Der Jenseitige Mensch
Emil Mattiesen

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Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 452)

Was die Glaubhaftmachung der Fälle an sich betrifft, so befinden sich, wie ja schon die letzte Gruppe erkennen ließ, manche der bestverbürgten


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 453)

Beobachtungen überhaupt unter ihnen. Anderseits steht ihre Binnenanalyse, nachdem die bisherigen 'natürlichen' Wegdeutungen nicht mehr verfangen, unter dem Gesichtspunkt eines andern, des tiefstgreifenden Einwandes, der gegen die Prophetie in ihrer Gesamtheit überhaupt sich erheben läßt: der beliebten Zurückführung ihres Eintreffens auf 'Zufall'.

Ich durfte mich im Bisherigen mit gelegentlichen Erwähnungen dieses Einwandes begnügen, weil ich ja von Gruppe zu Gruppe andere, vielleicht noch natürlichere Alternativerklärungen anbot. Es wird nunmehr zur Pflicht, über seine Tragweite Klarheit zu gewinnen und ihn bei allem ferner Anzuführenden fortlaufend zu erwägen.

Das statistische Argument des Zweiflers - wie man es nennen könnte - geht von der Annahme aus, daß die Zahl der überhaupt erlebten 'Vorahnungen' so groß sei, daß durch bloßen Zufall aus dieser Fülle der Möglichkeiten eine gewisse Anzahl voh Treffern erstehen müsse;

der Schein, daß diese zufälligen Treffer echte Voraussagungen gewesen seien, ergebe sich dann dadurch, daß die Erinnerung sie heraushebe und betone, während die überwiegende Masse der übrigen Fehlansagen vergessen werde. -

Dieses Argument kann sich unleugbar auf die Tatsache berufen, daß Erlebnisse, die mit dem stärksten Anspruch auftraten, als Vorahnungen zu gelten, sich tatsächlich als Fehlschläge, also vermutlich als bloße Einbildungen erwiesen haben, [1] wenn auch bedauerlicherweise die Zahl dieser 'negativen Instanzen' sich niemals feststellen läßt, weil sie - wie ja gerade das Argument des Zweiflers voraussetzt - fast immer vergessen werden.

Denn daß die Zahl der berichteten Fehlschläge gegen die Zahl der eingetroffenen Prophezeiungen geradezu verschwindet, wird niemand bestreiten, der die Quellen kennt. Ist nun aber auch eben darum die Statistik, auf die der Zweifler sich stützen will, mit mehr oder weniger Sicherheit dazu verurteilt, eine unerfüllte Forderung zu bleiben, so müssen seinem Argumente doch alle logisch irgend zulässigen Zugeständnisse gemacht werden, ehe man ihm etwa den Rücken kehrt.

Niemand kann leugnen, daß die zufällige Erfüllung angeblicher Prophezeiungen wenigstens in gewissen Grenzen wahrscheinlich ist. Es lassen sich sogar gewisse natürliche Gruppen von Ereignissen aufstellen, denen gegenüber so reichlicher Anreiz zu Voraussagungen gegeben ist, daß man selbst ein häufiges zufälliges Eintreffen solcher Ansagen wohl erwarten sollte, - Gruppen also, die besonders gebieterisch die Durchführung einer Statistik fordern, ehe man ihnen Material zur Verteidigung der Wirklichkeit von Prophetie entnehmen dürfte.

So finden wir z.B. Berichte, die starken Eindruck hinterlassen, über Ansagen des eigenen Todes bei Beginn oder im Verlauf eines Krieges, am Vorabend einer Schlacht oder vor Antritt einer Seereise - Ansagen, die zuweilen mit einer Gewißheit auftreten, gegen die keine

[1] s. z.B. Seiling in PS XXV 211ff.; das. 38. 477.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 454)

Beschwichtigung aufkommen kann, die sich oft durch längere Zeit wiederholen, die zu sofortigen letztwilligen Verfügungen antreiben und die in allen mir bekannten Fällen, oft auf den Tag genau, eingetroffen sind. [1]

Anderseits sind leider der Tod in Kriegszeiten oder der Untergang auf hoher See so gewöhnliche Vorfälle und geben darum zu vorherigen Ahnungen, selbst zu Zwangsvorstellungen der Befürchtung so reichlichen Anlaß, daß man die Aufstellung einer Statistik durchaus als Vorbedingung einer auch nur vorläufigen Einschätzung solcher Treffer empfindet.

Gleichwohl genügen sehr einfache Überlegungen, uns eine Schwäche des statistischen Argumentes zu offenbaren, die von jeher empfunden und in verschiedenen Fassungen auch ausgesprochen worden ist und die wieder einmal beweist, wieviel leichter die allgemeine und abstrakte Geltendmachung von Zweifelsgründen, als ihre Verteidigung dem wirklichen Einzelfall gegenüber ist.

Das statistische Argument zieht nämlich immer nur zwei einfache Gegebenheiten in Betracht, deren einfaches Übereinstimmen oder Nichtübereinstimmen es zum Gegenstande seiner Zählungen macht. Aber sowohl die Vorschau als auch das Ereignis sind nur in seltenen Fällen einfacher Natur. Je reichhaltiger und verwickelter die eine wie das andere aber wird, desto unwahrscheinlicher wird offenbar ihre Übereinstimmung aus bloßem Zufall.

Daß ein Ereignis, dessen Erwartung einem 'in den Sinn kommt', wirklich eintrete, mag eine gewisse berechenbare Wahrscheinlichkeit für sich haben, die um so größer sein wird, je alltäglicher oder unter den Umständen natürlicher das Ereignis an sich ist. Daß diese Erwartung aber einen bestimmten Reichtum an Einzelheiten enthalte, daß dann alle diese Einzelheiten ihre Erfüllung finden und daß sie dem Vorahnenden in einer ganz bestimmten eindrucksstarken Weise kommen, dies ist augenscheinlich eine ganz andere Sache.

Es wäre billig, hier einige prunkende mathematische Formeln einzuführen, um zu beweisen, daß schon eine verhältnismäßig geringe Verwickelung der Vorschau die zahlenmäßige Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung durch Zufall = 0, ihre Unwahrscheinlichkeit = ∞ mache.

Persönlich bin ich überzeugt, daß der bloße gesunde Menschenverstand eines solchen mathematischen Beweises entraten kann und daß die Anschauung einer Anzahl konkreter Fälle stärkere Überzeugung bewirken dürfte, als das feinstgesponnene abstrakte Argument.

Ich glaube auch, daß einige der oben wiedergegebenen Fälle von dieser Art sind, die den Vorurteilsfreien auf abstrakte Erwägungen verzichten läßt, insbesondere soweit diese Überzeugungskraft des Einzelfalls auf Reichtum an 'wahren' Einzelheiten und Genauigkeit der Datierung beruhen soll.

[1] Soldatenproph. z.B. PS VIl 402ff.; M. Kemmerich, Profezeiungen... (München [1911]) 54f., 116ff.; Kreyher I 165f.; Splittgerber, Schlaf, 2. Aufl. I 253f.; II 101f.; C. Schurz, Lebenserinnerungen (Berlin 1907) 357ff. Einige histor. Beispiele bei H. Lauvergne, Die letzten Stunden... (deutsch Lpz, 1843) II 48ff. Seereisen: PS XXV 556ff.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 455)

Man mache sich aber ferner klar (was ich an dritter Stelle anführte), wie sehr sich Vorschau-Erlebnisse ihrer Form und Intensität nach fast immer von bloßen Erwartungen, Befürchtungen und banalen Voraussagungen unterscheiden, in welchem Maße sie dementsprechend im Leben vieler Perzipienten einzigartige oder auch einzige Erfahrungen von unvergeßlicher Eindruckskraft sind.

Tritt die Prophezeiung in der Form eines Automatismus, etwa einer Halluzination auf, so ist das ohne weiteres einleuchtend, sofern es sich nicht ausnahmsweise um gewohnheitsmäßige Automatisten oder Medien handelt.

