Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 519)

Mache ich mich also daran, die Frage der Objektivität von Phantomen überhaupt etwas gründlicher zu prüfen, so soll damit die Annahme subjektiver, d.h. hier: halluzinatorischer (wenn auch in vielen Fällen telepathisch-wahrer) Phantome natürlich nicht fraglich gemacht werden, vielmehr wird von der Voraussetzung solcher Phantome als einer Selbstverständlichkeit ausgegangen.

Nach dem bekannten 'Zensus' der englischen Gesellschaft für psychische Forschung erinnern sich etwa 10 v.H. aller Menschen, Halluzinationen gehabt zu haben, wovon die erdrückende Mehrzahl menschliche Gestalten zum Inhalt hat. [1] Nur gegenüber einem Teil von diesen kann die Frage der Objektivität überhaupt in Betracht kommen, wenn wir unter Objektivität zunächst 'mehr-als-halluzinatorische Natur' verstehen.

Das akademische Denken verschafft dem Begriff der Halluzination in dieser Anwendung natürlich ein außerordentliches Gewicht, und nur um die Verminderung dieses Gewichts kann es sich zunächst handeln.

Einige von den populären Bedenken gegen dieses Gewicht haben wir in der letzten Beispielreihe kennengelernt.  Wir werden aber wesentlich über diese hinausgehen müssen, um es auch nur einigermaßen zu verringern. In der Tat beruft sich schon das naive Urteil auf sehr viel mehr Merkmale als die bisher angedeuteten, wenn es an Objektivität von Phantomen glaubt.

Großen Eindruck bezieht es z.B., wie angedeutet, aus dem natürlichen, lebensvollen Benehmen, das die Berichte nicht müde werden zu schildern. Phantome bewegen sich im Raume, regen die Glieder, [2] nehmen verschiedene Stellungen ein, setzen sich, lehnen sich an Gegenstände an, ersteigen Treppen, treten durch Türen, schütteln den Kopf, schlagen die Augen zum Himmel auf, bewegen den Mund, usw. ins Endlose.

Dergleichen Äußerlichkeiten gewinnen natürlich an Bedeutung, wenn sie etwas für den Erscheinenden besonders Charakteristisches, aber als solches dem Perzipienten Unbekanntes enthalten; - wie bei jener Gestalt, die 'zwei- oder dreimal ein Knie über das andere schlägt und wieder herabnimmt' - was sich erst nachher als eine eigentümliche Gewohnheit des Gesehenen herausstellt, [3] oder wenn sie soz. vom Standpunkte des Erscheinenden aus Sinn annehmen, d. h. wenn sie seine vorauszusetzenden oder besser: seine nachträglich wahrscheinlich zu machenden Gedanken ausdrücken und so geradezu zu Mitteilungen des 'Anwesenden' werden.

Miss N. N. z.B. sieht ihren Freund Bertie ins Zimmer treten, springt auf, um ihm einen Stuhl ans Feuer zu schieben, weil er zu frieren scheint und es draußen schneit,

[1] Pr X 39. 44. Tabelle I und V.
[2] Die wenigsten sollen ausdrücklich nur 'gleiten' Pr X 310),' S. z.B. Gurney I 425. 517 Anm.
[3] Gurney II 176.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 520)

und schilt ihn, daß er ohne Mantel gekommen sei. Bertie geht durchs Zimmer und setzt sich dem Kamin gegenüber. 'Er sagte kein Wort, führte aber die Hand an die Brust und schüttelte den Kopf, was ich dahin mißverstand, daß er in der Brust eine Erkältung spüre und die Stimme verloren habe, was ihm oft widerfuhr.. . '

Dr. G. tritt ein und fragt sie, zu wem sie spreche, und sie schilt noch einmal vor ihm über den Jungen. 'Ich werde nie das Entsetzen vergessen, das sich auf des guten Doktors Gesichte malte, da er wußte (was ich nicht wußte), daß der arme Junge eine halbe Stunde zuvor gestorben war.’ [1] -

Hier könnte es scheinen, daß das Phantom des eben Verunglückten seine Unfähigkeit zu sprechen trotz besten Wollens anzudeuten gesucht habe.

Unter 'Spuken' scheinen übrigens diejenigen Phantome angetroffen zu werden, die das Element lebensgleichen Benehmens im höchsten Grade zeigen.

Wir verstehen dabei unter einem Spuk - im Einverständnis mit dem volkstümlichen Begriff - eine Erscheinung oder Gruppe von Erscheinungen, die sich mehr oder weniger an eine bestimmte Örtlichkeit, seltener an eine bestimmte Persönlichkeit oder Familie heften und dort oft lange Zeit hindurch mit leidlicher Gleichförmigkeit wiederkehren.

Der typische Spuk schließt sich dabei an die vergangene Personengeschichte des Ortes an, und zwar nicht selten - auch darin hat der Volksglaube wahrscheinlich recht - an ein Ereignis von ausgesprochen dramatischem oder tragischem Charakter, welches er mitunter bis ins Einzelne wiederholt, worauf dann eben seine dramatische Natur, aber auch sein sinnvolles Benehmen beruht.

Es muß nun freilich gesagt werden, daß gerade die Natürlichkeit des Benehmens von Phantomen das Bedenken erregt: es sei hier manches hinzuillusioniert oder nachträglich hinzuerinnert, wenn nicht gar hinzuberichtet.

Eine irgendwie dramatisch-ausdrucksvolle Haltung wird leicht durch Bilder ergänzt, die ihre Vor- und ihre Folgegeschichte ausmachen könnten. Wird z.B. die Gestalt in der Nähe des Kamins gesehen, so hat sie sich an dessen Sims 'angelehnt'; [2] wird sie etwa zuerst vom Rücken und dann von vorne gesehen, oder vielleicht ihr Gesicht nur zeitweilig deutlicher, so hat sie sich auf Anruf 'umgedreht', [3] und was dergleichen Vermutungen und Verdächtigungen mehr sein mögen. -

Aber wären auch solche Bedenken widerlegt, so würde ein wirklich natürliches, scheinbar sinn- und lebensvolles Benehmen für die naive Auffassung von Phantomen doch nichts beweisen, denn auch unbezweifelte Halluzinationen - und durchaus nicht nur die der Geistesgestörten - sind häufig in derselben Weise charakterisiert. [4]

[1] Gurney I 532f. Vgl. II 88 (minutenlange, auch 'gefühlte' 'mesmerische Striche' eines Phantoms); Podmore, Stud. 287f. (sinnvolle Gesten), und den Fall der Mrs. Goffe, auf Grund sorgfältiger Untersuchung durch Rev. Th. Tilson bei Baxter, The certainty of the world of spirits (Land. 1691) 147-51 (ch. VII).
[2] Vgl. Crawe 151.
[3] Das. 152.
[4] S. z.B. den erstaunlichen Fall bei Clarke, 39ff.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 521)

Stärkeres Interesse würde das 'Benehmen' des Phantoms erst erregen, wenn Einzelheiten desselben in sinnvoller Weise auf das gleichzeitige Verhalten des Perzipienten Bezug nähmen. Falls gut beobachtet, könnte dies andeuten, daß das Phantom sich seines Wahrgenommenwerdens und seiner Behandlung seitens des Ortsanwesenden bewußt sei.

Dies aber würde objektive Anwesenheit des Phantoms zwar nicht beweisen, sich jedoch besonders natürlich mit dieser Annahme vertragen. Von Bertie hieß es, daß er auf die Vorwürfe der Freundin hin den Kopf geschüttelt habe, man könnte sagen: um sie als ungerecht zurückzuweisen.

Doch müßten sich mit der Bedeutsamkeit des Symptoms natürlich auch die Ansprüche an die Glaubwürdigkeit der Berichte gerade in diesen Einzelheiten sehr verschärfen.

Man errät indessen sogleich, daß dieses Element der mimischen Unterredung oder der dramatischen Gegenseitigkeit (wenn ich so sagen darf) einiger Steigerung fähig ist: wovon der äußerste Grad gegeben wäre, so oft mit dem Phantom sich eine Unterredung anknüpfen ließe.

