FRIEDRICH JÜRGENSON
Sprechfunk mit Verstorbenen
Praktische Kontaktherstellung mit dem Jenseits

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ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

Die Stimme der Mutter - Mitzis Atemzüge - Der singende Yogalehrer - Immer wieder diese seltsame Vielsprachigkeit - Caryl Chesmans Hinrichtung

Seite 100 Dieser 30. April 1960 sollte aber noch einen weiteren großen Erfolg für mich in Bereitschaft haben, obwohl es ein gewöhnlicher Sonnabend war.

Aus alter Gewohnheit hatte ich das Mikrophon vor dem offenen Fenster stehenlassen, und als ein Buchfink munter vor meinem Fenster zu trillern begann, beschloß ich, seinen Gesang auf Band aufzunehmen. Ich hörte sogleich die Einspielung ab und vernahm plötzlich - inmitten des Vogelgesanges - eine Stimme, die mich beim Namen rief.

Es war die Stimme meiner Mutter. Sie hieß Helene und war im Jahre 1955 an den Folgen eines Beckenbruches gestorben. Ich mußte unwillkürlich an ihre letzte Stunde denken, wie ich an ihrem Sterbebette gesessen und ihre weiche welke Hand gehalten hatte, bis der letzte schwache Pulsschlag erloschen war.

Ich spielte das Band von neuem ab. Die Stimme klang lebendig und warm, ja man konnte sogar eine etwas besorgte Ungeduld heraushören, als sie mich zum vierten Mal beim Namen rief: Es klang, als ob sie befürchtete, ich würde sie nicht hören können.

Ich eilte aus dem Hause, um meine Schwester und meine Frau zu rufen, die jedoch ausgegangen waren. Als ich zurückkam, hatte der Kater Mitzi sich auf den Tisch gesetzt und hockte nun schläfrig blinzelnd vor dem offenen Fenster.

Ich schaltete den Apparat abermals auf Mikrophonaufnahme, denn ich hatte das deutliche Gefühl, daß sich noch etwas ereignen würde.

Das Ergebnis dieser zweiten Einspielung war noch verblüffender, denn aus der lautlosen Stille des Raumes Seite 101 begann plötzlich eine Frauenstimme zu sprechen, die ich wiederum sofort als die Stimme meiner Mutter erkannte. Jetzt klang die Stimme etwas müde, nicht mehr so munter wie zuvor, auch sprach meine Mutter wie im Halbschlaf, stoßweise und etwas mühsam: "Ihr liebt, ihr lebt in Liebe..."

Ihre Stimme bebte ein wenig. "In mir Elly lebt... Friedel lebt... ihr lebt... ach! Wir leben... Elly, Friedel, Papa lebt... viele leben... ach, ach! Ihr liebt Helene..." Als ich später die Aufnahme meiner Schwester und meiner Frau vorspielte, erkannten sie sogleich Mamas Stimme. Ergriffen hörten sie zu und konnten den gleichen Worttext heraushören wie ich.

Später am Abend schaltete ich das Radio ein und vernahm sofort Lenas Geflüster: "Pelle - alle Mamas haben ein Herz..." sagte Lena mit bewegter Stimme.

Mit dieser liebenswürdigen Sentenz wurde ein erfolgreicher und glücklicher Tag abgeschlossen.

Am nächsten Tage - es war der erste Mai - begann ich frühmorgens die letzten Einspielungen zu überprüfen. Ich hatte mit freudiger Dankbarkeit der Stimme meiner Mutter gelauscht und jedes Wort gründlich analysiert.

Trotz meiner großen Zufriedenheit beschäftigte mich die Frage, auf welche Weise es meiner Mutter gelungen war, in einem stillen Raume so viele Laute zu erzeugen. Mir war es aufgefallen, daß die an sich so ähnlichen Worte lebt, liebt und Liebe öfters wiederholt wurden, ein Umstand, der auf das Vorhandensein nur begrenzter Lautfrequenzen hinwies.

Schließlich wurde mir klar, daß es Mitzis Atemzüge sein mußten, die den Stoff zur Bildung der Worte abgegeben hatten, wodurch auch das Stoßweise der Rede und die Pausen ihre natürliche Erklärung fanden.

Ich war gerade im Begriff, das Band zurückzuspulen, als ich durch den Kopfhörer ein bestimmtes Signal vernahm, das damals hin und wieder von meinen Freunden gebraucht wurde, und zwar mittels Radiowellen, Allein die Seite 102 Tatsache, daß ein solches Signal auch ohne Radioanschluß gegeben werden konnte, war höchst bemerkenswert.

Ich schaltete sofort das Radio ein, und zwar drückte ich auf die Taste, die mir gerade unter die Finger kam. Ich erwischte die schwedische Langwelle, über die ein kulturhistorischer Vortrag gebracht wurde.

