Gesicht von bösem Ausdruck. Er verweilte einen Augenblick und verschwand.' [6] –

Durville hatte 'den Eindruck von Kälte, eines Hauches oder eines Frostes' in der Nähe des Phantoms, das sich bei seinen Versuchen in 50-60 cm Abstand von seinen Subjekten bildete. [7]

Ohne über solche Beobachtungen ausführlich zu theoretisieren (was sicherlich verfrüht wäre), können wir ihnen doch gewisse allgemeine Hinweise im Zusammenhang unserer Suche nach Objektivitätsmerkmalen entnehmen. Kälte entsteht, wo Wärme, also eine Form der Energie verschlungen bezw. abgegeben wird.

Als abgebend hat sich uns bei allen unzweifelhaft objektiven Erscheinungen das Medium erwiesen, ja gerade wo es am unzweideutigsten abgibt, wird die Kälte am sinnfälligsten empfunden: ich verweise auf das Kalt-Erscheinen jener Ausströmungen, die so oft in scharfer örtlicher Umschreibung am Medium beobachtet werden: jene 'Art von Wind', die M. Meurice 'aus seiner Schulter austreten' fühlt; [8]

[1] Pr III 116. Ähnlich Perty, M. E. II 157f. (Mitt. I. Hand).
[2] Crowe 390--2; vgl. 401, und o. S. 547.
[3] Crookes 86.
[4] Maxwell 114f. Ständig bei W. St. Moses (zB. Pr XI 37), Home (Révél. 266), d'Espérance (228f.).
[5] PS XXI 42. Vgl. Crookes 86 ('um mehrere Grade'); Prof. Butlerow (bei Home; zit. in ÜW XI 51).
[6] APS V 306.310; PS XXXIV 722.739; Acevedo II 245; Daumer, Reich ll; OR 1907 I 115.
[7] Aus JM 1907-8 bei Lombroso 291; vgl. ÜW IV 203.
[8] Maxwell 310.


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 594)

den 'eisigen Lufthauch', welcher der Mrs. Finch 'anhaltend aus (ihrer) linken Seite zu kommen' scheint, [1] den bekannten 'kalten Hauch', den so viele Beobachter aus Eusapias Schädelnarbe sowie aus ihren Händen ausströmend empfunden haben. [2] Erscheint das Phantom als Kälte ausströmend, so liegt die Annahme nahe, daß eben es selbst dasjenige sei, was Energie verschlingt.

Empfinden doch manche Sensitive gewisse Lebende als 'kalt' (im Unterschiede zu andern, die ihnen 'warm' erscheinen, ein Unterschied, den sie zugleich als den von anti- und sympathisch fassen), und geben sie doch als Grund dafür an, daß jene 'kalten' ihnen 'magnetische Kraft' entzögen, während sie von den 'warmen' deren Überschuß an solcher empfängen. [3]

Falls solchen Andeutungen irgend ein Wert für uns zukommt, so liegt er in dem Hinweis, daß die Entstehung der metaphysiologischen Kälte ein Vorgang von soz. polarem Ursprung ist: daß an ihm zwei Wesen beteiligt sind: ein Energie spendendes und ein Energie verschlingendes.

Liegt aber der nicht-menschliche Pol dieses Vorgangs im Falle der Materialisationssitzung häufig unstreitig in einem objektiv-gegenwärtigen Wesen, so wird das Erlebnis der Kälte auch bei Freiluftphantomen zu einem Merkmal der Objektivität. [4]

Noch ein anderes Kennzeichen spontaner Phantome hat für uns durch die Beobachtungen des Experimentierzimmers Bedeutung gewonnen: die Art seiner Bildung. Diese wird häufig so beschrieben, daß es zum mindesten möglich ist, das spontane Phantom als eine Materialisation zu fassen, gleichgültig für welche Theorie dieser letzteren man sich entscheide.

Die Vorstufen des spontanen Phantoms werden zuweilen z.B. als wolken- oder schleierartige Anhäufungen bezeichnet, oder als Säulen und halbgeformte Ansammlungen schwach leuchtender Nebel von der ungefähren Höhe eines menschlichen Wesens. [5]

Ein Perzipient beschreibt ganz typisch eine 'Rauchsäule etwa 2 Fuß hoch, beinahe weiß, die in ein anderes Zimmer sich begab'. [6] - Die allmähliche Verdichtung solchen einhüllenden Nebels auf eine erkennbare Gestalt hin schildert z.B. folgender Bericht: '... Die Tür am Ende des Durchgangs erschien wie von Nebel verdunkelt.

Während (der Berichterstatter) darauf zuging, zog sich der Nebel soz. auf einen Fleck zusammen, verdichtete sich [7] und formte sich zu den Umrissen einer menschlichen Gestalt, deren Kopf und Schultern immer deutlicher wurden, während der übrige Körper in einen florartigen, faltigen 'Mantel' eingehüllt schien. ..

