Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 488)

Indes hier metaphysisch weiterträumen mag, wem dieser Drang im Busen wirkt, liegt es zunächst im Zuge unseres Gedankenganges, wenn wir die Begriffe, zu denen die prophetischen Leistungen angeregt haben, versuchsweise auf die anderen Typen übernormalen Erkennens anwenden, von denen wir ja aus äußern und innern Gründen bereits vermuten, daß sie mit jenen eine Wurzel haben: nämlich auf die herkömmlichen Tatsachengruppierungen der Telepathie und des Hellsehens.

Dieser Versuch ihrer Deutung durch Annahme übergreifender psychischer Zusammenhänge


Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 489)

steht jetzt entschieden unter günstigerem Vorzeichen, als er vor der Anerkennung der Prophetie gestanden hätte: denn es kann sich um die Rettung des herkömmlichen physikalisch-physiologischen Weltbildes nun schon nicht mehr handeln.

Die bloßen Schwierigkeiten, welchen die Anwendung dieses Bildes auf die ersten Gruppen übernormalen Erkennens begegnete, dürfen uns jetzt weit eher veranlassen, diese Anwendung überhaupt fallen zu lassen, um es auch hier mit einer Deutung zu versuchen, die sich auf einem andern Gebiete solchen Erkennens bereits als unvermeidlich erwiesen hat.

Auch in der Anwendung auf die Theorie des Hellsehens nun scheint mir die oben berührte konsequent-parallelistische Form der neuen Grundanschauung besonderen Schwierigkeiten zu begegnen.

Denn auf ihrem Boden läßt sich die Forderung nicht umgehen, daß eigentlich jeder beliebige Teil der Welt durch bloße physische Einwirkung auf unser Hirn von uns unmittelbar müsse wahrgenommen werden können; [1] so daß nicht einzusehen wäre, zu welchem Behuf uns die Sinnesorgane gegeben sind, deren Ausbildung doch eine bedeutende Leistung in der Geschichte des Lebens darstellt.

Es bliebe überhaupt jener radikale Schnitt unerklärt, der zwischen einer Wahrnehmung physikalisch-physiologischer Art und einer übernormalen klafft; indem diese letztere so oft auf einer völligen Abkehr von allem beruht, was die andere fördert: von wachem Aufmerken und der gewollten Einstellung auf das Außen hin.

Jenem Dualismus der Praxis entspricht es weit eher, die übernormale Erkenntnis durch einen Rückzug der aufnehmenden Psyche von den körperlichen Kanälen der Wahrnehmung und ihre Hinwendung nach einer ganz anders gearteten Quelle der Erfahrung zu deuten.

Als diese andere Quelle aber könnte dann eben jener übergreifende seelische Zusammenhang gedacht werden, in welchem sich die objektiven Tatsachen in weit größerem Umfange spiegeln, als im Einzel-Ich. Letzten Endes wäre eben von allem, was in der Welt besteht und geschieht, in einem übergreifenden Bewußtsein ein irgendwie geartetes Wissen vorhanden.

Ferner müßten wir wiederum den Wissensverkehr zwischen dem Einzel-Ich und dem übergreifenden Zusammenhang (A) als einen eindeutig, wenn auch nur funktional bestimmten denken: d. h. das unmittelbare Wissen des A von irgendeinem Teil der Welt oder des Weltgeschehens dürfte zwar andersartig sein, als das Einzel-Ich von eben diesem Teil durch 'Wahrnehmung' erlangen würde; aber beide Arten des Wissens wären einander 'kongruent', so daß ein aus A geschöpftes Wissen des Einzel-Ich von etwas Objektivem dieselben Formen annähme, wie wenn dies Wissen unmittelbar von dem Objektiven herstammte.

Das hier vorausgesetzte unmittelbare Wissen von A um ein Objekt bietet nun freilich Probleme dar, an denen sich Mancher, seinen Denkgewohnheiten

[1] Ich erinnere daran, daß Fechner ja auch (umgekehrt) die beim Denken auftretenden Hirnwellen an der Ausbildung des 'Tatenleibes' mitwirken läßt (Zend-Avesta. 3. Aufl.. II 287).


Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 490)

entsprechend, stoßen wird; aber es sind im wesentlichen die Probleme des Dualismus überhaupt. Löst man nicht alles Objektive in Vorgestelltes auf (und ich persönlich habe diesen Gedanken noch nie verständlich und widerspruchslos durchgeführt gefunden), so fordert der Weg vom transsubjektiven Objekt [1] zur Vorstellung, der für unser heutiges Wissen über das transsubjektive Objekt 'Großhirn' führt, immer einen Sprung, den letzten Endes nichts verdeutlichen kann.

Der Sprung aber von dem vielen Objektiven der Welt zu dem Weltvorstellen in A scheint mir nicht wesentlich anderer Natur zu sein.

Glaubt aber jemand den Gedanken allgemein durchführen zu können, daß letzten Endes alles Sein ein Vorgestelltwerden sei und daß das Sein der Materie und der gesamten materiellen Welt eben mit ihrem Vorgestelltwerden in einem allumfassenden göttlichen Geiste zusammenfalle, so will ich mit ihm hier nicht streiten, da eine gründliche Durchsprechung der erkenntnistheoretischen Probleme meinen verfügbaren Raum um ein vielfaches überschreiten würde und ich Anhänger verschiedener Standpunkte soweit als möglich mit mir führen möchte.

Nur will ich ihn darauf aufmerksam machen, daß ein solcher Gedanke die Durchführung der angedeuteten Theorie des Hellsehens nur erleichtern könnte: die Einordnung individuellen VorsteIlens von Weltbruchstücken als Teils in ein letztlich allumfassendes Vorstellen der Welt dürfte dann das gelegentliche 'unregelmäßige' Hineinfallen einer Teilvorstellung in ein Sonder-Ich ohne besondere Schwierigkeiten verständlich machen.

Aber auch der konsequente (metaphysische) Parallelist könnte die hier versuchte dualistische Deutung des Hellsehens ohne weiteres wenigstens als einseitige Teilwahrheit gelten lassen.

Nach ihm entspräche der physischen Einheit der Welt auch eine psychische, und wie unter gewissen Umständen besondere Fernwirkungen von jedem Punkt nach jedem andern (also auch nach jedem Gehirne) denkbar wären, so könnte dementsprechend auf der psychischen 'Seite' auch ein besonderes übernormales Erfahren im Rahmen und durch Vermittlung des Weltbewußtseins stattfinden.

Es hat mich stets gewundert, daß Fechner die Tatsachen des übernormalen Erkennens nicht weit ausführlicher und gründlicher zur Stützung seiner Metaphysik herangezogen hat, als er tatsächlich tut.

Nun könnte man freilich auch gegen die dualistische Form der Theorie einwenden, daß wenn ein solches 'unmittelbares' Wissen um die objektive Welt in A gesetzt werden dürfe, nichts hindere, es auch in S, dem Einzelsubjekt, als möglich vorauszusetzen. Man würde dazu etwa zwei verschiedene Zustände von S zu unterscheiden haben, in deren einem S so in den

[1] Nach v. Hartmanns Terminologie in seinen erkenntnistheoret. Schriften. - Als Beispiel der Auflösung der Welt in Vorgestelltes empfehle ich J. Wards Gifford-Vorlesungen: Naturalism and Agnosticism, 2. Aufl., 1903. Die Anwendung auf das Problem des Hellsehens mit bezeichnender Flüchtigkeit angedeutet bei Myers I 278.


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Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 491)

Leib und das Hirn versenkt wäre, daß es das Objektive nur auf dem Umweg über Sinnesorgane wahrnähme; in dem anderen dagegen soweit vom Leibe befreit, daß es das Objektive 'unmittelbar' zu erfassen vermöchte, wie dies von A vorausgesetzt wird. Denn was sollte ein vom Leibe befreites unräumliches Ich im Raume begrenzen?