Aber auch prophetische Träume, die eben als solche bei weitem am stärksten der Bezweiflung ausgesetzt sind, weil sie am leichtesten der nachträglichen Erinnerungsentstellung unterliegen - auch prophetische Träume haben fast immer eine Lebhaftigkeit, Gefühlsstärke und subjektiv überwältigende 'Bedeutsamkeit' an sich, die ihnen unter anderen Träumen derselben Person eine Ausnahmestellung zuweist. [1]

Ich greife, um dies zu erhärten, eine beliebige Reihe unter den von Myers im XI. Bande der Verhandlungen der Ges. f. psych. Forschung angeführten heraus: Eine Perzipientin gibt an, sie träume ziemlich häufig, aber wenige ihrer Träume hätten einen so starken Eindruck auf sie gemacht, als die beiden prophetischen, die sie mitteilt.

Andere werden jäh aufgeschreckt oder erregt bis zum Krankwerden, in noch anderen Fällen äußert sich die 'außerordentlich lebhafte' Natur des Traumes darin, daß der Träumer sich fast gezwungen fühlt, ihn bald nach dem Erwachen zu erzählen oder aufzuschreiben oder gar - im Falle von Eheleuten oder anderen Schlafgenossen - alsbald jemand zu wecken, um den Traum zu berichten; prophetische Träume verfolgen den Träumer tagelang, sie stechen dadurch ab, daß sie - und keine andern desselben Träumers je - zu Handlungen im Zusammenhang mit ihrem Inhalt antreiben. [2]

Alles in allem: sie machen offenbar einen ganz ungewöhnlichen Eindruck. Diese Eigentümlichkeit der prophetischen Träume unterschätzen offenbar diejenigen abstrakten Kritiker bedeutend, welche deren angebliche Erfüllung dadurch zu erklären suchen, daß irgendein bedeutendes Ereignis in die fließende, neblige Masse der jüngsten und jüngeren Traumerinnerungen hineingelesen werde. -

Wenn ich nun, entsprechend dem Ergebnis dieser allgemeinen Bemerkungen, mich wiederum konkreten Beobachtungen über Vorauswissen zufälliger Ereignisse zuwende, so ordne ich auch ferner das Material in Gruppen ein, selbst auf die Gefahr hin, daß vom Standpunkt irgendwelcher Theorie der Vorahnungen diese Gruppierung eine willkürliche und dem Kern der Sache äußerliche sei.

Eine erste natürliche Gruppe mögen die Fälle bilden, in denen, meist

[1] Worin ihnen freilich, wie zu erwarten, die 'telepathischen' oder einfach-hellseherischen 'Träume' gleichen. S. z.B. Gurney l 384; II 43; II 409; PrAm I 397ff.; ÜW VII 29; PS XXXIII 54 u. o.
[2] Pr XI 487. 488; 497. 501. 506. 515. 520. 527. - (Sofortiger Bericht:) Pr XI 488. 491. 493. (495.) 513 (einziges Mal, daß je ein Traum erzählt wurde). 517. 519. 522. 532. 533; 492. - Das. 542; 498. 507. (509). - Bei dieser Stichprobe von 50 Druckseiten wurde kein einziger Traumfall ausgelassen, der Angaben der fraglichen Art nicht enthalten hätte.


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Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 456)

in der Sprache des prophetischen Traumes, gewinnende Nummern einer Lotterie oder solche Nummern bekanntgegeben werden, die ein Rekrut in der Losziehung bei einer Aushebung erhalten wird.

Dies könnte eine jener Gruppen scheinen, in denen die Überzeugungskraft von Treffern durch das Gegebensein eines natürlichen Anreizes zu Vorahnungen verringert wird: doch unterscheidet sie sich von den früher angeführten Gruppen dieser Art durch die meist sehr viel größere Zahl der gegebenen Möglichkeiten, gegen die sich der glückliche Zufallstreffer durchzusetzen hätte.

Dies hat selbst die verbissene Zweifelsucht eines Podmore anerkennen müssen, und einigen Beispielen der zweitgenannten Gattung gegenüber zugegeben, daß sie zu weiterer Forschung in der gleichen Richtung nötigten, weil ihre Erklärbarkeit durch Zufall 'nicht leicht zu glauben' sei. [1]

Schon die ältere Literatur hat vielfach Fälle dieser Gattung aufbewahrt, deren Bezeugung freilich den heutigen Anforderungen nicht genügen kann. So berichtet das Journal de l'âme [2], daß einer von drei Ausgehobenen des Jahrgangs 1825 in St. Genis-Laval ganz zutreffend die drei Nummern träumte, die diese drei beim Losen ziehen würden, nämlich die Zahlen 14, 35 und 115, welch letztere seine Nummer sein und ihn allein vom Dienst befreien würde.

'Da er beim Ziehen die Prophezeiung noch wiederholte, so erregte dies die steigende Aufmerksamkeit der Anwesenden, man sprach von Betrug und durchsuchte ihn in einem Nebenzimmer, ohne etwas bei  ihm finden zu können.' Es ist offenbar der letztere Nebenumstand, der diesem Bericht auch in der vorliegenden Gestalt einiges Vertrauen sichert.

Von einem 'armen Mädchen' in München berichtet die Leipziger Allg. Ztg. vom Jahre 1839, [3] daß es im Traume fünf Lotterienummern 'im goldenen Schein' erblickte, sich ihrer am Morgen erinnerte, ihre kleine Barschaft auf sie setzte und 18.000 fl. gewann.

Und von der Schauspielerin Hartmann wird erzählt, daß nachdem sie durch den Tod des Dichters Collin den für sie empfindlichen Verlust von 120 fl. erlitten  hatte, die sie ihm ohne schriftliche Schuldverschreibung geliehen, Collin ihr im Traume erschienen sei und ihr anbefohlen habe, 'sogleich in der Lotterie auf Nummer 11, den ersten Ruf, 2 fl., nicht mehr und nicht weniger' zu setzen und es niemand zu sagen. Sie habe, indem sie den Auftrag ausführte, 130 fl. gewonnen. [4]

Ich führe die beiden letzten Fälle gerade als Beispiele von Voransagen im Traume mit besonderer Genugtuung an.

In der Wegdeutung auch von Prophezeiungen spielt, wie erwähnt, der Gedanke der nachträglich fälschenden Bildsamkeit der Traumerinnerung eine so große Rolle, daß es gut ist, einmal auf eine natürliche Gruppe prophetischer Träume hinzuweisen, in welcher ihre Bewährung als Wahrträume eben von der Genauigkeit ihres Erinnertwerdens abhängt, indem diese Erinnerung allein den Träumer instandsetzt, dem Traume gemäß erfolgreich zu handeln.

Deutet hier die genaue Erinnerung immerhin auch auf eine leidlich lebhafte Natur des Traumes hin, so spricht sich in andern Fällen die

[1] Podmore, Natur. 347f. [2] Febr. 1857254. [3] Nr. 243. [4] BP XII 106. Die drei letzten Fälle auch bei Perty, M. E. II 389f.


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ausdrückliche prophetische Absicht (wenn ich so sagen soll) des Erlebnisses noch besonders aus, sei es in seiner außergewöhnlichen halluzinatorischen Stärke, sei es in seiner beharrlichen Wiederholung, und hebt es damit erkennbar aus der Masse derjenigen nichtssagenden Vorahnungen oder richtiger:

Vermutungen und Einbildungen heraus, die [1] vor Lotterien, Pferderennen und insbesondere Rekrutenaushebungen in solcher Masse zu erwarten sein sollen, daß Zufallstreffer nicht ausbleiben könnten. Beide Merkmale treffen zusammen in dem einzigen ausführlich wiedergegebenen der von Prof. Hulin gesammelten Rekrutierungsfälle.

