REINKARNATION
Die umfassende Wissenschaft
der Seelenwanderung

von Ronald Zürrer

Internet-Veröffentlichung Juli 2008,
(c)
Govinda-Verlag GmbH

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Zehnter Teil: DAS 19. JAHRHUNDERT

Das Biedermeier

Mit dem Begriff Biedermeier bezeichnet die deutsche Kulturgeschichte den Lebensstil der zwar zeitlich, nicht jedoch ideell an die Romantik anschließenden Epoche der kleinbürgerlichen Literatur, Malerei und Wohnkultur von 1815 bis zur Revolution im Jahre 1848 (sogenannte „Zeit der Restauration“).

Bei den Autoren des Biedermeier flackerte der Reinkarnationsgedanke nur hin und wieder in scheuen Andeutungen und Umschreibungen auf, wenngleich er doch immer unterschwellig vorhanden war, wie die folgenden Beispiele der drei bedeutendsten literarischen Vertreter dieser Epoche zeigen.

In dem Stammbuch der Gräfin Enzenberg finden wir einen bemerkenswerten Eintrag des Wiener Dichters Franz Grillparzer (1791–1872): 

Will unsere Zeit mich bestreiten,

Ich laß es ruhig geschehen;

Ich komme aus anderen Zeiten

Und hoffe in andre zu gehn.

(1860)

Auch aus dem Roman „Der Nachsommer“ (1857) des österreichischen Schriftstellers und Malers Adalbert Stifter (1805–1868) leuchtet eine vielsagende Passage: 

Es erschien mir als das süßeste Gefühl, sie nicht nur in diesem Leben, sondern in tausend Leben, die nach tausend Toden folgen mögen, immer lieben zu können.

Schließlich beschreibt der schwäbische Dichter und Pfarrer Eduard Mörike (1804–1875) in seinem Künstlerroman „Maler Nolten“ (1832) das folgende, autobiographisch gefärbte, mystische Erlebnis:

Ich mußte gewisse Zeiträume wie blindlings durchleben...; aber auf den kurzen Moment, wo die Richtung meiner Bahn sich verändert, wurde mir die Binde abgenommen; ich darf mich frei umschauen, als wie zu eigener Wahl, und freue mich, daß, indem eine Gottheit mich führt, ich mich nur meines Willens, meines Gedankens bewußt bin.

 

Die Macht, welche mich nötigt, steht nicht als eigensinniger Treiber unsichtbar hinter mir, sie schwebt vor mir, in mir ist sie; mir deucht, als hätt’ ich von der Ewigkeit her mich mit ihr darüber verständigt, wohin wir zusammen gehen wollen, als wäre mir dieser Plan nur durch die endliche Beschränkung meines Daseins weit aus dem Gedächtnis gerückt worden, und nur zuwelen käme mir mit tiefem Staunen die dunkle, wunderbare Erinnerung daran zurück ...

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Zehnter Teil: DAS 19. JAHRHUNDERT

Die Zyniker und Außenseiter

Sozusagen als logische Gegenströmung zur braven Kleinbürgerlichkeit des Biedermeier bildete sich am Rande des deutschen Kulturgeschehens eine Gruppe von Dichtern und Künstlern, die sich insbesondere des Zynismus und des Spottes bedienten.

Aus ihrem Kreis erwuchsen einige interessante Persönlichkeiten, bei denen unter anderem auch die Vorstellung der Wiedergeburt als willkommene Waffe gegen die materialistische Kleinkariertheit und heuchlerische Frömmigkeit der damaligen Zeit diente.

So lesen wir bei dem Dichter und Juristen Heinrich Heine (1797–1856), der als ein Wegbereiter des zeitkämpferischen Journalismus und des modernen Feuilletons gilt: 

Mag es immerhin lächerlich klingen, ich kann es dennoch nicht verhehlen, das Mißverhältnis zwischen Körper und Seele quält mich einigermaßen... und die Metempsychose ist oft der Gegenstand meines Nachdenkens. Wer kennt die große Gottesironie, die allerlei Widersprüche zwischen Seele und Körper hervorzubringen pflegt! Wer kann wissen, in welchem Schneider jetzt die Seele eines Platons, und in welchem Schulmeister die Seele eines Cäsars wohnt!

