Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 632)

Freilich ist damit die Problemlage nicht erschöpfend ausgesprochen. Denn Wissenschaft, in einem fruchtbaren Sinne gefaßt, hat es nun einmal nicht bloß mit dem exakt und zwingend Feststellbaren zu tun, sondern arbeitet innerhalb weiter Strecken mit Wahrscheinlichkeiten


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 633)

verschiedenen Grades, und zu diesen Strecken würde die Erforschung eines Jenseits fraglos gehören.

Macht die Umgehung der spiritistischen Lehre Annahmen von großer Verwickeltheit nötig, so wird diese Verwickeltheit gegen die Einfachheit und vergleichsweise Natürlichkeit der spiritistischen Hypothese gewogen werden müssen, solange kein Beweis ihrer Unrichtigkeit oder Unmöglichkeit geführt worden ist - von welchem Beweise nach den noch weiter greifenden Lehren früherer Abschnitte hier gewiß nicht die Rede sein kann.

Man darf ja nicht glauben, daß die Tatsachen sich immer oder auch nur meist in jenem einfachen Schematismus darstellen, wie er in den oben kurz wiedergegebenen Schulbeispielen gegeben schien.

Die angebliche Mitteilung aus dem Jenseits vollzieht sich vielmehr häufig in Formen verwickelter Dramatik, und es ist die Gesamtheit dieses mediumistischen Dramas, einschließlich der darin enthaltenen Brocken übernormalen Inhaltwissens, auf die sich häufig gerade der stärkste Anschein spiritistischen Geschehens gründet.

Es fragt sich mithin, ob diese Realistik des Transdramas - sein Verlauf also in Formen, die ihm natürlich wären, falls dritte unabhängige Intelligenzen im Spiele wären - nicht zuweilen bis zu solchen Graden unerwarteter Feinheit in der Durchführung gedeihe, daß ihre Deutung durch somnambule Schauspielerei des Mediums nachgerade unwahrscheinlicher werde als die Annahme, die durch jene Deutung aus dem Felde geschlagen werden soll.

Ich denke hier an gewisse Grundverhältnisse des dramatischen Transgeschehens, die den spiritistischen Voraussetzungen in besonders eindrucksvoller Weise entsprechen; sodann aber an gewisse Einzelzüge, die sich erst bei aufmerksamer Betrachtung der Urkunden offenbaren:

kleine Auftritte, verstreute Kulissenbemerkungen der Kontrollen, vorüberhuschende Verwicklungen, die in ihrer ungesucht-verblüffenden Natürlichkeit, ihrer zufälligen Nebenherigkeit gänzlich außerhalb der Berechnung einer Schaustellung liegen und ebensowenig in den Verlauf eines passiv-dramatischen 'Traumes' zu gehören scheinen.

Ein auf diese Eigentümlichkeiten gegründetes Argument beruft sich also weder auf Inhalte der Mitteilung, die angeblich nur der Verstorbene mitteilen könnte, noch auf die dramatischen Formen im allgemeinen, [1] sondern auf Dinge, die z. T. so versteckt sind, daß der naive Eindruck sie nicht einmal beachtet und beachten kann, und von denen darum auch nicht anzunehmen ist, daß sie Teile einer beabsichtigten Komödie sind. -

Das geringste Gewicht in dieser Beziehung dürfte die außerordentliche, ins Einzelne gehende Genauigkeit haben, mit der in vielen Transdramen die einzelnen Auftretenden von Anfang bis zu Ende die ihnen eigentümlichen Rollen durchführen.

[1] Wovon o. S. 604 ff. die Rede war.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 634)

Mrs. Verrall, deren Urteil stets sorgfältigst erwogen ist, hat dies zB. an den einzelnen Kontrollen der Mrs. Forbes hervorgehoben: ihre Dramatisierung und die Verteilung der verschiedenen Aussagen unter ihnen sei 'auffallend genau durchgeführt'.

Angeblich beweiskräftige Bestandteile mehr oder minder bruchstückartiger Natur werden 'H.' zugeschrieben, und die allgemeine Leitung der Vorgänge 'Edmund Gurney'. Die klarsten, fließendsten und bestimmtesten Aussagen kommen von 'Talbot Forbes', der gelegentlich einzugreifen scheint, um deutlich auszudrücken, was vorangegangene Versuche unklar gelassen haben.[1]

Und ähnliche Fälle ließen sich wohl manche anführen.

Wollte ich diese Realistik der Rollendurchführung in alle ihre möglichen Formen hinein verfolgen, so wäre nicht leicht ein Ende zu finden; das Studium der Urkunden unter diesem Gesichtspunkt kann nicht dringend genug empfohlen werden.

Ein Beispiel mag hier genügen: ich meine den seltsamen Umstand, daß zuweilen der vorgeblich Abgeschiedene Tatsachen äußert, die so, wie er sie darstellt, nur noch ihm bewußt sein können, weil alle nächst beteiligten Lebenden wissen, daß sie sich seit seinem Tode geändert haben. [2]

Es müßte angenommen werden, daß der Tote aus irgendwelchem Grunde - und es lassen sich viele dafür erdenken - wenigstens in diesen Fällen der irdischen Entwicklung nicht gefolgt sei. Dagegen würde eine 'Darstellung' des Toten durch das Transbewußtsein des Mediums wohl fraglos unwillkürlich die Dinge so erwähnen, wie sie diesem bekannt sind, zumal das Medium von den vorgegangenen Veränderungen als Veränderungen meist gar nicht wissen dürfte.

Ein anderer seltsam realistischer Zug ist gegeben, wenn der Kontrollgeist das Medium zeitweilig fahren läßt, um - wie er behauptet - von anderswoher Erkundigungen zu beziehen.

'Ich will gehen' - sagt eine Transpersönlichkeit der Mme d'Espérance einmal, nachdem sie auf eine Frage des Sitzers sich zunächst besonnen hat - 'ich will gehen und einen Mann fragen, den ich kenne. Warten Sie, bis ich zurückkomme.'

Nach kurzer Zeit 'kam sie zurück' und hatte die gewünschte Auskunft erlangt. [3] - In einer Sitzung mit Mrs. Piper unterbricht der (inzwischen gestorbene) Hodgson die Unterhaltung mit den Worten:

    'Lassen Sie mich erst Myers rufen; er soll selbst hören.'
    (Eine Pause. Dann schreibt Myers:)
    'Ja. Sind Sie hier? ...
    Zeichnete Mrs. Verrall eine (folgt Bild einer Schranke)? [4]
    Auch 'Nelly' behauptet gelegentlich, daß sie 'schwer gearbeitet habe' während der Pause zwischen zweien ihrer Gastrollen, um sich über Den oder Jenen zu unterrichten; daß sie etwa jemand, den sie suchte, nicht habe finden können, dagegen jemand anders gefunden habe. [5]

[1] Pr XX 275. Vgl. auch Prof. Newbold (Pr XIV 7) üb. differentielles Auftreten' Jüngst-', gewaltsam Verstorbener' u. a. Kategorien von Kontrollen.
[2] Vgl. hierzu den von V. Cavalli mitgeteilten Fall in JSPR IX 284.
[3] d'Espérance 134; vgl. 166. 170; Savage 97.
[4] Pr XXII 154.
[5] Pr XVIII 138 (Abs. 2). 137 (3). Vgl. 'Phinuits' Behauptung üb. sein 'Umhersuchen' nach den 'Geistern': Pr VI 480.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 635)

Und dabei ist der Kenntniszuwachs nach solchen unterbrechenden Abwesenheiten fast immer ein wirklicher, kein bloß angeblicher, vielmehr zu Zeiten sehr bedeutsamer. [1]

Man beobachte zB. auch folgende seltsam 'echt' anmutende kleine Szene: Die Myers-Kontrolle der Frau Thompson hatte Abmachungen wegen vermehrter künftiger Sitzungen vorgeschlagen, und 'Mrs. Cartwright' erwiderte ihm, die Frage müsse Edmund Gurney und Mr. D. vorgelegt werden, 'die augenblicklich die Spielleitung innehaben'. [2]

Sie entfernt sich also, um diese zu Rate zu ziehen, unterbricht bei ihrer Rückkehr eine Unterhaltung zwischen 'Myers' und dem Sitzer, entschuldigt sich wegen dieses Einbruchs und fügt hinzu: 'Ich kann das verworrene Gemurmel von Stimmen hören. Ich unterbreche. Ich habe Mr. D. gefragt. Er meinte usw., [3]

Diese angeblichen Ausflüge ins Jenseits zu bestimmten Zwecken zeigen nun aber eine bedeutsame Entwicklung. Befindet sich der auf ihnen Befragte der Voraussetzung nach im Geisterreich, so entzieht sich die Tragweite der Realistik des Vorgangs- natürlich größtenteils unsrer Beurteilung.