Myers scheint an solche Möglichkeiten zu denken, wenn er das Hellsehen auf ein 'primäres telästhetisches Vermögen in uns' zurückführt, das 'den spezialisierten Sinnesorganen, die es für irdischen Gebrauch ausgebildet hat, vorhergeht und von ihnen unabhängig ist, 'aber'unter gewissen Umständen' seine unmittelbaren Leistungen wieder aufnimmt. [1] -

Ich habe mit dieser Wendung des Gedankens keinen Streit; denn am Ende unterscheidet sie sich nicht einmal so sehr von der anderen. Ein Ich, dem die ganze Welt der Möglichkeit nach offen liegt, ist nachgerade ein allwissendes Ich und der Begriffsbestimmung nach kaum von jenem A zu unterscheiden, an das es nach der anderen Wendung des Gedankens' Anschluß' suchen müßte, um allwissend zu werden.

Bedenken wir, wie dunkel uns die Probleme der Individuation noch sind, wieviel mit dieser die Tatsache des Einzelleibes zu tun hat, wie problematisch aber außerhalb desselben die Dauerhaftigkeit und .Einheit des Einzel-Ich sind, sowie die Grenzen und Beziehungen von Ich zu Ich und von Ich zu Über-Ich - so fühlen wir uns gewarnt, zwischen der Aufstellung vieler allwissender Einzel-Iche und derjenigen eines Rückgriffs leiblich-individualisierter Einzel-Iche auf ein allwissendes Ich einen endgültigen Unterschied zu machen. [2]

In manche Einzelheiten der beobachteten Tatsachen hinein nun wird sich die Fruchtbarkeit des theoretischen Grundgedankens verfolgen lassen. Zwei Beispiele hierfür seien angeführt.

Das erste bieten uns jene früher dargelegten Eigentümlichkeiten der hellseherischen Vorstellung, nach denen sie so häufig nicht als eine wirkliche Abbildung des erfahrenen Gegenständlichen, sondern als eine subjektiv gestaltete und gefärbte, wiewohl im Kerne wahre Darstellung davon erscheint.

Mit andern Worten: das Hellgesicht ist ein psychologisches Erzeugnis von verwickelter Vorgeschichte. Nun könnte es gewiß genügend erscheinen, diese Vorgeschichte in die seelische Tiefe des' Individuums' zu verlegen; dort wäre dann die eigentliche und ursprüngliche Form der Fernerfahrung zu suchen, die sich in der bewußtwerdenden .subjektiv verkleidete.

Indessen habe ich ja eben darauf aufmerksam gemacht, daß die Annahme eines solchen (potentiell) allwissenden 'transszendentalen Subjektes' von der hier vertretenen Grundanschauung eigentlich kaum noch zu unterscheiden ist.

Jedenfalls aber verlegt sich die Vorgeschichte des Hellgesichtes - so widerstrebend sie einer physikalisch-physiologischen Deutung des Vorgangs gegenüberstände - ganz ungezwungen in einen übergreifenden psychischen Zusammenhang, der alles in Betracht kommende weiß und mit allen beteiligten

[1] Myers I 191 f.
[2] Ich komme auf diese Fragen noch zurück. Vgl. auch o. S. 474. Ganz unglücklich verworren, durch die Tatsachen und sogar durch das angeführte Beispiel aus Davis' Zauberstab (Lpz. 1874 249ff.) widerlegt erscheint mir Zöllners Deutung des Hellsehens durch Erhebung der Seele in die 4. Dimension. (Zöllner III 96. 240 ff.)


Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 492)

Subjekten die Beziehung des Ganzen zum Teil, des Stammes zum Zweige, des Über- zum Eingeordneten unterhält. Selbst der Nahhellseher wendet sich ja mit seinem Suchen nicht an den Gegenstand: der Zettelleser zB. - erfuhren wir - blickt ins Leere, während er die verborgene Schrift etwa in geschlossener Faust hält. Was er sucht, ins Bewußtsein zu heben versucht, ist eine Vorstellung, die Vorstellung eines Subjektes, das sich keiner Augen bedient.