 

Wer weiß es, ob die Seele Gregors VII. nicht in dem Leibe des Großtürken sitzt und sich unter tausend hätschelnden Weiberhändchen behaglicher fühlt als einst in ihrer purpurnen Zölibatskutte ... Die Seelen der beiden Schächer, die zur Seite des Heilands gekreuzigt worden sind, sitzen vielleicht jetzt in dicken Konsistorialbäuchen und glühen für den orthodoxen Lehrbegriff ...

 

Wer weiß! Die Seele des Pythagoras ist vielleicht in einen armen Kandidaten gefahren, der durch das Examen fällt, weil er den pythagoräischen Lehrsatz nicht beweisen konnte, während in seinen Examinatoren die Seelen jener Ochsen wohnen, die einst Pythagoras, aus Freude über die Entdeckung seines Satzes, den ewigen Göttern geopfert hatte. (aus „Die Nordsee“, 1826)

Aber nicht nur in Heines bissigen Kommentaren zum Zeitgeschehen taucht die Seelenwanderung auf, sondern als ferne Ahnung auch in seinem poetischen Schaffen. Im „Buch Le Grand“ (1826) spricht er z.B. über ferne Ahnungen von einem früheren Leben in Indien: 

Madame, hörten Sie nicht eben eine Nachtigall schlagen? ... ein süßes Gespinst der sonnigsten Töne, und meine Seele ward darin verstrickt und würgte sich und quälte sich. Ich selbst – es ist der Graf vom Ganges, der jetzt spricht...
 

Die heißen Tropfen fielen ins Glas, und im Glas sah ich die liebe Heimat, den blauen, heiligen Ganges. Den ewig strahlenden Himalaya, die riesigen Bananenwälder, in deren weiten Laubgängen die klugen Elefanten und die weisen Pilger wandelten. ...

 

Aus fernen Pagoden ertönten die frommen Priestergebete, und dazwischen klang die schmelzend klagende Stimme der Sultanin von Delhi. ... Ich konnte sie aber nicht verstehen, der Keller des Signor Unbescheiden ist 3000 Meilen vom Harem zu Delhi, und dazu war die schöne Sultanin schon tot seit 3000 Jahren. (aus dem 2. Kapitel)

Auch in den Tagebüchern des Dichters und Grüblers Friedrich Hebbel (1813–1863), die insgesamt vier Bände füllen, finden sich zahlreiche Stellen, an denen der Gedanke an die Reinkarnation anklingt: 

Die Seelenwanderung – ein Dieb könnte ehemals Herr der Sachen gewesen sein, die er jetzt stiehlt. (Nr. 25)
 

Nach der Seelenwanderung ist es möglich, daß Platon jetzt wieder auf einer Schulbank Prügel bekommt, weil er – den Platon nicht versteht. (Nr. 1355)

 

Gestern abend beim Zubettgehen hatt’ ich ein Gefühl, wie es mir sein würde, wenn ich meinen Körper verlassen müßte. ... Dieser Leib ist es, der [den Menschen] durch die nach allen Seiten aufgeschlossenen Sinne so innig mit der Natur verwebt. ...

 

Nun denke man sich den Tod: ein einziger Augenblick zerreißt alle diese Fäden ..., indes soll das Ich in neue Sphären eintreten: als reine Kraft kann es nur, wenn es Widerstand findet, wirken: eine unvollkommene Maschine ist kein Hindernis, sondern ein Bedingnis geistiger Tätigkeit; es gibt keine Vermittlung zwischen Gott und den Menschen als das Fleisch: also ein neues, dem alten, verlassenen, analoges Medium ist nötig, und (hier kann man schaudern vor dem Augenblick des Übergangs) es entsteht jedenfalls ein leerer, wüster Zwischenraum, der kurz sein mag, der aber ein völliger Stillstand des Lebens, wahrer Tod, ist und eine zweite Geburt, mithin die Wiederholung des größten Wunders der Schöpfung, notwendig macht. (Nr. 471)

In einem Brief an seinen Freund Friedrich von Wyss schreibt der schwermütige Zürcher Dichter Conrad Ferdinand Meyer (1825– 1898): 

