Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap LIV. Probleme des 'Astralleibes'.                (S. 568)

Im ganzen glaube ich nicht, daß die bisher erwähnten Schwierigkeiten an sich uns zwingen können, die naivere Theorie des vollausgebildeten Phantoms zugunsten der Krafthülsen-Theorie fallen zu lassen.

Damit ist diese natürlich so wenig widerlegt, wie jene bewiesen. Im Gegenteil erheben sich erst jetzt die eigentlichen verwirrenden Fragen, die an die Denkbarkeit nur zeitweilig wahrnehmbarer (oder gar: existierender) 'menschlicher Wesen' von auch innerer Ausbildung sich knüpfen.

Welche Deutung ihres Ursprungs könnte diesen abenteuerlich ausschweifend erscheinenden Begriff unsrer Fähigkeit zu glauben etwa näher bringen? ,Soweit ich in


Kap LIV. Probleme des 'Astralleibes'.                (S. 569)

meiner Unwissenheit die verschiedenen Möglichkeiten überschauen kann, stellen sie sich wesentlich in folgender Einteilung dar: Entweder ist das Vollphantom erst zum Zwecke seines Erscheinens geschaffen und auferbaut, und zwar durch den Willen des Mediums oder durch den Willen eines Andern (etwa eines Verstorbenen), wenn auch mit den Mitteln des Mediums.

Oder aber es war bereits vollkommen vorgebildet und, wenn auch unwahrnehmbar, vorhanden, und zwar im Medium, aus dem es bloß hervortrat, oder außerhalb und unabhängig von diesem.

Daß der Gedanke des fast plötzlichen Aufbaus eines innerlich vollausgebildeten Organismus aus ungestalteten Stoffen durch den bloßen Willen eines Lebenden oder Verstorbenen außerordentliche Zumutungen an unsre theoretische Phantasie stelle, braucht nicht gesagt zu werden.

Auch ist er insofern keine ehrliche Alternative zur Hülsen-Theorie, als er die Schwierigkeiten dieser letzteren nicht nur in dem Maße vervielfältigt enthält, in welchem eben ein Rauminhalt seine Oberfläche quantitativ übertrifft; sondern auch inhaltlich in dem Maße gesteigert, in welchem organische und funktionelle Differenziertheit über formlose Einheitlichkeit hinausliegt.

Die Hilfsannahme aber, daß dabei ein lebender 'Keim' benutzt und zu abnorm beschleunigtem Wachstum gezwungen werde, wäre nur wenig glaubhafter und fände überdies in den Beobachtungen, wie wir sie bald genauer kennen lernen werden, nicht die geringste Stütze.

Die einzige Stütze, welche diese Hilfsannahme allenfalls auftreiben könnte, läge in der Einsicht, daß das uns normal erscheinende Zeitmaß organischen Wachstums keine schlechthin feststehende Größe darstellt, sondern etwas Relatives und - wenn man will - Zufälliges ist. Glaubhafte Versuche an 'magnetisierten' Pflanzen berichten von schier unfaßlicher Beschleunigung ihrer Entwicklung vom Keim bis zur Vollreife. [1]

In derselben Richtung weisen vollgültig bezeugte Fälle gewisser 'Wunderheilungen', welche uns nötigen, die in ekstatischem Zustand angeregte fast 'augenblickliche' Herstellung bedeutender Massen differenzierter Gewebe anzunehmen, die kurz zuvor völlig fehlten oder nur ansatzweise oder in krankhafter Veränderung vorhanden waren; [2] desgleichen wissenschaftlich feststehende Beobachtungen über Personen, die in wenigen Jahren die physiologische Vollreife eines Erwachsenen erlangten. [3]

Unsere Zeit des siegreich vordringenden Vitalismus findet auch sicherlich immer weniger Schwierigkeiten in dem Begriff einer plastischen Kraft und eines konstruktiven Vermögens rein 'seelischer' Mächte, die wir auch sicherlich bei dem flüssigen Zustande unsres heutigen physikalischen und physiologischen Wissens nicht allzu streng an Zeitmaße gebunden denken dürfen, deren Alleinglaublichkeit doch schließlich nur auf ihrer Gewohntheit beruht. - Es ist freilich zu überlegen,

[1] Ich kann hierauf ausführlich nicht eingehen. Vgl. etwa du Prel, Ph. d. M. 156; Stud. I 47ff.; JM 20. Jan. 1899; BIGP 1905 Nr. 2; d'Espérance 263ff. (auch PS 1886 455ff.)
[2] S. zB. Dr. med. L. v. Hoestenberghe, Dr. med. E. Royer u. Dr. med. A. Deschamps S. J., Guérison subite d'une fracture (Brüssel 1900); A. Loth, Le miracle en France au 19. siècle (Par. 1894) 201 ff.; Annales de Lourdes XXIV 112ff. 163 ff.; Dr. Boissarie, Lourdes... (Par. 1891) 107f. u. a. m.
[3] Zusammenstell. zahlreicher Fälle bei M. Hirschfeld, Sexualpathologie (Bonn 1917) I 66ff.