Anders, wenn der sich Entfernende während seiner Abwesenheit von dem einen Medium sich durch ein anderes zu äußern vermag. Das Drama bereichert sich dann um einen zweiten irdischen Schauplatz, und seine Natürlichkeit beruht auf dem Ineinanderpassen der Geschehnisse auf diesen beiden Schauplätzen.

Einen Fall dieser Art berichtet zB. Prof. Hare. Am 3. Juli 1855 um 1 Uhr nachmittags zu Cape May Island ersuchte er einen 'Geist', der sich in der Rolle eines Schutzgeistes dauernd in seiner Nähe gehalten haben soll, zu seiner Freundin Mrs. Gourlay in Philadelphia sich zu begeben und durch sie ihren Gatten Dr. Gourlay aufzufordern, sich auf der Bank von Philadelphia nach dem Fälligkeitstermin eines gewissen Wechsels zu erkundigen; die Antwort würde er, so lautete die Verabredung, durch sein Medium um 1/2 4 Uhr nachmittags desselben Tages in Empfang nehmen.

Diese Antwort entsprach genau dem Bescheide, den Dr. Gourlay auf der Bank erhalten hatte, aber nicht den Erinnerungen des Fragenden. Es stellte sich nämlich nach Hares Rückkehr in die Stadt heraus; daß am Nachmittag des 3. Juli Mrs. Gourlay in einer mediumistischen Unterhaltung mit ihrer verstorbenen Mutter begriffen war, als Hares Sendbote sie unterbrach und sich seines Auftrags entledigte.

Dr. G. und sein Schwager hatten sich darauf zur Bank begeben und den ihnen erteilten Bescheid auf demselben Wege in umgekehrter Richtung an Hare zurückgelangen lassen.

Von seinem Erfahrungsanteil an diesen Vorgängen machte Hare den übrigen Beteiligten erst Mitteilung bei ihrem ersten Zusammentreffen, nachdem er in allgemeiner Weise nach etwaigen 'Botschaften' in der Zwischenzeit gefragt hatte. Die Entfernung zwischen Cape May Island und Philadelphia beträgt nahezu 150 km. [4]

[1] S. zB. Pr XVII I79ff.
[2] who are giving orders now. Vgl. Pr XVII1 299 üb. the circle above.
[3] Pr XVIlI 146.
[4] Hare, Exper. investig. of the spirit manifestations (N. Y. 1858) § 115ff. 247. Vgl. das. 294f.; Aksakow, An. u. Spir.lI, Kap. III, 7; Light, 18. Dez. 1886 (G. D. Featherstonhaugh); Lombroso 286f.; Perty, Blicke 112; Harrison 202f. (Berührung durch den 'Sendboten'); Perty, Spir. 188 ('Magnetisierung' durch diesen); APS III 52 (metaphysik. Wirkungen durch diesen); Der Türmer XIV (1911) 92; Pr X  175; XVllI 205ff. 295-301. Die Beispiele ließen sich vermehren.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 636)

Einer der merkwürdigsten Fälle solchen ineinandergreifenden Doppelauftretens, der beinahe z w e i Geister zu verbürgen scheinen könnte, wird uns aus der Transgeschichte der Mrs. Piper mitgeteilt, leider nur in Form eines zusammenfassenden Berichtes.

F., ein naher Verwandter der Frau Eliza Mannors (Pseud.),"die zuerst am 17. Mai 1892, einige Monate nach ihrem Tode, in Mrs, Pipers Trans sich gemeldet hatte, war seinerseits gestorben und die Nachricht in einer Bostoner Morgenzeitung veröffentlicht worden, wo Dr. Hodgson sie gelesen hatte, während er sich zu einer Sitzung mit dem Medium begab.

'Die erste Schrift in dieser Sitzung, berichtet Dr. H., kam, mir unerwartet, von Mme Eliza. Sie erklärte in deutlicher und kräftiger Schrift, daß F, mit ihr anwesend, aber unfähig sei, unmittelbar zu sprechen, [und] daß sie mir zu berichten wünsche, in welcher Weise sie F. geholfen habe, sie zu erreichen.

Sie sei, sagte sie, an seinem Sterbebette zugegen gewesen und habe zu ihm gesprochen, und wiederholte, was sie gesagt hatte - eine ungewöhnliche Form des Ausdrucks -, und gab zu verstehen, daß er sie gehört und erkannt habe.

Dies wurde bis ins Einzelne bestätigt auf die einzige damals noch mögliche Art und Weise: durch einen sehr nahen Freund von Mme Eliza und mir, wie auch des nächsten überlebenden Verwandten von F.

Ich zeigte [nämlich] meinem Freunde den Bericht der Sitzung, und diesem Freunde berichtete jener Verwandte, welcher am Sterbebette zugegen gewesen war, einen oder zwei Tage später ungefragt, daß F., kurz bevor er starb, gesagt habe, er sehe Mme Eliza, die zu ihm spreche; und wiederholt habe, was sie sagte.

Die so wiedergegebenen Ausdrücke, welche jener Verwandte meinem Freunde gegenüber anführte, waren dieselben, die ich von Mme Eliza durch Mrs. Pipers Trans erhalten hatte, zu einer Zeit, als der Vorgang am Sterbebette mir natürlich vollkommen unbekannt war ,' [1]

Man mag hiermit eine Erzählung des Mr. E, Paige vergleichen, die allerdings in der vorliegenden Gestalt etwa 11 Jahre nach den beschriebenen Ereignissen aufgesetzt ist.

Mr. Paige berichtet, daß er während der letzten Krankheit seiner Frau, die an Magenkrebs starb, 'als ein Fremder' (pseudonym) zu dem Medium S. N. White ging, die ihm im Namen seiner verstorbenen Schwägerin Maria verschiedene richtige Angaben machte und den baldigen Tod seiner Frau voraussagte.

'Innerhalb dreier Tage, fuhr die Kontrolle fort, wird Eliza Anne [die Kranke] sagen, daß sie mich gesehen habe, und Mutter auch, falls ich Mutter bewegen kann, mitzukommen.' (Diese Mutter war etwa 45 Jahre früher gestorben, die Schwägerin vor 6-8 Jahren,)

'Ich behielt diese Einzelheiten, berichtet Paige weiter, für mich, aber innerhalb dreier Tage kam die Krankenschwester, welche die Pflege meiner Frau versah, zu mir gelaufen und sagte, daß der Zustand sich verschlechtert und sie das klare Bewußtsein verloren habe; daß sie Maria und Mutter angerufen habe und aus dem Bett gesprungen und auf die Tür zugelaufen sei mit dem Rufe:

'Halt, Maria; halt, Mutter! Geht noch nicht fort,' Maria gab dann im Verlaufe weiterer Sitzungen verschiedene Vorschriften über die Kost der Kranken und sagte schließlich auf die Frage, wie lange diese noch zu leiden haben werde, . . : 'Wenn sie das nächste Mal sagt, daß sie mich gesehen hat, so gehe nicht wieder von ihr,' Einige Tage darauf, als ich die Pflegerin etwa um 3 oder 4 Uhr morgens ablöste, sagte diese:

[1] Pr XIII 378 Anm.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 637)

'[Ihre Frau] behauptet, sie habe wieder Maria gesehen.' Wenige Minuten darauf sagte meine Frau: 'Ich muß gehen.' Und starb.' [1]

Ich schließe die Reihe mit einem Falle, bei welchem das Interesse sich schon fast mehr dem 'Inhaltlichen' zuwenden dürfte. Varley erzählt, daß er während eines Aufenthaltes in Beckenharn im Winter 1864/65 einen seiner Mitarbeiter in Birmingham zurückgelassen habe.

Eines Nachts nun habe er, durch Klopflaute aufmerksam gemacht, einen militärisch bekleideten Geist in seinem Schlafzimmer erblickt, der durch Mrs. Varley gesprochen habe.

Er gab sich als der (Varley unbekannte) Bruder des Herrn in Birmingham zu erkennen, den er besucht zu haben behauptete, der seine Mitteilung aber nicht verstanden habe. Er bat also Varley, für ihn eine Botschaft an jenen zu schreiben, was denn auch geschah; worauf der Herr in Birmingham zurückschrieb:

Ja, ich weiß, daß mein Bruder Sie besucht hat, denn er kam [wiederum] zu mir und war imstande, mir wenigstens dies zu berichten. 'Der Geist, fügt Varley hinzu, hatte mir mitgeteilt, daß er in Frank- reich, wo er die Schule besuchte, erstochen worden sei, was aber nur seinem überlebenden Bruder und seiner Mutter bekannt, dem kränklichen Vater jedoch verheimlicht worden sei.