Bei dem betreffenden Perzipienten, Charles-Louis Casset, trat die Voransage seiner Losnummer zuerst etwa zwei Monate vor der Aushebung auf folgende merkwürdige Weise ein.

Eines Nachts, gleich nachdem er zu Bett gegangen (und offenbar in wachem Zustande), sah er in einer Ecke seines Zimmers eine undeutliche und große Gestalt (forme) sich bilden, an der er mit Deutlichkeit nur die Zahl 90 in 'etwa handhohen Ziffern' unterschied.

'Er erhob sich, schloß und öffnete die Augen, um sich zu überzeugen, daß er nicht träume', aber die Erscheinung blieb, bis er über erschreckten Gebeten einschlief. 'Vom ersten Augenblick an war es ihm gewiß, daß diese Nummer 90 diejenige sei, die er ziehen werde, und daß es eine gute Nummer sei.'

Er hatte sich vorher um seine Aushebung beträchtlich gebangt, da seine Arbeit zu Hause nicht entbehrt werden konnte, war aber von jetzt ab völlig beruhigt und teilte allen, denen seine Ruhe auffiel, mit, daß er die Nummer 90 ziehen werde. Das Gesicht wiederholte sich mehrfach, selbst am Tage während der Arbeit, und noch in der Aushebestube, bevor er den Arm in die Lostrommel steckte.

Dem Vorsitzenden der Kommission sagte er, es sei unnütz, daß er ein Los ziehe, 90 sei seine Nummer. Er wurde angewiesen, 'keine Witze zu machen', sondern einen Zettel zu wählen. Indem er diesen dem Vorsitzenden (geschlossen) hinreichte, wiederholte er, daß es die Nummer 90 sei.

'Diesen Bericht', sagt Prof. Hulin, 'erstattete er mir mit allen Anzeichen der Aufrichtigkeit und peinlichsten Genauigkeit. . . mit leiser Stimme und unter sichtbarer Erregung.' Casset versicherte überdies, außer den beschriebenen Gesichten nie im Leben eins gehabt zu haben. [2]

Als eine weitere Gruppe solcher Vorahnungen, bei denen allenfalls noch von einer verbreiteten natürlichen Neigung zu ihnen gesprochen werden kann (wenn auch nicht von so besonderen und zeitlich bestimmten Anreizen, wie z.B. bei Lotterieträumen), lassen sich die Vorahnungen von Feuerschäden ansehen.

Gelegentliche Brände unterhalten ganz natürlich bei Vielen die Furcht vor ähnlichem Unglück, und zumal in Träumen ist Feuer überdies wahrscheinlich ein stehendes Symbol für allerhand andere Dinge.

Endlich darf nicht vergessen werden, daß Brandschäden häufig willkürlich erzeugt werden, ihre 'Vorahnung' also derselben gelegentlichen Wegdeutung durch Telepathie unterliegt, wie die anderer Verbrechen auch. Die mögliche Vermutung eines solchen Ursprungs ist die einzige Schwäche, die einem im übrigen ausgezeichnet verbürgten Falle

[1] wie Podmore unwiderleglich bemerkt (Natur. 347).
[2] JSPR Okt. 1894; auch Pr XI 546. 


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 458)

dieser Art anhaftet, den du Prel mit allen bestätigenden Zeugenaussagen ausführlich veröffentlicht hat.

Hier träumte eine dem Sammler persönlich bekannte Dame Anfang August 1886, daß sie 'vor einem gewaltigen Brande stehe'. Nach dem Erwachen erst - wie ihr schien - kam ihr die Befürchtung, daß ihre Wertpapiere, die der Brauereibesitzer B. in der Nachbarschaft in einem feuersicheren Schrank verwahrte, gefährdet seien, worüber sie eine zunehmende Angst empfand.

Sie teilte ihrer Umgebung den Traum mit, der sich nach drei Tagen wiederholte, aber erst nach zehn Tagen und auf ihr unablässiges Drängen hin nahm ihr Mann die Papiere an sich, worauf sie Ruhe fand.

Am 14. September, während sie in Tirol weilte, träumte sie, daß sie Zeugin eines großen Brandes sei, mit dem Gefühl der Befriedigung im Gedanken an ihre Papiere, und hörte zwei Tage später von der Zerstörung jener Brauerei durch Feuer, wobei die Papiere des Besitzers in dem angeblich feuerfesten Schranke verkohlt waren. [1]

In einem andern Falle, einer Prophezeiung des Brandes der Stadt Ahaus (1863) durch den westfälischen Spökenkieker Wildenhaus, ist die Frage der Brandstiftung sogar gerichtlich aufgegriffen, aber verneint worden.

,Als am 9. Okt. 1863 einige Häuser in Ahaus abbrannten, machte man (W.) darauf aufmerksam, seine Prophezeiung sei ja nun in Erfüllung gegangen; er aber erwiderte, jenen Brand habe er nicht gemeint, und man solle nur warten, denn die ganze Stadt werde in Feuer aufgehen.

'Am Abend des 13. Okt. brach dann nochmals infolge von Unvorsichtigkeit ein Feuer aus, und diesmal sank die Stadt innerhalb zweier Stunden bis auf wenige Häuser in Asche. Der damalige Landrat Frhr. von Kerckerinck-Borg nahm nun den Spökenkieker über seine Aussage zu Protokoll.' Der Mann kam aber als etwaiger Brandstifter 'gar nicht in Frage' und der Staatsanwalt ließ die Sache auf sich beruhen. [2]

Bemerkenswert u. a. wegen der großen Zahl übereinstimmender Einzelheiten von Ansage und Ereignis erscheint mir folgende Prophezeiung eines zufällig ausgebrochenen Brandunglückes, die überdies vor dem Eintreffen in einwandfreier Weise aufgezeichnet wurde.

In der Londoner spiritistischen Zeitschrift Light vom 15. Mai 1897 [3] teilt 'ein ärztliches Mitglied der Ges. f. psychische Forschung' mit, es habe 'am vergangenen Sonnabend' von einer Freundin und Patientin eine Voransage des traurig bekannten Brandes v. 4. Mai im Pariser Wohltätigkeitsbazar erhalten, 'mit den Namen von acht Opfern sowie mit der Angabe, daß ungefähr 200 Menschen in einem gelegentlichen Gebäude durch Feuer umkommen würden.

Am selben Abend hatte sie auch eine Vorschau des Schiffsunglückes in der Nähe von Aberdeen, wobei der volle Name des einen Dampfers und der erste Buchstabe des andern angegeben wurde, mit der Behauptung, daß elf Leben dabei verlorengehen würden. Diese Berichte (deren gemeinsames Auftreten das Gewicht jedes einzelnen offenbar erhöht) wurden auf eine

[1] In Sphinx III 185; auch ref. in Entd. II I33f.
[2] Zurbonsen 58f. Eine mögl. Proph. des großen Londoner Brandes v. J. 1666 s. in dem seltenen Heftchen (im Brit. Mus.) von Humphrey Smith: Vision,., which he saw concerning London, in the 5th month, in the year 1660) 2. (Lond. 1660) 2. Vgl. ferner Welby, aaO. 122-7; APS VI 208f, (sehr sonderbare Einzelheiten der Kleidung des Haupttätigen 'gesehen'); ÜW VII 205 (Schiffsbrand; Zeugnis vor der Erfüllung im Druck),
[3] XVIII Nr. 853.


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Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 459)

Postkarte geschrieben, die am Sonntag auf die Post kam', 3. Mai 12h 15 m abgestempelt ist und vor ihrer Aufgabe von zwei Herren beglaubigt wurde. Diese Karte lag der Schriftleitung des Light vor: in ihr war außer den Namen einiger Opfer auch das Gebäude beschrieben und die Lampe des Kinematographen als Ursache des Brandes angegeben. -

Es ist auffällig, daß gerade dieser Brand u. a. auch von der bekannten Mlle. Couedon prophezeit worden ist [1] und daß sich in Old Moores Almanack auf das Jahr 1897, also 1896 gedruckt, die Worte finden: 'Fast mit Sicherheit werden wir in den letzten Tagen des April eine Nachricht von einem furchtbaren Feuer in Paris hören, welches viele Menschenopfer verschlingen wird, während eine Schar Banditen unter den Trümmern Beute zu machen versuchen wird.' [2]

Schiffsunglücke sind eine andere natürliche Gruppe von Ereignissen, deren leidlich verbreitete Befürchtung eine gewisse Anzahl zufälliger Erfüllungen von entsprechenden Ahnungen zuwegebringen könnte.