Daß nun Phantome zu reden scheinen, wissen wir bereits, und es ist eine so allgemein berichtete Tatsache, daß sie weiterer Belege nicht bedarf. Auch sind ja Halluzinationen des Auges und Ohres, und seien sie auch telepathisch erzeugte, keineswegs seltsamer als solche des Auges allein. [1]

Die berühmten Phantome des Aufklärers und 'Proktophantasmisten' Nicolai, die den gleich berühmten Blutegeln wichen, sprachen vielfach in wohlgefügten Diskursen. Läßt sich vollends ein bedeutsam 'wahres' Phantom hören, 'ohne den Mund zu bewegen',

oder schweigt es, während der Perzipient seine Gedanken zu verstehen oder geradezu, wie einer sagt, 'in seinem Herzen wie in einem offenen Buch zu lesen' meint, [2] oder glaubt der Perzipient in einer knappen Äußerung des Phantoms weit mehr zu verstehen, als zunächst in ihr enthalten ist [3], - so liegt die Annahme vorstellungsmäßiger telepathischer Beeinflussung mit halluzinatorischer Ausgestaltung mehr wie nahe. -

Bedeutsamer für unser Problem des objektiv anwesenden Phantoms ist es schon, wenn der Inhalt seiner Reden ein Bewußtsein von den Einzelheiten dieser Anwesenheit, dem Ort und der Anwesenheit des Perzipienten an ihm verrät, wenn z.B. das Phantom eines Lebenden, auf der Straße wahrgenommen, den Perzipienten anredet:

'Geh nach Hause, mein Junge, ich bin verletzt', [4] oder ein anderes, dem der Perzipient zuruft: Miles, wo bist du hergekommen? 'in seiner natürlichen Stimme, aber sehr schnell' erwidert: 'Um Gottes willen, sage niemand, daß ich hier bin.'

Aber auch abgesehen von der Frage, ob gerade die entscheidenden Worte völlig verlässig erinnert seien, ist kein Grund einzusehen, warum eine zwar 'wahre', aber vom Perzipienten

[1] Das. 32ff. Telepath. Beispiele zum Überfluß bei Flammarion 70f:'97; Gurney I 532.
[2] S. z.B. Gurney I 425. 448; II 67.
[3] Wie vielleicht in dem bemerkenswerten Fall von E. Mamtschitsch, Pr X 387ff.
[4] Gurney I 524.


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Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 522)

persönlich-dramatisierte (telepathische) Halluzination nicht solcherlei natürliche Einzelzüge enthalten sollte.

Der zuletzt angezogene Fall führt indessen bereits das Element ein, das hier für unsere Frage am meisten Gewicht haben dürfte: ein Gespräch zwischen Perzipienten und Phantom leitet sich ein.

Es fehlt nicht an Beobachtungen, die diese Besonderheit in hoher Entwicklung zeigen und zugleich keinen Zweifel darüber lassen, daß der Anteil des Phantoms am Gespräch in der Tat auf den wechselnden Anteil des Andern, körperlich Anwesenden, Bezug nimmt.

Einige der außerordentlichsten Phantomberichte der gesamten Literatur dürften dies belegen - außerordentlich nicht nur in sich selbst, sondern auch durch die Gewichtigkeit ihrer Bezeugung und die Nüchternheit ihrer Darstellung.

Eine von diesen bezeichnet R. D. Owen, der die Zeugnisse für sie sammelte, als die bestverbürgte Gespenstergeschichte, von der er wisse - und Owen darf jedenfalls das Vertrauen eines Weltmannes von hoher Intelligenz und ursprünglicher Unvoreingenommenheit beanspruchen.

In diesem Falle sah Miss S. wiederholt zwei Phantome in altmodischer Kleidung - 'Zeit der Königin Anna oder des ersten Georg' -, die schließlich zu sprechen begannen, sich als Mann und Frau und die früheren Besitzer des betreffenden Hauses ausgaben, ihren Namen – Children - nannten und genaue Angaben über Vornamen und Todesjahr (1753)  machten.

Sie antworteten auf Fragen. 'Die Stimme’, behauptete Miss S., ’erschien hörbar wie die eines menschlichen Wesens und wurde, wie sie glaubte (aber offenbar ohne genügenden Grund), auch von Andern in einem Nebenzimmer gehört,... indem man sie nachher fragte, mit wem sie sich unterhalten.'

Nachfragen, welche die Wahrheit jener Aussagen der Phantome bestätigen sollten, blieben anfangs fruchtlos, und erst nach einiger Zeit und auf Umwegen erfuhr man von alten Leuten der Nachbarschaft, daß allerdings eine Familie Children in früherer Zeit das Haus bewohnt habe.

Aber erst Owen, der etwa ein Jahr später Miss S.s und Mrs. R.s (ihrer Freundin) Bericht empfing, vermochte durch Nachforschungen unter Handschriften und Schmökern des Britischen Museums die Bestätigung der Einzelangaben der Phantome (Vornamen, Todesjahr) zu erlangen, die ihm vor diesen Nachforschungen mitgeteilt waren. Mrs. R. und Miss S. waren sicher, daß sie nie den Namen Children gehört, der übrigens ein äußerst seltener ist. [1]

Was nun den Beitrag solcher Beobachtungen zu unserem Problem betrifft, so verbürgt die Tatsache der Unterredung mit einem Phantom an sich natürlich nicht einmal die objektive (telepathische) Veranlassung solcher Erscheinung. Phantome, über deren ausschließlich subjektive Entstehung kein Zweifel besteht, wie die Gesichte des Wahnsinns und des

[1] Owen, Footfalls 303-12. Vgl. Hennings 590 (nach Wedels Diss. med. de spectris); Calmet (deutsche Übs.) II 138ff. (M. Bezuels sofort bericht. Erfahrung); Harrison 40ff. (Lord Tyrones berühmte Erscheinung bei Lady Beresford); Welby, Predict. realized 79f. (Rev. Hughes' (Cambridge) Bericht über Mr. Shaws (vom St. Johns Con., Cambridge) Gespräch mit dem toten Mr. Nailor); ÜW X 471 f. (Fr. Kaibel); Podmore, Stud. 287f.: Pr III 83ff.; VIII 236; XI 547ff.; Gurney II 460.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 523)

Traumes in den meisten Fällen, lassen sich auf regelrechte Gespräche ein. [1] In Owens Bericht haben wir zwar besondere Gründe, die Phantome mindestens für wahre, d.h. von außerhalb des Wahrnehmenden veranlaßte Halluzinationen zu halten, auch wollen wir uns einstweilen nicht daran stoßen, daß die telepathische Wirkung hier anscheinend einem Verstorbenen zuzuschreiben wäre, sondern dies besondere Problem bis auf später verschieben.

Gleichwohl ist nicht einzusehen, warum der telepathische Verkehr zweier Personen, und sei es der eines Toten mit einem Lebenden, sich nicht gelegentlich in die geordnete Form der Wechselrede fügen sollte und warum nicht von der einen Seite überdies die Anregung einer halluzinatorischen Erscheinung, wenn nicht gar das hellsehende Bewußtsein der Anwesenheit dazutreten könnte.

Besteht eine solche Annahme doch nur in der Zusammenfügung und Systematisierung von Teilvorgängen, die uns einzeln bereits als wirklich gelten. [2] -

Die Reden des Phantoms machen einen Bestandteil seines lebenswahren Benehmens aus. Wir hätten sie aber auch unter einem andern Gesichtspunkt betrachten können, der den naiven Glauben an die Objektivität von Phantomen vielfach beherrscht: unter dem Gesichtspunkt ihrer Wahrnehmbarkeit durch mehrere Sinne, deren Wahrnehmungen sich zudem in natürlicher Weise ergänzen.

Solche Mehrsinnigkeit von Phantomen ist nichts Seltenes. Wir haben einen Bericht, wonach die Perzipientin sich geküßt fühlt und erst beim Aufblicken - sieht. [3] Oder - ein häufiger Fall - der schlafende Perzipient fühlt sich durch eine Berührung, einen Schlag, ein Drücken seiner Hände, eine Last auf seinem Körper geweckt und schaut erst nach dem Aufschlagen der Augen, entsprechend jenen vorausgegangenen Wahrnehmungen, das Phantom.[4]

Ich gehe aber auf Einzelheiten nicht ein, weil der Gedanke in der Tat viel zu einleuchtend ist, daß derartige Erlebnisse, wenn auch als 'wahr', doch ihrer Form nach als halluzinatorische Ausgestaltungen sehr einfacher telepathischer Einflüsse deutbar seien, ja daß in ihnen der eine Bestandteil der Halluzination den andern erst wachrufe kraft eines Bedürfnisses nach Abrundung und Verlebendigung des Gesamterlebnisses.

Ein solches anzunehmen, liegt aber vollends nahe, wenn die empfundene Berührung einem für den vorauszusetzenden Agenten typischen, dem Perzipienten wohlvertrauten 'Klischee' angehört, das gleichsam nur des Anschlags bedarf, um als Gesamterfahrung aufzutreten.