Als ich dies dem Überlebenden erzählte, erbleichte er und bestätigte es.' [2]

Es wird dem Scharfsinn des Lesers gewiß nicht entgangen sein, daß auch in Fällen wie den hier angeführten der Anschein echten spiritistischen Geschehens sich vielfach in bloßen Schein verwandeln läßt, sofern eben nur das Medium im Trans mit übernormalen Fähigkeiten beliebigen Umfangs ausgestattet wird.

Zieht angeblich eine Kontrolle ins Dunkel des Geisterreiches hinaus, um Auskünfte einzuholen, so brauchen wir nur das Medium während der Zwischenzeit bis zur Einbringung jener Nachrichten mit Gedankenlesen, Fernsehen und was sonst beschäftigt zu denken.

Auch streitet es ja nach dem, was wir über unabhängige Abläufe innerhalb der Seele wissen, letzten Grundes nicht gegen diese Auffassung, daß während jener suchenden TätigKeit des Unterbewußtseins das Medium häufig wach, ja zuweilen sogar auf Wunsch der 'Kontrolle' geweckt worden ist, [3] die eben dadurch zu ihrem Ausfluge frei werden will; noch auch, daß diese Pause mitunter sehr lang und größtenteils durch Wachsein des Mediums ausgefüllt ist. -

Tritt der 'Geist', wie in den letzten Fällen, an zwei Schauplätzen auf, so verwickelt sich freilich die antispiritistische Deutung noch weiter, läßt sich aber zuweilen doch noch durchdrücken: wie etwa im Falle Paige-White durch die Annahme, daß das Transbewußtsein des Mediums die Kranke und Sterbende mehrmals telepathisch veranlaßt habe zu halluzinieren. [4]

In andern Fällen streift der Versuch einer solchen Deutung allerdings ans nahezu Sinnlose. So hätte zB. das latente Transbewußtsein der Mrs. Piper das Sterbebett-Erlebnis des F., den sie sicherlich gar nicht kannte, 'arrangieren' müssen, ehe es in einer späteren Sitzung

[1] Pr VIII 227f. Vgl. Pr X 175 (Miss E. K. B.s Bericht).
[2] Aus Ber. d. Kom. d. dial. Ges. bei Perty, Spir.302.
[3] Pr XVII 92f.
[4] R. Wedel, Beiträge z. Grenzwissenschaft (1899) 74. Vgl. hierzu auch v. Hartmann, Die Geisterhyp. des Spiritismus 61.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 638)

im Namen des angeblichen Geistes der Mme Eliza dem Dr. Hodgson davon erzählte. [1] In Varleys Falle müßte man gar annehmen, daß das Unterbewußtsein seines Mitarbeiters außerstande gewesen sei, sich dessen Bewußtsein, dagegen wohl imstande, sich der fernen Mrs. Varley verständlich zu machen; ganz abgesehen davon, daß es dieser etwas mitgeteilt hätte, was es - wie aus dem Erbleichen zu schließen - sicherlich Gründe hatte geheimzuhalten. -

Bedeutsamer noch als das vorstehend Besprochene ist ein anderes formales Bestandstück des mediumistischen Trans, das man als jenem verwandt bezeichnen kann.

Der spiritistischen Hypothese liegt die Annahme nahe, daß auf der Höhe der Transvorgänge, d. i. wenn anscheinend der Körper des Mediums von fremden Ichen besessen und benutzt wird, die 'Persönlichkeit' des Mediums aus diesem Leibe völlig verdrängt sei.

Da sie sich dann etwa im Zustande eines 'Geistes' befände, dem doch gerade die spiritistische Hypothese vor allem Erinnerung zuschreiben muß (denn auf Erinnerungsbeweise gründet sie sich ja in erster Linie), so wäre auch zu erwarten, daß das aus der Verdrängung heimkehrende Medium Erinnerungen aus dieser Verdrängung mitbrächte, die mit dem Transinhalt nichts zu tun hätten.

Der Geist des Mediums würde also hier e1ne ähnliche Rolle spielen, wie in den oben besprochenen ) Erkundungs-Fällen der Geist eines Abgeschiedenen.

In Wahrheit zeigt das zu sich kommende Medium fast immer volle Erinnerungslosigkeit für die Geschehnisse des Trans, wobei etwa nachklingende Erinnerungen an diese (auch unter spiritistischer Voraussetzung) sich ungezwungen aus dem Zusammentreffen von Medium und Geist auf 'gemeinsamem Boden' - etwa in der Phase des Erwachens - erklären lassen dürften.

Nun braucht solche Erinnerungslosigkeit unstreitig nicht im mindesten das bewußte Verlöschen des Mediums während seiner vorausgesetzten Abwesenheit zu beweisen; sie könnte vielmehr bei der Verschiedenartigkeit des vorausgesetzten Exkursions-Ich von dem im Leibe wachenden sogar als etwas ganz Natürliches erscheinen. [2]

Die Frage ist bloß, ob wenigstens in einigen Fällen das ex hypothesi heimkehrende Medium Erinnerungen mitbringt, die von den Inhalten des vorausgegangenen Trans vollständig abliegen und als Nachklang eines während des Transgeschehens fortgeführten Eigendaseins angesehen werden können. Und dies scheint in der Tat der Fall zu sein.

Von Mrs. Thompson berichten die Beobachter, daß während 'die Geister durch ihren Mund reden, sie selbst von andern Dingen träumt. Sie erzählt zuweilen ihre Träume nach dem Erwachen'. [3] Als sie zB. am 29. Nov. 1899 in einer Sitzung mit Dr. van Eeden aus dem Trans erwacht, behauptet sie, 'in der jüdischen Sphäre'

[1] bezw. der Schwester der Mme Eliza. - Vgl. Pr XIII 471f.
[2] Vgl. die gewöhnl. Erinnerungslosigkeit zwischen Hypnose und Wachen u. a. m. (o. S. 72).
[3] Pr XVII 77.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 639)

des Jenseits gewesen zu sein: 'Nur Juden dort. Sagen Sie's sicher Herrn Myers.' Sie sei schon einmal dort gewesen, habe aber vergessen, es zu erwähnen, und eine Dame in jener Sphäre habe ihr gesagt: 'Sie haben vergessen zu berichten, was ich Ihnen bei Ihrem letzten Besuche hier sagte: daß Sie sehr gut zu meinen Verwandten gewesen seien.'

Diese Äußerung fand Mr. Myers durchaus verständlich: ein jüdischer Freund von ihm hatte kurz zuvor eine erfolgreiche Sitzung gehabt, [1] - Mit der Deutung dieses angeblichen Besuchs in der 'jüdischen Sphäre' haben wir es hier natürlich nicht zu tun.

Wichtig ist uns hier bloß, daß die Transäußerungen, die mit dieser angeblichen Heimkehr des Mediums aus der jüdischen Sphäre abschlossen, 'nicht das Geringste mit Juden zu tun hatten': Mrs. Thompsons Transerinnerungen und die Transäußerungen waren vollkommen unabhängig von einander.

Nelly hatte während des Trans behauptet, ihre Mutter sei mit 'Mrs. Cartwright' und einer andern Kontrolle 'in ihre eigene Heimat gegangen, d. h. die Sphäre, die diesen Kontrollgeistern als Wohnung dient', und Mr. Piddington glaubt auf diesen 'Widerspruch zwischen Transtraum und Transerinnerungen' aufmerksam machen zu müssen.

Der Widerspruch mag unbestreitbar sein, aber er erhöht, wie mir scheint, die spiritistische Natürlichkeit des Vorgangs; denn selbst wenn wir nicht annehmen, daß Mrs. Thompsons Geist während des Trans zwei Ausflüge nacheinander gemacht habe (einen in 'Mrs. Cartwrights Heimat' und den andern in die 'jüdische Sphäre'), so braucht gerade nach spiritistischer Deutung des Transgeschehens die 'anwesende' Nelly doch sicher nicht zu wissen, wohin die 'abwesende' Mrs. Thompson sich begeben hatte.

Hierzu tritt nun aber noch der Umstand, daß die Exkursion des Mediums während des Trans auch von dessen gleichzeitigen Kontrollen angeblich beobachtet wird. Ich will hierfür nur ein Beispiel geben, in welchem sich diese Beobachtung überdies höchst merkwürdig mit einer andern und andersartigen Feststellung desselben Tatbestandes verschränkt.

Die Transpersönlichkeiten zeigen sich meist befähigt, beim 'Psychometrisieren' von Gegenständen anzugeben, ob deren Eigentümer 'im Leibe', d. h. am Leben, oder bereits 'im Geiste' seien. [2]

(Ich verweise auch auf die eigenartige Angabe von Miss Goodrich-Freer, das lebende Phantom führe für den Seher irgendwelche Andeutungen seiner eigenen Umgebung mit sich: der Dinge, mit denen es in irgendwelcher wirklichen Beziehung stehe; die Toten dagegen schienen von jeder Art von Umgebung gelöst zu sein.) [3] -

In einer seiner ersten Sitzungen mit Mrs. Piper nun hatte Dr. Hodgson dem Medium einen Brief eingehändigt, der 'Phinuit' zu einer richtigen Beschreibung des Absenders befähigte, sowie in Verbindung damit (und offenbar mit gutem Sinn) zu der Beschreibung einer Dame - groß, blond usw.