Selbst wenn diese Ahnungen mehrmals hintereinander vor einer beabsichtigten Seereise auftreten und sogar die einzigen derartigen Erlebnisse einer öfters zur See reisenden Person sind, [3] wird man ihnen nicht ausschlaggebendes Gewicht beizulegen geneigt sein.

Sehr bedeutend vermehrt sich dieses natürlich, wenn die Vorahnung ein dem Perzipienten unbekanntes Schiff mit Namen bezeichnet, während jener überhaupt keine Seereise im Auge, also auch keine Veranlassung hat, sich mit der Möglichkeit von Unglücken zu Wasser überhaupt zu beschäftigen.

Dies ist das Bezeichnende an einer Beobachtung Dr. Maxwells, eines Forschers von größter Genauigkeit und Umsicht, dem die Vision 8 Tage vor Eintreffen des geschauten Ereignisses mitgeteilt wurde.

Die im Kristall gesehene Szene stellte einen großen Dampfer mit schwarz-weiß-roter Flagge auf hoher See vor, der den Namen 'Leutschland' trug. Das Schiff erschien von Rauch umgeben, eine Menge von Seeleuten, Fahrgästen und Männern in Uniform stürzten auf das Oberdeck, und die Seherin sah das Schiff untergehen.

Acht Tage später berichteten die Zeitungen, daß auf der 'Deutschland' ein Kessel geborsten sei und der Dampfer habe beidrehen müssen; er ging aber nicht unter. Die (französische) Seherin hatte keinerlei Verbindung mit Deutschland und das Schiff war ihr, wenigstens bewußt, vollkommen unbekannt. [4]

Im nachstehenden Falle lenkt sich das Interesse auf gewisse bildliche Bestandteile. Nach einem in der Oktobernummer 1900 der 'Zeitschrift für Spiritismus' abgedruckten Bericht der Frau de Ferriem an Herrn Godefroy hatte diese kurz zuvor folgendes gesehen:

'Es taucht vor mir eine schwarze Masse auf... ein Felsen im Meer, an dem (ein deutsches Kriegsschiff) zerschmettert ist. Viele Menschen gehen beim Untergange desselben zugrunde. Ich sehe (deutsche Matrosen) deutlich verzweifelt mit den Wellen kämpfen..., den Kommandanten, wie er seine Hände zum Himmel hochstreckt..., er trägt einen Bart, wie ihn Kaiser Friedrich trug, nur kürzer und ziemlich dunkel, fast schwarz. .. Ich sehe auch, daß es in fremdem

[1] PS XXIV 391f. 680ff.
[2] PS XXIV 329f. Old Moore hatte den Tod des Herzogs von Clarence auf den Tag vorausgesagt.
[3] Beide Merkmale in einer (vor dem Unglücksfall erzählten) Ahnung in JSPR XV 264ff. Vgl. auch den Fall PS XXX 478f. (Zugunglück).
[4] Maxwell 201f.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 460)

Lande ist...' Dies Unglück, weil deutlich gesehen, sollte nahe bevorstehen. Die 'Gneisenau' scheiterte am 7. Dez. 1900 am Felsen Morro Levante im Vorhafen von Malaga, und alle gesehenen Umstände, selbst Geste und Bart des Kommandanten (dies freilich fast eine Selbstverständlichkeit) sollen der Wirklichkeit entsprochen haben. [1]

Andere Gruppen von Vorahnungen eigenen Erlebens befassen sich mit wenn auch weniger dramatischen, so doch in das Einzelleben tief einschneidenden Ereignissen typischer Art, die eben darum als natürliche Anreize zur Erzeugung von Zukunftsbildern gewertet werden müssen.

Ein Schüler sieht visionär sein spielend verlaufendes Abgangsexamen an einer fremden Anstalt voraus, während er bereits an allem Fortkommen auf der Schule überhaupt verzweifeln zu müssen glaubt, [2] eine Dame - ihre Verheiratung mit einem (angeblich) Unbekannten, während sie doch mit einem Andern verlobt ist. [3]

In Fällen besonders der letzteren Art scheint mir aber dem Unbewußten mit seinen verdrängten Wahrnehmungen und geheimen Wünschen, seiner nachträglichen Zurechtstutzung der Erinnerung ein so weiter Spielraum gewährt, daß ich wenig Lust verspüre, auf so unsicherem Boden feste Schritte zu versuchen. [4]

Die Heiratsahnungen erweitern sich übrigens zu einer Gruppe von Fällen, deren ausdrückliche Rubrizierung als 'visionäre Vorbekanntschaft' [5] auf ihre verhältnismäßige Häufigkeit hinweist: immer lernt der Perzipient im Traum oder Gesicht einen Menschen kennen, der erst später in sein Leben tritt und den er dann wiedererkennt.

Die Berichte dieser Art, soweit sie mir bekannt sind, gehen oft erstaunlich ins Einzelne, [6] berufen sich aber allzu ausschließlich eben auf die Erinnerung des Perzipienten (nach eingetretener Bekanntschaft) an sein Vorgesicht, als daß sie dem Verdachte subjektiver Fälschung, wenn auch natürlich ungewollter, sich entziehen könnten.

Endlich zwingen die Berichte selbst im äußersten Falle nicht zu mehr, als eben der Annahme, daß die Bekanntschaft hellsehend erfolgt sei und das so erlangte Wissen dann eine Wurzel (vielleicht unbewußter) persönlicher Lebensführung geworden sei.

In einzelnen Fällen wachsen sich diese biographischen Vorgesichte freilich zu einer Inhaltsfülle aus, die alle Auswegshypothesen auf eine einigermaßen harte Probe stellt, zumal wenn sich die Deutlichkeit und Verlässigkeit der Erinnerung darin auszusprechen scheint, daß sie den Perzipienten befähigt, nach Verwirklichung eines Teiles des Vorgesichts den Inhalt der noch ausstehenden Verwirklichung genau zu bezeichnen. Ich will zwei Beispiele dieser Gruppe anführen, von denen das erste überdies den

[1] Bei Bormann 134.
[2] S. den merkwürdigen Fall ÜW X 285f.
[3] S. PS XXV 197f. Noch weit erstaunlicher ein älterer Bericht in The Spiritual Telegraph, woraus in Journ. de l'âme IV 255, Perty, M. E. II 371f. u. sonst. Vgl. auch ÜW VI 240f.
[4] Zur Kritik dieser Gruppe (u.a. Idealbildung durch die Vision!) vgl. Dr. Ermacora in PS XXVI 563.
[5] So Daumer, Reich 152ff. Vgl. A. Maury, Le sommeil et les rêves (Par. 1865) 123; Steinbeck 438.
[6] Vgl. in diesem Zus. die merkwürdigen Fälle bei Gurney II 591f. u. 593f.


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Vorzug hat, daß das Vorwissen durch Visionen im Kristall oder Spiegel vermittelt wurde, also wahrscheinlich in einem Zustande, der eine klarere Auffassung und Erinnerung gestattete, als in Träumen meist der Fall ist.

Eine der Damen, deren übernormale Leistungen Dr. Maxwell beobachtete, sah u. a. im Spiegel ihres Kleiderschrankes 'einen Mann auf dem Bürgersteig einer bestimmten Straße, der Mann war in besonderer Art an der Stirn verwundet: ein Hautstück war abgerissen und hing über das Auge herab.

