Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 673)

Hieraus aber würde sich sogleich eine weitere wertvolle Folgerung ergeben. Den Fortbestand des Einzelnen nach dem Tode können wir, soweit er 'objektiv' ist und über die abstrakte Aussonderung gewisser Gruppen von Vorstellungen und Erinnerungen innerhalb des Über-Ich hinausgeht, mit der gleichen fruchtbaren Unbestimmtheit eben als jene 'Möglichkeit eines örtlichen Phantoms' definieren.

Aus der Zusammenstellung dieser und der vorigen Begriffsbestimmung aber würde mit gleicher Wahrscheinlichkeit folgen, daß der Zustand der Abgeschiedenen wenigstens zum Teil demjenigen des exkurrierenden Hellsehers ähnlich sei.

Diese Wesensverwandtschaft erscheint an sich wahrscheinlich: ist es doch  in dem einen wie im anderen Falle der metapsychische und metaphysiologische Mensch, der 'Geist' und das 'Gespenst' im Menschen, dessen Einordnung in die tiefsten Bezüge des All begriffen werden soll.

Eine ausreichende Theorie des Hellsehens würde demnach nicht nur die Rätsel des menschlichen Wesens und seines Verhältnisses zur Welt uns deuten, sondern damit zugleich auch das der Art seines Fortlebens nach dem leiblichen Tode.


Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 674)

Ich will nun nicht der Versuchung erliegen, die hier an mich herantritt, die Art dieses Fortlebens im Einzelnen auf Grund der 'Quellen' zu untersuchen.

Davor warnt ja schon die trübe und unsichere Natur dieser Quellen, denn selbst wenn wir für bewiesen halten, daß wirkliche Äußerungen individueller Abgeschiedener zu uns gelangen, wäre hier doch die Glaubwürdigkeit jeder einzelnen Aussage über die Art ihres Fortlebens als solcher zu prüfen, Aussagen also, wie sie nie zu Identitätsbeweisen benutzt werden können (eben weil sie nicht nachprüfbar sind), während sie jederzeit jenen trüben Massen von Transäußerungen des Mediums angehören mögen, in die wir ja in jedem Falle uns die echten Äußerungen Jenseitiger eingebettet denken.

Dagegen darf es uns auffallen, wie viele Züge jenseitigen Lebens, deren Echo wir immer wieder von drüben her vernehmen, mit der hier aus Tatsachen abgeleiteten Vermutung übereinstimmen, daß der Zustand der Jenseitigen subjektiv als hellsehende Exkursion und objektiv als Möglichkeit von Phantomen bestimmt werden könne.

Daß sie sich selbst in einem gestalteten Leibe glauben, sich selbst also so erscheinen, wie sie auch uns erscheinen, [1] mag mehrdeutig sein, aber diese Mehrdeutigkeit der jenseitigen Erscheinung ist uns ja durchaus vertraut geworden.

Dabei fassen sie in der Problematik des objektiven Phantoms festen Fuß durch die andeutungsreiche Bezeichnung ihres Leibes als lichthaft [2] und seine ebenso bemerkenswerte Vergleichung in dieser Hinsicht mit dem Lichthaften, durch das sie, wie wir sahen, das Medium zu erkennen, worin sie also den Geist-im-Menschen zu sehen behaupten. [3]

Daß sie sich durch den bloßen Willen zur Ortsveränderung fortzubewegen glauben, [4] entspricht einer Eigentümlichkeit des lebend Exkurrierenden und des Hellsehers gleichermaßen, nicht minder aber am Ende, daß sie sowohl untereinander, als auch vielfach mit den Lebenden und ihrem Treiben durch unmittelbare Gedankenübertragung - also 'telepathisch' - zu verkehren behaupten. [5]

Dabei ist es ein Zug, der uns wiederum von den Tatsachen übernormalen Erfahrens her bekannt ist, daß dieser Verkehr von einer sonderbaren 'zeitlichen Lockerheit' zu sein scheint.' G. Pelham sagt gelegentlich ausdrücklich, daß er 'keine Vorstellung von Zeit' habe, [6] und Phinuit versichert, einen Sitzer, den er erst am Morgen desselben Tages gesprochen, 'vor etwa einer Woche getroffen' zu haben. [7]

