Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap VII. Ekstasen.    (S. 72) 

Ein Gebiet, auf dem sich diese Entwicklungen verfolgen lassen, ist das der religiösen Ekstatik. Wir dürfen die Ekstase einstweilen formal als eine 'zweite' Phase bezeichnen, die - ähnlich der Hypnose oder dem Somnambulismus - das normale Verhältnis des Ich zur Außenwelt beeinträchtigt oder aufhebt, und dementsprechend nach ihrem Schwinden ErinnerungsIosigkeit oder doch getrübte Erinnerung hinterläßt. Hinsichtlich des Inhalts ist sie voraussetzungsgemäß erfüllt von 'religiösen' Erfahrungen der lebhaftesten Art; in praktischer Hinsicht sind ihre Wirkungen die der geistlichen Erlebnisse überhaupt.

Diese vorläufigen Bestimmungen sind .schwankend genug; aber nicht schwankender, als der übliche Begriff der Ekstase überhaupt, von dem wir ausgehen (denn seine ganze Fülle wird erst durch die Gesamtheit unsrer Betrachtungen erschlossen werden).

Der gewöhnliche Wortgebrauch bezeichnet jede überragend starke Erregung in Genuß oder Schaffen, in Anschauen und Handeln als ekstatisch, [1] und hat damit insofern recht, als auch die Ekstase im engem Sinne häufig, wenn nicht meist, einen Verlust des normalen Ich und der sinnlichen Umgebung durch übermäßiges Anschwellen einzelner Bewußtseinsinhalte, durch einen Krampf der Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand hin bezeichnet. [2]

Man hat sie daraufhin denn auch ganz von den hypnotischen und somnambulen Zuständen absondern wollen, deren hervorstechendes Merkmal so häufig Passivität sei. Doch wird dabei übersehen, daß auch bei diesen zuweilen der Verlust der Welt gleichsam durch vereinzeltes Erhaltenbleiben besonderer Inhalte bedingt scheint und die seelische Aktivität dann auf diesen Sondergebieten eine sehr beträchtliche sein kann; [3] und daß anderseits auch die Ekstatik ihre passiven, schlummerartigen Phasen kennt, wie wir ja schon aus der Beschreibung der geistlichen Erfahrungen wissen.

Soweit also das Gegensatzpaar Aktivität-Passivität in Frage kommt, braucht die psychologische Vergleichbarkeit der hypnotisch-somnambulen und der ekstatischen Zustände nicht bezweifelt zu werden. Die verschiedenen Grade der 'Ligatur' [4] wie der Fähigkeit zu äußerem Handeln, finden sich hier wie dort in leidlich den gleichen Formen. Wir kennen Ekstatische in Katalepsie - regloser Muskelstarrheit - und in Lethargie - passiver Muskelbeweglichkeit; wir kennen aber auch fließend redende und hemmungslos handelnde.

In mehr psychologischer Hinsicht wird eine Wesensverwandtschaft der

[1] ZB. P. Mantegazza in seinem popularisierenden Buche Die Ekstasen des Menschen (deutsch, Jena 1888).
[2] Vgl. Esquirol, Des maladies mentales I 193 (auch physiologisch ausgedrückt); ähnlich Th. Ribot, Les maladies de la volonté und E. Parish, Hallucinations and illusions (Lond. 1897) 211.
[3] Vgl. o. S. 49.
[4] Vgl. o. S. 23.


Kap VII. Ekstasen.    (S. 73) 

ekstatischen und hypnotischen Zustände schon durch die Ähnlichkeit ihrer Erzeugung wahrscheinlich gemacht. Beide sind in beträchtlichen Grenzen Erzeugnisse der Willkür. In Hypnose können sich viele Subjekte selbst versetzen. [1]

Willkürlich aber ist ja zum großen Teil auch die religiöse Hypnotik, und zwar nicht nur häufig die Herbeiführung der Einzelekstase, sondern vor allem auch jene vorbereitende Schulung (das 'Training'), deren Wesensverwandtschaft mit den Vorbedingungen der Hypnose unverkennbar ist, sofern sie auf eine allgemeine Auflockerung der Ichfügung sich richtet, eine Entspannung der wachen, Ich-betonenden Instinkte fördert.

So verlangt Ruysbroeck zum Zwecke der 'Freiheit' zu 'bildloser Einkehr' und 'Sammlung der Kräfte im Bande der Minne', d.i. als Vorbedingungen der Ekstase, zunächst 'Gleichgültigkeit gegen Lieb und Leid, Gewinn und Verlust, Erhöhung und Erniedrigung, fremde Sorgen, Freude und Furcht'. [2] Entsprechend ist ja eine Vorbedingung der Hypnose das Aufgeben aller erregenden Gedanken: das 'Nichtwollen' und Nichtsdenken.