Ein Beispiel liefert uns jener alte Baron R., der die Gewohnheit hatte, sich und

[1] s. z.B. Gurney I 476; AMP 6. Ser. VII 379; das. 1855 542; 1856 389.
[2] Eine bemerkenswerte Reihe von Versuchen in der Beantwortung telep. übermittelter Fragen (Rev. Newnham und Frau) s. Pr III 8-23. Vgl. Pr IX 61ff.
[3] Gurney II 138.
[4] S. z.B. das 'experimentelle' Phantom des Rev. C. Godfrey bei Podmore, App. 228ff. und die Fälle bei Gurney I 434f. 437; Crowe 319f.; in Kerners Magikon III 367; Monthly Rev. 1830 229 (Byrons bekannter Bericht üb. Capt. Kidds Erlebnis); Pr X 132f. (fühlendes Berühren des Phant. seitens des Perzip.).


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 524)

Andern zuweilen die Haare vom Nacken kopfaufwärts zu streichen, und der einem Freunde, der sich dies verbeten hatte, das scherzende Versprechen gab, er werde ihm schon noch einmal die Haare aufstreichen, und sei es selbst in der Todesstunde. 

Einer dieser Freunde habe nun eines Tages eine kalte Hand gespürt, die ihm die Haare in die Höhe strich, und die Worte gehört: So stirbt man. Die Stunde, die er notierte, erwies sich angeblich genau als die Todesstunde des Barons. [1]

Dasselbe kritische Deutungsmittel der halluzinatorischen Abrundung des Erlebnisses wenden die Verfasser des mehrfach erwähnten Zensusberichts aber noch auf andere Einzelheiten auch 'einsinniger' Phantome an, die dem naiven Urteil sehr starke Beweise von Objektivität der Erscheinungen zu liefern scheinen: wie z.B. die Beobachtung, daß Phantome häufig von undurchsichtigen Gegenständen teilweise - und perspektivisch-natürlich - verdeckt werden. [2]

Und ein Sonderfall solchen Verdecktwerdens durch undurchsichtige Gegenstände ist das Verschwinden eines Phantoms beim Schließen und sein Wiedererscheinen beim Öffnen der Augen, [3] oder das Sichtbarwerden eines zunächst bei geschlossenen Augen durch einen andern Sinn wahrgenommenen Phantoms zugleich mit dem Öffnen der Augen. [4] -

Auch die andere Tatsache schließt sich hier an, daß man von einem Phantom sich abwenden oder auch das Zimmer verlassen kann und es beim Wiederhinblicken oder bei der Rückkehr ins Zimmer am selben Flecke finden, [5] ja Dr. Paterson bringt einen Bericht, wonach die Perzipientin eine volle halbe Stunde hindurch das Zimmer verließ und wieder betrat, ehe das Phantom, beim fünften Wiedereintritt, verschwunden war. [6]

Aber das naive Urteil, welches meint, daß Halluzinationen auf einer Ebene für sich lägen und sich darum nicht teilweise verdecken lassen dürften, daß sie beim Schließen der Augen auch fortbestehen und beim Abwenden des Blickes sich mitbewegen müßten - dies Urteil irrt in jedem einzelnen Falle.

Der psychologische Versuch hat längst erwiesen, daß subjektive, suggestiv erzeugte Gesichte wenigstens zuweilen durch zwischen sie und das Auge gebrachte Gegenstände verdeckt werden. [7]

Ebenso aber haben experimentell erzeugte Halluzinationen des Gesichts auch häufig die Eigenschaft, beim Wegwenden des Blickes oder Verlassen des Zimmers soz. 'zurückzubleiben', beim Wiederhinblicken oder bei der Rückkehr 'wieder da zu sein', ja sogar aus größerer Entfernung kleiner und undeutlicher, bei Annäherung größer und deutlicher zu erscheinen. [8]

Die übliche, in manchen Fällen erwiesene Erklärung hierfür ist, daß der Halluzinierende bei der Ausgestaltung seiner Bilder sich an irgendein äußeres, wenn auch

[1] Horst, Deut. II 135.
[2] z.B. von der Lehne eines Sofas, der Ecke eines Arzneikastens : Gurney I 425; II 530.
[3] S. z.B. Pr X 189f. Die Lider vertreten hier gewissermaßen den verdeckenden Gegenstand.
[4] Gurney II 526.
[5] Vgl. das. I 428, wo das Phant. erst beim dritten Hinsehen verschwunden ist.
[6] Crowe 179; vgl. 155.
[7] Bezügl. spontaner, aber fraglos subjekt. Halluz. s. Prof. Vignolis Beob. Pr X 141.
[8] Vgl. Pr X 108.


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Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 525)

winziges Wahrnehmungselement anlehnt, das er mit seiner Halluzination gewissermaßen umspinnt und überdeckt. Jede optische Beeinflussung dieses objektiven point de repère - Vergrößerung oder Verkleinerung, Umkehr oder Verdoppelung, Verschwinden oder Wiederauftretenlassen - würde dann auch die Halluzination in entsprechender Weise beeinflussen.

Man braucht auch nicht Bedenken zu tragen, Phantome an points de repère zu knüpfen, weil sie telepathischen, also 'zentralen' Ursprungs seien, denn das zentral Erzeugte mag immerhin - diese Dinge sind ja noch leidlich dunkel - um einen äußeren Anhaltspunkt sich gleichsam kristallisieren.

Bei Phantomen, die sich im Raume bewegen, wird freilich eine solche Annahme hinfällig: doch bleibt auch dann dem psychologischen Kritiker der Rückgriff auf die suggestive Rolle der Erwartung, die stets im Sinne größerer Natürlichkeit und Abrundung eines Erlebnisses arbeite.

Ähnliche Erwägungen dürften auch auf zwei andere Besonderheiten sich anwenden lassen, in denen sich die seltsam wirklichkeitstreue Abrundung mancher Phantome besonders schlagend ausspricht: ich meine ihre Fähigkeit, einen Schatten zu werfen und sich zu spiegeln.

Soweit Phantome als halb durchsichtig beschrieben werden, die Gegenstände hinter ihnen also mehr oder minder deutlich erkennen lassen, scheinen sie sich freilich des Anspruchs auf einen Schatten von vornherein zu begeben. [1]

Aber diese Durchsichtigkeit dürfte die Ausnahme sein, viel mehr erreicht die Undurchsichtigkeit von Phantomen zuweilen einen solchen Grad, daß sie selbst starke Lichtquellen, wie helle Fenster und brennende Lampen, für das Auge des Beschauers verdecken.

'Ich beobachtete die Gestalt’, sagt ein Perzipient, ’wie sie das ganze Zimmer umschritt, wobei sie zwischen mir und dem Licht auf dem Putztisch hindurchging. Einen Augenblick verbarg sie mir das Licht, bis sie den Teppich vor dem Kamin erreichte, wo sie verschwand.' [2] -

Daß nun ein Phantom, welches eine Lampe für ein Auge verdunkelt, auch einen Schatten werfen werde - am deutlichsten, wenn dieses Auge sich außerhalb der Verbindungslinie von Phantom und Lichtquelle befindet -, ist schließlich nur natürlich zu erwarten.

Wir besitzen ausführliche Berichte, die diesen Umstand aus eigenem Antrieb mit großer Ausdrücklichkeit vorbringen, einen Umstand (sollte man meinen), der schwerlich Erwähnung finden würde, wenn er nicht zur Zeit der Erscheinung selbst für sich aufgefallen wäre und Eindruck gemacht hätte.

Eine Mrs. P. beschreibt uns die Gestalt eines Herrn in Marineuniform, die in ihrem Schlafzimmer um ½ 10 Uhr abends auftrat, während sie halb sitzend in ihrem Bette die Angelegenheiten des nächsten Tages überdachte. Entsprechend der

[1] S. z.B. Pr X 75. 77.
[2] Pr X 188; vgl. das. 75, und H. D. Jenckens Zeugnis im Bericht des Kom. d. Dialekt. Ges. (deutsch) II 19.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 526)

Stellung der Lampe 'war das Gesicht für mich im Schatten' (wobei also Teile des Phantoms andere Teile beschatteten). Sie berührte ihres Mannes Schulter, mit der ganz ruhigen Frage: Willie, wer ist das?

Worauf sich dieser umwandte und den vermeintlichen Eindringling anschrie, der darauf zweimal den Namen des Ehemanns 'mit gebieterischer und vorwurfsvoller Stimme' aussprach. Die Gestalt bewegte sich darauf auf die Wand zu; 'als sie an der Lampe vorüberkam, fiel ein tiefer Schatten in das Zimmer, als hätte ein körperliches Wesen durch Dazwischentreten seines Leibes das Licht abgeschnitten'.