Das volle Licht des Fensters fiel auf das Ding, das so dünn und fein war, daß das Licht auf der Füllung einer lackierten Tür durch den untern

[1] PS XXXIV 722.
[2] S. z.B. APS III 22; V 306f. 352; VI 106; Pr XXIII 458 u. oft. Vgl. Reichenbach II 181, wonach Narben bedeutender Verwundungen verstärktes 'Licht' zeigen.
[3] S. ATM XI, I 43ff.; Kaspar Hausers Mitt. bei Daumer, Mitteil. über K. H. I 10; Reichenbach I 139ff.; ders., Die Dynamide I 117. 182. 184 (nach du Prel, Stud. I 154).
[4] Auf das scheinbare Fehlen eines Med. in solchen Fällen komme ich u. zurück.
[5] Pr X 125; Gurney II 75.
[6] Gurney II 123.
[7] deepened - 'verdunkelte sich'? 'senkte sich'?


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 595)

Teil der Kleidung hindurch sichtbar war. Es war völlig farblos, eine Statue in Nebel gemeißelt.' [1]

Andersartige äußere Lichtverhältnisse könnten die Ursache sein, daß in anderen Fällen sowohl die Vorstufe wie das entwickelte Phantom selbstleuchtend erscheinen.

Der Geist im Gefängnis der Eßlinger wurde z.B. von Herrn Fraas als 'ein Licht von wechselnden Umrissen gesehen, das sich im Zimmer umher bewegte'. Ein Perzipient eben dort sah 'ein Licht um uns, obgleich noch immer keine Form', hörte aber Schritte und eine Stimme:

'Siehst du mich jetzt? Und da zum ersten Male sah ich eine schattenhafte Gestalt, ... konnte aber keine Gesichtszüge unterscheiden'. [2] - Aber auch voll ausgebildete Phantome werden zuweilen in wechselndem Grade als selbstleuchtend beschrieben, etwa 'wie ein Blitz in der Gestalt von eines Kindes Schatten',

oder 'wie ein lichter Schatten', [3] und wir begegnen sogar Angaben, die an die Lichter erinnern, die man mitunter bei Materialisationen in der Bildungsmatrix auf- und niedergleiten sieht, wie wenn z.B. ein Perzipient von einem 'milden, züngelnden Lichte' spricht, das 'über die ganze Gestalt zu spielen schien'. [4]

Daß solche Erscheinungen an Beobachtungen bei der experimentellen Materialisation erinnern, ist unbestreitbar. Die Genauigkeit dieser Analogien kann verschieden eingeschätzt werden. Aber für wie genau man sie auch halten mag: ihr Wert als Bürgschaft der Objektivität wird dadurch beeinträchtigt, daß ähnliche Arten der Bildung auch bei unbezweifelbaren Halluzinationen beobachtet werden.

Was möchte man mit größerer Sicherheit für Halluzinationen erklären, als die Visionen in Glaskugeln oder Spiegeln (ihrer gelegentlichen 'Wahrheit' natürlich unbeschadet)? Und doch setzen diese sehr häufig mit 'Lichtern' oder 'rauchartigen Wölkungen' ein, aus denen dann die Bilder hervortreten. [5]

Gegenüber diesen zu äußerster Vorsicht mahnenden Parallelen bedarf es natürlich von Fall zu Fall besonderer Gründe, um den Einzelheiten der Bildung spontaner Phantome irgendwelche Bedeutsamkeit zu sichern.

Bezüglich der 'Wölkungen' kommt hier vielleicht der Umstand in Frage, daß diese gelegentlich bei auffallendem Lichte anders erscheinen, als bei bloßer Durchleuchtung durch das von ihnen umhüllte Phantom, - ein Verhalten, das im Falle einer Halluzination zum mindesten sonderbar wäre.

So erzählt Pfarrer Thomas P. Hölze, über dessen Wert als Zeugen ich nichts anzugeben weiß, er habe u.a. 'eine große und sehr klare Erscheinung bei sehr schwacher Morgenhelle draußen' stehen gesehen, er schlug Licht, 'und in diesem Lichte zeigte sich mir eine weit ausgedehnte bleichweiße feine wolkige Metallmasse; und in dieser entdeckte ich während des Lichtscheins vom Bilde keine Spur mehr.

[1] Gurney I 526 (Nr. 193). Vgl. das. 527; II 182. 449f.
[2] Ähnlich PS XXIV 164; Acevedo II 240. 245 (Eusapia P.).
[3] Gurney I 104ff.; II 74; Pr X 285.
[4] Gurney I 561. Vgl. o. S. 579f.
[5] S. zB. Pr VIII 478. 500; Maxwell 194. Vgl. die 'schwarze Wolke' vor Mrs. McAlpines Vorschaugesicht (im Freien): Pr X 332; Flournoy, Des Indes 121 über trainée lumineuse als Erscheinungsform 'Léopolds'; Boismont 257ff. (Fieberhalluzin.); Gurney II 97 Anm. 1 (entsprech. Schwinden von Halluz.).