Der Vortragende sprach laut und deutlich; gleichzeitig aber konnte man einen Tenor singen hören, dessen sehr hohe Stimme wie aus der Ferne klang. Der Tenor sang ohne jegliche Begleitung, und die melodischen Passagen schienen improvisiert zu sein. Die Stimme kam mir irgendwie bekannt vor, und schon im nächsten Augenblick durchzuckte es mich wie ein Blitz: Boris Sacharow - mein Jugendfreund!

Alles spielte sich zu rasch ab; ich konnte mit knapper Mühe nur einige Worte erhaschen, darunter meinen Namen und "Boris Raja"; dann brach der Gesang ab.

Wieder war ich zu erregt, zu eifrig, zu ungeduldig, um die Worte sogleich richtig verstehen zu können. Erst nach mehreren Stunden gelang es mir, die genaue Wortfolge zu bestimmen.

Was Boris Sacharows Gesang anbetrifft, so muß ich hier einige Erläuterungen bringen. Boris war nämlich ein durch und durch begabter und vielseitiger Mensch gewesen. Er spielte glänzend Klavier, malte, zeichnete und modellierte, und zwar nicht wie ein braver Amateur, sondern wie ein ausgesprochener Künstler. Er beherrschte viele Sprachen, darunter Sanskrit. In Deutschland waren mehrere Bücher von ihm erschienen, die der Yogalehre gewidmet waren.

Vor allem aber sang Boris, und zwar mit leidenschaftlicher Freude. Er besaß einen lyrischen Tenor, dessen ungewöhnlich hohes Timbre beinahe an einen Diskant erinnerte.

Ich hatte seit 27 Jahren Boris nicht mehr gesehen, jetzt aber saß ich hier in meiner kleinen Dachstube und lauschte bewegt seinem Gesang.

Seite 103 "Ich sende dir Kontakt Friedrich!...", sang Boris auf Deutsch, "Boris Raja, der lebt im Himmel und wirkt, Amen... und Yogis Weisheit wahrt... Amen!"

Boris sang mit einer intensiven, sich in der Höhe steigernden Klangstärke. Zu einer richtigen Melodie war es nicht gekommen, der Gesang bestand aus hohen Noten, die in fortissimo gesungen wurden.

Sonderbar, auch bei Boris erhielt man den Eindruck, daß er es eilig hatte.

Wie freudig überrascht ich auch war, schienen mir doch zwei Umstände nicht ganz klar zu sein. Ich fragte mich etwas besorgt: warum sang Boris, anstatt zu sprechen? Und warum benutzte er die deutsche Sprache, obwohl wir doch ständig Russisch miteinander gesprochen hatten?

Mir war es schon längst aufgefallen, daß die meisten Stimmen, die mich über Tonband oder Radio ansprachen, ein sonderbares Sprachgemisch gebrauchten und gewisse Wörter und Redewendungen auf eine eigenartige Weise zu verändern pflegten.

Allerdings hatten meine anonymen Freunde bereits vor einem Jahr den Ausdruck "The polyglotic communication department" erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit einer Arbeit, die ich in Zukunft ausfahren sollte. Ich hatte damals den Sinn mißverstanden. Erst jetzt begann ich den Zusammenhang zu erfassen und begriff, daß meine Kenntnis mehrerer Sprachen einen wesentlichen Faktor darstellte.

Es war am 1. Mai gewesen, als ich das erste Mal mit Boris in Kontakt gekommen war, am gleichen Tag also, da auch Felix Kersten und meine Mutter zu mir gesprochen hatten. Wer würde der nächste sein?

Solche Kontakte lassen sich erst langsam richtig erfassen. Sie lösen eine Art Freudenschock aus, und man muß sich erst an sie gewöhnen.

So kam es auch, daß ich im großen Freudenrausche das Schicksal des zum Tode verurteilten Amerikaners Caryl Chesman vergessen hatte, dessen Hinrichtung oder Seite 104 Aufschub in diesen Tagen entschieden werden sollte. Da mein Radio in Unordnung geraten war, versuchte ich am nächsten Abend, einen Kontakt mit Lena, meiner jenseitigen Assistentin, über das Mikrophon herzustellen.

Das erste Wort, das Lena auf Schwedisch sagte, war: "Hingerichtet".

Danach erzählte sie etwas unzusammenhängend folgendes: "Ich erzählte bereits Mälarhöjden Lena. Pelle du kannst helfen, Chesman hingerichtet... hilf Karma, hilf Pelle!..." Lenas Stimme klang erregt und eifrig, und sie mischte deutsche und schwedische Worte durcheinander.

Ich glaube, viele Europäer haben damals in den Zeitungen Chesmans verzweifelten Kampf um sein Leben verfolgt. Es war ein zäher und grausamer Wettlauf mit dem Tode, der zwölf Jahre gedauert hatte. Ein erbarmungsloses Katze- und Mausspiel, das damit endete, daß schließlich die Hüter des seelenlosen Paragraphentums ihr gejagtes Wild zur Strecke brachten.

Der Fall Chesman bleibt ein Schandfleck nicht nur für die Justiz der Vereinigten Staaten, sondern für alle Befürworter der Todesstrafe in der ganzen Welt.

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