Die Gestalt verschwand dann 'in die Wand hinein'. Sie stellte den Vater des Perzipienten dar und ihr Ausruf vermittelte diesem eine z.Zt. äußerst wichtige Warnung. [1]

Fragen wir nun aber, wie sich Erscheinungen, die man mit Gewißheit für Halluzinationen hält, in eben dieser Hinsicht verhalten, so finden wir, daß auch sie wenigstens genügende 'Dichtheit' besitzen, um soz. 'hinter' ihnen liegende Gegenstände zu 'verdecken'.

So beschreibt Prof. G. Lyon Turner vom Lancashire Independent College in Manchester die Vision eines zehnarmigen Kronleuchters (!) an der Decke seines Schlafzimmers, welche an ihrer Stelle verharrte, wenn er seinen Kopf bewegte, und die dahinter gelegenen Gegenstände verdeckte oder sehen ließ, 'genau so, wie ein wirklicher Kronleuchter (an seiner Stelle) getan hätte'. [2]

Der Psychologe drückt dies technisch so aus, daß jede 'völlig exteriorisierte' Halluzination einem wirklichen Gegenstande auch darin gleiche, daß sie ihre Stelle im Gesichtsfelde für sich allein beansprucht, eine Halluzination, die andere Dinge hinter sich erkennen läßt, sei eben nur unvollständig ausgebildet.

Diese Tautologien mit Anschauungen konkreter Vorgänge zu erfüllen, fällt ihm aber nicht leicht, und der Versuch verwickelt alsbald in die streitenden Theorien über den zentralen (Gehirn-beschlossenen) oder peripherischen, retinalen (auch die Netzhaut beanspruchenden) Ursprung der Halluzinationen überhaupt.

Die Einzelheiten dieses Problems möchte ich dem Leser und mir nach Möglichkeit ersparen: die Tatsachen nötigen in jedem Falle zu ziemlich verwickelten Annahmen, vor allem angesichts von Phantomen, die sich in Bewegung befinden.

Eine retinale Theorie müßte hier offenbar einen Ablauf stetig wechselnder, absonderlich umgrenzter Erregungen der Netzhaut vom Zentrum her voraussetzen, die gleichzeitig die so erregten Stellen derselben allen äußeren Einwirkungen entzögen.

Aber auch unter der Voraussetzung rein zentralen Ursprungs würde es sich fragen, ob die Tatsache des 'Verdeckens', also des Fehlens jedes gleichzeitigen Teilbildes der Wirklichkeit an dem jeweiligen Orte des Phantoms nicht eine ebenso verwickelte, von Augenblick zu Augenblick wechselnde Hemmung der Netzhautelemente vom Gehirn aus anzunehmen nötige.

Die Verfasser des Zensus-Reports, die sich für die zentrale Theorie der Halluzination entscheiden [3], glauben diese

[1] Pr VI 26ff. Vgl. Home 291, und Mrs. W.s Beob. in PrX 188.
[2] Gurney I 490.
[3] Pr X 136ff.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 527)

Annahme machen zu müssen. [1] Aber soweit ich sehe, ziehen sie dabei bewegliche Phantome nicht in Betracht. Um der Verwicklungen willen, die diese in das Problem bringen, möchte ich von einer solchen Hemmung der Netzhaut theoretisch absehen und an eine rein psychische Ablenkung der Aufmerksamkeit durch den am stärksten fesselnden Wahrnehmungsinhalt, nämlich das Phantom, denken.

Was nun aber das Schattenwerfen solcher 'völlig exteriorisierter' Halluzinationen anlangt, so kann man es natürlich nicht als unmittelbar mit dieser Vollausbildung gesetzt betrachten. Ein Schatten muß fallen, wie ihn eine Lichtquelle vorschreibt, die nichts mit der Halluzination selbst zu tun hat.

Handelt es sich wirklich um Halluzination, so kann er natürlich wieder nur das Erzeugnis einer unbewußten 'Erwartungssuggestion' sein, die der Natürlichkeit der Erscheinung in allem übrigen entspringt. Für diese Annahme fehlt es nicht an Bestätigungen.

Mrs. Verrall z.B., eine vorzügliche Visualisiererin, konnte die Gebilde ihrer optischen Phantasie veranlassen, Schatten zu werfen, wenn sie sich vorstellte, 'daß sie wirkliche Dinge sehe und nicht Gedächtnis- oder Phantasiebilder', wo sie dann auch einen ganz bestimmten Abstand von ihr hatten.

Ohne diese besonders hinzutretende Vorstellung waren sie zwar so lebhaft gefärbt wie wirkliche Dinge, aber unkörperlich flach, und warfen keinen Schatten. [2]

Schwierigkeiten erwachsen dieser Deutung allenfalls in den Fällen, da die Wahrnehmung eines Schattens der Wahrnehmung des Phantoms vorausgeht. Der Zensus-Bericht enthält zwei solche Fälle, und wir finden den einen ohne ein weiteres Wort der Begründung als Beispiel für die suggestiv-systematisierende Rolle der Erwartung verwendet, gleichzeitig mit einem andern Falle, in welchem die Wahrnehmung des Schattens der Erscheinung folgt und der darum fraglos als ein solches Beispiel verwendet werden darf.

Jener erste Bericht stammt von Miss A.S. und beschreibt, wie sie eines Abends etwa um 11 im Empfangszimmer eines Virginischen Landhauses saß, während der Mondschein von ihrem Rücken her durch die offene Tür ins Zimmer strömte.

'Der Schatten einer menschlichen Gestalt fiel auf den mondbeschienenen Fußboden. Den Kopf halb wendend, erblickte ich eine hochgewachsene Frau in Weiß, mit dem Rücken zu mir gekehrt (von der Perzipientin irrtümlich für ihre Base gehalten, die kurz zuvor bei ihr gesessen).

Ich richtete eine gleichgültige Bemerkung an sie. Sie gab keine Antwort und ich wandte mich nun völlig zu ihr hin. Sie ging darauf aus der Tür die Eingangsstufen hinab... ’.  [3]

Am aussichtsvollsten einem solchen Bericht gegenüber erscheint der Einwand - und vielleicht war dies die Meinung der Verfasser des Reports  -, daß der Schatten 'primär' die Halluzination ausmache, die Wahrnehmung der Gestalt beim Wenden des Blickes aber das suggestive

[1] Das. 188.
[2] Pr VIII 480.
[3] Pr X 187f.


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Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 528)

Ergebnis der Erwartung darstelle. Aber der Einwand würde versagen, wenn das Phantom, das seinen Schatten vor sich hersendete, als die sinnvolle 'Erscheinung' eines Lebenden oder Toten erweisbar wäre (was sie in Miss S.s Falle allerdings nicht gewesen zu sein braucht).

Daß eine beliebige subjektive Halluzination in der Wahrnehmung eines menschlichen Schattens bestehen könne, ist nicht zu leugnen, und am Ende auch nicht, daß ihr die Halluzination einer Gestalt folgen könne, die nach vertrauten Gesetzen diesen Schatten hätte werfen können.

Daß aber eine 'wahre', also telepathisch erregte Halluzination mit der Wahrnehmung eines unerkannten, schier gestaltlosen Schattens beginnen und danach erst in der Erscheinung des Agenten gipfeln solle, ist eine reichlich gekünstelte Annahme.

Denn der Schatten einer Gestalt bedeutet nicht eine unvollkommene Entwicklungsstufe dessen, was als die subjektive Ausgestaltung der telepathischen Einwirkung aufzufassen wäre, sondern ein in sich völlig selbständiges und nur in der Ordnung der Wirklichkeit abgeleitetes Element äußerer Wahrnehmung, das eben darum irgendwelchen Sinn erst erhält, nachdem seine 'natürliche' Bedingung schon gegeben ist.

Der Zensus-Bericht selbst enthält nun merkwürdigerweise einen solchen Fall, der aber wegen eines sonstigen Nebenumstandes anders rubriziert wurde.

'Ich saß', schreibt Miss H. Wilson, die Hauptperzipientin, '(am Sonntagabend) zwischen 7 und 8 mit dem Rücken der mir näheren von zwei Kerzen zugewendet, (die auf dem Tische brannten und) deren Licht auf mein Buch fiel.

Plötzlich verschwand das Licht, so daß ich nicht weiterlesen konnte. Ich blickte mich rasch um und sah einen dunklen Schatten (etwa vom Durchmesser eines menschlichen Körpers) zwischen mir und den Kerzen hindurchgehen.

Der (fast schwarze) Schatten war so kompakt, daß er fast wie aus (festem) Stoff zu bestehen schien, aber ich nahm keinerlei Gestalt wahr. Wir beide, (mein Vetter F.T. und ich) riefen aus: Ich glaubte, beide Kerzen wären im Verlöschen, und F. sagte: Mir schien es von der Türe herzukommen.