Bei einem zweiten, später eingehändigten Briefe rief Phinuit sogleich aus, dies sei der 'Einfluß', den er in Verbindung mit dem ersten Briefe beschrieben. Tatsächlich paßte die anfangs gegebene Beschreibung einer Dame auf die Absenderin des zweiten Briefes, nämlich - Mrs. Piper selbst! Darf man darin angedeutet finden, daß die psychometrische Leistung echt war, so gewinnt das nun Folgende eine

[1] Pr XVIII 168f. Vgl. übrigens die Tatsache der Nichtgemeinsamkeit von Erinnerungen zwischen 'Phinuit' und Mrs. Piper (Pr VIII 55f.).
[2] Pr VI 487f- (in the body; in the spirit).
[3] The living phantasm, d. h. wohl: das Phantom des Lebenden. - Pr XI 131.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 640)

eigenartige Bedeutung. Dr. Hodgson nämlich fragte Phinuit, 'ob die Schreiberin [1] dieses zweiten Briefes im Leibe oder im Geiste sei. Er antwortete sofort: 'Im Leibe', fügte jedoch hinzu: 'Aber nein; das ist seltsam. Da ist sie ja im Geiste und spricht zu einer alten Dame.'

Dies schien Phinuit zu verwirren, und nach einigen gemurmelten Selbstgesprächen ging er zu etwas anderem über. Mehrmals am Ende der Sitzung erwähnte er das Medium als 'zurückkehrend', 'lachend', 'Fragen stellend', 'den Sitzer zu berühren suchend' usw.' [2] - Die kleine Szene erscheint unbezahlbar in ihrer Art.

Phinuits Verwirrung ist unter spiritistischen Voraussetzungen nur zu begreiflich. Soweit sich der psychometrische Einfluß Lebender und Toter an sich unterscheidet, mußte Phinuit offenbar sofort das Urteil 'im Leibe' fällen. Anderseits befindet sich unter jenen Voraussetzungen das Medium während des Besessenheitstrans allerdings gewissermaßen auch 'im Geiste', d. h. in der Lage eines Toten, sofern es die dauernde Exkursion des Gestorbenen vorübergehend verwirklicht.

Der psychometrische Gegenstand hätte demnach Phinuit auf die Spur der Mrs. Piper-in-Exkursion geführt, wie er ihn ex hypothesi in anderen Fällen auf die Spur eines Geistes führt, und dementsprechend sieht er denn auch Mrs. Piper als handelnde Person in seinem Transdrama. -

Man kann mir entgegenhalten, daß Phinuits spiritistischer Rang verdächtig sei [3] und folglich nicht aus seinem Auftreten eine wirkliche Verdrängung des 'Geistes' der Mrs. Piper abgeleitet werden dürfe, wie sie bei wahrer Besessenheit durch einen Andern allenfalls nötig werden möchte; eine solche Ableitung' könne nur bestehen, wenn die Annahme begründet wäre, daß eine 'Teilpersönlichkeit' die andere aus dem Leibe verdrängen könne; diese Annahme aber sei auf dem Boden der geltenden physiologischen Psychologie natürlich barer Unsinn.

Ist dies nun auch richtig, so haben wir die Anschauungen dieser physiologischen Psychologie doch schon ziemlich weit hinter uns gelassen; und ob wir, bei den Anschauungen, zu denen unsere Tatsachen uns mehr und mehr drängen, von jener Annahme noch weit entfernt sind, wird Mancher am Ende schon jetzt bezweifeln. Doch würde ich vorgreifen, wollte ich hier näher auf die Frage eingehen. [4]

Mag uns denn die erhobene Schwierigkeit daran erinnern, daß in der Tat für alle bisher berührten Stücke spiritistischer Realistik, auch für die letzten, sich subjektivistische Deutungen mit einiger Mühe zurechtklauben lassen.

Es ist ja doch nicht geradezu ausgeschlossen, daß das Medium in völlig gesonderten Bewußtseinströmungen einerseits eine selbständige Exkursion träume, anderseits in der Maske einer Kontrolle die Mittelsperson eines halluzinatorischen Dramas abgebe, innerhalb dessen es alle Arten übernormalen Erfahrens zur Geltung bringe.

Aber der Wirklichkeitsanschein des spiritistischen Transgeschehens verästelt sich nun noch weiter in einer Fülle kleiner und kleinster Geschehnisse, deren Verlegung auf den Schauplatz des einen (wenn auch gespaltenen) Subjektes ständig wachsende Schwierigkeiten macht. -- Um auf Einzelnes einzugehen: Ich verwies schon oben [5] auf kleine Vorfälle

[1] Engl. the writer, was natürlich keine Andeutung gibt, daß der Fragende eine Frau im Sinn habe.
[2] Pr VIII 23f.
[3] Vgl. Pr VI 448f. 655. 
[4] Vgl. u. Kap. LXXV.  
[5] S. 606f.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 641)

des Dramas, die den Anschein erwecken, als ginge der angebliche Geist zeitweilig von Mitteilungen an den redenden Spielleiter zu eigenem Sprechen durch das Medium über. Dies läßt sich natürlich leicht als ein geschickter Zug der Darstellung oder als ein vorübergehendes Hingerissenwerden des darstellenden Bewußtseins 'auffassen, und mag häufig auch nichts anderes sein.

Prof. O. Lodge, der solche Züge schon früh innerhalb des Phinuit-Dramas beobachtete, hat nun aber darauf hingewiesen, daß zuweilen nach solchen anscheinenden unmittelbaren Ergreifungen des Mediums durch einen der 'Geister' - der Spielleiter Phinuit nicht zu wissen scheine, was jener während der kurzen Versenktheit ins Fleisch gesagt hat. [1] -

Nun wissen wir zwar, daß auch künstliche somnambule Persönlichkeiten häufig von Erinnerungslosigkeit gefolgt sind, und die Amnesie nach solchen Zwischenspielen direkter Kontrolle wäre ja eben eine solche - nach der Theorie, gegen die wir im Augenblicke Gründe suchen.

Indessen wird man Bedenken tragen, einmalige oder vorüber- gehende Unterbrechungen der Mitteilung durch den Spielleiter mit wahren Personationen oder Pseudopersönlichkeiten auf eine Stufe zu stellen. Anderseits ist schlechterdings kein Grund ersichtlich, weshalb die Transpersönlichkeit, die doch grundsätzlich die Rolle eines Allwissenden anstrebt, eine solche Erinnerungslosigkeit vortäuschen sollte - eine Feinheit der Maskerade, auf die nur ein gewiegter Psychologe verfallen könnte.

Unter spiritistischen Voraussetzungen dagegen möchte es natürlich scheinen, daß ein Geist, der eben erst mit dem Trans-Ich - sagen wir: telepathisch - in Verkehr stand, diesen Verkehr unterbricht, wenn er sich - unter Verdrängung dieses Trans-Ich - vorübergehend in die Leiblichkeit des Mediums versenkt.

Sein Verhältnis zum Trans-Ich ist zwar dann genau dasselbe, welches zuvor das Trans-Ich zu ihm unterhielt; anderseits ist ihm die neue Lage eine ungewohnte, und wir wissen ja fast nichts von den Bedingungen, denen ein so hemmungsloser Gedankenverkehr unterliegt, wie er dem Anschein nach für gewöhnlich zwischen Spielleiter und sekundärer Kontrolle besteht.

Die hierdurch nahegelegte Beteiligung mehrerer Personen an der Transäußerung kommt noch in anderen unnachahmlich natürlichen, als Maskerade schier unbegreiflichen Zwischenspielen zum Ausdruck. -

In den oben beschriebenen Querentsprechungsversuchen zB. standen, nach der dramatischen Selbstdarstellung dieser Versuche, die eigentlichen jenseitigen Versuchsleiter nicht nur dem Medium, sondern auch dessen schreibendem Trans-Ich (dem scribe) gegenüber. [2] Ihr Verkehr sowohl untereinander, als auch mit dem scribe scheint aber meist in solcher 'psychischen Nähe' des Mediums yor sich gegangen zu sein, daß sich der ganze

[1] Pr VI 453.
[2] S. zB. Pr XXI 383: Wait tor the word. He said, I will send the half message to Mrs. V.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 642)

Gedankenaustausch während des Experimentes durch die schreibende Hand des letzteren sichtbar niederschlagen konnte. Wir finden da nun Intermezzi wie das folgende, in zwei verschiedenen Handschriften geschriebene Stück:

       Dann ist da eine Verszeile zu erinnern Heaven lies about us in our infancy - dies hat eine besondere, eine ganz besondere Bedeutung.
       