Unter anderen Einzelheiten seiner Ausstattung war ein Sack, den der Mann um seinen Hals gewickelt hatte, und dieser Sack war mit den Buchstaben V. L. bedruckt. Die Dame sah auch sich selbst in der Vision, wie sie zu dem Verwundeten sprach, ihn in ein Hospital brachte und seine Wunde verbinden ließ.' Diese Vision ging am nächsten Morgen während eines Ausganges bis in die kleinsten Einzelheiten in Erfüllung. [1]

Der zweite Bericht wird, abgesehen von den oben angedeuteten allgemeinen Bedenken, durch die lange Zeitstrecke geschwächt, die hier dem Gedächtnis zugemutet wurde, wennschon die Perzipientin, eine 70jährige, die andere verwandte Erfahrungen gehabt hatte, versichert: 'Diese Träume sind so frisch in meiner Erinnerung wie ein gestriges Erlebnis.'

Auch jede Bezeugung durch Andere wie durch Aufzeichnungen vor der Erfüllung fehlt. Immerhin mag der Bericht verdeutlichen, welcher Reichtum der Tatsachen auf diesem Gebiete der sorgfältigen Erforschung sich erschließen könnte, wenn erst das Bewußtsein von den wissenschaftlichen Verpflichtungen auch der seherischen Begabung ein mehr verbreitetes wäre. -

Mit 16 Jahren träumte der Perzipientin, E. C. H. C., die in Marokko lebte und nie in der Schweiz gewesen war, daß sie vor einer alten Abtei mit angebauter Kirche stehe, vor deren einem Flügel eine ganz eigenartige Fontäne sich befinde, während zur Linken eine Pappelallee zu einem Gewässer hinabführe. ..

Ihr zur Seite stehe ein großer, blonder, hübscher Junge von 17 Jahren; sie wisse nicht, wer er sei, finde es aber natürlich, daß er mit ihr ist; aus dem andern Flügel des Hauses trete eine alte Dame mit angenehmem Gesicht und lächelnden Verbeugungen, die französisch rede, zwergenhaft und verkrüppelt, mit sehr langen Armen. Sie öffne die Tür gegenüber der Fontäne und zeige ihr die Räumlichkeiten.

Hinter einer Tür im Eßzimmer stehe ein altes Harpsichord, sie berühre eine Taste, die einen klirrenden Ton erzeuge, worauf die alte Dame erregt bitte, dies nicht zu tun... - Mit 43 Jahren ging die Perzipientin mit ihrem 17 jährigen Sohn aus Frankreich auf die Haussuche in der Schweiz.

Man empfahl ihr die Abtei von S. Sulpice am See. Sobald sie dort die Fontäne im Garten sah, die Pappeln und das Haus, kam ihr blitzartig die Erinnerung an den Traum. Und nun trat ein, was, falls genau berichtet, bedeutsam ist. [2] Sie sagte zu ihrem Sohn, daß sie das Haus nehmen wolle, 'denn ich sah es vor Jahren in einem Gesicht und kenne es'.

Der Knabe war ungläubig, und 'um ihn zu überzeugen, sagte ich ihm, daß, falls es das Haus meines Traumes wäre, die Dame, der es gehöre, aus dem andern Flügel herauskommen würde. . . und daß ich ihn durch eine dunkle Diele mit Steinflur über eine Steinstufe aufwärts in ein langes Vorzimmer führen würde, daß wir dort uns nach links wenden und in ein Zimmer gehen, hinter dessen Tür wir ein altes Harpsichord finden würden, daß ich eine Taste

[1] Maxwell 200. Vgl. die Fälle PSXX VIII 261; Splittgerber, Schlaf, 2 . Auf l . , I 120 - 2 ; du PreI, Entd. Il 83; Richet 295f. (Figueroa).
[2] Vor allem natürlich, weil es die Illusion des 'déjà-vu' ausschließen würde.


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Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 462)

anschlagen und was die Folge sein würde. Alles dies trug sich genau so zu, wie ich es vorauswußte und wie ich es vor 27 Jahren vorausgesehen hatte...' [1]

Zu den bedeutsamsten Fällen dieser Art - bedeutsam nicht nur für die Frage der Wirklichkeit von Prophetie, sondern auch für die Probleme, die sich daran knüpfen: der Selbstbestimmung, des Schicksals, der Vorsehung, der Daseinszwecke - zählen diejenigen, in denen die biographische Vorschau sich zu einer kurzen Übersicht aller wichtigsten Ereignisse der Zukunft eines Einzelnen erweitert.

Ich verdeutliche diesen Typ durch eine Erfahrung, deren gedruckte Niederlegung, wenn auch nur zweiter Hand, doch vor dem Eintreffen wichtiger Einzelheiten stattfand.

Professor Dr. Dennert ist im Besitze der 'Mitteldeutschen Volkszeitung' (in Heiligenstadt) vom 24. Februar 1912, die einen Artikel des katholischen Missionars Wand enthält, geschrieben in Tschangtian am 31. Januar 1912: 'Etwas von der chinesischen Revolution.'

Er berichtet darin von dem 'zweiten Gesicht' eines älteren Paters, der schon lange in China lebte: 'Er (jener ältere Pater) sagte u. a.: Vor etwa 20 Jahren sei er einmal an den Pocken erkrankt und habe 11 Tage vollständig bewußtlos gelegen.

In diesen 11 Tagen habe er sein ganzes zukünftiges Leben durchlebt, alles bis in die kleinsten Einzelheiten, und alles sei genau so eingetroffen in den folgenden 20 Jahren, wie er es damals in der Krankheit vorauserlebt hatte: die Ermordung zweier Missionare (Prof. Dr. Dennert bemerkt dazu: die Missionare Nieß und Heule am 1. Nov. 1897), deren Grab im Garten, die Besetzung von Kiautschou, die Kirchenbauten, die er in der Folgezeit ausgeführt: sogar die Arbeiter, die dabei beteiligt waren und was er mit ihnen besprochen, alles habe er durchlebt.

Auch die Kirche habe er damals schon gesehen, die er jetzt baue. Er würde sie nicht ganz vollenden, denn im Juni dieses Jahres müßten er sowohl wie seine Mitbrüder nach Tsingtau - der deutschen Kolonie - flüchten. Aber wie sie in Tsingtau ankämen, finden sie es schlimmer.

Die Stadt würde von fremden Kriegsschiffen bombardiert und sei schon halb in Trümmer geschossen. lngleichen nähere sich von der Landseite eine große Armee der Stadt, weshalb sie auch von dort flüchten müßten in ein Land, wo sie kleine Leute und den chinesischen ähnliche Häuser und Straßen gesehen hätten - wahrscheinlich Japan.

Dann mußte er längere Zeit in der Fremde bleiben, kehrte aber schließlich wieder nach China zurück, wo er dann seine Kirche, die er gerade so vorfände, wie er sie verlassen, also nicht zerstört, vollenden würde. Tragisch sei sein Lebensende. Er würde nämlich in einem einsamen Gebirgstale von sechs Räubern erschossen.

Er sagte, das früher Gesehene sei bisher alles so genau eingetroffen, daß er auch an dem Zukünftigen nicht zweifeln könne. Den Boxeraufstand z.B. und wie er sich entwickeln würde, habe er lange vorher schon seinen Mitbrüdern gesagt.'  

Wie Prof. Dennert weiter mitteilt, berichtet Prof. Zurbonsen, daß nach dem Berichte des apostolischen Vikars von Südschantung, Bischof A. Hennighaus, aus Jentschoufou vom 20. Okt. 1914, in der Tat 13 Patres und 3 Brüder von Schantung nach Tsingtau geeilt und dort mit eingeschlossen worden wären. Sie weilten während der Belagerung im Waisenhause. Unter ihnen befand sich auch jener

[1] Lucifer II (1888) 194f. Vgl. Horst, Deut. I 169ff.; Splittgerber, Schlaf, z. Aufl., I 86; BP VI 161ff.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 463)

Seher. Tsingtau wurde bekanntlich von der Land- und Wasserseite aus bestürmt und fiel am 7. November. Die Besatzung sowie alle übrigen Männer, auch die Patres, wurden kriegsgefangen nach Japan übergeführt.