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Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 596)

Wie dann das Licht erlosch, zeigte sich in dieser Masse das farbige Bild fast ebenso gut wie vorher, während ich (jetzt) von der übrigen Masse nichts bemerkt hätte, wenn ich nicht eigens darnach mit den Augen geforscht hätte.' [1]

Die anscheinende Leuchtkraft mancher spontanen Phantome deutet ihren objektiven Charakter zuweilen auch dadurch an, daß sie eine Wahrnehmung von Gegenständen ermöglicht, die normalerweise unsichtbar geblieben wären. [2]

Der folgende seltsame Fall betrifft einen identifizierbaren Spuk, dessen Lichtausgabe den Perzipienten instandsetzte, im Dunkeln zu lesen.

Dieser Perzipient, der jedem Spiritisten bekannte Baron v. Güldenstubbe, kann zwar schwerlich als guter Zeuge gelten, aber vermutlich hat die bekannte Sorgfalt und Verstandesschärfe des Sammlers dieses Falles, R. D. Owen, den Zeugen vermocht, sein Bestes zu geben, und der Bericht erscheint nüchtern und sorgfältig. -

Baron v. G. hatte am 16. März 1854 bei Licht im Bett gelesen, als er nacheinander 8-10 'elektrische Schläge' empfand. Er ging (offenbar mit dem Licht) in den Saal, kehrte aber ohne Licht ins Schlafzimmer zurück, um ein Taschentuch zu holen, und sah 'bei dem Licht, das durch die offene Tür des Saales fiel, gerade vor dem Kamin... ein Etwas, das wie eine dunkle Säule grauen Dampfes, ein wenig leuchtend, aussah'.

Da er es für eine Spiegelung hielt, beachtete er es nicht, fand aber, als er noch einmal aus dem Saal zurückkehrte, um Holz zu holen, daß 'die Erscheinung [jetzt] . .. nahezu bis zur Decke des (12 Fuß hohen) Zimmers reichte'. Ihre Farbe war nunmehr das Blau einer Spiritusflamme und sie leuchtete stärker.

Während er hinschaute, 'wurde allmählich in ihrem Innern die Gestalt eines Mannes sichtbar', etwas dunkler blau, als die 'Säule', und mit nur allmählich deutlicher werdenden Umrissen, Gesichtszügen und natürlichen Farben. Die endlich völlig lebensgleiche Erscheinung wurde genau betrachtet und wird uns in allen Einzelheiten geschildert.

'Nach einigen Minuten löste sich die Gestalt von der Säule los und bewegte sich vorwärts, wobei sie langsam durch das Zimmer zu schweben schien, bis sie sich (G.) bis auf drei Fuß genähert hatte.

'Sie erhob die Hand, schien sich grüßend zu neigen, bewegte sich nach einiger Zeit aufs Bett zu, gegenüber dem Kamin, kehrte dann mit einer Wendung nach links zum' Kamin zurück, wobei ihr Rücken deutlich sichtbar wurde, trat wieder auf den Baron zu und wiederholte diese Runde vollkommen lautlos noch etwa neunmal.

Darauf wurde sie undeutlicher, 'und während die Gestalt dahinschwand, bildete die blaue Säule sich allmählich wieder und schloß sie wie zuvor ein. Diesmal leuchtete sie übrigens sehr viel heller, so daß das Licht den Baron instandsetzte, ein oder zwei Verse einer in Colonelschrift [3] gedruckten Bibel experimentweise zu lesen...

Ganz allmählich verblaßte das Licht, indem es zeitweilig aufzuflackern schien, wie eine verlöschende Lampe.' Erst tags  darauf erfuhr G. auf Erkundigungen hin von der Frau des Hauswarts, daß die Erscheinung bis in die geringsten Einzelheiten auch der Kleidung einem in jenem Zimmer verstorbenen Herrn Caron geglichen, von dem - oder gar dessen Aussehen - er nie zuvor gehört hatte, und daß auch Andere ihn ebenso gesehen hätten. [4]

[1] ÜW III 101f.
[2] Vgl. den gelegentl. 'Lichtschein', der die Gegenstände im Zimmer deutlich erkennbar macht. bei Eusapia P.: Acevedo in PS XXVII 150.
[3] minion-type, eine Schriftart zwischen .Petit' und 'Nonpareille'.
[4]) Owen, Footfalls 282ff.; vgl. d. Fall Pr X 345.


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 597)

In noch anderen Fällen scheint die Objektivität des Lichtes, das von der Erscheinung ausgeht, dadurch angedeutet, daß es nicht nur vor aller Wahrnehmung der Gestalt gesehen wird (was ja auch die einleitende Phase einer Halluzination bedeuten könnte), sondern unabhängig von dem Erscheinungsort des Phantoms, als welches zunächst durch natürliche Hindernisse dem Blick entzogen bleibt, während das Licht bereits dort wahrgenommen wird, wo es hinstrahlen müßte, falls das Phantom eine Quelle objektiver Helligkeit wäre.