Nachdem der Schatten vorüber war, waren die Kerzen vollkommen hell und reglos...' Hier ist einiger Grund vorhanden, die Erscheinung mit einem bestimmten Ereignis in Verbindung zu bringen, denn in derselben Nacht um 3 Uhr starb der Bruder der dritten anwesenden Person, Mrs. H., die aber infolge ihrer Stellung und Haltung von einer Mitwahrnehmung ausgeschlossen gewesen zu sein scheint. [1]

Hier entspricht natürlich der im 'Bericht' sog. Schatten dem (anscheinend nur undeutlich wahrnehmbaren) Phantom; während die anfängliche Verdunkelung des Lichtes den hier erörterten (geworfenen) Schatten darstellt.

Wir werden ohnehin in der Folge Gründe sehen, einen anscheinend gestaltlosen Schatten, wie er hier beschrieben wird, als Äquivalent eines gestalteten Phantoms zu betrachten.

Die Annahme einer 'unterbewußten' Ausgestaltung des ganzen Vorgangs (natürlich auf telepathische Beeinflussung hin), d.h. die Annahme der 'natürlichen', situationsgemäßen Halluzinierung erst eines Schattens

[1] Das. 313f.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 529)

und dann des räumlich entsprechenden Phantoms, welches soz. schon vor der einleitenden Wahrnehmung des Schattens durch die unterbewußte Phantasie lokalisiert worden wäre - eine solche Annahme könnte zwar auch Fälle wie die letzten erledigen, die ja überdies äußerst selten zu sein scheinen.

Wären sie häufiger und im entscheidenden Bestandteil genügend verbürgt, so würden wir allerdings in die Lage kommen, die Künstlichkeit der eben angedeuteten Auslegung gegen die Schwierigkeiten der Annahme objektiver Phantome abzuwägen. -

Ähnliche Überlegungen könnte man schließlich auch auf jene andere Besonderheit gewisser Phantome anzuwenden versucht sein, welche derjenigen des Schattenwerfens theoretisch ähnlich ist: das Gespiegelt-werden.

Der Zensus-Bericht enthält einen Fall, in welchem die Perzipientin, Mrs. T. E., ganz unerwartet das Phantom einer Frau durch ihr Zimmer gehen sieht (das Haus hatte den Ruf der Spukigkeit), welche Gestalt 'so deutlich war, daß, als sie ihre Augen auf den Spiegel an der Wand des Saales ein wenig zu ihrer Rechten fallen ließ, sie die Seite oder das Profil der Gestalt darin gespiegelt sah'. [1]

Diese Sachlage würde offenbar der Wahrnehmung eines Schattens neben oder nach der Wahrnehmung einer Gestalt entsprechen (ist doch auch ein Schatten selbst nur die Aufhebung - oder Verlegung - einer Reflexion des Lichtes) und würde dieselbe Deutung herausfordern. Aber auch hier findet sich der seltsamere Fall, daß das Spiegelbild vor dem Urbild wahrgenommen wird.

Dieser Art erwähnt der Bericht drei Fälle, von denen er einen ausführlich mitteilt. Das Phantom einer Verstorbenen wurde von der Perzipientin, die an sie im Augenblick nicht dachte, in einem Spiegel, wie 'an der Tür stehend', reflektiert gesehen und beim Wenden des Kopfes ebendort direkt erblickt. [2]

Ein anderer Bericht enthält dieses Element zwar nur aus zweiter Hand, hat aber andere Vorzüge, die ihn merkwürdig erscheinen lassen. - Miss Du Grane erzählt, daß sie am Abend des 1. Nov. 1889, zwischen 9 ½ und 10 Uhr in ihr Schlafzimmer hinaufgegangen war, von dem eine offene Tür in ihrer Mutter Schlafzimmer führte.

'Das einzige Licht war der Schimmer, der in beide Zimmer durch die venezianischen Rollvorhänge drang. Während ich am Kaminsims stand, erschrak ich über das plötzliche Erscheinen einer Gestalt, welche geräuschlos aus dem Außenzimmer auf mich zu glitt. Die Erscheinung war die eines jungen Mannes von mittlerer Größe in schwarzer Kleidung und Hut.

Sein Gesicht war sehr blaß, die Augen niedergeschlagen, wie die eines tief Nachdenkenden, der Mund von einem Schnurrbart beschattet. Das Gesicht war ein wenig leuchtend, was mich instandsetzte, die Züge deutlich zu unterscheiden, obgleich wir z.Zt. sehr wenig Licht hatten.

Die Erscheinung glitt weiter auf meine Schwestern zu, welche innerhalb des Zimmers ganz nahe der Außentür standen und die gerade ihres Reflexes im Spiegel gewahr geworden waren. Einige Zoll von ihnen verschwand sie so plötzlich, wie sie gekommen. Während die Gestalt an uns vorüberglitt, fühlten wir deutlich eine

[1] Das. 186.
[2] Das. 187.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 530)

kalte Luft, welche sie zu begleiten schien. Eine meiner Schwestern sah die Erscheinung nicht, da sie sich gerade abgewandt hatte, fühlte aber die kalte Luft.' [1]

Ich sagte, man könnte versucht sein, solche Beobachtungen ähnlich zu beurteilen wie Berichte über schattenwerfende Phantome. Indessen stehen sie augenscheinlich nicht auf einer Stufe. Denn was dem Schatten abging: das An-sich-selber-Sinn-haben, das geht einem im Spiegel wahrgenommenen Phantom eben nicht ab.

Im Gegenteil: eine halluzinatorische Theorie könnte ein im Spiegel gesehenes Phantom gerade für das ganze Ergebnis des telepathischen Eindrucks erklären, das danach im Raume wahrgenommene aber für eine suggestive Nachgeburt.

Ist doch das bloße Blicken in den Spiegel, ähnlich der Verwendung von Glaskugeln oder Flächen spiegelnder Flüssigkeiten, ein bewährtes Mittel, die Ausbildung von Halluzinationen zu befördern.

Wenn solche Einwände, auf Miss Du Cranes Erzählung angewendet, nicht recht überzeugen wollen, so liegt das an einer andern Eigentümlichkeit des Falles, daran nämlich, daß das Phantom von Mehreren in übereinstimmender Weise wahrgenommen wurde und daß sich die Wahrnehmung des Spiegelbildes anscheinend in diesen ganzen Zusammenhang von Wahrnehmungen natürlich einordnete.

Damit aber betreten wir neuen Boden. Es entsteht die Frage, ob eine solche gleichzeitige Wahrnehmung durch mehrere Perzipienten – eine kollektive Wahrnehmung - nicht an sich einen Beweisgrund zugunsten objektiver Phantome enthalte.

Wird doch in gewissen erkenntnistheoretischen Erörterungen der Begriff der Objektivität eines Dinges geradezu dadurch bestimmt, daß es für jede beliebige Anzahl von Subjekten eine ständige 'Wahrnehmungsmöglichkeit' bilde.

Der Ausdruck ’Kollektivwahrnehmung' hat eine geringe Zweideutigkeit an sich, sofern man auch solche Phantome als kollektiv-wahrgenommen bezeichnet, die in verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Perzipienten beobachtet wurden, wie dies z.B. mit Spukgestalten an bestimmten Örtlichkeiten meist der Fall ist.

Beschränken wir aber den Begriff (mit geringen Ausnahmen) auf solche Phantome, die gleichzeitig von Mehreren wahrgenommen werden, so enthält die kritischer sichtende Literatur auch von dieser strenger umschriebenen Gattung sehr zahlreiche Fälle. Einige kurze Beispiele mögen zunächst den massenhaft vertretenen Typ verdeutlichen.

Das erste, von Miss Emma M. Pearson berichtet, gehört in die Klasse jener zahlreichen Erscheinungen, die nach dem Volksglauben einen Tod in der nächsten Verwandtschaft anzeigen. Miss Pearson war z.Zt. in Gemeinschaft mit zwei Damen ihrer Verwandtschaft, Mrs. Coppinger und Mrs. John Pearson, mit der Pflege ihrer schwerkranken Tante, Miss Harriet Pearson, beschäftigt. In der Nacht des 22. Dez.

[1] Aus JSPR März 1892 bei Podmore, Stud. 275.


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Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 531)

1864 befand sich Mrs. John Pearson am Bett der Kranken, während die Erzählerin und Mrs. Coppinger in einem anstoßenden Zimmer in ihren Betten lagen. 'Das Haus war auf den Treppen und ihren Absätzen erleuchtet, unsere Tür weit offen.

