FRIEDRICH JÜRGENSON
Sprechfunk mit Verstorbenen
Praktische Kontaktherstellung mit dem Jenseits

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ACHTZEHNTES KAPITEL

Wieder auf Nysund - Bittere Erinnerungen - Für mich gibt es nur noch eine Aufgabe, ein Ziel

Seite 81 Drei Tage vor Ostern fuhr unsere ganze Familie - Hund und Katze inbegriffen - wieder aufs Land hinaus auf unseren Landsitz Nysund bei Mölnbo. Ich hatte mein Tonbandgerät und einen neuen Rundfunkempfänger mitgenommen und installierte beides sogleich in meiner alten Dachstube.

Das Wetter war ungewöhnlich schön. Es wehte ein milder Südwind, und am zartblauen Frühlingshimmel zogen helle Lämmerwölkchen dahin. Es duftete nach Harz und Tannen, nach Moos und aufgetauter Erde, und wenn auch der poröse Schnee noch nicht völlig geschmolzen war, so sangen doch die Vögel mit unermüdlicher Frühlingsfreude.

Gerade hier am Waldhügel zwitscherten sie am lebhaftesten. Es war ein köstliches Konzert, ein vielstimmiges Balzen, Pfeifen, Trillern und Flöten, das gegen drei Uhr morgens von den Drosseln eingeleitet wurde und seinen Höhepunkt gegen Sonnenaufgang erreichte.

Der Betreuer der auf unserem Grund befindlichen Treibhäuser, unser Freund Hugo F., war ebenfalls angelangt und stürzte sich, wie gewöhnlich, voller Unternehmungslust und Arbeitsfreude in die Gärtnerarbeit. Auf solchen halbverwilderten Landstellen wie Nysund, wo die menschlichen Arbeitskräfte nicht ausreichten, drohte die unbändige Kraft der Natur das ganze Grundstück in einen üppigen Dschungel zu verwandeln.

Hugo aber war unermüdlich und nahm den Kampf ständig von neuem auf. Nichts konnte seinen Arbeitseifer dämpfen, nicht einmal der Umstand, daß sein Sehvermögen beträchtlich herabgesetzt war. Es gab auch keine Arbeit, die Hugo scheute; er grub in den Treibhäusern und im Garten, Seite 82 kittete die Treibhausfenster, wobei er ab und zu durch das gläserne Dach hindurchfiel.

Dann stand er gelassen wieder auf und arbeitete unverdrossen weiter. Hugo war und blieb ein optimistischer Knabe, trotz seiner 73 Jahre, und das machte ihn so sympathisch.

In der Osterwoche überraschte uns plötzlich die Nachricht, daß Medizinalrat Felix Kersten in Deutschland gestorben war. Ich hatte Felix noch vor kurzem in seinem Heim in Stockholm besucht. Er litt an Nierensteinen, nahm aber trotz der Schmerzen an unserem Gespräch teil.

Er hatte müde und überarbeitet ausgesehen, mußte aber dennoch schon in den nächsten Tagen nach Deutschland reisen, wo zahlreiche Patienten ungeduldig seine Ankunft erwarteten. Es war die alte Geschichte vom Arzt, der selber nicht krank sein darf, weil ihm die Zeit dazu fehlt.

Es war spät geworden. Wir sprachen von meinen Tonband-Kontakten und von der sich abzeichnenden Brücke zu jener unbekannten Lebensebene. Felix verehrte mir sein Buch "Gespräche mit Himmler" und schrieb ein paar Zeilen als Widmung hinein. Wir sprachen vom Süden und schwärmten von einer Villa am Mittelmeer, umwachsen von Pinien, Buchsbäumen und Zypressen.

Ich erfreute mich seit Jahren Felix' Freundschaft und kannte sein knabenhaftes, gutmütiges Wesen, wußte, was dieser korpulente Mann mit seinen kleinen weichen Zauberhänden in der Welt des Todes und des Elends ausgerichtet hatte. Wer Felix Kersten näher kennenlernen durfte, mußte ihn unwillkürlich liebgewinnen.