Nelly ist nicht viel besser daran, kann aber doch einmal den Eintritt der Sidgwick-Kontrolle auf 'halb 5 Uhr (nachmittags)' ansagen. [8] Ein anderes Mal, als G. P. von einer Sitzung fortgeschickt wird, um zu beobachten, was die befreundeten Howards zur Zeit tun, kehrt er wieder, Phinuit unterbrechend, und berichtet ausführlich allerlei, was Mrs. H.  am Nachmittag des vorhergehenden und am Abend des vorvorhergehenden Tages getan hat!' [9]

[1] z.B. 'G. P.', Pr XIII 301; vgl. auch Rev. Spirite 1859 321f. 351.
[2] Phinuit: Spirits are all light: Pr XIV 37.
[3] Imperator Pr XI 93; XIV 18 u.; XVI 305. 313: I see your spirit in the body. Vgl. auch XIII 438 (G. P. sehe den lebenden R. H. trough the spiritual, 'sofern er Geist sei').
[4] Pr XI 88. Vgl. XX 238. 249; XXI 254.
[5] Pr XIII 380.
[6] Pr XIII 433. Vgl. Home 414: spirits have no time.
[7] Pr VI 481; vgl. auch XIII 424.o.; XIV 14.
[8] Pr XVIII 202f. 237.
[9] Pr XIII 305; vgl. VIII 24f.


Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 675)

Vor allem aber ist es die eigene gegenständliche Umwelt der Abgeschiedenen (soweit wir von einer solchen sprechen dürfen), die sich, wenn nicht aller Anschein trügt, am besten nach Analogie des subjektiven Aspektes übernormalen Erfahrens begreifen läßt.

Die verwirrende Vielgestaltigkeit dessen, was Jenseitige hierüber behaupten, erstreckt sich nämlich von einer angeblichen Wahrnehmung unserer sinnlichen Wirklichkeit bis zu entlegenen Arten des Daseins, denen wir mit unserer Vorstellung nicht mehr nahen können, - eine Vielgestaltigkeit, die uns immer wieder gedeutet wird durch den Gedanken einer Entwicklung im Geisterreiche, die von völliger Erdennähe bis zu gänzlicher Menschenferne führt. [1]

Mitten inne nun zwischen diesen Polen des Spektrums liegt ein angebliches Umwelterleben der Geister, das in seinen allgemeinen Formen der Erdenwelt gleicht, in seinen Einzelheiten aber von dieser abweicht nach der Seite des anscheinend Phantastischen und Traumhaften.

Wir entsinnen uns aus einem frühem Zusammenhang gewisser phantasievoller Jenseitsgesichte Lebender, die wir schon ihres unglaubhaften Charakters wegen ohne weiteres als Ausgeburten subjektiven Halluzinierens beiseite schoben. [2] Es ist jetzt an der Zeit zu betonen, daß ähnliche Schilderungen des Jenseits auch in Mitteilungen gegeben werden, die von Jenseitigen selbst zu stammen behaupten.

Die umfangreichsten dieser Darstellungen sind meist durch automatische Schrift vermittelt und überraschen angeblich durch ihren Inhalt das schreibende Subjekt nicht weniger, als die staunende Mitwelt. [3]

Sie berichten von einer Welt, die z.T. aus den ätherischen Ebenbildern so ziemlich alles dessen bestehen soll, was uns auf Erden als banale Wirklichkeit umgibt. [4] Menschen, Tiere, Pflanzen, Häuser, Möbel, - alles hat sein Duplikat (complement), das dort drüben als feste Wirklichkeit erscheint, während sein materielles Ebenbild den Geistern durchdringbar ist.

Insonderheit hören wir viel von Landschaften verschiedener Art, unter denen lachende blumige Gefilde und sonnige Wiesen, bevölkert von seligen Gestalten in Weiß, - das berühmte 'Sommerland' der Spiritisten - eine hervorstechende Rolle zu spielen scheinen, Schilderungen, die uns an gewisse typische Visionen Ertrinkender und einzelner Märtyrer erinnern.

Es liegt nun offenbar kein Anlaß vor, diesen angeblichen Selbstschilderungen des Jenseits ein größeres Maß von objektiver Richtigkeit zuzuschreiben, als jenen früheren Schilderungen auf Grund von Visionen Lebender, ihr wirklich spiritistischer Ursprung ist ja in nahezu allen Fällen weit mehr als zweifelhaft.