Diese Bedingungen würde, falls in jeder Einzelheit verlässig, der Bericht eines Perzipienten erfüllen, der eines Nachts in seinem Hotelzimmer einen Lichtschein bemerkte, der hinter der hohen Fußlehne seines Bettes emporzudringen schien, sich in der Meinung, das längst ausgegangene Feuer in dem eben dort gelegenen Kamin habe sich neu entzündet,

ohne die mindeste Unruhe auf den Knien im Bette erhob und, über jene Fußlehne blickend, die Erscheinung eines Mannes gewahrte, von dessen Gestalt und dem Raum um sie her das Licht auszugehen schien.

Das sehr charakteristische Gesicht dieses Phantoms sei, wie sich nachträglich herausgestellt, das eines Schwindsüchtigen gewesen, der einige Monate zuvor in demselben Zimmer gestorben war. [1]

In einem andern, von R. D. Owen angeführten Falle wurde das Licht im Zimmer zuerst und die Gestalt einer Frau erst beim Sichumdrehn im Bette bemerkt, in welchem das Subjekt schlaflos lag: 'das Licht, bei dem ich (die Gestalt) sah, ging von ihr selber aus. Ich beobachtete (sie) aufmerksam'. [2]

Wenn nun auch zugestanden werden mag, daß die Objektivitätserweise mediumistischer Materialisationen den verwandten Ansprüchen der Freiluft-Phantome eine neue Grundlage geben, so ist dieser Gewinn doch einstweilen ein reichlich vieldeutiger, die verwirrende theoretische Dunkelheit, die jenem Begriff der Objektivität auf dem einen Gebiet anhaftete, muß auch dem andern lästig fallen.

Selbst die Deutung fordert wenigstens Gehör, wonach die anscheinend unmittelbare Wahrnehmung des Phantoms lediglich Halluzination sei, seine objektive Wirkung aber - mediumistische Leistung des Perzipienten.

Diese engste Deutung muß sich ja der herkömmlichen Auffassung sehr empfehlen, welche Erscheinungen z.B. Sterbender oder in Gefahr Befindlicher als telepathisch veranlaßte Halluzinationen ansieht; und auch für Spuke ist ja, wie schon erwähnt, eine ähnliche Erklärung vorgeschlagen worden.

Was hier - freilich mit großer Künstelei - nur für einen Teil der Gesamtvorgänge vorausgesetzt wird: die metaphysikalische Betätigung des Perzipienten, das würden die weitergehenden Theorien des objektiven Freiluftphantoms sowohl für die Erscheinung, als auch für die Wirkungen desselben in Anspruch nehmen: sie würden den Perzipienten nicht nur als metaphysikalisches, sondern auch als Materialisationsmedium

[1] Pr V 463.
[2] Owen, aaO. 296ff. Vgl. die Berichte Pr VI 61; X79f. 293f.; Lord Castlereagh bei Mirville 240ff. und 'Spuke', die nur in 'Licht' (im Zimmer) bestehen.


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 598)

ansehen. In dieser Forderung werden Manche vielleicht einen vernichtenden Einwand gegen die Objektivität spontaner Phantome überhaupt erblicken: denn eines Mediums als Behelf des Erscheinens und Wirkens bedürfe doch jedes Phantom, und wie dürfe man jedem Perzipienten eines solchen die seltenen Fähigkeiten eines Mediums zuschreiben? -

Aber weder die Allgemeingültigkeit der ersten Voraussetzung, noch die Unzulässigkeit der zweiten ist streng erwiesen. Daß wir den innigen Zusammenhang so vieler Phantome mit einem nahe anwesenden Medium zugestehen, nötigt uns nicht, solchen Zusammenhang oder solche Nähe für eine Vorbedingung jedes objektiven Phantoms zu erklären.

Warum sollten einige unter ihnen die Bedingungen ihrer Selbstdarstellung nicht auch in der außermenschlichen Natur um sich her finden? Der Zusammenhang von Medium und Phantom ist zu wenig begriffen, als daß über seine Unumgänglichkeit mit Gewißheit geurteilt werden könnte.

Wäre aber auch die Voraussetzung erwiesen, daß Phantome zu ihrer Selbstdarstellung eines anwesenden menschlichen Mediums bedürfen, so verböte nichts, diese medialen Hilfeleistungen, worin immer sie auch bestehen mögen, dem Perzipienten, der doch stets zugegen ist, oder sonst einem nahe anwesenden Lebenden zuzuschieben, oder gar anzunehmen, daß objektive Phantome eben nur solchen Perzipienten gegenübertreten, die solche Hilfeleistungen aufbringen können.