Als wir spät abends voneinander Abschied nahmen, ahnte keiner von uns, daß es zum letzten Mal sein sollte.

Sonderbar ist es doch mit dem Tode bestellt! Ich erinnere mich, wie ich als kleiner Knabe von meiner Wärterin auf dem Stadtfriedhof in Odessa spazieren geführt wurde. Schon damals empfand ich, ohne natürlich das Gefühl in Gedanken kleiden zu können, den von allen diesen Gräbern, Kreuzen, Marmorplatten und Denkmälern ausgehenden schreienden Widerspruch. Ich wußte rein Seite 83 instinktiv, daß hier alles irgendwie Schein, Trug, Täuschung war, eine verlogene Kulisse.

Dagegen aber strahlte Licht, Wärme und Bewegung vom klaren Himmel, von jedem Grashalm, Vogel, Baum und Blümlein.

Als dann nach Jahren die Schrecken des Bürgerkrieges in wilden Wellen über Odessa zusammenschlugen, sollte ich den Tod aus einer anderen Perspektive kennenlernen. Damals herrschten Hungersnot, Flecktyphus und Cholera in der Stadt, und man konnte täglich so manchen Menschen hilflos auf der Straße sterben sehen.

Besonders schlimm aber sah es auf den Straßen aus, nachdem die Stadt durch blutige Nahkämpfe von irgendwelchen Machthabern wieder mal "befreit" worden war. Ich erinnere mich, wie ich eines Tages einen Blick ins städtische Totenhaus warf, wo Hunderte von blutigen Leichen von der Bevölkerung besichtigt wurden. Es war ein wolkenloser herrlicher Frühlingstag. In den Straßen blühten die Akazien, und ihr märchenhafter Duft erfüllte die ganze Stadt.

Mir aber war es elendiglich zumute, und ein kalter Krampf schnürte mir das Zwerchfell zusammen. Der Widerspruch war zu gewaltig: hier blühendes Leben und Erneuerung - dort sinnlose Vernichtung und Mord. Trotz Angst und Elend verschloß ich vor dem Phänomen Tod nicht die Augen.

Ich wollte vielmehr sein Geheimnis lösen und dem großen Widerspruch auf die Spur kommen. Und ich weiß noch, wie ich bei späteren weiteren Begegnungen mit dem Tode von einer zunehmenden Ruhe erfüllt wurde, die an jene Zuversicht erinnerte, die ich als kleiner Knabe auf dem Friedhof empfunden hatte.

Als meine Frau nach Ostern mit den Kindern in die Stadt zurückgefahren war, beschloß ich, mit dem Pudel Carino und dem Kater Mitzi in der Waldhütte zu bleiben, und zwar mit der Absicht, meine ganze Freizeit der neuen Aufgabe zu widmen.

Seite 84 Die Arbeit absorbierte mich völlig, fesselte mich dermaßen, daß ich öfters sogar die Mahlzeiten vergaß. Die unbedeutende Hausarbeit empfand ich als eine wohltuende Abwechslung, die meinen steifgesessenen Gliedern etwas Bewegung verschaffte.

Übrigens sorgte auch Mitzi dafür, daß ich nicht ungestört auf dem Stuhl sitzenbleiben konnte, denn man hatte den Kater in meiner Waldhütte einquartiert, gerade dort, wo ich die halbzahmen Singvögel zu füttern pflegte. So mußte ich ständig auf der Hut sein und den Kater in der Hütte überwachen. Die erste Zeit saß Mitzi stundenlang am Küchenfenster, wo er mit gierigen Blicken und zähnefletschend das Picken und Flattern der Vögel verfolgte. Als ich ihm diese Aussicht mit Pappscheiben verdeckt hatte, rächte er sich, indem er demonstrativ seine Bedürfnisse auf dem Fußboden besorgte.

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