Die einzigen Irrtümer in der Voraussagung waren nach Prof. Dennert, daß der Seher die Zeit falsch deutete (1912 statt 1914) und daß er glaubte, er flüchtete nach Japan, während er als Kriegsgefangener dahin gebracht wurde. [1]

Das erstaunlichste Beispiel biographischer Fremdvorschau, von dem ich Kenntnis habe, entzieht sich leider aus äußeren Gründen der ausführlichen beweiskräftigen Wiedergabe. Persönlich habe ich keinen Zweifel, daß in diesem Falle einem 17 jährigen Mädchen nicht nur eigene Schicksale, sondern auch Schicksale ihrer erst 24 Jahre später geborenen Tochter mit zahlreichen Einzelheiten vorausgesagt wurden, deren Eigenart jeden Gedanken an Zufallstreffer ausschließt.

Unter diesen Einzelheiten der Voransage, die ausnahmelos eintrafen, war z.B. die Vergewaltigung einer Freundin aus guter Familie und deren nachherige glückliche Verheiratung an einen Andern, die Trennung der eigentlichen Empfängerin der Ansage von ihrem Manne am Tage nach der Hochzeit (die 7 Jahre später durch den Ausbruch eines Krieges herbeigeführt wurde), die Zahl ihrer späteren Kinder und deren Aufeinanderfolge in Zeitabständen von 1, 2 und 14 Jahren; die seltsame Fügung im Leben dieser nachgeborenen Tochter, gleichzeitig Gattin und Braut zu sein, u.a.m.

Der Bericht des Paters Wand enthielt neben einzelbiographischen auch politische Ereignisse, betreffs deren sich nun freilich die Frage erhebt, ob zu ihrer Voransage nicht natürliche Überlegungen über den mutmaßlichen Gang der Entwicklung ausgereicht hätten.

Der kommende Gang politischer Ereignisse ist ja nicht in das gleiche Dunkel gehüllt wie die künftige Geschichte eines Hauses, einer Familie, eines einzelnen Organismus. Die Grundlagen einer auf Schlüssen aufgebauten Vorschau liegen hier durch die Jahrhunderte ausgebreitet da, und das intuitive Urteil des tiefblickenden Geistes hat oft mit erstaunlicher Treue den Gang der Ereignisse auf bedeutend scheinende Zeiträume vorausgesagt. [2]

Die Kunst des großen Staatsmannes gründet sich ja wohl ebensosehr, wenn nicht mehr, auf die Fähigkeit, den Gang der Ereignisse vorauszusehen, als ihn zu lenken.

Die berühmte Weissagung des M. Cazotte, [3] der Anfang 1788 an der Tafel des Herzogs von Choiseul die große Revolution, den Gottesdienst im Tempel der Vernunft, die Hinrichtung des Königs und mehrerer anderer Personen 'vor Ablauf von 6 Jahren' voraussagte, wird man vielleicht als ein Beispiel dieser Gattung anführen dürfen.

Zwar soll die erstaunliche Rede, die uns angeblich wörtlich mitgeteilt wird, genaue Einzelheiten über den Tod mehrerer Ohrenzeugen enthalten haben (z.B. daß M. Condorcet sich durch Gift dem Henker entziehen, M. de Chamfort erst einige Monate nach einem Selbstmordversuch mittelst Schermessers, M. Vicq d' Azyr nach sechsmaligern Aderlaß wegen Podagra sterben, La Harpe, der Freigeist, sich zum

[1] Vossische Ztg. 1915 Nr. 174. aus d. Mitteldeutschen Volksztg. vom 24. Febr. 1912. Zurbonsen in: Gedankenkraft 205.
[2] Ich erinnere an die bekannten politischen Prophezeiungen Geibels, Hamerlings u. Wildenbruchs.
[3] Aus La Harpes Oeuv. chois. et posthumes (Par. 1806) u.a. bei Jung, Theorie 158ff.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 464)

Christentum bekehren werde usw.). Es liegen auch mehrere Zeugnisse vor von Personen, die jener Gesellschaft beigewohnt haben wollen und die versichern, daß Cazotte die Prophezeiung wirklich geäußert, und von Andern, die den Bericht von La Harpe noch vor der Revolution wiederholt gehört haben wollen.

So schreibt 1825 die Gräfin de Genlis, sie habe die Anekdote hundertmal von La Harpe vor der Revolution erzählen gehört, 'und immer in derselben Gestalt, wie ich sie gedruckt gesehen habe', und ein Freund Vicq d' Azyrs berichtet, daß dieser ihm die Prophezeiung 'einige Jahre vor der Revolution' auf einer Reise in der Bretagne erzählt habe.

Vicq d' Azyr war skeptisch, aber doch augenscheinlich beunruhigt. Baron Delamothe Langon bezeugt, die Gräfin de Beauharnais oft behaupten gehört zu haben, daß sie 'bei dieser sonderbaren geschichtlichen Tatsache zugegen gewesen war'.

Doch ist es fraglich, ob gerade die erstaunlichen Einzelheiten der Prophezeiung vor ihrer Erfüllung aufgezeichnet wurden, und man ist berechtigt, einige Zurechtstutzung des Berichtes nach den Ereignissen zu vermuten. [1]

Immerhin muß beachtet werden, daß nach dem Zeugnis des jüngeren Cazotte sein Vater 'zahllose Beweise einer hervorragenden Gabe der Prophezeiung gegeben, u.a. bei einer Errettung aus den Händen der Blutmänner seine Wiederverhaftung (mit nachfolgender Hinrichtung) binnen dreier Tage vorausgesagt hat, und daß Cazotte behauptete, die zukünftigen Begebenheiten würden ihm durch Gesichte, vermittelst der Geister, offenbart'. [2]

Außer Deutbarkeit durch natürliche 'Intuition' ist noch ein anderes, sehr viel gröberes Bedenken gegen politische Prophezeiungen im Auge zu behalten: wie bei keiner der früheren Gruppen muß hier die Möglichkeit bewußter Fälschung im Auge behalten werden.

Die Interessen und Leidenschaften, die sich mit geschichtlichen Vorgängen verbinden, haben oft zur Veröffentlichung von 'Prophezeiungen' gegriffen als einem Mittel, den Gang der Ereignisse durch die Erwartung der abergläubigen Menge zu beeinflussen oder eine geschehene Umwälzung durch den angeblichen Nachweis, daß sie vorhergesagt war, zu rechtfertigen und befestigen.

Unsere Bibliotheken enthalten in zahllosen Pergamenten, Flugblättern und Pamphleten den Niederschlag dieses frommen oder unfrommen Eifers. [3]

Man muß sich alle diese Möglichkeiten gegenwärtig halten, um mit Sicherheit herauszufühlen, wo bei politischen Voraussagungen die Grenzscheide zwischen normaler und übernormaler Voraussicht überschritten wird.

Nach den früher dargelegten Grundsätzen werden wir solche Überschreitung dort erblicken, wo die Prophezeiung sich nicht mehr bloß auf allgemeine Linien der Ereignisse bezieht, sondern Einzelheiten, Personennamen, Daten, Ortsbestimmungen hinzufügt, die eine noch so weit getriebene 'induktive Intuition' nicht hätte erraten können. Zuweilen wird die

[1] Buchanan III 82f. Die Memoiren der Baronin Oberkirch, welche die Frage entscheiden könnten, sind erst 1852 gedruckt. S. Bormann 172ff.; auch PS XXV 514ff. 578ff. 657ff.
[2] Jung, Theorie 169; Buchanan III 82f. Vgl. andre Fälle bei Corrodi Teil 3, Bd. II Abschn. 2ff.
[3] Beispiele bei I. Döllinger, Der Weissagungsglaube..., in KI. Schriften, hersg. v. F. H. Rausch (Stuttg. 1890) 454ff.; in PS XXV 59f. (üb. Napoleon I.); Pröhle, Die Lehninische Weissagung (Berl. 1888) u. a.