Daß zum mindesten eine soz. passive Medialität, die sich anreizen und ausnutzen läßt, sehr verbreitet ist, hat ja gerade das mediumistische Experiment immer wieder vorausgesetzt und festgestellt, wenn es auch natürlich dem Medium die Rolle eines hauptsächlichen Sammel- und Austrittsbodens der benötigten Kräfte beläßt.

Für diese weitherzige Auffassung spricht schon die ganz allgemeine und alte Erfahrung, daß der 'Zirkel' ein 'harmonischer' sein müsse, daß gewisse Personen, und zwar durchaus nicht die allzu wachsamen Zweifler, die Leistungen stören, daß die 'Kette' oder der 'Strom' möglichst zu schließen sei, u. dgl. m. [1]

Es sprechen dafür auch die sehr häufigen Hindeutungen 'des' Mediums auf einen oder mehrere der Beisitzer: daß sie 'Medien' seien, deren 'Kraft' helfe oder zu 'entwickeln' sei. [2]

Es sprechen ferner für sie gewisse Empfindungen, die den Sitzungsteilnehmern häufig die Gewißheit geben, daß wirklich bei geschlossener 'Kette' etwas wie ein Strom durch sie alle 'zirkuliere', an dessen Erzeugung sie also vermutlich teilhaben, und diese Empfindung verstärkt sich häufig in dem Augenblick, da die Kette unterbrochen wird oder eine sonstige Störung oder Ablenkung eintritt, indem die plötzliche Unterbrechung zuweilen 'ein Gefühl plötzlichen Unwohlseins erzeugt, wenn die Unterbrechung mit dem Vorsichgehen der Erscheinung zusammenfällt. ...

Die Empfindung der Unterbrechung des Stromes ist (dann) ganz deutlich.' [3]

[1] Serjeant Cox in PS X 313; Mrs. Finch das. XXXIV 653; Maxwell 117.
[2] z.B. PS XXVIII 513; Maxwell 50. Vgl. Eusapias häufiges aiutate me (Documents 484. 487).
[3] Maxwell 117f. (Vergleich mit Empfindung nahe starker Dynamomaschine).


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Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 599)

Es spricht für unsere Annahme aber auch die Beobachtung, daß das Maß des Gelingens einer Leistung mitunter geradezu der Zahl der Teilnehmer zu entsprechen scheint, die Erhebung eines Tisches z.B. mit 5 oder 6 Personen leichter und gründlicher erzielt wird, als mit einer oder zweien, [1] und daß der Synchronismus von objektiver mediumistischer Leistung und Muskelbewegung des Mediums sich auch an den Teilnehmern einer Sitzung beobachten läßt. [2] -

Es spricht für sie endlich noch die Erschöpfung, das Gefühl der 'Ausleerung', welche (außer dem Medium) auch die Sitzungsteilnehmer, und zwar ungefähr im direkten Verhältnis zur Ergiebigkeit der Sitzung, nach ihrer Beendigung spüren. [3]

Nach den Sitzungen mit der Palladino in Choisy-Yvrac ist diese Erschöpfung dynamometrisch festgestellt und recht beträchtlich gefunden worden: die Summe der Einzelverluste kam der mittleren Kraft eines Mannes gleich. [4] -

Die höhere Mediumität ist mithin, nach Dr. Ochorowicz' Ausdruck, eine psychophysische Kollektivleistung, die sich aus sehr wechselnden Summanden zusammensetzen kann, so daß z.B. an die Stelle eines guten Mediums mehrere schlechte treten können. [5]

Besteht somit die Möglichkeit, auch fälschlich sogenannten Nichtmedien gelegentliche Hilfeleistungen bei der Objektivierung von Phantomen zuzuschreiben, so lassen sich anderseits auch Andeutungen dafür entdecken, daß Perzipienten selbst einmaliger Freiluftphantome wirklich solche Leistungen aufbringen.

Sehr viele berichten, sie seien während der Erscheinung gehemmt, benommen, 'übel', unfähig zu reden oder zu stehen gewesen. [6] Dies bleibt nun freilich zweideutig, sofern ja auch ein bloß halluzinierender Zustand in dieser Weise sich äußern könnte.

Merkwürdiger schon ist die Beobachtung, daß 'zuweilen selbst Perzipienten einmaliger Erscheinungen jene eigenartigen Hautempfindungen angeben, die wir als typische Begleitmerkmale von Leistungen metaphysikalischer Art oder von Materialisationen kennen. [7]

Derartige deutlichere Hinweise auf ein mediumistisches Verhalten des Perzipienten mögen sehr viel seltener sein, als auf Seiten des Phantoms Andeutungen seiner Objektivität; wo diese sehr stark sind und Hinweise jener Art gleichwohl fehlen, müßten wir uns darum mit der Annahme begnügen, daß das Phantom die Bedingungen seiner Entwicklung auch außerhalb des Perzipienten verwirklicht finde, oder daß sich diesem seine Beihilfe subjektiv nicht verrate.