Dennoch hat sich die Problemlage für uns seit der Erwägung jener Visionen so gründlich verschoben, daß ich Begriffe zu erkennen glaube, die uns gestatten, jene Selbstschilderungen in gewissem Sinne zu 'retten', selbst unter der Voraussetzung, daß sie

[1] Ich komme hierauf im 2. Teil des Werkes zurück. Vgl. auch o. S. 653.
[2] s. Kap. XXX.
[3] S. z.B. Binney, Das Leben jenseits des Grabes..., übers. v. Dr. R. Friese (Lpz. 1881) S. X.
[4] Vgl. o. S. 588 f. die Erörterung der Phantom-Bekleidung.


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Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 676)

von Jenseitigen stammen, daß also jene Unglaublichkeiten wirklich von denen behauptet werden, die es 'eigentlich besser wissen sollten'.

Die Suche nach einer mystischen Erkenntnis, welche die Bedeutsamkeit erwecklicher Erfahrungen verbürgen könnte, hat uns nämlich inzwischen auf langen Umwegen zur Anerkennung einer übersinnlichen Welt geführt: zur Annahme geistigen Lebens über dem Bewußtsein unserer Erfahrung und selbst zur hypothetischen Zugestehung eines gewissen Überlebens der Einzelpersönlichkeit jenseits des Todes.

Da aber diese Welt des Geistes und der Geister doch irgendwie beschaffen sein muß, so erscheint es jetzt fraglich, ob wir mit Recht im voraus alle bestimmten Schilderungen dieser Welt für subjektives Gespinst erklärt haben.

Es müßte doch wenigstens gezeigt werden, warum gerade da, wo das anscheinend bewiesene Jenseits sich endlich zu Schilderungen seiner Art herbeiläßt, alle wirklich gelieferten als subjektiv und phantastisch beiseite geschoben werden dürfen, oder aber es müßte diese völlige Beseitigung selbst abgelehnt und eine wenigstens teilweise 'Rettung' jener Gesichte sowohl als dieser Selbstschilderungen versucht werden.

Die ganze Arbeit der letzten Kapitel muß uns verlocken, dem letzteren Weg den Vorzug zu geben, wie wohl die gelungene Ableitung einiger Jenseitsgesichte aus persönlichen Quellen des Sehers uns auch nicht mehr als eben eine solche teilweise Rettung erhoffen läßt, mithin eine erkenntnistheoretische Höherbewertung entweder einiger Visionen im ganzen, oder eines gewissen Bestandteils einiger oder aller.

Dieser letztere Gedanke legt indessen schon den Begriff nahe, der mir in erster Linie den Versuch jener teilweisen Rettung zu ermöglichen scheint.

Der Begriff eines wahrheitgebenden objektiven Einschlags in Visionen, die im übrigen ihrem psychologischen Wesen nach Halluzinationen von subjektiver Ausarbeitung sind, ist uns wohlvertraut:

das telepathisch und hellsichtig Erfahrene erwies sich in vielen Fällen durchaus nicht als glatte Abschrift wirklichen Geschehens, selbst soweit es nicht geradezu mit Unrichtigem vermischt war, erschien es vielmehr als eine großenteils dem Subjekte des Sehers entstammende, vielfach umschreibende und symbolisierende Darstellung eines Kernes von objektiv-richtigem Erfahren. [1]

Die Theorie muß demnach vermuten, daß der 'eigentliche' übernormale Erwerb des Sehers sich häufig gar nicht mit der vorstellungsmäßigen Ausdeutung in seinem Bewußtsein deckt. Insbesondere geht uns hier die dramatische Symbolik an, mit der sich das übernormal Erfahrene so häufig im Geiste des Perzipienten umkleidet.

In prophetischen Gesichten z.B. hat, wie schon gezeigt, der gewohnheitsmäßige Seher meist seine persönliche Zeichensprache für die Einzelheiten des vorausgesehenen Geschehens, wie wenn z.B. die Höhe, bis zu der eine gesehene Person ins

[1] S. o. S. 379. 421.


Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 677)

Leichentuch gewickelt oder irgendwie gefärbt erscheint, die größere oder geringere zeitliche Nähe ihres Todes anzeigt; oder ein ins Haus getragener Sarg bevorstehende Krankheit, ein herausgetragener dagegen Tod in demselben Hause bedeutet, [1] oder leicht abwendbare Widerwärtigkeiten durch gesehene weiße, - schweres, nicht zu bezwingendes Unheil durch graue - Mäuse angezeigt werden. [2] -

Telepathisches Erfahren eines in der Ferne erfolgenden Todes äußert sich sehr häufig in symbolisierenden Formen: wie wenn z.B. eine Perzipientin träumt, daß sie einen Brief empfängt, dessen Umschlag in der Handschrift ihres Vaters (des Sterbenden) die Worte trägt: O Tod, wo ist dein Stachel? [3]

Nicht selten nehmen, was uns besonders interessieren darf, telepathische Halluzinationen des 'bürgerlichen' Typs sogar Formen an, die an die mehr ausgearbeiteten Jenseitsgesichte erinnern.

Der Perzipient sieht z.B. den eben Gestorbenen, von dessen Tod er 'noch nichts weiß', auf einer Wolke zum Himmel schweben, in lichter, 'verklärter Gestalt, [4] oder - noch mehr entwickelt - als Führer einer tausendköpfigen Engelschar, die unter Klängen herrlicher Musik über dem höchst überraschten Seher auftaucht und samt den Tönen sich in der Ferne verliert. [5]

A. J. Davis fühlt, nach Hause zurückkehrend, an der Pforte einen schwarzen Schleier über sein Gesicht fallen, sieht dann ein goldenes Licht, anstatt der Winterlandschaft einen himmlischen Frühling und einen Palast, den ihm die Stimme seiner Mutter deutet: 'Komm her, mein Kind, ich wünsche dir mein neues Heim zu zeigen', worauf er beim Eintreten die Mutter sterbend vorfindet.' [6]

Noch dramatischer ist der Wahrtraum einer 'Dame von Geist' in Chartres (von dem Calmet berichtet, der sie 'sehr genau kannte'), die im Schlaf 'das Paradies sah, welches in ihrer Einbildung eine prächtige Halle war, darin in verschiedenen Rängen die Engel und Geister der Seligen sich befanden und Gott in der Mitte auf einem strahlenden Thron den Vorsitz führte. Sie hörte jemand klopfen...

und sah, als S. Peter öffnete, zwei hübsche Kinder, eines in einem weißen Gewande, das andere völlig nackt. S. Peter nahm das erste bei der Hand und führte es an die Stufen des Thrones, ließ aber das andere bitterlich weinend vor der Türe stehen.' Diesen Traum berichtete die Dame nach dem Erwachen mehreren Personen.

Ein Brief brachte ihr am Nachmittag aus Paris die Nachricht, daß eine ihrer Töchter mit zwei toten Kindern niedergekommen, von denen nur eins getauft worden war. [7]

Wie nun bei Hellgesichten irdischen Geschehens der halluzinatorische Charakter und selbst der ausschweifend-phantastische Inhalt der Vision keine Gründe gegen ihre objektive Bedeutsamkeit abgibt, so wäre es mindestens denkbar, daß auch ein phantastisches Sichselbsterleben der Geisterwelt und dementsprechend die Phantastik der halluzinatorischen Einblicke ins Jenseits in einzelnen Fällen soz. mit einem Zipfel an Wirklichkeiten

[1] Martin 105; Perty, M. E. II 227. 279 (nach Horst); Kerners Magikon IV 301ff. Vgl. o. S. 446. 451.
[2] Okkultistin 74; vgl. OR 1905 I 71, u. Bozzano, Symbolism in metapsych. phenom., in APS VI 235ff.  
[3] Gurney II 414. 416f. 
[4] Splittgerber, Leben 2. Aufl. 304.  
[5] Gurney I 552. (Dies Musik-Element zahlreicher bedeutsamer 'Halluzinationen' verdiente übrigens, zum Gegenstand einer eigenen Arbeit gemacht zu werden.)
[6] Davis, Staff 181f
[7] Zit. bei E. Smedley, M. A., The occult sciences. .. (Lond. u. Glasgow 1855) 259f.


Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 678)

gebunden wäre, daß auch bei diesen irgendwo hinter der vorstellungsmäßigen Darbietung eine erkenntnishafte Berührung mit Seiendem vorhanden wäre, die ihnen irgendwelche objektive Bedeutsamkeit sicherte.