Etwa um 1 oder 2 Uhr früh am Morgen des 23. Dez. fuhren Mrs. Coppinger und ich im Bette hoch; wir waren beide wach, da wir auf jedes Geräusch im Nebenzimmer achteten. Wir sahen Jemand an der Tür vorübergehen, klein von Wuchs, in ein altes Umlegetuch gehüllt, eine Perücke mit drei Locken auf jeder Seite und eine alte schwarze Haube auf dem Kopf. Mrs. Coppinger rief aus:

Emma, steh auf, das ist Tante Ann (die sechs Jahre zuvor verstorbene Schwester der Kranken). Freilich, sagte ich, dann wird Tante Harriet heute sterben. Wir sprangen auf und Mrs. John Pearson kam aus dem Krankenzimmer gestürzt und sagte: Das war die alte Tante Ann, wo ist sie hingegangen? ..'  Niemand wurde gefunden.

Die Magd lag im oberen Stock in Schlaf. Miss Harriet Pearson starb um 6 Uhr nachmittags desselben Tages. [1]

Der folgende Fall verbindet das Merkmal der Kollektivität mit dem eines leidlich lebendigen Benehmens und wahrer, aber dem Perzipienten bisher unbekannter Einzelheiten der Erscheinung.

Mme. Obaleschew berichtet, daß sie am 17. Jan. 1861, 11 Uhr abends, in Odessa wach und gesund im Bette liegend, ihrer Magd befohlen hatte, ihr das einmonatige Kind zu reichen, das zu weinen begonnen, und es zu stillen angefangen hatte, als sie, die Augen 'zufällig auf die Tür richtend, die mir gegenüber lag, langsam (meinen Schwager Nikolai Nilowitsch Sikow) eintreten sah,

in Pantoffeln und einem Schlafrock aus karierter bayette, in dem ich ihn noch nie gesehen hatte. Sich dem Lehnstuhl nähernd (der neben dem Bette nahe dem Kissen stand), und sich auf dessen Armlehnen stützend, stieg er über die Füße der Magd (die sich neben dem Bett auf den Fußboden gesetzt hatte, das Gesicht nach dem Lehnstuhl gerichtet und die Füße unter diesen gestreckt) und setzte sich langsam in den Sessel.

In diesem Augenblick schlug die Standuhr 11. Da ich gewiß war, daß ich deutlich meinen Schwager sah, wandte ich mich an die Magd mit dieser Frage: Du siehst, Claudine? ohne aber meinen Schwager zu nennen. Die Magd, vor Schrecken zitternd, erwiderte mir sofort: Ich sehe Nikolai Nilowitsch.

Bei diesen Worten erhob sich mein Schwager langsam, überstieg von neuem die ausgestreckten Füße der Magd, wandte sich und verschwand hinter der Tür, die in den Saal führte...'. Mme. O. hatte dies Erlebnis der Schwägerin brieflich mitgeteilt, bevor sie die Nachricht erhielt, daß N.N. Sikow am selben Tage (den 17. Jan.) in Twer gestorben sei.

Es stellte sich ferner heraus, daß der Verstorbene sich eine Woche vor seinem Tode einen Schlafrock von dem beschriebenen Muster hatte anfertigen lassen und diesen im Augenblick des Todestrug. [2]

Ganz abgesehen nun von der Möglichkeit, daß der Perzipient eines Phantoms einen Anwesenden durch ungewollte Winke in Worten oder Gesten zu einer der seinen ähnlichen Halluzination veranlasse, liegt es auf der Hand, daß ein telepathischer 'Impakt', wie er einen Abwesenden

[1] Pr. VI 20f.
[2] Pr X 218f. Vgl. das. 347; III 127 u.a. Vgl. auch den eigenartigen Fall achtfacher Perzipienz bei Gurney II 213.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 532)

treffen und zum Halluzinieren veranlassen, so auch diese Wirkung bei Zweien oder jeder beliebigen andern Anzahl von Personen haben kann oder daß ein einziger primärer Empfänger des Impakts seinerseits die Halluzination auf andere Anwesende telepathisch übertragen kann. [1]

Trotz des Bedenkens, daß direkte Übertragung von Halluzinationen dort nicht beobachtet werde, wo sie sich am leichtesten zeigen könnte - wie bei Geisteskranken sogenannter folie à deux oder bei Epileptischen, die selbst ihre Anfälle aufeinander übertragen [2] -,

wird sich die Tatsache nicht abstreiten lassen: beweist uns doch der Zensus-Bericht mit Zahlen, daß in der Klasse der unzweifelhaften Halluzinationen, welche leblose Gegenstände zum Inhalt haben, die kollektiven Fälle verhältnismäßig häufiger sind, als Halluzinationen von solchem Inhalt überhaupt. [3] Damit scheint jeder Grund zu entfallen, von der bloßen Kollektivität auf Objektivität zu schließen.

Dieser Schluß würde noch verfehlter erscheinen, wenn die gleichzeitigen Wahrnehmungen in kollektiven Fällen sich als verschieden erwiesen, während eine solche Mannigfaltigkeit der Bilder offenbar nicht gegen ihre telepathische Übertragung von einem Perzipienten auf den andern zu sprechen brauchte, indem der telepathische Eindruck von jedem Einzelnen verschieden verarbeitet werden könnte.

Allerdings scheint mir vieles von dem, was unter dieser Rubrik – Ungleichheit kollektiver Wahrnehmung - berichtet wird, den eigentlichen Punkt zu verfehlen, der aus dieser Tatsache einen Beweis für Subjektivität machen könnte.

Der Zensus-Bericht enthält z.B. einen Fall, in welchem B eine Gestalt durchs Zimmer fliegen sieht, C eine 'Anwesenheit' empfindet und 'etwas wie sehr leise Musik' hört. [4] Andere Fälle werden erwähnt, in denen B eine Tür sich öffnen, C außerdem ein Phantom eintreten sieht; oder B Fußtritte hört, während C das Phantom wahrnimmt, das sie zu verursachen scheint, oder B sich berührt fühlt, C ein Phantom die Berührung ausführen sieht.

Aber keine von diesen Beobachtungen enthält, was der Subjektivist erwarten müßte: einen Widerspruch der Wahrnehmungen von B und C in sich selbst, im Gegenteil, wo die beiderseitigen Wahrnehmungen sich nicht geradezu ergänzen, widersprechen sie jedenfalls nicht der Voraussetzung einer ungleichen Befähigung zur Wahrnehmung von B und C.

Andere Einzelheiten der Kollektivität scheinen geradezu vor einer subjektivistischen Unterschätzung dieses Tatbestandes zu warnen. Ich denke hierbei z.B. an die Tatsache, daß unter den Perzipienten kollektiver Fälle sich häufig auch Tiere finden.

Ich finde es unmöglich, in der mir gebotenen Kürze dem Leser durch Beispiele, deren eine ungewöhnliche Fülle zur Verfügung steht, auch nur annähernd ein

[1] Vgl. Gurney II 169-72; das. die Vermutung gelegentlicher Latenz bei dem eigentlichen 'Adressaten' der telep. Beeindruckung! (Gurneys Begriff der 'Quasi-Kollektivität'!) Vgl. hierzu die Fälle I 214. 524; II 61. 216. 255f.
[2] Myers, bei Gurney II 279ff.
[3] Pr X 323.
[4] Das. 317f. Vgl. auch Gurney II 180; Pr III 89.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 533)

Gefühl der schlechthinnigen Gewißheit zu vermitteln, womit ich diese Tatsache behaupte. Ich darf sagen, daß in jedem einzelnen Falle, dessen ich mich entsinnen kann, in welchem die Anwesenheit eines Tieres berichtet wird in einer Stellung, welche die Wahrnehmung des Phantoms gestattet hätte, dieses Tier durch sein Verhalten auch unzweideutig sein Mitwahrnehmen bezeugt habe.

Der naheliegende Einwand, daß erst das Betragen der menschlichen Perzipienten die Tiere zu einem Verhalten veranlasse, das wir fälschlich für eine Äußerung oder Folge ihrer Mitwahrnehmung ansehen, wird durch zwei Überlegungen widerlegt:

Einmal geht die Reaktion der Tiere auf das Phantom in zahlreichen Fällen weit über das Maß der Unruhe oder dergleichen hinaus, das man in ihnen durch Äußerungen des Schreckens oder der Verstörtheit ihrer Herren veranlaßt denken könnte:

Niemand wird vernünftigerweise behaupten, daß die erstaunte Geste, das Zittern, der unwillkürliche Ausruf eines menschlichen Perzipienten ein anwesendes Tier veranlassen könnte, wie wahnsinnig nach einem Ausgang zu suchen oder mit gesträubten Haaren und in Schweiß gebadet sich unter Möbeln zu verkriechen. [1]

Sodann aber widersprechen dem obigen Einwand diejenigen kollektiven Fälle, in denen die Wahrnehmung des Tieres derjenigen der menschlichen Anwesenden augenscheinlich vorausgeht.