Ein zweites Beispiel bietet uns die Beteiligung willkürlich gerichteter Aufmerksamkeit bei hellseherischen Leistungen (vornehmlich experimenteller Art), die so häufig bemerkt worden ist.

Wir besitzen sorgfältige Selbstbeobachtungen von Subjekten, die sich durch angestrengtes 'Denken an' das in der Ferne zu Sehende in einen sinnenentrückten Zustand bringen, worin die Personen und Gegenstände des zu schauenden Ortes allmählich vor ihrem inneren Auge auftauchen. [1]

Die 'reisende' Hellseherin wird umhergeschickt, erhält bestimmte Aufträge, sucht, und findet oft nur nach einer Weile und mit Mühe. 'I have to think', so bezeichnet es eine, [2] 'ich muß daran denken, muß nachdenken', und bekennt sich zu einiger Anstrengung dabei. [3] Der Auftrag des Versuchsleiters veranlaßt die Seherin, auf die gesuchten Gegenstände ihre Aufmerksamkeit zu richten.

'Ohne dies', sagt eine Somnambule, 'bin ich wie inmitten eines unbegrenzten Horizontes, wo nichts meinen Blick aufhält.' [4] Selbst die endlich erlangte hellsichtige Vorstellung scheint mitunter leicht wieder zu versinken, wie etwas, was dem Geiste des Sehers nicht eigentlich zugehört. [5]

Um dies alles im Rahmen unserer Grundanschauung natürlich zu finden, brauchen wir nur eine solche Einbettung des Individuums in A vorauszusetzen, daß der Wille des Sehers, etwas Bestimmtes zu sehen, das entsprechende Wissen in A gewissermaßen aufruft und ihm, dem Seher, im sinnlichen Bilde bewußt werden läßt; gerade wie die Bemühung des Individuums, sich auf eine seiner eigenen Vorstellungen zu besinnen oder eine unbestimmte Vorstellung zu sinnlicher Deutlichkeit zu erheben, im Bereiche des Unbewußten eine Bewegung in Gang bringt, die zuletzt das Gewünschte zutage fördert.

Das übermenschliche A erschiene demnach in gewissem Betracht als Fortsetzung des 'individuellen' Unbewußten.

Auch in spontanen Fällen, wie sie uns meist unter der Kennmarke der Telepathie vorgesetzt werden, sind übrigens mitunter dem Gesichte vorausgehende Anzeichen einer Hinwendung interessierter Gedanken auf den angeblichen Agenten, in Wahrheit auf den Geschauten hin zu bemerken.

Wenn Mr. Norway im Traum den gewaltsamen Tod seines Bruders sieht, an den er vor dem Schlafengehen geschrieben hat, so ist das freilich zweideutig. Aber wenn ein jüdischer Holzgroßhändler Herzen auf einer Wagenfahrt von Cherson

[1] S. zB. Gurney II 673f. A. H. W. Cleaves Bericht; CI. wurde am Ort seines Hellsehens gleichzeitig gesehen. Vgl. etwa das. 590.
[2] Pr VII 64.
[3] Auch Jane (s. o. S. 392 ff.) nannte dies - 'Denken'. Ein Beispiel ihres 'Suchens' Pr. VII 91. Entsprechendes bei 'transponiertem' Sehen: Werner 322; bei Autoskopie: ATM II, I 86; bei Vorschau: PS XXVIII 323.
[4] Dr. Lausanne, ref. in ATM III, I 120f.
[5] S. Mrs. E. bei Myers I 556 (nach Fahnestock).


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Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 493)

nach Odessa am 15. Sept. 1902, dem Todestage Zolas, den ihm völlig unbekannten Dichter plötzlich bleich vor sich auf dem Fußboden liegen sieht, während eine Knochenhand ihm den Mund zudrückt, [1] so möchte man in dem Umstande, daß Herzen in der Zeit vor dem Erlebnis Zolasche Romane gelesen,

am Tage zuvor gerade einen beendet und im Augenblick des Gesichtes noch ganz unter dem Eindruck des Buches gestanden hatte, einen Wink für eine Deutung des Vorfalls erblicken, die dem Sehenden selbst die tätige Herstellung einer übersinnlichen Annäherung an den Geschauten zuschöbe, welche jenem im kritischen Augenblick die .schauende Teilnahme sicherte.