Trotz der Möglichkeit nun, spontane Phantome in einzelnen Fällen den Materialisationen der Experimentalsitzung gleichzustellen, ist der Geltungsbereich dieser Vergleichung wahrscheinlich doch nur ein geringer. Daß wir aber den Begriff des rein-halluzinatorischen Phantoms gar fallen lassen, davon kann selbstverständlich die Rede nicht sein.

[1] das. 110f.
[2] Vgl. hier zu Maxwell 57. 83f. 106. 109f.; PS XXIV 339.
[3] Maxwell 87.
[4] Aus APS 1897 in PSXXIV 407.
[5] S. z.B. Dr. Warcollier in APS V 52.
[6] S. z.B. Daumer II 121; Jung, Theorie 225ff., bes. 231. Auch die Abwesenheit von 'Geburtswehen' (Vgl. o. S. 575, Anm. 1.) beim vorauszusetz. Med. spricht für eine Selbständigkeit des Phantoms. Kerner, Ersch. 2.3.
[7] Vgl. z.B. Prof. Pertys eigene Beob.: M.E.I. 121f.; vgl. Spir. 84 u.a. S. 575f.


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 600)

Wollte man ihn zum Überfluß beweisen, so bedürfte es nur der Erinnerung an jene Fälle, in denen nicht der vorauszusetzende Agent selbst erscheint, sondern jemand, an den er in seiner Krise zu 'denken' Veranlassung hat, [1]

wiewohl dieser von der Krise nicht einmal Kunde haben mag, [2] oder in denen mehrere Lebende gleichzeitig erscheinen, denen man nicht allen und gleichzeitig die Fähigkeit zur körperlichen Exkursion wird zutrauen wollen, [3] oder in denen das Phantom in soz. unmöglicher Stellung erscheint:

im Bette liegend, im Wagen fahrend, neben einem Sarge stehend u. dgl. m. [4] oder Gegenstände bei sich oder Kleidungsstücke anhat, die keiner Wirklichkeit entsprechen, oder denen wir aus sonstigen Gründen eine über halluzinatorische 'Wahrheit' hinausgehende Objektivität nicht zuschreiben mögen. [5] -

So klar nun die im Vorstehenden herausgearbeitete Alternative zwischen rein-objektiven und rein-halluzinatorischen Phantomen auch ist (und vielleicht gerade wegen ihrer trockenen Klarheit), setzt sie mein Denken nicht völlig zur Ruhe.

Etwas in dem Reichtum der schier unergründlichen Tatsachen warnt mich, einem Schema übertriebenen Wert zuzuschreiben, das mir mehr aus bisherigen Denkgewohnheiten, als aus der fruchtbaren Anschauung dieser neuartigen Tatsachen gewonnen erscheint. Und zwar ist es von den beiden Gliedern der Alternative weit eher das subjektivistische, an welches sich das Gefühl des Zweifels heftet.

Allzu selbstzufrieden, scheint mir, hantieren wir mit dem Begriff der telepathischen Halluzination. Bereits bei der ersten Erwägung dieses Begriffs habe ich darauf hingewiesen, wie wenig selbstverständlich die inhaltliche Ableitung dessen, was der Perzipient wahrnimmt, aus dem Vorstellen des angeblichen Agenten ist, sobald jene Inhalte reichlich verwickelte und dem Perzipienten bislang vollkommen fremde sind.

Diese Schwierigkeiten veranlaßten uns schon damals, die harte Grenze zwischen Telepathie und Hellsehen aufzuheben. Inzwischen ist uns der Begriff des Hellsehens selbst zu einem Sammelbegriff verflüssigt worden, der seltsam zwischen objektiven und subjektiven Vorgängen hin und herspielt.

Der Hellsehende 'befindet sich' in unzähligen Fällen, nach Aussage seines eigenen Bewußtseins, am ferngeschauten Orte; er wird von Andern eben dort wahrgenommen, er verrät diesen Andern auf mannigfache Weise sein Bewußtsein der Anwesenheit, und er bekundet in einzelnen Fällen diese Anwesenheit durch objektive Wirkungen, während doch seine äußere Erscheinung oft - und gerade in Fällen solcher objektiven Wirkungen - alle Merkmale einer bloßen Halluzination an sich trägt!

In einem von Dr. Maxwell sorgfältigst beobachteten und beschriebenen Fall z.B. sieht M. Meurice einen ihm unbekannten Verstorbenen, H. B., zu wiederholten

[1] S. zB. Pr X 259f.
[2] das. 261ff.
[3] S. z.B. Wallace, My Life II 332f. (Kollekt. Wahrnehmung!)
[4] S. z.B. Gurney I 544. 548; II 98. 195. 603f.; Pr X 114; Perty, M. E. II 156f. (Fernsehen des Gesehenen ('Agenten') ausdrückl. bezeugt.)
[5] z.B. .Spruchbänder' mit Inschriften (wie bei Owen. Footfalls 306).