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Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 465)

Verquickung politischer Vorschau mit 'privaten' Einzelheiten unser Vertrauen in die erstere stärken. Das Beispiel des chinesischen Missionars, das uns zu dieser Gruppe überleitete, war von solcher Art.

Man kann sich dies Mischverhältnis etwa auch an folgendem Beispiel aus Martins Aufzeichnungen über die schottischen Seher verdeutlichen, dessen Beglaubigung (durch Mitteilung der Vorschau an den Verfasser vor dem Ereignis) eine für damalige Zeiten leidliche genannt werden mag.

Ein Seher auf der kleinen Insel Eig erzählte seinen Nachbarn, daß er öfter eine Erscheinung gehabt habe von einem Mann in rotem Rock mit blauem Besatz, der eine sonderbare blaue Kappe mit sehr großer Stulpe vorn auf dem Kopf trug, und daß dieser Mann ein artiges Mädchen in dem Dorfe des Sehers geküßt habe; er behauptete daher, daß ein Mann in solcher Kleidung jenes junge Mädchen verführen oder heiraten werde.

Diese allgemein für ganz unwahrscheinlich gehaltene Vision schadete dem Seher bei den Leuten sehr. Sie wurde auf der benachbarten Insel Skye viel besprochen und belacht, denn selten kam ein Fremder nach Eig, und das Mädchen dachte nicht daran fortzugehen. Normand McLeod von Graban erzählte die Geschichte im Sept. 1688 dem Verfasser (Martin) in Gegenwart zweier namhaft gemachter Zeugen.

'Ungefähr 1 ½ Jahre nach der letzten Revolution' (also wohl 1689 oder 1690) wurde ein Major Ferguson mit 600 Mann abgeschickt, um die königstreuen Inselbewohner zu unterwerfen, und nur ein Zufall (der Mord eines Soldaten durch Bewohner von Eig, die nach Skye hinübergefahren waren) führte ihn nach dem winzigen Eig.

'Zu derselben Zeit wurde das obengenannte sehr artige Mädchen durch einige Soldaten mit Gewalt an Bord eines der Schiffe gebracht, wo man es über 24 Stunden festhielt, mißbrauchte und sein schönes Haupthaar abschnitt.' Es verheiratete sich nichtsdestoweniger einige Jahre später. [1]

Wenden wir uns zu rein politischen Prophezeiungen, so fallen jedem die berühmten Vierzeiler des Nostradamus ein, die ja in echten Drucken aus dem 16. Jahrhundert vorliegen, also eine Hauptbedingung zur Feststellung wirklicher Voransagen erfüllen.

Sie sollten sich auf einen Zeitraum von 2000 Jahren beziehen, und ihr Verfasser machte sich anheischig, für jeden Vierzeiler die Zeit der Erfüllung anzugeben. Bekanntlich ist aber ihr Text absichtlich so dunkel gehalten, daß die ironische Bemerkung fallen konnte, das Wunder liege nicht in den prophetischen Eigenschaften dieses Textes, sondern bloß in der Auslegekunst seiner Erklärer. [2]

Äußere Rücksichten veranlaßten nämlich Nostradamus, die Wiedergabe seiner 'geoffenbarten Inspirationen' hinter einem kaum verständlichen Kauderwelsch zu verstecken und die Worte desselben noch in wunderlicher Weise durcheinander zu schütteln.

Ich will dem Leser wenigstens eine, vielleicht besonders günstig gewählte Stichprobe vorsetzen, nach der er den Anteil wahrer Prophetie oder toll gewordener Auslegekunst nach eigenem Ermessen bestimmen mag. Die Form wenigstens dieser 'Gedichte' - eine absichtlich verdunkelte Wiedergabe einer Wiedergabe des ursprünglichen

[1] Martin 136f.
[2] Dessoir, Vom jens. d. Seele, 2. Aufl. 127.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 466)

Erlebnisses - braucht nicht der Annahme zu widersprechen, daß Nostradamus, wie andere uns bekannte Seher, bestimmte Bilder mit Beigaben - Daten, Zahlen, Namen - geschaut habe.

Der 34. Vierzeiler des IX. Hundert, spätestens 1566 zuerst gedruckt, lautet:
                Le part soluz mary sera mitré
                Retour: conflict passera sur le thuille
                Par cinq cens: un trahyr sera tiltré
                Narbon: et Saulce par coutaux avous d'huille

Wörtlich übersetzt: Der Gatte (Part) allein betrübt (mary=affligé) wird mit der Mitra geschmückt werden nach seiner Rückkehr. Ein Angriff wird geschehen auf den Thuille durch fünfhundert: ein Verräter wird sein Narbon mit hohem Titel (tiltré) und Saulce unter seinen Vorfahren (avous=aieux) Hüter (coutaux=custos) des Öls. -

Die geschichtlichen Ereignisse, auf welche diese Zeilen gedeutet werden, sind folgende: Am 20. Juni 1792 wurden die Tuilerien von einem Pöbelhaufen gestürmt und dem König als Schimpf die rote Jakobinermütze (rot ist auch die bischöfliche Mitra) aufgesetzt; 'nach seiner Rückkehr': denn am selben Tage des Jahres zuvor, 20. Juni 1791, hatte das Königspaar den vereitelten Fluchtversuch aus Paris gemacht.

In der Nacht vom 9. auf den 10. August 1792 erfolgte unter Teilnahme der sog. fünfhundert fédérés marseillais der Angriff auf die Tuilerien. Der Grundstein zu diesem Schlosse war erst 1564 von Katharina von Medici gelegt. worden.

'Narbon' wird auf den Grafen Narbonne-Lara bezogen, der in jenen Zeiten als Kriegsminister eine Stellung zwischen - oder über - Royalisten und Republikanern einzunehmen suchte, von beiden verdächtigt und schließlich vom Könige kurzer Hand entlassen wurde.

Die durchweg vom royalistischen Standpunkt geschriebenen Prophezeiungen des Nostradamus können diesen nicht unbedingt Königstreuen wohl als 'Verräter' bezeichnen. Sauce (das I ist altertümlich) hieß der Gastwirt in Varennes, der Ludwig XVI. auf der Flucht erkannte und anhalten ließ; der Name ist selten.

Schon seine Vorfahren waren Inhaber jenes Krämerladens gewesen, in welchem die Königin in jener Nacht im Gespräche mit Mme. Sauce saß. 'Hüter des Öls' soll, wie etwa das deutsche 'Heringsbändiger', eine verächtliche Bezeichnung des Kleinkrämers sein. [1]

Eine Prophezeiung des Nostradamus auch ist es übrigens gewesen, die dem dritten Napoleon vor seinem Sturz Beängstigungen schuf, indem nach ihr das zweite französische Kaiserreich [2] '18 Jahre weniger ein Viertel' dauern sollte - die genaue Zeitdauer vom 2. Dez. 1852 bis zum 2. Sept.1870.

Die Tatsache dieser Beängstigungen auf Grund eben dieser angeblichen Prophezeiung - und das macht uns natürlich von der Frage der Echtheit der Prophezeiung selbst unabhängig - wird in der Nummer 241 der Berliner Bank- und Handelszeitung vom 30. Aug. 1870 erwähnt, wird sich also wohl in noch früheren zeitgenössischen französischen Drucken bezeugt finden. [3]

Die Genauigkeit von Zeitangaben ist schließlich das Eigentümliche aller jener politisch-geschichtlichen Prophezeiungen, die Anspruch auf Beachtung erheben können, wie ja auch auf dem Gebiete der biographisch-

[1] Ich folge (auf d. Umweg über Kemmerich) der gründlichen Bearbeitung der Quatränen durch A. de Pelletier, Les oracles de Michel de Nostradame (Par. 1867). S. auch Bormann 245ff.
[2] 'Second Empire en Lutèce'.
[3] S. NMR XII 152 und PS XXXVI 247. 276.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 467)

privaten Voransage die Verwendung von Daten einen der stärksten Gründe für die Wirklichkeit der Vorschau abgab.