Durchgemacht in den letzten Jahren habe ich mehr, als ich je eingestehen werde. Was mich hielt, war eigentlich ein Seelenwanderungsgedanke. Ich sagte mir: Du hast offenbar in einem früheren Dasein irgend etwas Frevles unternommen. Da sprach das Schicksal: Dafür soll mir der Kerl auf die Erde und ein Meyer werden. Beides muß nun redlich durchgelitten werden, um wieder in bessere Lage zu gelangen. (7.8.1880)

Und in „Der gute Tag oder die Geschichte eines ersten Aprils“ bemerkt der Erzähler Wilhelm Raabe (1831–1910) humorvoll: 

O du barmherziger Vater im Himmel, wenn ich etwas dazu tun kann, so komme ich das nächste Mal mit Flünken und Federn auf die Welt und baue mein Nest im Busch oder Baum oder unter einem Scheunendach oder alten Kirchendach.

Der herausragendste unter allen Humoristen des 19. Jahrhunderts ist jedoch der Zeichner und Dichter Wilhelm Busch (1832–1908), hinter dessen treffsicherem Spott sich häufig tiefe Einsichten, unter anderem auch die feste Überzeugung von der Reinkarnation, verbargen. Buschs Neffen und Biographen, die Gebrüder Nöldeke, berichteten, welche Bedeutung diese für ihren Onkel hatte:

Es lebte in ihm „der alte Glaube der Seelenwanderung als ein Hilfsgedanke – vielleicht auch mehr als das – gegenüber der Tatsache, daß die Seelen vieler Menschen bei ihrem Tode noch recht wenig geläutert sind. Oft und gern philosophierte er über diesen Glauben; in Gesprächen, in Briefen und auch in verschiedenen Dichtungen hat er ihn immer wieder zum Ausdruck gebracht.“ Hierzu einige Beispiele: 

Ganz dicht dabei ... pickt immer eine Totenuhr. – Was tut’s?! Haben wir nicht, Gott sei’s geklagt, noch sieben Millionen dreimal­hundertachtundneunzigtausend-sechs­hundertund­zweiund­zwanzig ­dreiviertel Jahre ganz unverbraucht vor unserer Nase liegen? Wird man aus einem Leben herausgeklopft, huscht man ins andere wieder ’nein. (aus einem Brief vom 19.5.1875)
 

Nahmst du in diesem großen Haus

Nicht selbst Quartier?

Mißfällt es dir, so zieh doch aus,

Wer hält dich hier?

Und schimpfe auf die Welt, mein Sohn,

Nicht gar zu laut.

Eh du geboren, hast du schon

Mit dran gebaut.

(„Unbillig“)
 

Die Lehre von der Wiederkehr

Ist zweifelhaften Sinns.

Es fragt sich sehr, ob man nachher

Noch sagen kann: Ich bin’s.

Allein was tut’s, wenn mit der Zeit

Sich ändert die Gestalt?

Die Fähigkeit zu Lust und Leid

Vergeht wohl nicht zu bald.

(„Tröstlich“)

 

Wer nicht will, wird nicht zunichte,

Kehrt beständig wieder heim.

Frisch herauf zum alten Lichte

Dringt der neue Lebenskeim.

Keiner fürchte, zu versinken,

Der ins tiefe Dunkel fährt;

Tausend Möglichkeiten winken

Dem, der gerne wiederkehrt.

Dennoch seh’ ich dich erbeben,

Eh du in die Urne langst.

Weil dir bange vor dem Leben,

Hast du vor dem Tode Angst.

(„Wiedergeburt“)

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Zehnter Teil: DAS 19. JAHRHUNDERT

Die Philosophie des 19. Jahrhunderts

Wie das 18. Jahrhundert in der Philosophiegeschichte als das Zeitalter der Aufklärung und des Lichtes gilt, so gilt das 19. Jahrhundert als die Zeit der einbrechenden Dämmerung, des Verdüsterns und Verfinsterns.

In Frankreich führten die Jahrzehnte nach der großen Revolution zu einem Aufschwung des „utopischen Sozialismus“, dessen Wortführer Auguste Comte (1798–1857) war. Seine Philosophie des „Positivismus“ stellt eine deutliche Absage an die Religion, an die Metaphysik und auch an die Ideale der Aufklärung dar.