Wiederhole die Zeile noch einmal
       Sie ist niedergeschrieben. geh zum nächsten Versuch über
       Cäcilia
war ein Name der gewünscht wurde
       Ich kann dies nicht klar machen
       .....................
       
Du gibst nicht auf die Verhaltungsmaßregeln acht
       Ich kann nicht hören was sie sagen oder verstehen was sie tun.
       
Sage Donnerstag war gemeint.
       Donnerstag war gemeint.[1]

Daß dieses Gespräch 'Komödie' sei, erscheint mir unglaubhaft; eine Mehrheit von Beteiligten ist offenbar wirklich gegeben. Alle diese wissen, wie es scheint, daß ein Experiment im Gange ist.

Aber - und dies bringt die ungesuchte Natürlichkeit auf den Gipfel - einer von ihnen steht der Schreibleistung des Mediums näher als die Andern; nicht so, daß seine Gedanken allein geschrieben werden (denn auch die eines Andern werden geschrieben), sondern so, daß er wahrnehmen kann, was geschrieben ist und was nicht - was den Andern nicht möglich ist. [2]

Auf die Theorie dieser verschiedenen 'Nähe' kann ich hier nicht eingehen; vermutlich ist der eine Unterredner der 'Schreiber', d. i. die Transpersönlichkeit des Mediums. Wo aber sollen wir dann den oder die andern suchen, es sei denn außerhalb des Mediums, also dort, wo sie nach der Selbstbezeugung und dem Inhalt des Experimentes zu suchen sein sollen?

Der Gesprächsanteil dieser Außenstehenden würde dann offenbar in einer anderen Weise niedergeschrieben als der des scribe; er sickert gleichsam ungewollt in den Schreibapparat hinein, [3] während der scribe mit Absicht und Bewußtsein schreibt.

Im übrigen will ich aber nicht die Verteilung der Handschriften auf die anzunehmenden Personen des Dramas vornehmen: sie stellt dem Scharfsinn des Deuters manche Aufgabe; aber ihr offenbarer Mangel an Folgerichtigkeit dürfte durch den eben geäußerten Gedanken eines verschiedenen Anschlusses an den Schreibapparat zu erklären sein.

Ein verwandtes Beispiel bietet der folgende Absatz aus Mrs. Verralls automatischen Schriften:

Σ: ist der [oder das] erste der [was] erkannt werden muß aber es sind andere da. schreibe getzt [mow] selber(1) Otranto pice(2) cur non cetera ?(3) quia non comprehendit illa nostr a(4) fac quiescat (5). Signum illud pro bono, sed non omne( 5). [4]

Mrs. Verrall scheint mir zu weit zu gehen, wenn sie die fünf bezifferten Sätze auf fünf verschiedene Sprecher verteilt; aber eine Mehrheit Beteiligter ist auch

[1] Pr XX 73.
[2] Vgl. zB. Pr XXI 179: 'Erreicht Sie dies?'
[3] Vgl. hierzu 'Nellys' Äußerung Pr XVIII 240 0.
[4] 15. März 1903 - Pr XX 71 (3): Otranto pice [mit Pech?) warum nicht weiter? weil diese unsre.. [es] nicht auffaßt sorge dafür daß [sie] still hält jenes Zeichen ist gut aber [es ist] nicht das ganze...


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 643)

hier unverkennbar, und zwar zum mindesten noch eine Zweiheit außerdem scribe, d. i. dem automatistischen Bewußtsein der Schreibenden - der illa nostra. Von diesen Zweien fordert der Eine den Andern auf, in direkterer Weise als zuvor zu kontrollieren.

Dies führt indessen zu dürftigen Ergebnissen, und der Auffordernde, der das Stocken bemerkt, forscht nach dem Grunde, als den der eben noch Schreibende das 'Nichtauffassen' des Mediums bezeichnet; womit er eine Ablenkung durch Vorstellungsbewegungen des Mediums meinen mag, oder doch nach Ansicht des Auffordernden meint, denn dieser verlangt nunmehr die 'Herstellung von Ruhe', d. i. einer passiveren Aufnahmestellung des Apparates. [1]

Auch die Piper-Urkunden liefern verwandte Beispiele. Man lese zB. das kleine Zwiegespräch, welches sich in Mrs. Pipers Sitzung vom 29. April 1907 zwischen die direkten Mitteilungen einschiebt und unwillkürlich mit niedergeschrieben wird:

Myers p: Sie meinen meine Erwähnung des Horaz. [Mrs. Verrall, die Sitzerin, hatte Myers eine Frage mit Bezug auf eine bestimmte Ode des Horaz vorgelegt.]
Mrs. Verrall: 'Meine Erwähnung des Horaz?'
Rector [2] (schüttelt abweisend die Hand): Verwirrung bezüglich Ihrer Frage... Geben Sie ihm einen Augenblick Zeit, daß er das Wort 'Verfasser' [das erst nicht verstanden worden war] auffassen kann...
Myers p (zu Rector!): Sie brachten die lateinische Botschaft sehr klar heraus und ich bin sehr befriedigt. .. Die andere Antwort müssen Sie jetzt beschaffen, so daß sie [d. h. die Sitzerin] mich verstehen kann.
Rector (zu Myers!): Schön, ich will versuchen. (zu Mrs. Verrall!) Er möchte wissen, ob er auf die Horazfrage am Mittwoch antworten könne? usw. [3]

Besonders lehrreiche Beispiele einer solchen schwerlich traumgespielten Vielheit der Persönlichkeiten innerhalb des Dramas bietet endlich eine Phase des Trans, von deren Aufhellung wir unter spiritistischen Voraussetzungen ohnehin besonders wertvolle Aufschlüsse über das Transgeschehen hätten erwarten dürfen.

Während der Besessenheit des Mediums durch andere Geister ist, wie wir sahen, jenes dem Anschein nach durch diese von seinem Körper getrennt und tritt erst mit der Selbstablösung der Kontrolle in ihn zurück.

Merkwürdig ist nun die seltsame Realistik, die sich in dem Zustande zwischen Besessenheit und Wachen entfaltet, die also namentlich während des Zusichkommens des Mediums beobachtet wird.

Ich will ein oder zwei Beispiele dieser Phase des Zusichkommens - der waking stage - aus den automatistischen Urkunden der Piper-Sitzungen wiedergeben, zum bessern Verständnis aber eine kurze zusammenfassende Schilderung des Transverlaufes bei diesem berühmtesten aller Mitteilungsmedien vorausschicken. [4]

Der Vorgang wird dadurch eingeleitet, daß das normale oder Überschwellenbewußtsein zu versinken, das Unterschwellenbewußtsein aufzusteigen scheint.

[1] Vgl. noch Pr XIII 380; XXII 198 (3). 228. Die Beispiele ließen sich sehr vermehren. 
[2] der Spielleiter.
[3] Pr XXII 159; vgl. XIV 18.
[4] Nach Dr. Hodgson, Pr XIII 397-401 (gekürzt). Vgl. damit XXII 24.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 644)

Dabei wird eine Phase durchschritten, 'während welcher das Unterbewußtsein in Sicht zu kommen scheint, ehe das Oberbewußtsein noch vollständig geschwunden ist.

In diesem Zustande ist sich Mrs. Piper anscheinend traumhaft sowohl des Sitzers als auch der Geister bewußt; sie scheint sich soz. zweier Welten teilweise bewußt zu sein, sie sieht Gestalten und hört Stimmen, ehe sie das Bewußtsein ihrer gewöhnlichen sinnlichen Umgebung völlig verliert.

In der nächsten Phase offenbart sich nur ihr Unterschwellenbewußtsein, welches in unmittelbarer Beziehung nicht so sehr zu unserer gewöhnlichen sinnlichen Welt, als vielmehr zu einer anderen steht.

Sie wiederholt dann zB. Worte, die von irgendeinem 'Geist' an sie gerichtet werden, oder richtet selbst Worte an einen Geist. In der nächsten Phase verschwindet auch dieses Bewußtsein; der Körper scheint nicht länger von irgendwelchem Bewußtsein beherrscht zu sein.

Der Oberleib zeigt eine Neigung, vornüber zu fallen, und wird auf Kissen gebettet. Bald darauf setzt eine ganz leichte Erregung im Oberkörper ein, der unter die Kontrolle eines neuen Bewußtseins geraten zu sein scheint.'

Der linke und der rechte Arm werden von je einer Persönlichkeit beherrscht und diese schreiben im Namen der angeblichen Abgeschiedenen.