Der Einschlafende entselbstet sich gewissermaßen zeitweilig und zu bestimmtem Zweck. Der dem ekstatischen Leben Zustrebende wird entsprechend aufgefordert, sich dauernd und gründlicher zu entselbsten und entspannen. [3] - Zu dieser allgemeinen Entspannung des Wach-Ich tritt dann vielfach ein Verfahren zur Herbeiführung der einzelnen Ekstase, das man z.T. geradezu als ein hypnotisches bezeichnen kann.

Die mannigfaltigen, in ihrem Zweck teilweise schwer durchschaubaren Atemübungen der indischen Ekstatiker (hauptsächlich die Verlangsamung des Atems und seine Führung durch bestimmte Atemöffnungen) scheinen jedenfalls auch der Absicht zu dienen, den Vorstellungsablauf zu beherrschen und schließlich anzuhalten.[4]

Jedenfalls beschreitet der Inder auch den geraden Weg, der dem Hypnotiker wie dem Schlafbedürftigen gleich wohlbekannt ist: die anhaltende Einstellung der Aufmerksamkeit auf eine Einzelvorstellung, etwa einen Körperteil, oder die Geräusche des Ohres, [5] oder auch nur ein inneres Vorstellungsgebilde.

Dieser Übung mag es auch dienen, wenn islamische Gemeinschaften zur Erlangung der Ekstase (neben sittlicher Reinigung) auch eine Erziehung von Wille und Aufmerksamkeit fordern. [6]

Die christliche Praxis, die wohl überhaupt sich weniger nackt-wissenschaftlich gebärdete, als die ältere der Orientalen, verbarg den gleichen Kunstgriff sich selbst, wenn sie etwa die Anschauung von Bildern, die Anbetung der Hostie im halb dunkeln Raum u.ä. dem Ekstatiker empfahl. Die ermüdende Gleichförmigkeit unbequemer Körperhaltungen mag dabei auch mitspielen; eine

[1] S. z.B. Bramweil 52f. 64. 68. 97 u. sonst.
[2] Ruysbroeck 5If. Ähnlich, alle Mystiker zusammenfassend, Scaramelli I 377ff. Vgl. die sufische Forderung des Vergessens aller weltlichen Angelegenheiten: Probst-Biraben in RPh 1906 II 493, und die indischen Vorschriften von yama (Zufriedenheit) und vairagya ('Verlanglosigkeit'): Keller, Yoga 12. 13 (nach Patanjali, Yoga-Aphor. c. I sI. 36).
[3] Ich komme auf diese Zusammenhänge noch zurück.
[4] Vgl. Patanjali bei Keller, aaO. 17; Einzelh. auch bei N. C. Paul, The Yoga-Philosophy 11. 12; R. Garbe in ERE XII 832f.; Cvetdsv. Upan. 2. 8ff. (Deussen 295ff.); islamische Parallelen bei Keller I6f.
[5] Keller, aaO. 11. über die Nabelbeschauer des Athos s. z.B. Stein, Stud. üb. d. Hesychasten des 14. ]ahrh. (Wien 1874).
[6] Probst- Biraben, aaO. 491.


Kap VII. Ekstasen.    (S. 74) 

Praxis, die man wiederum am besten an den indischen Vorschriften über die asanas studieren kann, die unzweifelhaft auch der Konzentration dienen sollten. [1] Man muß mit dem Körper glauben, lautete ein Wort Joh. Joergensens.

Aber dieser hypnotische Quietismus der ekstatischen Praxis verdeutlicht nur eine, die negative Seite des psychologischen Tatbestandes: die Abtragung des Wach-Ich. Die Ekstase ist aber, wie schon gesagt, ebensosehr Exaltation als Entspannung.

Das teilweise Wachbleiben bei tiefer Hemmung 'im übrigen' ist ekstatisch z.B. dann verwirklicht, wenn ein Zustand tiefgefühlten Schauens oder Betens das äußerlich wahrnehmende Ich versinken läßt, während jene Inhalte allein erhalten bleiben. Von E. Roberts berichten die Beobachter, daß er in heftig gespanntem Gebet 'für alles Umgebende das Bewußtsein verlor. Die Zeit hört für ihn auf. . .