Kap LIV. Probleme des 'Astralleibes'.                (S. 570)

daß wir nicht nur in der Richtung alles bisher Beobachteten noch ein sehr beträchtliches Stück weitergehen müßten, um zu jener Neuschaffung von Phantomen zu gelangen; sondern daß auch die Frage der Beschaffung eines Keimes (falls ein solcher unerläßlich scheint) einstweilen ungelöst bliebe oder nur durch neue Hilfsannahmen lösbar wäre.

Doch scheinen zahlreiche Beobachtungen neuester Zeit, die nicht ohne Vorgänger in älteren Berichten sind, uns immer wieder zur Erwägung solcher Unglaublichkeiten zu zwingen. Zu oft und zu deutlich beobachtet man die Bildung von PhantomteiIen, namentlich Händen und Köpfen (die sich dann der näheren Prüfung auch 'innerlich' als differenzierte organische Gebilde ausweisen), aus greifbaren Massen, die dem Medium entströmen.

'Es ist eine Art von flüssigem, teigigem Brei,' sagt Richet, 'der aus des Mediums Mund und Brust kommt und sich nach und nach organisiert, indem er die Form eines Gesichts oder eines Gliedes annimmt; [1] eine weißliche Substanz, welche kriecht wie ein lebendes Wesen mit feuchten, kalten, protoplasmaartigen Verlängerungen, die sich unter den Augen der Teilnehmer in eine Hand, einen Finger (mit Knochengerüst!), einen Kopf, zuweilen in eine ganze Gestalt verwandeln.' [2]

Ja v. Schrenck- Notzing teilt uns mit, daß er diese ektoplastische Masse mikroskopisch untersucht, und Epithelzellen, Leukozyten und Fettröpfchen in ihr festgestellt habe. [3]

Die andere mögliche Ansicht, die in der Materialisation nur die Sichtbarmachung eines schon vorhandenen organisierten Leibes sieht, ob dieser nun dem Medium oder einem 'Geiste' zugehört, ist bekanntlich als Lehre vom soma psychikon, vom siderischen

oder Astralleibe in zahlreichen Religionen und Philosophien des Altertums vorangedeutet [4] und hat über die Zeit der Renaissance hinweg bis in die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts hinein selbst akademisch fortgewirkt, bis sie im Spiritismus und in der modernen Theosophie eine Auferstehung der Massengläubigkeit erlebte. [5]

Natürlich mußten mit der fortschreitenden Erkenntnis des feineren Körperbaues die Voraussetzungen und Folgerungen dieser Lehre für den ehrlichen Denker verzweifelte Formen annehmen.

Soll dieser 'feinere' Leib in seiner Organisierung ein wirkliches leistungsfähiges Duplikat des normal-wahrnehmbaren sein, so muß er, scheint es, nicht nur dessen Knochen, Bänder, Muskeln und Nerven 'im großen ganzen' wiederholen, sondern auch die im Haushalt des Lebens nicht minder wichtigen

[1] Richet 366.
[2] das. 402. Vgl. v. Schrenck-Notzing, Materialisationsphänomene, passim; Geley, De l'inconscient au conscient (Par. 1919) 59; Richet 407ff.
[3] v. Schrenck- Notzing, aaO. 2. Aufl. 321f.
[4] Vgl. das Ka der Ägypter, linga sharira und kamarupa der Inder, fravashi der Perser, nephesh der Hebräer, xxxx der Griechen, yyyyyyy der Neuplatoniker u. a. m.
[5] Vgl. zB. I. H. Fichte, (Anthropologie, Buch 2 Kap. 3); Fechner, Zend-Avesta 3. Aufl. II 337f.; [Irrenarzt Dr.] Fr. Groos, Der unverwesliche Leib als das Organ des Geistes... (Heidelb. 1837) und: Die geist. Natur des Menschen (Mannh. 1834) 51-54. Neuerdings theosophisch (zB. A. Besant, Man and his bodies), bei v. Hellenbach ('Meta-Organismus'), du Prel ('Astralleib') u. v. a. Auf Leibniz' Monadol. § 72 f. u. a. weist Bormann 13 hin.