Nicht im mindesten widerspricht diesen Beobachtungen die Tatsache, daß der Seher so oft, um zu sehen, sein Ich 'relaxiert', sich 'passiv' macht, eine 'Leere vor sich' schafft. [2] Denn dies ist ja die Methodik der Entbindung des Unterbewußten überhaupt; willkürliche Aufmerksamkeit aber geht dieser Entspannung voraus und sucht dann ihren Weg innerhalb des neuerschlossenen Gebietes; wie eine vor dem Einschlafen oder der Hypnotisierung aufgenommene Suggestion sich etwa im Schlafzustande verwirklicht. [3]

Ist eine solche psychische Zielsetzung aber in keiner Form zu beobachten, so besteht noch immer eine treffende Analogie des Hellgeschauten mit (angeblich) 'freisteigenden' Vorstellungen - aus dem Besitz des Unterbewußten im normalen Falle, aus dem des Unterbewußten der Welt (A) im übernormalen, wobei eine geheime Zielstrebigkeit heute nur noch von Wenigen bestritten werden dürfte. -

Leichter noch als die Tatsachen sog. Hellsehens fügen sich die der sog. Telepathie in den Rahmen unsrer Grundanschauung; denn hier haben wir es von vornherein wenn nicht durchweg mit bewußten, so doch mit psychischen Tatsachen an bei den Enden des Vorgangs zu tun.

Setzen wir voraus, daß beide Teilnehmer einer telepathischen Übermittlung - S1 und S2 - in der übergreifenden Instanz A 'verwurzelt' sind; daß ihr Vorstellen zugleich ein Vorstellen in A oder doch in dem quasi-psychischen Leben von A 'vertreten' ist; daß Si und S2 einander in A ganz anders 'nahe' sind, als in der harten Welt der leiblichen Individualisierung, -

so gewinnt der Vorgang ihres Vorstellungsverkehrs eine lebendige Analogie mit psychischen Vorgängen innerhalb eines sog. Individuums auf Grund der Vermutung, daß die Gesetze dieses Vorgangs in dem überindividuellen psychischen Wurzelboden teilweise denen von Vorgängen im Individuum gleichen.

Die besondere Verknüpftheit zwischen Agent und Perzipient, die durch das Gelingen eines telepathischen Vorgangs angedeutet erscheint, ließe sich einigermaßen der besonderen Verknüpftheit vergleichen, die zwischen

[1] Aus dem Hannoverschen Courier in ÜW X 474f. Herzen und sein Begleiter wollen nach der Ankunft in Odessa vergeblich die Zeitungen durchsucht und erst am folgenden Tage das Telegramm über den Tod Zolas gelesen haben, der durch Erstickung (Ofengas) bewirkt wurde.
[2] 'Ein Vakuum', wie Mme Blavatsky in der Beschreibung ihres angebl. Hellsehens es nennt: Occultistin 152f.
[3] Durch Suggestion erzwungener hellsicht. Traum: zB. bei du PreI, Stud. II 98f. (auch ÜW X 299f.); willkürl. Hellsehen im Schlaf: zB. ATM IV, I 162.


Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 494)

gewissen Vorstellungsgruppen eines Individuums besteht. Und wie eine solche zB. durch zeitliche oder inhaltliche Nachbarschaft begründet wird, so wird ja auch die telepathische Verwandtschaft zwischen zwei Personen schon vom populären Urteil (und vielleicht nicht mit Unrecht) auf persönliche Sympathie, auf längeres Zusammenleben, auf gegenseitige Einstellung u. dgl. m. zurückgeführt.