Er ist unempfindlich für alles, was um ihn her geschieht. Wir haben oft gesehen, wie er mitten in einer Unterhaltung fortgezogen wurde, um mit seinem Gotte Umgang zu pflegen.' [2]

Ein Einzelzug endlich verdeutlicht die psychologische Verwandtschaft von Hypnose und Ekstase besonders schlagend: das Vorkommen des 'Rapports' auch bei den Ekstatischen, d.h. der 'selektiven' Eingestelltheit ihrer Aufmerksamkeit auf eine bestimmte maßgebende Person, wie die des ,Hypnotisierten auf seinen Hypnotiseur’. [3]

An dem seit einer Stunde 'verzückten' Dominicus von Toledo 'wollte sein Prior eine Probe seiner Tugend vornehmen und befahl etlichen Geistlichen, daß sie ihn in seinem Namen wieder zu sich berufen sollten; er hatte aber in keiner Weise den Willen und die Meinung gefaßt, daß er zu sich komme. Die Geistlichen gingen hin, aber obgleich sie ihm mehrmals zuriefen, blieb er doch in seinem Zustand.

Der Prior erklärte darauf nach einiger Zeit einigen Anwesenden beiseite, daß er jetzt den Willen habe. Kaum hatte er darauf die Worte des Befehles bei sich ausgesprochen, fing schon die Verzückung sich zu lösen an'.'[4] Man könnte glauben, einer hypnotischen Vorstellung beizuwohnen. Die Annahme von Gedankenübertragung erscheint dabei überflüssig: der Ekstatische mag innerhalb Hörweite des Priors gewesen sein, und man war in jenen Zeiten nicht vor hypnotischer Hyperästhesie auf der Hut.

Ekstatische Klosterleute gehorchen übrigens meist in der 'Verzückung', wenn auch sonst niemandem, so doch dem geistlichen Vorgesetzten oder dem Beichtvater, wie das bei der M. Magdalena von Pazzi 'oftmals probiert worden'; oder es ist der Ton der Klosterglocke, der sie an Pflichten gemahnt, nach deren Verrichtung sie in die Ekstase zurückkehren; oder - eine weitere Ähnlichkeit mit Gepflogenheiten Hypnotischer - vor der

[1] Noch anderes s. ARIX 439, 4 6 2 ; XII 133.
[2] Phillips 87.
[3] Ich setze die hier entstehenden Einzelfragen beiseite; vgl. A. Moll, Der Rapport in der Hypnose (Lpz. 1891); über selektive Aufmerksamkeit im Schlafe, vgl. (schon vor Forels bekannten Versuchen) Jouffroy, Mélanges, 2 . Aufl. 290 ff ; Hamilton, Lecture XVII. S. auch RHV I 357.
[4] Görres 11 262.


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Kap VII. Ekstasen.    (S. 75) 

Ekstase empfangene Befehle werden in zeitweiligem Wachen erfüllt, wenn sie während der Ekstase fällig werden. [1]

Die psychologische Wesensverwandtschaft hypnotischer und ekstatischer Zustände nun vorausgesetzt, betrachten wir die letzteren näher auf ihre Inhalte hin, um ihr etwaiges Anwachsen bis zur Reife zweiter Ich-Phasen zu erforschen. Dies innere Wachstum vollzieht sich in der Richtung sowohl der Vorstellungsfülle, als auch der motorischen Äußerungen. Ermöglicht aber wird es vornehmlich durch das häufige Auftreten, das der Ekstase bei manchen Personen eignet.

Von S. Katharina von Siena sagt ihr Biograph Caffarini, daß sie 'jahrelang jeden Abend, wenn es zu dämmern begann, sich von einer unwiderstehlichen Kraft zu Gott gezogen fühlte und in eine Entzückung verfiel, die gewöhnlich sechs Stunden anhielt, während welcher Zeit sie mit der Ewigen Weisheit Umgang pflog, indessen ihre körperlichen Sinne aufgehoben waren.'

Den ganzen August des Jahres 1390 schien sie in einer ununterbrochenen Ekstase zu verbringen, während welcher Zeit sie viele wunderbare Offenbarungen erhielt. Ja nach dem Eintritt ihrer mystischen 'Vermählung' mit dem Heiland wurde die Gnade, wie Br. Raymund sagt, in ihrer Seele so reichlich, daß man von ihr hätte sagen können, sie lebe in der Ekstase. [2]

Auch von S. Thomas Aquinas heißt es: das ekstatische Leben sei ihm so zur Gewohnheit geworden, daß er schließlich kaum seinen Geist zur Betrachtung zu sammeln vermochte, ohne in einer Entzückung hingerissen zu werden. [3] Die Ekstase ist solchergestalt manchen Heiligen beinahe die natürlichere Bewußtseinslage, gegen die sie sich weit mehr wehren, als daß sie sich zu ihr emporarbeiten müssen.