Die Rückkehr aus dem Trans durchläuft die beschriebenen Phasen in umgekehrter Ordnung, aber meist langsamer, und Mrs. Piper wiederholt wiederum mündlich, was ihr anscheinend von den sich Mitteilenden gesagt wird, als wäre sie selbst ein Geist, der ihren Körper ähnlich den anscheinend anwesenden Geistern kontrollierte, aber noch nicht im Vollbesitz desselben. In dieser letzten Durchgangsphase traten wiederholt jene bedeutsamen Inhalte erstmalig auf, die den Gegenstand der Querentsprechungsversuche bilden.

Dieser Darstellung 'von außen' oder 'vorne' entsprechen die Angaben, welche die sich äußernden Intelligenzen ihrerseits über den Hergang machen, wie er ihnen - gleichsam "von innen' oder 'hinten' gesehen - erscheint.

Der durch Mrs. Piper sich äußernde angebliche Myers-im-Jenseits spricht zB. wiederholt von einer Rückkehr des 'Lichtes' (d. h. des Mediums, wie es sich dem Auge der Geister darstellt) in den Körper, und daß in diesem Augenblick die Geister es fassen und ihm etwas 'geben', ein Wort, eine Zeile, die Gegenstand eines der erwähnten Versuche ist. [1]

Ich gebe nunmehr ein ausführliches, wennschon leicht gekürztes Beispiel des in der Phase des Erwachens Gesprochenen aus dem Protokoll der Sitzung vom 6. März 1907. [2]

(Mrs. Piper riecht an einer Blume, die sie anscheinend in der linken Hand zu halten glaubt [und die die Geister ihr bringen]2.)
. . . . . (vieles nicht verstanden).
Sie hier .(2) Dann, ja dann.(1)
Ich bedaure sehr... .(3)
. . . ein Freund yon mir im verflossenen Leben (?)
Jawohl, ich werd' es tun.(3)
. .. Moaning at the bar when I pul out to sea . .. [Wehklagen an der Hafenschwelle, da ich in See stach; ein Zitat aus Tennyson und Teil einer Querentsprechung](1)

[1] S. zB. Pr XXII 96 (3). Das. 155 sagt Myers-P: 'Jawohl, ich zitierte diese Verse [bei Mrs. Verrall]. Ich sagte sie auch diesem Licht [Mrs. Piper], während Hodgson [der derzeitige 'Spielleiter'] es für mich festhielt', [d. h.] 'während es [in den Körper] zurückkehrte'. (Pr XXII 156).
[2] Pr XXII 150f.    
[3] Das. 178 (2).


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 645)

Freue mich, daß ich [in sie] eingegangen bin(4?)
   (Pause)
Weil ich mich freue. Sehr angenehm.(3)
(Erregtes Atmen.) Was ist es [was gibt es]?
Rosen. (Riecht an der Rechten.)(5)
Wunderschön(5)
Bedaure(3)
Wie geht es Ihnen ?(3) Ich gehe, ich gehe.(4?) Bedaure.(3)
Hören Sie das ?(4) (Nickt mit dem Kopf.) Zu dumm, Arthur Hallam.(1)
Adieu. Margaret. Ich freue mich so sehr, daß ich kam.(4)
(Klemmt das linke Auge.) " Wird dunkel.
............
So sind denn alle - alle fortgegangen. Sie haben mich ganz allein gelassen. Da war einer: Arthur Hallam. Myers sagte, er wäre es. . Er sagt also, er wird Beweise liefern; und er freut sich, daß er einen guten bestimmten Plan hat. In seiner innersten Seele - (3a)
...........
Sie sagen, es ist hier nicht angenehm, und es gefällt mir nicht besonders. Ist das ein Kopf? (Zeigt.) Ja, es ist ein Kopf. Warum haben Sie einen Schleier vor ?(6?). Ein Schnappen in meinem Kopf. Ich möchte Ihnen etwas sagen, aber ich kann nicht.

Da oben ist ein Herr, der mir was zu sagen versucht, aber - ich weiß nicht, was es war.(2)
Er sagte, es ergriffe ihn in innerster Seele zu Ihnen zu sprechen, und er freue sich so.(3 a) Ich freue mich s.o. (4) (Schließt die Augen.)
Ich sehe Sie gar nicht. (Lange Pause.)
Hörten Sie meinen Kopf schnappen? Es klang wie ........

Hier noch einige Brocken aus der gleichen Phase anderer Sitzungen.

Rector, Myers, worüber reden sie? - Das ist Mr. Hodgson - - Ja, ich will es übergeben - - Addio ...Was tut Rector da drüben? Ach, ich hörte ein solches Geplapper! Gehen Sie? ... Semper - - - - Tyrannus. Was sagt Mr. Hodgson? ... Wer ist der Mann mit einem langen Bart? ... Was sagt Mr. Myers da immer wieder?

(Ein Taufname, viermal wiederholt.) Mr. Myers hat Rector beim Ohr. Flüstert hinein. Was ist das letzte - - - ? O! Er schreibt es ... Laus Deo.( 1) Das ist recht.(4) Hallo - Freut mich - - ja. Ton Stern an statt des vierten Tons Tons Jawohl Tons Ich höre Sie. ... Mr. Myers sagt: Aus - bildete er einen Stern; (1) und sie ließen mich nicht gehen, bis ich es sagte. [1]

Es würde zuviel Raum beanspruchen, wenn ich das fesselnde Chaos dieser oder vieler ähnlicher Urkunden stückweise durchanalysieren wollte, und der Leser wird es im allgemeinen nicht schwierig finden, die Rollen der Redenden wie der Angeredeten zu verteilen.

Um ihm nach bestem Vermögen behilflich zu sein, habe ich eine mögliche Verteilung der einzelnen Brocken durch Kennziffern anzudeuten gesucht. Mit (1) bezeichne ich jene belangreichen Mitteilungen, welche den Sachinhalt eines im Gang

[1] Das. 296. 304 (41. 392: vgl. 96 (3). 165 (3). 209; XVI 322.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 646)

befindlichen Experimentes darstellen, mit (2) die Hinweise auf des Mediums Wahrnehmungen der anwesenden Jenseitigen, der primären und sekundären Kontrollen des vorhergegangenen Trans.

In den mit (3) bezeichneten Worten erblicke ich Bemerkungen, die das Medium an diese Sichtbaren richtet, in den mit (4) bezeichneten dagegen unwillkürlich in den motorischen Apparat des Mediums übergetretene Äußerungen dieser Sichtbaren.

Weitere Äußerungen (5) deuten an, daß das gesehene Drama sich in seltsamen Formen fortspinnt, seine Personen nicht nur sichtbar sind, sondern auch handeln, wie sie in einem ähnlichen Fall auf Erden handeln würden; andere (6) schließlich, daß Mrs. Piper allein ist und, wie es scheint, in einem noch halb-traumbefangenen Zustande von veworren-phantastischer Vorstellungsverknüpfung mit Neigung zur Halluzination. [1]

Die Theorie solcher Vorgänge, rein für sich betrachtet, wird schwerlich zu völliger Eindeutigkeit sich erheb rn lassen. Nur die Voraussetzung einer in irgendwelchem Maße 'beabsichtigten' 'Darste1lung' seitens des hypnotischen Mediums scheint mir durch den Grad ihrer Natürlichkeit ausgeschlossen.

Mehrere voneinander unabhängige Iche scheinen hier wirklich, ein jedes von seinem Standpunkt aus, miteinander zu reden. Dabei finden sich aber zuweilen in diesen kleinen Dramen der Phase des Erwachens gewisse unnachahmliche Kleinzüge, die wenigstens einzelnen Personen der Handlung ihren Schauplatz außerhalb des physiologischen Apparates des Mediums anweisen und uns damit über die bloße Annahme einer Mehrheit von 'Persönlichkeiten' wesentlich hinausführen.

Nach der Gewinnung eines sinnvoll bedeutsamen Namens - Kittie Murdoch - begann Mrs. Piper redend in die Phase des Erwachens einzutreten: 'Ich verstehe Sie. . . ja wirklich, ich verstehe Sie, Kittie . . .' (Sie tastet nach ihrer Brust. Miss M. starb an typhöser Lungenentzündung.)

'Die Dame erzählte mir von ihrer Schwester und ich will [es] Ihnen sagen. Ich höre die Stimme sagen: Sagen Sie [es] ihr, sie muß es jemand namens Edward sagen [sinnvoll!] daß... er arbeitet zu viel... wollen Sie mein Hirn loslassen... er wird sich schon machen, [ich] kann nichts mehr hören' (verliert wieder das Bewußtsein) usw.

Es liegt mehr wie nahe, .in den Worten 'Wollen Sie mein Hirn loslassen' die Abwehr eines Versuchs zu erblicken, den einer der' Anwesenden' macht, noch einmal zur unmittelbaren Beherrschung des Sprech- oder Schreibapparates zu gelangen; [2] dieser Anwesende wäre dann wirklich außerhalb des Mediums und würde von diesem als außerhalb Stehender erfahren.