Beide Arten des Erlebens befinden sich natürlich den irdischen Hellgesichten gegenüber in dem großen Nachteil, daß sie nicht, wie diese in zahllosen Fällen, eine Vergleichung mit der dargestellten Wirklichkeit gestatten; es ist uns dort immer nur das eine Glied der denkbaren Vergleichung gegeben, das andere aber um so mehr entzogen, je mehr wir - im Sinne der obigen Begründung - die subjektiv-symbolische Seite der Ausgestaltung betonen.

Im Falle des Jenseitsschauens Abgeschiedener vollends scheinen wir allen festen Boden unter den Füßen zu verlieren, weil wir ja nicht einmal die persönliche Identität des Schauenden, geschweige seine 'persönliche Gleichung' bezüglich einer etwaigen Ausgestaltung des Gesichtes feststellen können.

Und doch ist unsere Lage nicht ganz so verzweifelt, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag, wenn wir nur als feststehend gelten lassen wollen, daß Abgeschiedene persönlich fortleben, irgendein Zustand und irgendeine Umwelt ihnen also doch zuzuschreiben seien, daß darauf bezügliche Schilderungen überhaupt von ihnen zu uns gelangen, und daß halluzinatorische Phantastik des Erlebens immerhin objektiven Erkenntniswert haben könne.

Wer diese Sätze zugesteht, wird keine sonderlichen Schwierigkeiten finden, phantastisch erscheinende Selbstschilderungen des Jenseits als wenigstens teilweise in jenseitiger Wirklichkeit gegründet zu denken. Es ist ja ohnehin zu überlegen, daß möglicher-, ja wahrscheinlicherweise der Sinn von Wirklichkeit und Objektivität für Diesseits und Jenseits nicht der gleiche ist.

Es ist z.B. wahrscheinlich, daß Glück und Leid der Abgeschiedenen sich auf ein Fortspinnen beglückender oder quälender Erinnerungen aus dem Erdenleben gründe, daß z.B. gewisse spukhafte Äußerungen Abgeschiedener sich am leichtesten aus dem beunruhigenden Fortwirken bestimmter Wünsche erklären lassen, dieses Fortwirken aber können wir wohl am ehesten als ein träumendes Wiederdurchleben denken.

Darüber hinaus aber mögen wir vermuten, daß die sinnlichen Symbole irdischer Religionsüberlieferung auch ins Bewußtsein der Jenseitigen hinein sich erhalten, daß diese also nicht nur die metapsychischen Wirklichkeiten selbst in einer soz. phantastisch-symbolischen Art erleben, sondern auch ihr Erinnern und Wünschen von vornherein mit jenen natürlich-ausgebildeten und -ererbten religiösen Symbolen verweben.

Auf solche Weise aber erschaffen sie sich eine subjektive Welt, deren Mit- und Nacherleben im Geiste eines Andern dann wiederum im selben Sinne objektive Bedeutung hätte, wie das Erkennen irgendeines psychischen (wenn auch rein-subjektiven) Vorgangs in einem Lebenden durch einen andern Lebenden. (Wir hörten ja schon durch Jenseitige selbst - und müssen es ohnehin


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Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 679)

beinahe für selbstverständlich halten -, daß der geistige Verkehr der Abgeschiedenen ein telepathischer sei.) Mit einem Wort: wenn es denkbar - oder wahrscheinlich - ist, daß die jenseitige Welt im Grunde eben nur aus Subjekten besteht, [1] so wird für ihre Bewohner die Subjektivität jedes Andern eben zur einzigen denkbaren Objektivität, womit sich Objektivität im irdischen Sinne völlig auflöst.

Dieser Gedanke einer weitgehenden Subjektivität des jenseitigen Seelenlebens ist auch keineswegs neu, vielmehr hat er sich, selbst außerhalb aller metapsychischen Forschung, dem Denken auch derer aufgedrängt, die zunächst am meisten geneigt sein mußten, eine gegenständliche Wirklichkeit jenseits aller irdischen Sinne anzuerkennen.

Um innerhalb des christlichen Kulturkreises zu bleiben, so ist ja unter den frühen Kirchenvätern der Gedanke einer subjektivistischen Umdeutung der krasseren Jenseitsvorstellungen nachdrücklich vertreten worden.