S. Philipp Neri mußte zu einer Zeit seines Lebens sich 'geradezu Gewalt antun, um sich wie andere Menschen zu benehmen, und trotz seiner Anstrengung versank er, wenn er seiner Gewohnheit des Gebets im allergeringsten Maße nachgab, sofort vollständig in Kontemplation. Redete man ihn [dann] an, so gab er irgendeine Antwort, die nichts mit der Sache zu tun hatte, und mußte sich dann schütteln oder im Zimmer auf und nieder gehen, ehe er zu sich kam...

Bisweilen mußte man ihn an den Kleidern zupfen, um ihn zu sich zu bringen, und dann machte er eine Gebärde, als wäre er eben aus einem tiefen Schlaf erweckt.' [4]

Über die bewußten Inhalte der Ekstase mag es trotzdem nicht leicht sein, in allen Fällen sich Klarheit zu verschaffen, und unstreitig kann das äußerlich gleiche oder ähnliche Bild beträchtlich verschiedene innere Erlebnisse decken. Soweit äußere Andeutungen während der Ekstase und die nicht immer ergiebigen späteren Erinnerungen ein Urteil zulassen, fehlen Gefühlserlebnisse heftigster Art fast nie. Doch haben reine Gefühlszustände, von denen wir ja ein mehreres schon früher hörten, im gegenwärtigen Zusammenhang, wo es sich um die Entwicklung der Ekstase

[1] s. z.B. Labis, ch. XXIX; David 124f.; Görres II 508 (Maria v. Mörl); Tir. Ekst. I 62; Bougaud 175. 179. Ähnlich Janets Laboratoriums-Ekstatische (Névr. I 95ff.).
[2] Drane I 50. 112. 106.
[3] Thomas Aquinas II 916.
[4] Bacci I I71f. Einige Angaben über Häufigkeit und Dauer der Ekstasen hei einzelnen Heiligen s. bei Görres II 278f.


Kap VII. Ekstasen.    (S. 76) 

als eines 'zweiten Zustandes' handelt, das geringste Interesse für uns; es sei denn als gegebene Kristallisationspunkte für stimmungsverwandte Vorstellungen. Solche Vorstellungen erlangen im eingeengten Ich des Ekstatischen fast immer stärkste Anschaulichkeit und Sinnlichkeit, und hierüber gedenke ich mich erst zu verbreiten, wenn unser Gedankengang zur Besprechung des mystischen Visionslebens drängt.

Wichtiger für unsern Zweck wäre aber augenscheinlich die Beobachtung von Ekstasen, deren Inhalt sich in Handlungen äußert, weil hiermit ein bedeutsamer Schritt zur Entwicklung 'zweiter' Phasen getan wäre. Und sicherlich ist der leibliche Bewegungsapparat das letzte, was der ekstatische Komplex an sich reißt.

Wir lernten schon früher [1] mystische Zustände kennen, in denen ein halb ekstatisches Gefühlserleben das Ich gleichsam umnebelt, die leibliche Tätigkeit aber noch, in halb automatischer Weise, den Zusammenhang mit der sinnlichen Außenwelt bewahrt. Solches Genießen der 'Liebe' oder der 'Gegenwart Gottes' im lnnern, während man 'im äußern Teile' noch handelt, ist eins der gewöhnlichsten mystischen Vorkommnisse. [2]. Erfahrene Theoretiker der Mystik haben in der Tat schon hier das innere Erlebnis einer Zweiheit des Bewußtseins feststellen zu dürfen gemeint.

S. Johann vom Kreuze betont an diesen 'Gunstbezeugungen', sofern sie sich 'vollständig im Geheimen, d.h. ausschließlich dem Geiste mitteilen', daß sich dabei 'die Seele im Augenblick, da diese Dinge vorfallen, ohne dies Geheimnis zu begreifen, so hoch über ihren niederen Teil erhoben sieht, daß sie in ihrem Innern gewissermaßen zwei unterschiedene Wesen feststellt, von denen das eine nichts mit dem andern gemein zu haben scheint, so sehr sind sie durch einen unermeßlichen Abstand voneinander getrennt'. [4]

Und Mme. Guyon hatte von verwandten Zuständen gesagt, es 'scheine der Seele, daß in ihr gleichzeitig zwei Seelen und zwei Unterhaltungen seien, und daß die des Innern unendlich viel mächtiger sei als die des Äußern'. [4]

Diese Spaltung wird sich natürlich noch vertiefen, wenn zu der gefühlsmäßigen Hingerissenheit die innere Beschäftigung mit entsprechenden Vorstellungen tritt. Wir werden dann bald einen 'kritischen Punkt' [5] erreichen, nach dessen Überschreitung die noch bestehende Zweiheit schwindet, der Bewegungsapparat vom ekstatischen Ich an sich gerissen wird, und wir nun mehr das Bild einer handelnden Ekstase, eines mehr oder minder entwickelten ekstatischen Somnambulismus vor uns haben.