Die Verfasser des Zensus-Berichtes, die mehrere Beobachtungen dieser Art anführen, [2] suchen ihnen mit der Erwiderung zu begegnen, daß hier eben das Benehmen des Tieres - etwa eines Hundes, der aus beliebigem Anlaß in bestimmter Richtung blickt und knurrt - den suggestiven Anlaß zur Halluzination seines Herrn gegeben habe.

Indessen wird diese Erwiderung hinfällig, so oft eine anderweitige Veranlassung der 'Halluzination' nachweisbar ist, diese z.B. augenscheinlich auf einen Sterbenden zurückgeht. Und merkwürdigerweise enthält der Zensus-Bericht selbst einen solchen Fall! [3]

Ist also die echte Mitwahrnehmung der Tiere nicht zweifelhaft, so ist es allerdings die Bedeutung dieser Tatsache für unser Problem. Um diese zu bestimmen, müßte über die Fähigkeit der Tiere zur telepathischen Beeinflussung und zur Halluzination Klarheit herrschen.

Von der ersteren bin ich persönlich überzeugt durch Berichte, wonach Tiere den in der Ferne eintretenden Tod ihres Herrn mit gleichzeitigen Äußerungen heftigster Erregung begleiten, und man wird sie vielleicht gelten lassen, da sie ja hier dem Zweifler zu dienen bestimmt sind.

Über die letztere weiß ich nichts zu sagen, glaube aber ihre Möglichkeit nicht apriori leugnen zu dürfen. Und so wird auch der Beitrag, den diese Gruppe von Fällen für unsern Problemzusammenhang liefert, zunächst wohl nur in einer verstärkten Mahnung liegen, den seltsam vieldeutigen Charakter der Tatsachen im Auge zu behalten und unsre Anschauungen vor übereilter Erstarrung zu bewahren.

Aber auch im Bereiche menschlicher Perzipienz ist die Tatsache der

[1] Vgl. z.B. die Fälle bei Gurney II 150; Flammarion 166f.; Dr. Schuppe in PS XXVI 658ff.; PS XXIII 255ff.
[2] Pr X 326ff. (Im folklorist. Sinn vgl. hierzu Odyss. XVI. 115ff.)
[3] Das. 227. ohne kritische Bedenken (auch gegen die Perzipienz des Hundes) unter death-coincidences abgedruckt, in der Erörterung der tierischen Mitperzipienz aber unerwähnt gelassen! - Vgl. auch den Fall bei Calmet I 274 (1. Hand).


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Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 534)

Kollektivität Verwicklungen unterworfen, die unser Urteil in der gleichen Richtung beeinflussen. Die schon erwähnte Ergänzung der Wahrnehmungen mehrerer Perzipienten ist nämlich mitunter von einer besonderen Art, welche Objektivität der Wahrnehmung zu verbürgen scheint.

Die Einzelwahrnehmungen greifen ineinander, stützen einander, wie die Wahrnehmungen eines objektiven Dinges im Raum durch mehrere Subjekte tun müßten. Häufig auch liegen derartige Einzelwahrnehmungen auf verschiedenen Sinnesgebieten; wir können dann - in gelehrter Redeweise - von bi- und trisensualer Kollektivität sprechen.

Diese würde natürlich wieder am bedeutsamsten sein, wenn die Wahrnehmungen völlig gleichzeitig sind, schwächer, wenn sie kurz auf einander folgen. [1] Ich gebe ein Beispiel dieser Art, in welchem freilich telepathische Beeinflussung der zweiten Perzipientin durch die erste nicht ausgeschlossen ist, um so mehr, als ein besonderer Grund zur Erscheinung des Toten gerade an diesem Tage nicht nachgewiesen ist.

Frl. L. A. Lister, zu Besuch bei ihrer vor einigen Wochen Witwe gewordenen Freundin, betrat auf der Suche nach einem Buch den Saal des Hauses. 'Ich sah zu meinem höchsten Erstaunen (den) Gatten am Tische sitzen, sein Ellbogen ruhte auf dem Tische, nahe dem Buch... Ich beschloß es zu holen und schritt darauf zu.

Er schien zu lächeln, als kenne er meine Gedanken.' Nachdem sie das Buch der Freundin gebracht, 'ohne etwas von dem Erlebnis zu sagen', ging sie ins Bad, von wo aus sie nach '20 Minuten' die Freundin 'lachend' die Tür zum Saale öffnen, 'sehr bald' aber die Treppe in großen Sprüngen hinabeilen und 'wie wild' die Glocke im Eßzimmer läuten hörte.

Als sie kurz darauf die völlig Erblaßte, Zitternde fragte, was vorgefallen sei, erhielt sie zur Antwort: Ich habe meinen Mann gesehen, . . . oder wenigstens nicht wirklich gesehen, aber er sprach zweimal zu mir, ich rannte aus dem Zimmer und er folgte und legte seine kalte Hand auf meine Schulter. (Das letzte vielleicht ein Erzeugnis der Einbildung.) [2]

Wir sehen in solchen, natürlich unbefriedigenden Beobachtungen den Keimzustand jener mehr entwickelten Fälle von örtlich verankertem Spuk, in denen eine größere Zahl oft voneinander unabhängiger Perzipienten bald etwas sieht, bald hört, bald sich berührt fühlt.

Es ist ja nicht zuletzt dies örtliche Element des Spukes, was ihm für die Objektivitätsfrage eine gewisse Bedeutung gibt. Von einer telepathischen Einwirkung möchte man eher erwarten, daß sie sich ihre Subjekte nach rein persönlichen Gesichtspunkten unabhängig von ihrer Anwesenheit hier oder dort aussuchen werde.

Eine solche telepathische Beeinflussung könnte im Falle des Spuks nur entweder von dem Verstorbenen ausgehen oder von einem Lebenden, der sowohl den Verstorbenen als auch seinen ehemaligen Wohnort im Sinne hätte und das Bild des Toten auf diejenigen übertrüge, die diesen Wohnort betreten. Aber warum nur auf diese? Warum nur während dieser örtlichen Beziehung zum Toten? Und warum so häufig

[1] Vgl. Pr III 89; X 309 unten.
[2] Pr V 445.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 535)

auf Alle, die solche Beziehung eingehen, wo doch telepathische Empfänglichkeit bei weitem kein Gemeingut Aller ist? Es erscheint natürlicher, die Häufung der Wahrnehmungen vielmehr auf die Örtlichkeit selbst zurückzuführen.

Diese aber ließe sich wohl nur so wirksam denken, daß sie entweder der Anlaß zu rückschauenden Halluzinationen, also zu hellsehenden Erlebnissen würde, geschöpft etwa aus dem allgemeinen Gedächtnis (A) - hieran möchte man besonders bei Spuken denken, die eine bildhaft dramatische Szene mit mehr als einer Person enthalten -, oder daß sie wirklich ein Überbleibsel des Spukenden objektiv-gegenwärtig enthielte.

Die erstere Annahme würde die gleiche weitverbreitete Zugänglichkeit für übernormale Erkenntnisse voraussetzen, wie die telepathische Theorie des Spukes. Nur die Theorie des 'objektiven' Spukes käme um diese Annahme fast völlig herum.

Die Kollektivität von Spukfällen ist nun freilich meist eine zeitlich-verstreute und mehrsinnige: der Typ, zu dem auch der letztangeführte Bericht gehörte. Damit aber fehlt ihm viel von der eindrucksvollen Natürlichkeit, die aus der Gleichzeitigkeit sich ergänzender verschiedensinniger Wahrnehmungen entstände. Doch wird auch diese letztere zuweilen beobachtet.

Eine Angabe solcher Art, aber zweiter Hand, findet sich z.B. innerhalb der ausführlichen und sorgfältigen Berichte über den Spuk im Hause der Familie M.

Hier sahen vier oder mehr Perzipienten während eines langen Zeitraums zu vielen Malen und meist unabhängig von einander zwei verschieden aussehende Gestalten sich durch das Haus bewegen, hörten laute Klopftöne, sahen Türen sich öffnen und zuzeiten Licht, empfanden eine 'Anwesenheit', spürten einen eisigen Hauch in der Nähe der Phantome u. dgl. m. Eines Tages nun fühlte sich ein Besucher des Hauses, M. H. T., am Arm berührt, sah aber nichts.

Einige Zeit darauf fragte er die Tochter des Hauses, ob sie an jenem Tage den Geist gesehen hätte. Sie sagte: Ja, ich sah ihn Sie am Arm berühren. [2]

Ein noch stärkerer Anschein objektiver Gegenwart könnte durch zwei Verwicklungen entstehen, deren die Tatsache gegenseitiger Ergänzung kollektiver Phantombeobachtungen fähig ist.