CIemens der Alexandriner bezeichnete das 'Feuer' der jenseitigen Qualen als 'ein geistiges', das die Seele durchdringe, [2] und nach Origenes entzündet jeder Sünder selbst die Flamme seines eigenen Feuers: sein Gewissen werde verwundet durch seine eigenen Stiche. [3] -

In neuerer Zeit hat bedeutsamerweise gerade Swedenborg, dessen Jenseitsschilderungen ex auditis et visis das äußerste Maß an Bildlichkeit und Erdenhaftigkeit zu erreichen scheinen, verwandte Gedanken nachdrücklich vertreten.

Er, der die eben Verstorbenen nicht einmal wissen läßt, 'daß sie etwas verloren haben, weil sie wie zuvor in einem Leibe und dessen Empfindungen sind, Verstand und Willen, Neigungen und Empfindungen, Vergnügungen und Wünsche haben, wie auf der Welt'; [4]

Swedenborg, der im Geiste von Gott zusammenberufenen Kirchenversammlungen beiwohnte, in deren endlosen Reden die halbe Bibel zitiert wurde, [5] der Engel zusammentreffen sah und sie lange dogmatisch-philosophische Gespräche führen hörte, der sich selbst in himmlische Landschaften versetzt fand, in denen er sich mit Geistern erging, die ihm ausführlichste Aufklärungen gaben, [6]

– Swedenborg nahm doch selbst der Peinlichkeit solcher Darstellungen den Stachel durch eine idealistische oder subjektivistische Deutung, nach der die Geister nicht einmal Ausdehnung haben, der Zeit nicht unterworfen, vielmehr die räumliche Welt, in der sie leben, und der menschliche Körper, als den sie sich gegenseitig anschauen, nur Erscheinung seien.

Was den Geistern als gegenseitige Nähe erscheine, sei dem inneren Wesen nach ihre gegenseitige Ähnlichkeit, was als Entfernung, ihre Verschiedenheit. [7]  Alle Erscheinung in der jenseitigen Welt sei Korrespondenz (wie der große Kunstausdruck der Swedenborg’schen Lehre lautet), d. h. entspringe inneren Zuständen, Neigungen und Abneigungen. Dies sei 'der Grund, warum diejenigen,

[1] Vgl. Beckh II 52f. üb. die Überwelten des Buddhismus.
[2] Stromata VII, 6.
[3] De princ. II, 10, 4. Ähnlich Ambrosius u. Hieronymus. (Bei Hügel II 216; vgl. I 160.) Vgl. Görres III 481 üb. eine bezügliche Vision des Petrus Petronius, und J. Boehme, Vom übersinnl. Leben § 36f.: 'Was in (der Seele) offenbar wird, entweder der Himmel oder die Hölle, darinnen stehet sie;... es ist kein Einfahren, denn Himmel und Hölle ist überall gegenwärtig.' Ähnlich babistisch: Roemer 50f.; buddhistisch: L. A. Waddell, The Buddhism of Tibet... (Lond. 1895) 89.
[4] GöttI. Offenbarungen von Ern. Sw., deutsch v. Tafel, II 251.
[5] S. die lange Schilderung in Wahre christI. Religion 188.
[6] z.B. das. 386f. 661.
[7] das. 64.


Kap. LXIII. 'Subjektivität' des körperlosen Erlebens.                      (S. 680)

die in der Neigung zum Guten und Wahren und daher in der Weisheit und Einsicht sind, in herrlichen Palästen wohnen, um welche Paradiese mit Bäumen sind, welche korrespondieren, und um diese - Äcker und Felder, auf welchen Herden liegen, welche Apparenzen sind. Entgegengesetzte Korrespondenzen sind aber bei denen, welche in bösen Neigungen sind.

Diese sind entweder in den Höllen in Zuchthäusern eingeschlossen, in welchen keine Fenster sind. . ., oder sie befinden sich in den Wüsten und wohnen in Hütten, um welche alles unfruchtbar ist und wo sich Schlangen, Drachen, Nachteulen und anderes dergleichen aufhält, was ihrem Bösen korrespondiert.

Zwischen dem Himmel und der Hölle ist ein Mittelort, welcher die Geisterwelt genannt wird. An diesen kommt der Mensch gleich nach dem Tode, und hier findet ein ähnlicher Verkehr des Einen mit dem Andern statt, wie unter den Menschen auf der Erde. Hier ist auch alles, was erscheint, Korrespondenz.' [1]

[1] das. 282.

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