Zuweilen geht diese Tätigkeit allerdings nicht über ein Reden, natürlich religiösen Inhalts, hinaus. Die geistliche Lebensbeschreibung berichtet z.B. von vielen, die 'Jahre hindurch mehr oder minder häufig ekstatisch

[1] s.o. S . 2 2 f .
[2] Vgl . z.B . noch Thorold 162, Gertrud I 124; Deutsche Theol. 41; David 29; S. Alph. RodI. 57; Divine cloud 225; Reitz III 114. 115; Asin 234 (Abenarabi, Fotuhat I 326, ed. Cairo 1293 Heg.).
[3] S. Jean III 475 (N. O. I. II ch. 23); vgl. II 79 (Sub. I, 11).
[4] Guyon, Opusc. 173 (Torrens I, 5, 12).
[5]
Vgl. o. S. 54.


Kap VII. Ekstasen.    (S. 77) 

gepredigt. [1] Magdalena von Pazzi scheint dabei, mit Ausnahme der Sprechwerkzeuge, in kataleptischem Zustand gewesen zu sein. [2] Erinnerungslosigkeit nach der Rede dürfte in solchen Fällen die Regel sein, wie nach jeder somnambulen Tätigkeit.

Zu Zeiten von Massenbekehrungen (revivals) ist solches ekstatische Reden häufig beobachtet worden, wie z.B. während einer älteren Bewegung dieser Art unter dem Landvolk in Smaland (Schweden), die diese Erscheinung unter der Bezeichnung rop (Ruf) weithin bekannt machte.

Der Rop äußerte sich bei einigen als ein bloßes Zur-Buße-rufen; bei Reiferen gewann er die Form gedankenvoller langer Reden in fehlerfreier, belebter, erhabener Sprache, von Eifer und Ernst getragen, von tiefer Menschenkenntnis zeugend und mit treffend gewählten Schriftstellen durchsetzt, deren Anwendung im Munde ungebildeter Bauermädchen Erstaunen erregte.

Der ekstatische Zustand der 'Rufenden' unterlag keinem Zweifel. Nach einigen Zuckungen verfielen sie in völlige Verzückung, meist auf dem Rücken liegend, aber auch stehend, mit geschlossenen Augen und zuweilen mit den Händen Gebärden machend. Nichts konnte dann den Rop zurückdrängen, nicht einmal ein Zuhalten des Mundes und der Nase seitens der Umstehenden. Körperliche Krankheit, dies betonen die älteren Beobachter ziemlich harmlos, hatte nichts mit der Anfälligkeit zu tun.

Die Nachwirkungen waren eher angenehm, als schädlich: selbst nach sehr langem Rop folgte ein Gefühl der körperlichen Leichtigkeit und Frische. (Vielleicht ein Rest der ekstatischen Anästhesie?) Und nach dem Zusichkommen bestand Erinnerungslosigkeit für die eigenen Äußerungen.

Der religiös-ethische, verjenseitigende Charakter des Ganzen äußerte sich in den tiefempfundenen Sündenbekenntnissen, mit denen manche den Rop begannen, in dem Inhalte der Reden selbst, in der verbleibenden seelischen Freudigkeit und den für Erweckungen typischen Nachwirkungen der 'Epidemie'. [3] -

Beobachter der Walliser Erweckung vom Jahre 1905 liefern uns z.T. ähnliche Bilder in ihren Beschreibungen des hwyl, jenes halb oder ganz gesungenen Redestroms von hinreißendem Pathos und künstlerischer Erhabenheit, in den der Betende oder Redende sich hineinsteigert, bis sein Ich ekstatisch verlischt, und der keine Erinnerung, aber stark erweckliche Wirkungen zurückläßt. [4]

Prof. J. Morris Jones berichtet, [5] daß er einfache Landarbeiter und Hüterjungen, völlig unwissende Leute, in einen solchen Redestrom vom reinsten klassischen Gälisch ausbrechen gehört habe: 'ihr Stil ist häufig reiner und schöner, als ich ihn je zu erreichen hoffen könnte, und kann unmöglich durch gewöhnliche menschliche Maßstäbe erklärt werden'.