Kap LIV. Probleme des 'Astralleibes'.                (S. 571)

tausend Arten kleinster Gebilde, die uns erst das Mikroskop offenbart; er muß ein Gefäßsystem und einen Kreislauf darin, er muß einen Verdauungskanal und am Ende gar eine Bewegung von Nahrung darin haben; - wenn auch alles in 'feinerer' Materie.

Man kann nicht sagen, daß sich unsere modernen 'Okkultisten' die Hervorhebung dieser Folgerungen haben angelegen sein lassen. Die Theosophie, mit ihrer systematisierenden Lehrhaftigkeit, entzieht sich ihnen halbwegs durch die Unterscheidung von ätherischem und Astralleib.

Von diesen soll nur der erstere ein wirkliches Abbild des 'dichten' Leibes sein, gebildet aus den 'feineren' Atomen 'höherer' Materie, [1] während dem' Astralleibe', zumal beim 'wenig entwickelten' Menschen, nur eine 'lockere Organisation' und 'unbestimmte Umrißlinien' zukommen, die erst im höherstehenden Wesen zunehmend bestimmter innerer Organisiertheit und Stabilität weichen.

Nur eine gewisse plastische Bildsamkeit wird ihm anscheinend in jedem Falle zugeschrieben, die ihn seine normale Gestalt wieder annehmen läßt, wenn seine Umrisse durch Druck verändert wurden. Zwar wird auch von Organen und Organisierung des Astralkörpers geredet.

Aber die Fragen, wieweit diese Organisation im Einzelnen gehe und was - soweit sie sich von der Organisation des fleischlichen Leibes unterscheide - das genauere funktionelle Verhältnis jenes Leibes zum Leibe der klassischen Physiologie sei, diese Fragen werden nicht nur bezüglich des Astral-, sondern auch bezüglich des ätherischen Leibes mit Stillschweigen umgangen. [2] - Genauigkeit war nie die starke Seite menschlicher Allwissenheit.

Um so bemerkenswerter ist es, daß selbst ein wissenschaftlich gründlich geschulter Geist außerhalb aller Theosophie den Mut haben konnte, den Gedanken eines metamateriellen Leibes von voller morphologischer Übereinstimmung mit dem materiellen zu fassen; ein Dilettant, wenn man will, wiewohl Physiker von Fach; doch werden ja in diesen Fragen selbst die Besten nicht so bald über die Stufe des Dilettierens hinausgelangen.

Mr. Fournier d' Albe geht bei seinen Betrachtungen aus von den neueren mikroskopischen und mikrochemischen Einsichten über den Bau der lebenden Zelle und der sich daraus ergebenden Unterscheidung von verhältnismäßig wesentlichen und unwesentlichen Bestandteilen.

Zu den ersteren zählt er natürlich den Zellkern, hebt aber auch hier hervor - in allem Tatsächlichen auf Wilsons große Autorität gestützt -, daß von den Bestandteilen des Kerns (Chromatin, Linin, Paralinin, Pyrenin, Amphipyrenin) nicht alle die gleiche Wichtigkeit besitzen mögen, wiewohl die Unvollkommenheit unsres Wissens die genaue Bestimmung dieser Wichtigkeit im Einzelnen verhindere.

Den jedenfalls vorauszusetzenden wesentlichsten Bestandteilen gibt er den Namen Psychomeren und hält ihre teilweise Identität mit Weismanns Biophoren für möglich. - Es ist nun sein eigentlicher Gedanke, daß eine zusammenhängende Herausziehung aller dieser lebenswichtigsten Elemente denkbar sei, die mithin eine Art gasförmigen Körpers von der Gestaltung

[1] A. Besant, Ancient Wisdom, z. Aufl. (Lond. 1899) 63.
[2]
Das. 94-105. Bezeichnende Unbestimmtheit auch bei Daumer I 75.


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Kap LIV. Probleme des 'Astralleibes'.                (S. 572)

des menschlichen Leibes, aber von weit geringerer Dichtigkeit als die Luft, ergeben würde. Die Möglichkeit einer solchen Aussonderung der lebenswichtigen Bestandteile des gesamten Organismus glaubt unser Verfasser durch die neuesten Anschauungen über den Aufbau der Materie verbürgt.

Die das Atom bildenden kreisenden Elektronen, die nur durch fernwirkende Kräfte miteinander verbunden und deren Abstände voneinander relativ nicht geringer seien, als die Abstände der Planeten voneinander, geben hinreichenden Raum für alle Arten gegenseitiger Durchdringung.