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 601)

Malen mit einer Fülle seltsamer, aber nachprüfbarer und richtiger Einzelheiten des körperlichen Äußern, der Bewegung [1], der Kleidung und anderer Gebrauchsgegenstände, wobei aber nicht nur zu Zeiten diese Einzelheiten in gesonderten, umrissenen Einzelbildern aus einer bläulichen 'Wolke' hervortreten, sondern auch die Gesamterscheinung den Verstorbenen an verschiedenen Tagen entsprechend verschiedenen Perioden seines Lebens darbietet, aber stets mit äußerster Lebenstreue, also in der Art einer Reihe von 'wahren' Rückschaubildern.

Dazu hört aber M. Meurice nicht nur den Verstorbenen in für ihn sehr charakteristischer Weise reden, - z.B. ein ungeduldiges 'thut, thut, thut' äußern, wenn sein 'gefühlter' Versuch zu erscheinen 'nicht gelingt', - sondern erlebt ihn auch sehr häufig als richtigen Spuk. Diese Spukvorgänge bestehen in Folgendem:

1. Fußtritte verschiedenen Charakters, darunter ein ungleicher Schritt ('als wenn ein Bein schwerer aufträte, als das andere'), der für H. B. charakteristisch war. Diese Schritte ertönen am häufigsten im Gang des unbewohnten zweiten Stockwerks des Hauses, worin M. Meurice lebt.

'Dann scheint sich die Tür eines Schlafzimmers genau über M.s Schlafzimmer zu öffnen und die Fußtritte ertönen in (diesem) Zimmer. M. ist häufig aufgestanden - diese Geräusche ertönen etwa um 2 Uhr morgens -, hat aber nie etwas oder jemand gesehen.' 2. 'Das Öffnen von Türen und Fenstern...

Dem Geräusch des Öffnens einer Tür geht immer ein Geräusch voraus, wie wenn eine Hand im Dunkeln nach der Türklinke suchte. Diese selben Geräusche hört M. an einer seiner Schlafzimmertüren ... Bisweilen hört er das Fenster seines eigenen Schlafzimmers sowie das des Zimmers im obern Stockwerk geöffnet und geschlossen werden. . .' 3.

Lärm wie von bewegten Möbeln, oder von einer schweren Person, die auf einem Bette niedersitzt, wobei die Matratze knarrt. 4. Geräusche wie von dem Ausschütten eines Sackes Korn oder Nüsse auf den Fußboden des obern Schlafzimmers, wie von harten Schlägen auf den Fußboden, wie von Flügelschlägen, wie von raschelndem Papier. 5. Seufzer und tiefes Atmen. -

Diese Geräusche werden nicht bloß von M. wahrgenommen, sondern auch von einer Magd, die das gleiche Stockwerk mit M. bewohnt, sowie von M.s Schwester, die, während sie bei ihm zu Besuch lebt, wiederholt von dem Schritt und dem 'Versuchen' am Türgriff aus dem Schlafe geweckt (I) wird.

Auch sie ist gleich der Magd den Geräuschen, die sie anfangs ihrem Bruder zuschrieb, vergeblich nachgegangen. Endlich fühlt M. 'zuweilen eine Hand leise seinen Kopf streicheln. [1]

Alles dies gehört einem Typ des Geschehens an, der uns nun schon wohl vertraut ist: er zeigt die Verbindung von Wahrnehmungen, die wir nur als Halluzinationen glauben fassen zu können, mit solchen, die eine örtliche Anwesenheit unabhängig vom Perzipienten zu bekunden scheinen.

Wir wissen auch schon, daß der einzige Versuch, die letztere zu umgehen, auf der Voraussetzung eines Agenten kollektiver telepathischer Halluzinationen beruht.

Die nächstliegende naive Auffassung würde den Agenten in dem Toten selber suchen (der ja häufig auch als der Spukende erscheint),der sich - vielleicht 'träumend' - in seine alte Behausung versetze, Handlungen wiederhole, die er im Leben vollzog, die Laute höre, die diese

[1] Maxwell 287ff. - Mitteil. des Verstorbenen, deren Inhalt keinem der Nächstbeteiligten bekannt war, s. 303ff.


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Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 602)

Handlungen begleiteten, und diese telepathisch dem oder den Perzipienten aufzwinge. [1] Gegner der spiritistischen Annahme werden, wie bereits angedeutet, mit Vorliebe die Veranlassung der Spukhalluzination in einen Lebenden verlegen, der an den Spukort denke, eine Ansicht, die das unverkennbare Brandmal jener erklügelten Theorien an sich trägt, die mehr aus vorgefaßten Ansichten, als aus unpersönlicher Hingabe an die Tatsachen entstehen.