'Ein junges Mädchen,' sagt ein Versammlungsleiter, 'betete vor 2000 Personen, und die Art, wie sie die Lehre von Christi Herrschergewalt behandelte, die passende Verwebung von Bibelstellen und Zeilen aus unserem Gesangbuch, in

[1] Görres 11 402ff.
[2] Dazza 309; vgl. 297ff. 312ff. Weitere Beispiele bei Amold III 223b; bei Mirville 256f.; in ÜW VII 235f. (August Schüler); in Reden von Hellsehenden über rel. Gegenstände I (Basel 1824), II (Stuttgart 1825).
[3] Darüber mehr an anderer Stelle. 'Einiges üb. d. sog. Predigtkrankheit in Schweden...' in Ev. Kirchen-Ztg. XXXVIII (1846) Spalte 176-190; hier mit Einschaltungen aus Sondén, Mém. sur I'extase qui regnait en Suède en 1841 et 1842. Aus Gaz. méd. de Paris, 2. sér. II (1843) bei Ideler I 222ff.
[4] s. z.B. das Zeugnis Fursac 142.
[5] The Times, 31. Jan. 1905. (Jones war Prof. des Gälischen am University College in Anglesey.)


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Kap VII. Ekstasen.    (S. 78) 

klassischem Gälisch, würde den gelehrtesten Theologen unter den Walliser Kanzlerrednern Ehre gemacht haben.' [1]

Gerade solche Steigerungen der Leistungsfähigkeit aber, wie sie hier die Erregung der Erweckung begleiten, sind aus der Psychologie der 'eingeengten', 'somnambulen' Zustände wohlbekannt. [2]
Bei Vielen tritt zum Reden ein Handeln, das den ganzen Körper beschäftigt. Meist ist es dann, in rechter Traumart, ein visionäres Erleben, an dem der Ekstatische teils als Zuschauer, teils als Mitspieler teilnimmt; mit Vorliebe ein Erleben des Passionsdramas.

Die ekstatische Maria-Magdalena von Pazzi 'betrachtet' die Leidensgeschichte des Heilands, d.h. sie schaut sie in der Entrücktheit, so daß sie 'mit so großem Zorn zu den Juden und so hertzlichem Mitleiden zu Jesu redte, daß alle, so gegenwärtig, zu vilfältigen Weinen und großen Mitleyden bewegt wurden.' [3]

Als 'Mitspielerin' im vollen Sinne sehen wir die Johanna von Jesus-Maria im S. Klara-Kloster zu Burgos, die ebenfalls die Passion von jedem Donnerstag bis Freitagabend in voller Entrückung betrachtet, wobei sie aber, 'im Geiste in den Saal des letzten Abendmahls versetzt, die Fußwaschung in allen Stellungen ausführt, den Lobgesang singt, dann den Kampf in Gethsemane darstellt, usw.

Am Freitag von 4 Uhr morgens an geht sie von Pilatus zu Herodes, erlebt die Geißelung, wobei ihr Antlitz bleich, todfarbig wird, von 10-2 legt sie sich ein eisernes Kreuz, 33 Pfund schwer, auf die Schultern und geht damit auf den Knien durch die Zelle.

Am Nachmittag legt sie sich auf ein größeres hölzernes Kreuz, das sie besitzt, wobei sie angeblich aus dem Haupte wie auch den fünf Wunden Ströme von Blut vergießt. Gegen die dritte Stunde ruft sie das Eli, Eli aus, verzieht Mund und Gesicht bei dem bittern Trank, schreit: es ist vollbracht, senkt das Haupt und ist fast atemlos. Und dies alles wiederholt sich etwa zwanzig Jahre hindurch. [4]

Auch was wir somit einstweilen über die Inhalte des ekstatischen Bewußtseins erfahren, bestätigt im allgemeinen seine Wesensvergleichung mit andern 'zweiten Zuständen'. Indessen scheint noch immer zweifelhaft, ob die Ekstase wirklich den mehr als halbentwickelten hypnotisch- somnambulen Zuständen verglichen werden dürfe; davon vollends, daß sie sich bis zu 'zweiten' alternierenden 'Persönlichkeiten' ausgewachsen, haben wir keine Spur zu entdecken vermocht.

Soweit sie aber einfachen hypnotischen Phasen vergleichbar ist, fragt sich noch überdies, ob sie bei öfterem Auftreten jene inneren Zusammenhänge von Anfall zu Anfall erkennen lasse, die man von einem besonderen phasenhaften Komplex – hier also dem Heiligungskomplex - erwarten müßte, oder ob sie nicht vielmehr immer nur einmalige - oder richtiger (wenn der Ausdruck erlaubt

[1] Vgl. Dyer 40. 81 über improvisiertes Dichten und Komponieren; Davenport 173 (aus Wesleys Journal über John Dennis).
[2] S. u. Kap. IX.
[3] David 36.
[4] Vieles hiervon notariell bestätigt: Görres II 479ff.; vgl. das. 260 (Dominicus a Jesu Maria); 475f. (Agnes v. Jesu). Vgl. auch Imbert I 279. 282. 287; II 32f.; Poulain 173f. Profane Parallelen: Tir. Ekst. II 21; Flournoy, Des Indes 264f.; Raymond, Lec. sur les mal. du syst. nerv. 737. Über 'Schlaftänzerinnen' s. schon Despine 196.