Nach dieser Anschauung sei der Leib selbst eine Art von Nebel, und nichts widerspreche der Möglichkeit, aus ihm einen feineren Nebel zu extrahieren (und zwar in kurzer Zeit und wiederholt) oder diesen dann in seine frühere Lage zurückzubringen. [1]

Der gewichtigste Einwand gegen diese kühnen Spekulationen wird sich wohl darauf berufen, daß sie die notwendige' Ähnlichkeit' des fleischlichen und des Psychomeren-Leibes nicht durchweg voraussetzen können.

Gewisse Teile unseres Körpers, u. a. die in seiner mechanischen Wirtschaft bedeutsamen, sind unverhältnismäßig arm an jenen 'vitalsten' Zellelementen und würden daher in einem Psychomeren-Leibe nicht entsprechend vertreten sein: zB. die knochigen, die fettigen, die bindegewebigen Teile. Tiefer würden die Unterschiede im Gebiete des Nervensystems greifen.

Die große Ausdehnung der meisten Neuronen (der Nervenzellen mit ihren mannigfachen Fortsätzen) steht in einem sehr mißlichen Verhältnis zu dem geringen Gebiet, das die für sich fortbestehenden Psychomeren vertreten würden. Und Ähnliches gilt für die so wichtigen Isolierungsvorrichtungen der Nervenfasern. -

Aber vor allem: jede organische Funktion besteht mehr oder minder in einer Wechselwirkung von Elementen, die eben darum nicht voneinander getrennt werden können, ohne ihres Sinnes in der Wirtschaft des Lebens verlustig zu gehen.

Auch das Wesen der Psychomeren besteht vor allem in ihrer Funktion innerhalb des voll erhaltenen Lebens; ihre Herausziehung aus diesem Zusammenhang würde sie der Möglichkeit ihres natürlichen Wirkens berauben und eben darum, scheint mir, zum alsbaldigen Untergang verurteilen.

Der Psychomeren-Leib wäre eine Anhäufung von Schwungrädern ohne Achsen, von Blüten ohne Stengel und Wurzel, von Herzen ohne Adern und Blut.

Diese Schwierigkeiten würden anscheinend schwinden, wenn wir den hypothetischen 'feineren' Leib nicht bloß zu einem qualitativ-besonderen Auszug, vielmehr zu einem wirklich genauen Duplikat des 'groben' Leibes zu machen uns entschlössen.

Der weitergehende und folgerichtigere Gedanke dürfte sich dann auch als der einfachere erweisen. Der Begriff von Materien innerhalb Materien, Äthern innerhalb Äthern liegt der modernen Physik nicht ganz fern [2]: warum also sollte diese Schichtung des Objektiven soz. in Ebenen von wachsender 'Feinheit' nicht auch dem lebenden Körper als Ganzem und gleichsam von Atom zu Atom zugeschrieben werden?

Der ganze Körper bis auf seine allerletzten Teile herab wäre hiernach eine ineinandergeordnete Mehrheit von Körpern, vereint im Leben, begrifflich trennbar nach ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen

[1] E. E. Fournier d'Albe, New light on immortality (Lond. 1908) 106-110. 145-149.
[2] Vgl. zB. Whetham, The recent devel. of phys. science 279.


Kap LIV. Probleme des 'Astralleibes'.                (S. 573)

Stufen materieller Einheiten, und vielleicht - wer weiß? - unter Umständen auch physisch so trennbar. Sicherlich brauchte eine solche Trennung, selbst durch den 'magischen' Willen eines Mediums, nicht wunderbarer zu erscheinen, als die Errichtung eines wirkungsfähigen 'Hülsenleibes' draußen im Raume durch eben diesen magischen Willen.

Auch Gedanken dieser besonderen Art haben vielleicht schon ihre modernen Klassiker gefunden.

Crookes dürfte sie bei den bekannten Andeutungen seiner Präsidentenrede vor der Britischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften im Auge gehabt haben, als er den Geist- Körper (spirit-body) als kontinuierlich mit dem physischen Leibe bezeichnete, raised to an indescribable number of vibrations; und ähnliche Anschauungen vertraten die Professoren B. Stewart und P. G. Tait in einem ehedem vielgelesenen Buche i. J. 1876. [1]

Indem sie ein Entstehen der Atome aus ultramateriellen Elementen voraussetzten (eine Vorstellung, die damals noch in den Formen der Wirbel-Theorie sich aussprach), sowie ein Übergehen von Wirkungen von einem Niveau auf das andere, gelangten sie zu der Vermutung, der unsichtbare Körper, der den Tod überdauere, bestehe eben aus jenen ultramateriellen oder feineren Bestandteilen.