Anderseits scheint unsre Grundanschauung weit eher, als eine physiologisch-physikalische Theorie, der Tatsache gewachsen zu sein, daß auch der telepathische Vorgang so häufig in Zustände des angeblichen Agenten fällt, die mit einer Erschlaffung des persönlichen Wachbewußtseins auch eine solche des nervösen Zentralorganes verbinden, [1] die also der Voraussetzung nach das Subjekt von der individualisierenden Leiblichkeit ab und jenem übergreifenden psychischen Zusammenhange zugewendet zeigt, worin es die Bedingungen räumlich-materieller Vermittlung überspringt und den anderen Subjekten 'nahe' ist, wie eine Vorstellung der andern. -

Und wiederum widerspricht dabei nach eben entwickelten Grundsätzen die Tatsache solcher Telepathie bei relaxiertem Wachbewußtsein in keiner Weise der ebenso gewöhnlichen Beobachtung, daß der experimentelle Wille [2] oder - in spontanen Fällen - ein Hindenken an den Perzipienten in Sorge oder Sehnsucht [3] das Zustandekommen telepathischen Verkehrs unverkennbar begünstigt.

Je einfacher aber die Unterordnung gerade des telepathischen Vorgangs unter die allgemeinen Begriffe der Theorie sich darstellt, desto eher dürfen wir uns durch die dargelegten Schwierigkeiten seiner physikalisch-physiologischen Deutung schrecken lassen, und jener andern schon darum den Vorzug einräumen, weil damit alle Gruppen übernormalen Erkennens auf jene eine Grundformel zurückgeführt wären,

die sich uns zunächst gegenüber den Tatsachen der Vorschau aufdrängte. lnsonderheit gestattet unsre Anschauung schließlich auch, den Vorgang des Gedankenlesens auf große Entfernungen, des Lesens im Unbewußten soz. Ahnungsloser, in jener nachbarlichen Mitte zwischen Telepathie und Hellsehen zu belassen, wohin es ja schon der wissenschaftliche Takt verwiesen hat, indem er es bald als aktive Telepathie, bald als telepathisches Hellsehen bezeichnete..

Einer physikalischen Theorie muß diese Art angeblicher Telepathie die größten Schwierigkeiten verursachen; [4] nicht aber der hier vertretenen Anschauung; denn da auch die unbewußten Vorstellungen von S2 (dem 'ahnungslos Angezapften') in A vertreten sind, so mag die suchende, fragende Erregung in S1 (dem Gedankenleser) sehr wohl einen Vorgang der Reproduktion in A in Gang bringen, dessen Frucht auch S1 zugute käme,

[1] Vgl. üb. typische Hirnanämie bei telep. Agenten zB. Gurney I 384ff. u. Myers I 422 Anm.
[2] Ausführl. Selbstbeobachtungen gelungener Versuche des Erscheinens in der Ferne s. Podmore, App. 228-30; Gurney I 104ff.
[3] S. zB. Gurney I 228 (Nr. 36); 543 (201); 559 (211); II 67; Pr III 93-5; X 306ff. und viele andere.
[4] Vgl. o. S. 382-6.


Kap XLV. Theorie des 'Hellsehens' und der 'Telepathie'.             (S. 495)

einigermaßen ähnlich wiederum dem Vorstellungssuchen innerhalb des Einzelsubjektes, das in einem bestimmten Augenblick die bewußten Inhalte eines anderen vergangenen Augenblicks wieder zur Oberfläche fördert.

Will schließlich jemand die Vorgänge des Nahhellsehens und der Telepathie auf geringste Entfernungen in der Weise von den gleichen Leistungen auf größere Entfernungen theoretisch absondern, wie es früher als immerhin denkbar bezeichnet wurde, so soll ihm dies unbenommen sein.

An sich erscheint es freilich nicht unnatürlich zu denken, daß räumliche Nähe selbst einer der Umstände ist, die im Bereiche von A quasi-assoziative Nähe bedingen, selbst wenn wir natürlich A die Räumlichkeit im eigentlichen Sinne absprechen und ihm nur irgendwelche vertretende Spiegelung der räumlichen wie aller übrigen objektiven Verhältnisse zuschreiben.

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