Kap VII. Ekstasen.    (S. 79) 

ist): von-mal-zu-malige Erlebnisse darstelle. Dies Bedenken wird um so dringender sein, je einfacher der Vorstellungsinhalt der Ekstase ist; denn das wesentliche Merkmal der zeitlichen Geschlossenheit eines Komplexes liegt ja in der Erinnerung, und die Möglichkeiten der Erinnerung wachsen mit der Inhaltsfülle des erinnerten sowohl wie des erinnernden Zustandes.

Immerhin können, wie mir scheint, selbst an reinen Gefühlsekstasen objektive Kriterien z.T. an die Stelle jenes subjektiven treten. Die Häufigkeit der Ekstase bei so vielen Mystikern macht es nämlich wahrscheinlich, daß hier - bildlich gesprochen - gewisse seelische Bruchstellen vorgebildet seien, an denen das Bewußtsein auseinanderzufallen eine Neigung habe.

Ein ekstatischer Komplex, eine ekstatische Einstellung liegen wirklich wie etwas dauernd Vorgebildetes so leicht verfügbar bereit, daß man ohne weiteres auf ihre Gleichartigkeit von mal zu mal schließen möchte; diese Gleichartigkeit aber dürfte als Äquivalent der Erinnerungsfähigkeit angesehen werden, selbst wo sie nicht tatsächlich die Grundlage zu Erinnerungen abgibt.

Dies lebendige, oder sagen wir: 'gespannte' Bereitliegen einer vorgebildeten ekstatischen Einstellung wird u.a. durch die Tatsache angedeutet, daß so häufig nur ein leichter Reiz – ein 'Anschlag', könnte man sagen - erfordert wird, um das Umkippen in die Ekstase herbeizuführen.

Dieser auslösende Anschlag besteht natürlich in einem erregenden Eindruck oder Gedanken religiösen Inhalts, wie denn z.B. bei S. Joseph von Copertino 'jedes Ding, das sich irgend auf Gott bezog, Glockenklang wie Kirchengesang, die Nennung des Namens des Herrn, seiner Mutter oder der Heiligen, irgendeine Erzählung aus der Leidensgeschichte, die Erwähnung des Paradieses oder der Anblick eines heiligen Bildes die Ekstase hervorzurufen vermochte, sodaß, da es an solchen Veranlassungen nie fehlte, beinahe eine der anderen folgte. [1]

Haftet diesen Vergleichen nun freilich noch eine gewisse Zweideutigkeit an - denn die 'Ekstase' müßte mehr sein als ein bloß kataleptischer Zustand -, so vermute ich anderseits doch auch, daß das Kriterium des Erinnerungszusammenhanges von Ekstase zu Ekstase in Wahrheit häufiger verwirklicht sei, als uns ausdrückliche Beobachtungen oder gar Berichte glauben machen möchten.

Aus theoretischen Gründen ist es mehr wie wahrscheinlich, daß das inhaltlich reichere ekstatische Bewußtsein sich gelegentlich auch erinnern werde, Ähnliches oder Gleiches schon früher geschaut, gedacht, begriffen zu haben (wie auch der Träumer zuweilen den Traum als Wiederholung oder Fortsetzung früherer Träume zu erkennen glaubt); mindestens aber, daß der Inhalt der einen Ekstase häufig

[1] Görres II 254t. Vgl. das. 75. 253. 267. 498. 523; Imbert I 209; Labis 137; Drane I 47; Keller, Yoga lot. (üb. Übungen des Bhakti-Yoga). üb. leichte Willkürlichkeit der Ekst. s. Auger 166; J. C. Oman, The mystics, ascetics and saints of India... (Lond. 1903) 97; Carra de Vaux, Gazali (Par. 192) 197; Cardanus, De rerum varietate c. 43 (bei Arnold II 324).


Kap VII. Ekstasen.    (S. 80) 

tatsächlich dem der früheren gleichen oder - noch besser - seine Fortsetzung bilden werde. Dies ließe sich z.B. in Fällen ekstatischer Rede unschwer nachprüfen. Ich erinnere an einen in der Fachliteratur verbreiteten Bericht von Sauvages aus dem Jahre 1737 über ein 24 jähriges Mädchen, das in einem Zustande gänzlicher Empfindungslosigkeit wörtlich einen Katechismus wiederholte, den sie kurz zuvor angehört hatte, und daraus moralische Anwendungen zur Belehrung und Erbauung der Hausleute zog.