Aber - forschen wir nun wieder - hat dieser so näher definierte unsichtbare Körper einen Säftekreislauf, wie der sichtbare? Bedarf er der Nahrung, wie dieser? Hat er ein Geschlecht und pflanzt er sich fort? Wie bewegt er sich? Vergeht er? Oder ist er unzerstörbar? - Fragen über Fragen - und einstweilen keine Aussicht auf Antwort.

Aber alles dies sind schließlich Spekulationen. Gibt es denn auch Erfahrungsbeweise für das Dasein des Astralleibes? Ich weiß nur wenig von Versuchen solcher.

Die bekannten Integritätsgefühle Amputierter sind ins Feld geführt worden, [2] doch kann sich ihre metaphysiologische Auslegung gegen die bündige wissenschaftliche Deutung der Tatsachen schwerlich behaupten, die sich auf fortbestehende Erinnerungsvorstellungen der verlorenen Gliedempfindungen und daraus entstehende Illusionen und Halluzinationen beruft. [3] -

Wir lesen zwar auch von erfolgreicher magnetischer Behandlung von Schmerzen, die 'im' verlorenen Gliede gefühlt wurden, wobei diese Behandlung sich nur auf das unsichtbare Duplikat des verlorenen Gliedes erstreckte. [4]

Und gegen die naheliegende Deutung dieses Erfolges durch Suggestivwirkung richten sich andere Beobachtungen, wonach zB. Stiche 'in' das fehlende Glied hinein auch dann schmerzhaft empfunden wurden, wenn alle Vorsichtsmaßregeln ergriffen waren, um das künstlich geblendete Subjekt über den Zeitpunkt des Versuchs im unklaren zu lassen. [5] Aber weder muten mich diese Versuche sehr vertrauenerweckend an, noch schließen sie, genau

[1] The unseen universe (Lond. 1876) bes. 198ff. 231. 240ff. 251. Vgl. auch S. D. Mc Connell. The evolution of immortality (N. Y. 1901) ch. XV.
[2] S. zB. H. Ch. Bastian, The muscular sense, in Brain X (1888) 1ff.; Weir Mitchell, Injuries of nerves and their consequences 345 ff.; Valentin, Lehrb. d. Physiol. d. Menschen (Braunschweig 1843) II, 2 713ff. - Okkultist. Auslegung zB. bei J. Gillingham, The seat of the soul discovered (1870); Serjeant Cox, The mechanism of man (Lond. 1876); Wasenmann in PS XXIX 256f.
[3] Bastian, aaO. 37ff.; Wundt II 331.
[4] du Prel, Mon. Seel. 165.
[5] Dr. Luys, ref. in ÜW III 79f.


Kap LIV. Probleme des 'Astralleibes'.                (S. 574)

genommen, telepathische Suggestion aus. - Verbliebe uns nur die angebliche Beobachtung, daß Sensitive oder Hellsehende - an deren erhöhte Wahrnehmungskräfte wir nun schon glauben gelernt haben - die fehlenden Gliedmaßen noch zu sehen vermögen.

Kerner zB. behauptet von der Frau Hauffe (leider ohne auf irgendwelche Einzelheiten einzugehen), sie habe 'die ganze Form des verlorenen Gliedes. .. noch immer im Bilde des Nervengeistes (durch den Nervengeist gebildet...) am Körper' gesehen. [1]

Die Beobachtungen zur Begründung der Lehre vom unsichtbaren Leibe sind, wie man sieht, dürftig genug, und die oben besprochenen Hypothesen gleichen Sinnes, die ihnen zu Hilfe zu kommen suchten, überragen sie nur wenig an Überzeugungskraft.

Der Antrieb, die einen wie die andern gleichwohl im Auge zu behalten, entstammt der nicht fortzuschaffenden Tatsache, daß menschenähnlich auftretende und anscheinend seelisch selbständige Vollphantome zuweilen in verhältnismäßig geringerer Bindung an ihr Medium auftreten; hierin verschieden von jenen teleplastischen Bildungen, die wir ohne weiteres als echte Schöpfungen des Mediums zu erfassen meinen.

Es wird notwendig sein, daß wir diesen wechselnden Beziehungen zwischen Phantom und Medium noch einige Aufmerksamkeit schenken.

[1] Kerner, Seherin 150 (Orig.-Ausg. I 83).

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