Aber beide Theorien haben sich mit der Schwierigkeit abzufinden, daß die Wahrnehmungen des Perzipienten von vorausgesetzten Träumen des toten oder lebenden Agenten sich in einer Weise unterscheiden, welcher die telepathische Theorie sehr viel umständlicher gerecht wird, als eine 'lokale'.

Der angeblich Träumende träumt sich als innerhalb einer bestimmten Örtlichkeit anwesend und handelnd, der Perzipient vernimmt diese Tätigkeit nicht selten in leidlicher Entfernung von jener Örtlichkeit her: z.B. das Schlagen von Türen in einem anderen Stockwerk.

Suchen wir dagegen nach einer objektivistischen Deutung für die 'örtlichen' Spukvorgänge, so bietet sich uns nach dem Bisherigen kaum etwas anderes, als der Rückgriff auf den Begriff 'astraler' Duplikate der Dinge: astrale Türen müßten schlagen, astrale Kisten rollen, astrale Sofas knarren u. dgl. m.

Die Tatsache, daß selbst der stärkste Spuklärm mitunter nicht von allen Anwesenden gehört wird, [2] müßte dann ähnlich gedeutet werden, wie die gelegentliche Nichtwahrnehmung seitens einiger Anwesender von Phantomgliedern, die ihre Objektivität durch physische Leistungen bezeugen. [3]

Die quasiobjektiven Vorgänge des Spukes hätten ihr 'Niveau' für sich, und nur der, dessen Sinne für dieses Niveau im Augenblick erschlossen wären, könnte sie wahrnehmen.

Gegen diese Voraussetzung spräche (ganz abgesehen von der Frage der Glaublichkeit einer allumfassenden Astralwelt), daß die Wahrnehmung eines Spukes sich immer auf diesen zu beschränken scheint, während nach jener Annahme eigentlich doch wohl in dem Augenblick, da sich der Sinn für jenes neue Niveau erschlösse, eine Menge zufällig 'naher' Gestalten und Gegenstände zur Wahrnehmung gelangen müßte.

Dem neuen Sinne müßte sich eine neue Welt erschließen, anstatt vereinzelter Erscheinungen in besonderer Auswahl.

Können wir uns aber weder bei einer durchaus halluzinatorischen, noch bei einer naiv-objektivistischen Deutung des Spukes beruhigen, welcher dritte Begriff etwa böte uns einen Ausweg aus dieser Wirrsal?

Welche Art von Metaphysik der Materie, welche Art von Erkenntnistheorie ließe uns in diesem Schweben zwischen Subjekt und Objekt irgend festen Fuß fassen? Werden die Entwickelungen, die unsere physikalischen Grundbegriffe gegenwärtig erschüttern, in ihrem Ergebnis auch hier zu größerer

[1] Vgl. z.B. Gurney II 525.
[2] S. z.B. Pr II 149.
[3] S. z.B. Crookes 91f. 98; APS V 369; Barrett 23f. (auch JSPR 1889 127f.).


Kap LVI. Freiluftphantom und Materialisation.                     (S. 603)

Klarheit führen? Schon verkünden Denker von weitem Umblick die Auflösung der Absolutheit der Materie. Mit der Veränderlichkeit von Gewicht, Trägheit und Masse schwänden ihre konstanten Eigenschaften dahin, ihre Schöpfung und Vernichtung träte in den Bereich der Denkbarkeit, vielleicht gar der experimentellen Möglichkeit. [1] 

'Die Welt rauscht auf aus ihrer plastischen Stauung,... sie ist nicht mehr... starres Sein, sondern. . . flüssige Funktion, werdender, wechselnder Zustand... Der 'Weg auf zum Geiste hin und vom Geiste her' tut sich wieder auf. ...

Der Äther, Wiege und Grab der Materie, ist nur das Symbol jener Indifferenz, in der das Materielle zum Immateriellen, ja zum Geistigen übergeht.' [2]

Irgendwo auf der Verbindungslinie zwischen dem, was unser vorläufiger Dualismus [3] als die subjektive Vorstellung, und dem, was er als objektive Materie ansetzt, würde dann auch dereinst der Begriff gefunden werden, der uns die rätselvolle Tatsache des 'Gespenstes' -

und offenbar zugleich auch die der Materialisation! - denken ließe: des Phantoms, das zu wechselvoll und bildsam, von Darstellungsabsichten bedingt erscheint, um nur als materielles Etwas, und zu selbständig und fremd dem Beobachter gegenüber, um nur als dessen Vorstellung gefaßt zu werden.

[1] Nach O. Lodge, Life and matter, bei K. Joel, Seele und Welt 358. Vgl. auch Geley in PS XLVII 226f. über Ideoplastie, und Fournier d' Albe in PS XLVI 37ff. 90ff. 161ff.
[2] Joel, aaO. 359ff.; vgl. 392f.   
[3] vgl. o. S. 488.

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