Es wird nämlich dabei erwähnt, daß ihre Rede sich auch auf das bezogen, was sie am Tage zuvor in demselben Zustand gesprochen. [1] Unstreitig dürfen wir in solchen Fällen eine Anfangsstufe jener Reihe sehen, an deren Ende die Ausbildung einer vollständigen 'zweiten Persönlichkeit' liegen würde. Nur scheint es, daß wir eben über diese Anfangsstufe nicht hinauskommen und die Verwendbarkeit der früheren Beschreibung außerbewußter Bildungen für die Deutung der religiösen Reifungen eben damit ihre Grenze finde.

Wer hat auch je davon gehört, daß sich der religiöse Komplex zu einem vollständigen Sonder-Ich mit eigener biographischer Erinnerung entwickelt hätte, wo also dann die Ekstase im wahren Sinn den einzelnen 'Auftritten' des' Andern' vergleichbar gewesen wäre? Oder gar zu einem 'umfassenderen' Ich von der Art der Leonie III, das mehr vom Leben der Person erinnert hätte, als der wache Heilige?

Nicht z.B. die religiöse B I ließe sich darum dem religiösen Komplex vergleichen und ihr charakterologisches Einschmelzen – der 'Bekehrung' durch diesen Komplex; aber ebensowenig die hypnotische B II, welche die Erinnerungen von B I und B IV umfaßte. Vielmehr wären wir immer noch nicht wesentlich über den Vergleich der Bekehrung mit dem Einschmelzen gewisser 'Rinnsale' - Vorstellungsgruppen mit Gefühls- und Willensneigungen - hinausgelangt.

Ehe ich nach weiteren Auswegen aus dieser Beschränkung suche, will ich indes nicht unerwähnt lassen, daß wenigstens hypothetisch ein Fall sich anführen läßt, der das Schema der vollen Alternation verwirklicht zeigt, d.h. die völlige Absonderung des geistlichen Zustandes in einer zweiten Persönlichkeit vom Typ des entwickelten Hanna II.

Ein französischer Gelehrter von Ruf, Psychologe aus Liebhaberei, Ch. Jundt, hat geglaubt, in einer älteren religiösen Lebensbeschreibung die Spuren eines solchen Vorgangs nachweisen zu können. Unter den Gestalten der süddeutschen Mystik des Mittelalters finden sich zwei, deren Verhältnis zueinander den Fachleuten viel Kopfzerbrechen und Streit verursacht hat.

Rulman Merswin, den Straßburger Kaufherrn, und den 'Gottesfreund vom Oberlande', der bei der Erweckung Taulers eine bedeutende Rolle spielte, halten die Einen für zwei gesonderte Persönlichkeiten, während Andere die Existenz des Gottesfreunds überhaupt leugnen und die unter seinem Namen vorhandenen Schriften für bewußte

[1] Zit. u. a. bei T. E. Clarke, Trance and Catalepsy, in Quart. Journ. of Psychol. Medic. & Med. ]urispr. III (1869) 656.


Kap VII. Ekstasen.    (S. 81) 

Fälschungen Merswins erklären. [1] Eins scheint mit Sicherheit aus den Darlegungen beider Parteien hervorzugehen: daß die Charaktere der zwei Männer, soweit sie aus ihrer Nachlassenschaft beurteilt werden können, recht verschieden voneinander gewesen sind: Merswin ein scheuer Mensch, schweigend und untätig, nicht unreligiös, aber auch nicht von Religion durchdrungen; der Gottesfreund dagegen ein geistlicher Charakter von großer Gewalt und vorwärts drängender Missionar.

Jundt hat nun den Versuch gemacht, [2] das Rätsel dieser 'Proteusnatur', welches P. Denifle verwirrte, dadurch zu lösen, daß er die wesensverschiedenen Charaktere als zwei zerspaltene Teil-Iche von gesondertem Wachstum darstellt, unter ausdrücklicher Berufung auf Beobachtungen, wie die, von denen unsere augenblicklichen Erwägungen ausgehen. Doch will ich auf die einzelnen Beweisgründe Jundts nicht eingehen, die, so lehrreich sie für unsern Zusammenhang sind, den Fall über die Grenzen des Hypothetischen natürlich nicht hinauszuführen vermögen.

[1] ZB. Preger III 245ff. einerseits, Denifle (Die Dichtungen des Gottesfreundes im Oberlande) anderseits.
[2] Ch. J., Rulman Merswin et l'ami de Dieu de l'Oberland (Par. 1890).

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