In diesen beiden Gruppen würden die mehrfachen Wahrnehmungen durchaus so ineinander greifen, wie es einem wirklichen Gegenstand im Raum gegenüber ohne weiteres natürlich wäre, bei Halluzinationen auf Grund telepathischer Gemeinschaft aber nur vermöge eines äußerst sonderbaren Zufalls geschehen könnte.

In der ersten dieser Gruppen würde ein kollektiv gesehenes Phantom seine Ansprüche auf objektive Anwesenheit dadurch steigern, daß es sich mehreren voneinander unabhängigen Perzipienten kurz nacheinander an so verteilten Stellen im Raume zeigte, wie ein wirkliches, im Raume sich fortbewegendes Wesen sie in den gleichen Zeitabständen einnehmen müßte.

Man könnte diesen Tatbestand als sukzessionale Kollektivität

[1] s. z.B. den Fall Pr VIII 178f.; vielleicht auch VI 60f.
[2] Pr X 345.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 536)

bezeichnen. Die Überzeugungskraft einer Kette von Berichten, wie sie hiernach zu fordern wäre, hinge augenscheinlich von vielen Zufälligkeiten namentlich genauester Zeitbestimmung ab, so daß wir sie nur in Glücksfällen erwarten dürfen.

Ich weiß nicht, ob dieser Glücksfall irgendwo in der weitschichtigen Literatur in vollendeter Form gegeben ist. Leidlich nahe an das Ziel bringt uns ein Absatz in dem ausgezeichneten und sehr eingehenden Bericht über den Spuk im Mortonschen Hause.

Es handelt sich dabei um die Wahrnehmungen des 12. Aug. 1884. An diesem Tage, 'etwa 8 Uhr abends', schreibt Miss R. C. Morton, die wissenschaftlich geschulte Hauptberichterstatterin, 'während es noch ganz hell war, sang meine Schwester E. im hintern Saal.

Ich hörte, wie sie unvermittelt innehielt, auf den Hausflur heraustrat und mich rief. Sie sagte, sie hätte die Gestalt, . . . während sie am Klavier saß, dicht hinter sich gesehen.

Ich ging mit ihr in das Zimmer zurück und sah die Gestalt an ihrem gewohnten Platz im Erkerfenster . . . (Nach etwa 10 Minuten) ging sie durchs Zimmer, dann den Gang entlang und verschwand ... durch die zum Garten führende Tür. Meine Schwester M. kam darauf [1?] aus dem Garten herein und sagte, sie hätte die Gestalt draußen gesehen, während sie (Miss M.) die Küchentreppe heraufstieg.

Wir alle drei gingen daraufhin in den Garten hinaus, als Mrs. K. [2] aus einem Fenster des ersten Stockes uns zurief, daß sie (die Gestalt) soeben den Rasen vor dem Hause habe überqueren sehen und längs dem Fahrweg nach dem Obstgarten zu gehen.' [3] -

Die dem Gesamtbericht beigefügten Pläne scheinen sich mit der Auffassung der drei Wahrnehmungsbilder als aufeinanderfolgende Teile einer einheitlichen Gesamtbewegung sehr gut zu vertragen, wennschon Miss Morton, falls sie die Wichtigkeit unserer Frage gekannt hätte, ihnen wahrscheinlich einige weitere Bezeichnungen beigefügt hätte, durch die ihre Verwendung im Zusammenhang mit der obigen Stelle des Berichtes gefördert worden wäre.

Immerhin finden wir, daß ein Zimmer, in welchem die Gestalt gelegentlich 'von Mr. und Mrs. K. gesehen worden war' und das darum wahrscheinlich das Schlafzimmer dieses Ehepaares und das Zimmer war, aus dessen Fenster Mrs. K. die oben erwähnte Wahrnehmung machte, über der 'zum Garten führenden Tür' und gewissermaßen auf dem Wege von dieser dem Fahrweg entlang zum Obstgarten gelegen ist.

Die erwähnte Küchentreppe, die augenscheinlich ins Kellergeschoß führt, befindet sich in dem kleinen Vorbau des Hauses, der auch die Gartentür enthält. Es ist somit wahrscheinlich, daß durch ein Fenster dieses Aufgangs der Raum außerhalb der Gartentür zu überblicken gewesen sei. -

Die zweite Gruppe von Verwicklungen, durch welche die Tatsache der Kollektivität für unser Problem entscheidende Bedeutung gewinnen könnte, beruht auf der Möglichkeit, daß ein Phantom gleichzeitig von mehreren Perzipienten aus solchen Stellungen wahrgenommen werde, daß ihre Wahrnehmungen zwar verschieden sind, sich aber stereoskopisch ergänzen.

Auch von diesem Tatbestand, den ich daher als stereoskopische

[1] then. Wir erfahren leider nicht, eine genau wie große Zeitspanne das Wort bezeichnet.
[2] Die älteste, verheiratete der Schwestern.
[3] Pr VIII 317. Vgl. auch den Pr III 146 von Mrs. Sidgwick besprochenen Fall.


Kap  XLIX. Objektivität von Phantomen.                 (S. 537)

Kollektivität bezeichnen möchte, kann man sagen, daß im Falle telepathisch-halluzinatorischer Phantome nur der sonderbarste Zufall ihn erzeugen könnte, dessen Wahrscheinlichkeit überdies mit der Häufung solcher Fälle sehr schnell abnehmen müßte.

Anderseits sind die Anforderungen an Genauigkeit und Ausdrücklichkeit der Berichte hier wieder besonders hohe, und es läßt sich erwarten, daß die theoretische Ahnungslosigkeit der meisten Perzipienten gerade die Berichte, die hier Wert gewinnen könnten, im Entstehen verdorben haben wird.

Ich kenne denn auch nicht einen Fall in der Literatur, der das Ideal eines solchen Berichtes in einwandfreier Weise verwirklichte. Diejenigen, die ihm am nächsten kommen, versagen an der Stelle, wo eine gesteigerte Ausdrücklichkeit entscheidend gewesen wäre.

Die folgende Beobachtung mag dieses Versagen am entscheidenden logischen Ort verdeutlichen. Nach dem bei Gurney abgedruckten Bericht sieht A, während er eine schwierige Flötenmusik spielt, 'einen Schatten von etwa grauer Farbe neben mir zur Rechten stehen, etwas schräg vor mir.

Ich sah nicht die ganze Gestalt, sondern was ich sah, war ein Teil eines schattenhaften Gesichts, die Umrißlinie der Stirn und Nase, des Mundes, Kinnes und ein Teil des Halses...'

Er äußert aber nichts, bis B, die ihn begleitet, unabhängig äußert, sie habe 'Jemand hereinkommen gefühlt: ich sah Rücken und Schultern der Gestalt eines Mannes, sie ging wie ein Schatten hinter dir vorüber, stand zu deiner Rechten und verschwand dann.' [1]

Eine Angabe hätte den Beschreibungen der beiden Perzipienten zu stereoskopischer Ergänzung verhelfen können: die Angabe der Stellung, in der sie selbst sich zueinander befanden. Aber wir schauen vergeblich nach Aufklärung darüber aus. [2]

Und so wird, wie ich fürchte, auch die 'Erörterung der stereoskopischen und damit der Kollektivität insgemein mit einem Fragezeichen abschließen. Auch würde ich mich nicht wundern, wenn nicht nur sie, sondern die bisherigen Erörterungen dieses Kapitels überhaupt dem Leser einigermaßen quichotisch erschienen wären.

Trotz aussichtsreicher Ansätze liefen sie ja durchweg in die Zugestehung möglicher Wegdeutungen aus und erschienen nirgends stark genug, das überwältigende Vorurteil gegen die Objektivität von Gespenstern zu überwinden. Nun kann man gewiß diese Ansätze verschieden einschätzen.

Einige der wiedergegebenen Beispiele scheinen mir dem gar zu eilfertig totgesagten Problem entschieden neue Lebenskraft zuzuführen. Aber wäre dies auch noch so sehr eine Überschätzung: ich würde die lange Erörterung nicht bedauern, wenn sie nur deutlich gemacht hätte, auf welcherlei Punkte die Beobachtung von Phantomen zu richten wäre, um die Frage im Fluß zu halten.

[1] Passed across behind you, - Gurney II 200f. Nur impliziert, nicht ausgesprochen ist stereoskop. Kollektivität in dem Falle bei Perty, Spir. 307ff.
[2] Die umgekehrte Unterlassung im Fall Nr, 324, Gurney II 205, Vgl. auch den Fall Wilmot o. S. 512f.

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