Die nachstehende sehr bekannte Prophezeiung aus dem Jahre 1848 beruft sich auf eine Vision, die zwar erst 1862 aufgezeichnet wurde, aber da auch diese Aufzeichnung noch 8 bis 9 Jahre vor der Erfüllung zurückliegt, so tritt natürlich die Frage der Übereinstimmung von Vision und Bericht hinter derjenigen der Übereinstimmung von Bericht und Ereignis zurück.

Die Perzipientin, Marie Bauer, eine Freundin Mörikes, hatte überdies ihr Erlebnis zu Ende der 40er Jahre einigen Damen des Mörikeschen Kreises erzählt, von denen wir ein diesbezügliches Zeugnis aus dem Jahre 1881 besitzen.

Der Wert aller dieser Unterlagen beruht allerdings wesentlich auf der Voraussetzung, daß gerade die Zahlen der Vision - wie man sehen wird, ihr wichtigster Bestandteil - nicht nachträglich in den Bericht hineingefälscht worden sind, eine Annahme, gegen die nur der Ruf der Zeugin streitet. -

Bei dem Begräbnis eines jungen Mannes in Mergentheim im Sommer 1848, während die Perzipientin mit patriotischen Gedanken bei dem in Frankfurt versammelten Parlamente weilte, fühlte sie sich 'plötzlich von einem eisigen Schauer erfaßt' und sah sich zur Seite 'einen jungen, ganz erdfahl aussehenden Menschen, in einen schwarzen Mantel gehüllt, mit großen, totenstarren Augen' sie anblickend.

Dieser schaute zum Himmel auf, dann wieder sie an. Wie auch sie hinaufblickte, seinen Augen folgend, sah sie am wolkenlos blauen Himmel 'einen Erntewagen, der ganz in natürlicher Größe wie mit schwarzer Farbe darauf hingezeichnet... und so deutlich war, daß ich die einzelnen Garben hätte zählen können, selbst die eiserne Kette, welche vorn an der Deichsel herabhing, konnte ich Glied für Glied unterscheiden.

Lange und unbeweglich blieb der Wagen stehen. . .' Sie schaute nach der neben ihr stehenden Tante, dann, dem Blick des Andern wieder folgend, nach oben: anstatt des Wagens 'stand klar und scharf gezeichnet eine Riesenkanone da, wie ich noch keine in der Wirklichkeit gesehen hatte'. Bei einem dritten Aufschauen hatte 'ein ganz natürlicher Weinstock, an dem ich Trauben und Laub genau unterscheiden konnte, ihren Platz eingenommen'.

Beim vierten Male sah sie 'vier riesengroße Zahlen: 187 ganz klar, die vierte aber sah zuerst wie eine 0 aus, stand aber dann plötzlich als deutliche 1 da'. Die Zahlen zerflossen, der Nachbar war verschwunden. - 1883 fügt sie noch hinzu, daß die Vision ihr verständlich geworden sei im Zusammenhang mit ihren vorangegangenen Gedanken an die Paulskirche:

'Nicht durch solche, sondern durch einen blutigen Krieg wird die deutsche Einheit vollzogen werden in den Jahren, deren Zahl du schautest’  flüsterte es in diesem Augenblick hinter mir - über mir - in mir? Ich weiß es nicht; niemand war sichtbar.. .'

Die Hindeutung auf einen Krieg, der zwischen Korn- und Weinernte d. J. 1870 ausbrechen würde (die Kornernte war nach der französischen Kriegserklärung kaum hereinzuschaffen), ist zu scharf zeitlich bestimmt, um einer allgemeinen 'politischen Intuition' zugeschrieben zu werden.

Zur richtigen Einschätzung des Vorgangs mag die Angabe beitragen, daß die Erscheinung des jungen Mannes, dessen Blick das Auge der Perzipientin lenkte, anscheinend diejenige des eben Begrabenen war, den diese mit Bewußtsein nie gesehen hatte, sowie daß die Perzipientin sich die Gabe des Wahrträumens überhaupt zuschreibt. [1]

[1] Die Niederschrift ist einverleibt  in einem Bericht im Württ. Staatsanzeiger 18.3. Nr. 8. Das Nachstehende aus diesem Bericht. Vgl. Frl. B.s angebl. Vorschau der Ermordung Alexanders II. usw. in ÜW XI 172f. Anderes Verwandtes bei Splittgerber, Schlaf I 378f.; Giehnke, aaO.; OR 1907 II 308ff.


Kap XLIII. Vorschau des 'Zufälligen'.                  (S. 468)

Was die Prophezeiungen des Weltkrieges betrifft, so haben wenigstens die von französischer Seite erfolgten bei uns ein literarisches Schicksal gehabt, dessen ungewollte Ironie ein eigentümliches Schlaglicht auf die Lage metapsychischer Forschungen überhaupt wirft.

In der 2. Auflage seiner Kritik des Übernormalen, [1] deren Vorwort vom Januar 1918 datiert ist, beruft sich Prof. Dessoir auf eine Arbeit Maeterlincks, wonach dieser unter 83 Voraussagungen mit Bezug auf den Krieg nur zwei ernsthafter Erörterung wert gefunden habe - bei der Massenhaftigkeit des natürlichen Anreizes zu Voransagen über das lange erwartete Ereignis m. E. nicht einmal ein so übler Hundertsatz.

'Die eine, von einem Pfarrer und aus den 60iger [!] Jahren stammend, betrifft den deutsch-französischen Krieg, den ihm folgenden Revanchekrieg, und bestimmt den Zeitpunkt für diesen mit den Worten: Man wird mich kanonisieren wollen, aber nicht die Zeit dazu haben. -

In der Tat wurde die Heiligsprechung (dieses Propheten) im Juli 1914 vorbereitet und dann wegen des Kriegsausbruches aufgegeben.' [2] - Man wird nicht so weit gehen zu behaupten, daß die willkürlichen Bestimmer des Kriegsausbruches mit den Betreibern der Heiligsprechung im Einvernehmen gewesen seien. Unser Kritiker läßt denn auch diesen Fall ohne Kommentar.

Der andere wird von W. Tardieu erzählt. Sein Freund Leon Sorel hatte ihm 1869 (!) eine Anzahl politischer und persönlicher Ereignisse prophezeit, und zwar so, daß diese mit jenen immer zeitlich zusammenfielen. Am 3. Juni 1914 wurde nun von Tardieu schriftlich niedergelegt, daß auf Grund der jetzt eingetroffenen persönlichen Ereignisse folgende politische Voraussage fällig sei: 0 mein Gott! Mein Vaterland ist verloren!

Frankreich ist tot... Welch ein Unglück! Ah, nein, es wird gerettet! Es geht bis an den Rhein vor!...' 'Nicht übel', bemerkt der Kritiker hierzu ironisch. Aber was man im Januar 1918 als bloß leidlichen Treffer abtun konnte, war vor Ablauf des Jahres leider ein völliger geworden. [3] 

[1] Vom Jens. d.S., 2. Aufl. 126f.   [2] Le Figaro vom I. April 1916. [3] Die Lit. üb. Weltkriegsprophez. ist bereits sehr umfangreich. S. etwa PS XLIV 93 und XLV 485 f. ('Mme. de Thèbes'); XLVIII 39 f. (Hauptmann v. Gillhausens Voraussage, versiegelt 3. Aug. 1914); F. Zurbonsen, Die Profez. Weltkrieg 1914/15; B. Grabinski, Das Ubersinnl. im Weltkriege (Hildesh. 1917) u.a.

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