Allerdings mag es nicht völlig ausgeschlossen erscheinen, die Worte als Ausdruck des bloßen Gefühls des Trans-Ich zu deuten, daß es in Gefahr stehe, zu 'versinken' und durch ein anderes Teil-Ich des Mediums verdrängt zu werden.

[1] VgI. zB. Pr XXII 95 (2)
[2] Vgl. Pr XX 187; let me write; das. 23 (3): leave your hand to me.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 647)

Ein anderes Beispiel möge uns abschließend noch einen weiteren Schritt tun lassen. Inmitten eines ihrer Automatismen schreibt Mrs. Verrall die Worte nieder:

Sage ihnen das. Lange haben sie gewartet, wir wissen nicht warum - aber können nichts weiter tun. Berühre sie nicht - laß sie allein machen. Die Berührung verwirrt... [1]

Die letzte Bemerkung scheint von einem nicht mit dem Transmedium - 'sie' - Identischen an einen Dritten gerichtet zu sein, der im Begriff steht (und dabei von dem Sprecher beobachtet wird), eine direktere Kontrolle des Mediums zu versuchen, als bei seiner Befähigung zur Mitteilung ratsam ist.

Wir stoßen hier in äußerst natürlicher Einkleidung auf die Behauptung von Schwierigkeiten der Kontrolle bei der Äußerung durch das Medium. Nun muß man sich aber klarmachen, daß von Schwierigkeiten der Kontrolle unter völlig nicht-spiritistischen Voraussetzungen natürlich keine Rede sein kann, sondern höchstens von Schwierigkeiten der Wissensbeschaffung.

Diese dürften aber nicht eigentlich einem Widerstande gleichkommen, und gerade dies ist, wie wir gleich sehen werden, der gewöhnliche Charakter der 'Schwierigkeiten' des Transdramas. Unter nicht-spiritistischen Voraussetzungen könnten Schwierigkeiten und Widerstände bei der Kontrolle nur als Teil der 'Komödie' vorgeschoben werden, um Ratlosigkeit und Mißlingen zu verdecken,[2].

Lassen die vorkommenden Behauptungen von Schwierigkeiten einen solchen Zweck vermuten? Schon die obigen Belege geben zu erkennen, daß dies durchaus nicht immer der Fall sein kann. Mrs. Verrall schrieb anfangs gleichsam für sich; niemand forderte oder erwartete zunächst von ihr 'Beweise', wie von anderen Medien, denen Sitzer und Versuchsleiter ständig soz. auf die Finger sahen.

Trotzdem diese Klagen, selbst mitten im Gelingen: 'Warum kann ich nicht fortfahren? Es scheint so klar - schreiben Sie es nieder;' oder: 'große Widerstände heute früh - helfen Sie sie beseitigen.'  [3] Damit sind offenbar nicht Schwierigkeiten der automatischen Schrift gemeint, die ja glatt genug hinfließt, sondern solche der Beeinflussung des Mediums.'

Die 'spiritistische Natürlichkeit' dieser Schwierigkeiten erstreckt sich aber bis in Einzelheiten. Unter der bloßen Voraussetzung einer (telepathisch genährten) Trans-Komödie der Personationen müßten wir erwarten, daß all e diese Pseudopersönlichkeiten, sobald ihr Wissensstoff einmal gegeben ist, mit gleicher Leichtigkeit oder Mühseligkeit die automatische Äußerung sowohl durch die Hand als durch den Mund beherrschen würden. In der Wirklichkeit sind die Schwierigkeiten der einzelnen

[1] Pr XX 70 (3).
[2] Vgl. hierzu etwa 'G. P,' in Pr XIV 47 (3); XVIII 292 (4); XXI 186 (2) usw.
[3] Pr XX 196 (why can't I go on. It seems so clear - put it down -); XXII 97 (2). 289 (2).
[4] Vgl. die allg. Klagen XIII 424 (1); XX 207 (3). 240 (4); XXII 47 (1). 79 (1). 113 (2).


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 648)

Kontrollen bei einem Medium, die der gleichen Kontrolle bei mehreren Medien, endlich die der Äußerung durch Hand oder Mund bei einem Medium für mehrere Kontrollen - durchaus verschieden, wie es natürlich erscheint, wenn von Fall zu Fall eine wirkliche Benutzung verschiedener Apparate durch verschiedene Benutzer anzunehmen ist, wobei verschiedene Grade der Geschicklichkeit oder der gegenseitigen Angepaßtheit in Frage kommen.

Am 7. Nov. 1902 schrieb zB. Mrs. Verrall: 'Ihre [d. i. die für Sie bestimmte] Botschaft kommt durch Mrs. Forbes - ich bin jetzt im Begriff es zu tun - sie ist leichter [zu handhaben] - sagen Sie ihr das.' [1] -

Anderseits kam es zB. in Mrs. Forbes' Schrift häufig vor, daß eine lange und verworrene Äußerung der Edmund-Gurney-Kontrolle u. a. von einer klaren und viel kürzeren Botschaft von 'Talbot' (ihrem verstorbenen Sohne) gefolgt war. [2] -

Oder Mrs. Verrall schrieb am 1. Febr. 1904 das Folgende: 'Schreiben Sie den Klang. Fin is ill - Fin hören Sie nicht? R kriegen Sie das nächste Wort für mich. Fin - sway das ist der Klang - horchen Sie nochmals tin sway out in on sagen Sie das schreiben Sie diesen Klang mit Sinn. Outinon. Fin is way out Inn nein - nicht richtig.

Es ist eine Botschaft betreffs Fin - sie ist dringend.' (Dann einige unleserliche Striche, und schließlich:) 'Lassen Sie mich es sagen. Es ist eine plötzliche Krankheit, von der sie sieht, daß sie ihre Schwester befallen wird - jetzt spricht Mrs. Gartwright - sie [d. h. der andere 'Geist'] will es Ihnen mitteilen.

Nicht in ihrem eigenen Hause in London, woanders. Sagen Sie dies Jemand.' [3]

Was endlich Unterschiede in der Handhabung von Hand oder Mund betrifft, so betrachte man etwa folgendes kleines Zwischenspiel in Mrs. Thompsons Sitzung vom 1. Mai 1900:

'Was ist das?' fragt Nelly. 'Er will sagen - [den Geist meinend] - Mrs. Gartwright spricht es laut aus. Sie kann es nicht laut aussprechen. Schreiben Sie es', wendet sich Nelly augenscheinlich beratend an ihre Mitspielleiterin.

Das Medium ergreift darauf Bleistift und Papier und schreibt in Mrs. G.s gewählter Ausdrucksweise: 'Er ersucht mich. Ihnen seine Absicht zu übermitteln, Ihnen am 30. Mai, womöglich unter vier Augen, Eröffnungen über sein Privatleben, im Unterschiede zu seinem Berufsleben, zu machen."

Mit alledem soll nicht ausgeschlossen sein, daß die Verschiedenheit der Schwierigkeiten sich mitunter auch auf telepathische Übermittelungen (anstatt nur auf unmittelbare Besitzergreifungen) beziehe; nur sind dies allem Anschein nach Übermittelungen, die von den anscheinenden Kontrollen während des Trans und in 'psychischer Nähe' des Mediums ausgeübt werden, nicht aber Leistungen des Gedankenlesens seitens des Mediums, die sich (nach nicht-spiritistischer Anschauung) während der Sitzung auf den Sitzer, außerhalb derselben aber auf Entfernte beziehen müßten.

[1] Pr XX 240: she is easier. Ähnlich XXII 113 (Myers-V).
[2] Pr XX 226. 244.
[3] Pr XX 211. Die engl. Worte, die ich natürlich unübersetzt lassen muß, kamen in größerer Schrift.
[4] Pr XVIII 14I1.; vgl. XIII 421: XX 415 ganz u. 


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 649)

Denkbarerweise ist es eine solche telepathische Übermittlung, was die Kontrollen als ein 'Reden zum' Medium oder Sitzer, zuweilen geradezu als ein 'Schreien' darstellen: 'Ihr seid eine stupide Gesellschaft, schreibt Phinuit einmal, wenn ihr nicht verstehen könnt, während ich doch schreie, so laut ich nur kann, um mich euch verständlich zu machen.' [1]

'Ich wiederholte das Wort immerzu', sagt Myers P, oder behauptet, dem schlafenden Piddington das Wort Turm 'zugerufen' zu haben. 'Ihr Geist schien die Vorstellung zu fassen.' [2]

Noch ein anderer Umstand erscheint mir in diesem Zusammenhang bemerkenswert, sofern er nicht nur das Bestehen von 'Apparat'-Schwierigkeiten andeutet, die durch unterschiedliche Handhabung vermehrt oder vermindert werden können, sondern auch die Anwesenheit einer Mehrheit von Persönlichkeiten, für die eine Handhabung des Apparates in Frage kommt. Ich meine den Umstand; daß die Spielleiter anscheinend einen wirklich fördernden, Hinderungen beseitigenden Einfluß ausüben.

Gelegentlich, wenn Verwirrung und Hast die Abwickelung der Vorgänge zu stören beginnen, tritt 'Imperator' mit seinem 'Kreuz' hinzu und 'die Schrift wird ruhiger', sagt Prof. Hyslops Bericht. [3] -

Man beachte auch die lebendige Szene, in welcher 'Rector', der schon vorher das Amt eines Klärers in Anspruch genommen hat, noch einmal wenigstens entschuldigend hineinspricht - oder vielmehr hin- einschreibt - (ich lasse sie besser unübersetzt):

[der 'Geist':] I should have saicl that [?] I wished I would have had you have . .. d . . . them before now.
[Rector:] He speaks too rapidly, fearing he may target something . . .
[der 'Geist':] h . . had said all I wished usw. [4]

Überhaupt ist es ja anerkannt, daß die Trans-Leistungen der Mrs. Piper sich auffallend verbesserten, namentlich die Leichtigkeit und Angenehmheit des Übergangs in den Trans sich erhöhten, seitdem die um 'Imperator' gruppierten Spielleiter das Medium 'in die Hand genommen' hatten. Sie behaupteten, die Maschine sei noch nicht völlig in Ordnung. [5]

Die 'Schwierigkeiten' der Kontrolle werden uns übrigens 'von drüben her' selbst häufig und übereinstimmend in Ausdrücken ausgelegt, die nicht eigentlich den Anschein der Erfindung an sich tragen (was sie fast sicherlich müßten, wenn das ganze mediumistische Drama nur durch seelische Spaltungen des Mediums zustande käme), vielmehr unter spiritistischen Voraussetzungen einen hohen Grad von 'Natürlichkeit' besitzen.

Wendet sich nämlich im Trans gelegentlich wirklich ein Geist an einen Mitteilungsapparat des Mediums, so ist apriori zu vermuten, daß er sich zunächst gewissen jener metaphysiologischen Tatsachen gegenüber befinden werde, über deren Art wir aus früheren Betrachtungen betreffs 'Strahlungen',

[1] Pr XXII 179,
[2] Pr XXII 54; XX 44. Vgl. die häufige Aufforderung zu lauschen (listen), zB. Pr XX 29 (2). 48 (4). 96 (4); XXII 232.
[3] Pr XVI 336. Vgl. das. 308: er erhalte [den sich mitteil. Geist] klar; 321, wo Hyslop sen. verspricht, 'mit größerer Klarheit wiederzukommen, mit Hilfe dieses [- Pause -] + Mannes, der das Kreuz trägt'.
[4] Pr XVI 335 (4).
[5] Pr XIII 408f.


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 650)

feinerer Leiblichkeiten und metaphysikalischer Leistungen allerdings nur die unbestimmtesten Andeutungen entnehmen können.

Die Angaben der Piper- Kontrollen nun über ihre Art und Kunst, den Apparat des Mediums zu benutzen, lassen sich etwa folgendermaßen zusammenfassen: Alle Menschen besitzen, eingeschlossen in ihren Körper von Fleisch und Blut, Leiber aus 'lichterzeugendem Äther'.

Das Verhältnis von Mrs. Pipers ätherischem Körper zur ätherischen Welt, in der die Kontrollen zu leben behaupten, bringt es mit sich, daß ein besonderer Vorrat eigenartiger Energie im Zusammenhang mit ihrem Organismus sich ansammelt, der ihnen als ein 'Licht' erscheint.

Mrs. Pipers ätherischer Körper wird von ihnen beseitigt, und ihr gewöhnlicher Leib erscheint als eine von diesem 'Licht' erfüllte Hülse. Mehrere Kontrollen können gleichzeitig mit diesem Licht in Berührung sein. Es bestehen in Mrs. Pipers Falle zwei hauptsächliche Massen desselben: die eine im Zusammenhang mit dem Kopf, die andere in Verbindung mit rechtem Arm und Hand.

Zeitweilig war die mit der Hand verbundene 'heller' als die mit dem Kopf verknüpfte. Wenn der sich Mitteilende mit dem Licht in Berührung kommt und seine Gedanken denkt, so haben diese die Neigung, durch Bewegungen in Mrs. Pipers Organismus wiedergegeben zu werden.

Sehr wenige können auf den Stimmapparat einwirken, selbst wenn sie in Berührung mit dem Lichte des Kopfes sind, aber nahezu alle können Schrift erzeugen, wenn sie mit dem Lichte der Hand in Berührung sind. Von der Menge und Helligkeit dieses Lichtes hängen unter sonst gleichen Umständen die Mitteilungen ab.

Ist Mrs. Piper unwohl, so ist das Licht schwächer, und die Mitteilungen haben die Neigung, weniger zusammenhängend zu sein. Auch wird dasselbe während einer Sitzung verbraucht, und wenn es sich verdunkelt, so besteht eine Neigung zur Zusammenhangslosigkeit sogar in sonst klaren Mitteilungen.

In allen Fällen erzeugt die Berührung mit dem Licht eine leichte Verwirrung, und falls die Berührung zu lange anhält oder das Licht sehr dunkel wird, so neigt das Bewußtsein des sich Mitteilenden dazu, vollständig zu versinken. [1]

Daß diese Behauptungen - wenn auch in einer theoretisch noch gar nicht verständlichen Weise - an jenes früher Vorgebrachte erinnern, wird kaum bestritten werden. [2] Vor allem ist ihr unverkennbarer quantitativ-energetischer Einschlag merkwürdig.

Selbst der Grundsatz der Summierung - oder wenn man will: Multiplizierung der Kraft - des 'Lichtes' - durch den Zusammentritt 'harmonischer' oder 'sympathischer' Persönlichkeiten fehlt nicht ganz.[3]

Andere quantitativ-dynamische Verhältnisse finden wir in der häufigen Behauptung und Beobachtung angedeutet, daß die Kontrolle des Leibes um so schwieriger wird, je weiter sie greift; daß sie oft eine große Anspannung erfordert, die zuweilen

[1] Nach Dr. R. Hodgson, dem auch unveröffentlichte Dokumente zur Verfügung standen, Pr XIII 400. Vgl. XX 86 (2).227 (1): 'das Licht ist trübe', 'es ist nicht klar'; VI 450; XVII 104; XX 88: 'es ist dunkel'; XVI 327: I am Prudens, and I give light; XX 207 (4): no power; u. ä. oft. Äußerungen von Kontrollen über Zusammenhänge dieses 'Lichts' mit sog. 'magnetischen Auren'. 'Vibrationen', 'spirit-body' u. ä. s. zB. Pr XI 93; Funk 147f.
[2] Vgl. bes. S. 408ff. 415f. 496f. 571ff. 574ff. 577f. 594ff. und mehreres in K. LXII u. LXXIX.
[3] Vgl. die Ermahnungen, mit Andern zusammen zu 'sitzen': Pr XX 102 (4) 103 (1).227 (1).


Kap LX. Spiritistische 'Natürlichkeit' des Transgeschehens.             (S. 651)

gerade noch aufgebracht wird, um dann mit einem 'Schnapp' (snap) abzureißen; [1] daß die Kontrolle überhaupt einer Anstrengung bedarf, um sich gleichsam festzuklammern und das Medium nicht 'fahren zu lassen'. [2]

Ich bin natürlich weit entfernt davon, diese Angaben für schon gegenwärtig ernsthaft verwertbar zu halten. Sie teilen durchaus den chaotischen Andeutungsreichtum so vieler anderer Beobachtungen der Metapsychologie, [3] und falls sie wirklich Winke einer künftigen Wissenschaft enthalten, so bezeichnen sie einen Zustand derselben, vergleichbar etwa dem Zustande der Nervenphysiologie zur Zeit des Galen oder der Entwicklungslehre zur Zeit des Empedokles.

Gleichwohl glaube ich, daß wer in den Behauptungen über ätherische und metätherische Leiblichkeiten bewandert ist, der Vermutung nicht widerstehen wird, daß hier immer noch eher künftig zu verwertende Winke über wirkliche Dinge gegeben seien, als metaphysische Phantastereien eines komödiespielenden hypnotischen Ich. Und das ist es ja allein, worauf es mir hier ankommt.

[1] s. die interessante Beob. Pr XVIII 237f.
[2] let go. zB. Pr XIII 416 (Mitte).
[3] Der metaphysiologisch 'Furchtlose' sei zB. auf Lecomtes Versuche mit Mireille und der Kontrolle 'Vincent' hingewiesen: ÜW IV bes. 152. 176. 207f.

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