Der Positivismus prägte auch England, wo der Naturforscher Charles Darwin (1809–1882) mit seiner Entwicklungslehre der „natürlichen Selektion“ der Arten insbesondere die Philosophie des „Utilitarismus“ (Nützlichkeitsphilosophie) beeinflußte, welche von den führenden englischen Philosophen des 19. Jahrhunderts, Jeremy Bentham (1748–1832) und Herbert Spencer (1820–1903), verfochten wurde.

In Deutschland zerfiel die beherrschende Hegelsche Schule allmählich und mußte dem aufkommenden Materialismus mit seiner zuweilen scharfen Religionskritik weichen. Die führenden Denker dieser Bewegung waren der evangelische Theologe David Friedrich Strauß (1808–1874) sowie der Philosoph Ludwig Feuerbach (1804– 1872), in Dänemark Sören Kierkegaard (1813–1855). Besonders Feuerbach wirkte nachhaltig auf Karl Marx (1818–1883), der zwar die Hegelsche Dialektik als Methode beibehielt, sie aber mit einem Hegel genau entgegengesetzten Inhalt füllte: materialistische Dialektik als revolutionäres Prinzip.

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Zehnter Teil: DAS 19. JAHRHUNDERT

Arthur Schopenhauer

Zwischen oder besser außerhalb dieser beiden Fronten – der Romantiker und Hegel auf der einen Seite, der Materialisten und Marx auf der anderen – stand der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860). Er gilt als eine der eigenwilligsten Persönlichkeiten innerhalb der neuzeitlichen Geistesgeschichte, der zwar an Kant anknüpfte, jedoch einen völlig neuen Aspekt in die abendländische Philosophie einbrachte: Er war der erste, der bewußt Elemente der indischen Philosophie in sein Gedankengebäude aufnahm, welche dem abendländischen Leser erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Originalübersetzungen zugänglich war.

Über die Bhagavad-gita, die Schopenhauer in einer persisch-lateinischen Übersetzung, dem „Oupnek’hat“ (dem „zu bewahrenden Geheimnis“) gelesen hatte, schreibt er: 

Wie wird doch der, dem ... dieses unvergleichliche Buch geläufig geworden ist, ... im Innersten ergriffen! Wie ist doch jede Zeile so voll ernster, bestimmter und durchgängig zusammenströmender Bedeutung! Aus jeder Zeile treten uns tiefe, ursprüngliche, erhabene Gedanken entgegen, während ein hoher und heiliger Ernst über dem Ganzen schwebt.

 

Alles atmet hier indische Luft und ursprüngliches, naturverwandtes Dasein ... Es ist die belehrendste und erhabenste Lektüre, die auf der Welt möglich ist; sie ist der Trost meines Lebens gewesen, und wird der meines Sterbens sein. (in: „Parerga und Paralipomena II“)

Trotz dieser tiefen Wertschätzung für die Erhabenheit der Lehren der Bhagavad-gita fühlte sich Schopenhauer mehr dem Buddhismus verwandt und zugetan. Diesen hatte er im Winter 1813/14, 25jährig, während seines Aufenthaltes bei Goethe in Weimar durch dessen Freund, den Orientalisten Friedrich Maier, kennengelernt.

In ihm fand Schopenhauer seine eigenen, noch ungereiften Vorstellungen bestätigt und weiter ausgeführt, und so hat die in ihren Grundzügen pessimistische Lebensverneinung des Buddhismus („Leben ist nichts anderes als Leiden“) denn auch sein gesamtes späteres Schaffen nachhaltig geprägt.

Für unsere Betrachtung ist es von Bedeutung, daß Schopenhauer in seinem tiefen Pessimismus doch von der Richtigkeit der Seelenwanderung und von der Unvergänglichkeit des Lebens überzeugt war. In seinem bereits mit dreißig Jahren verfaßten Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (1819) schreibt er: 

Wir finden die Lehre von der Metempsychose, aus den urältesten und edelsten Zeiten des Menschengeschlechts stammend, stets auf der Erde verbreitet, als den Glauben der großen Majorität des Menschengeschlechts, ja, eigentlich als Lehre aller Religionen, mit Ausnahme der jüdischen und der zwei von dieser ausgegangenen; am subtilsten jedoch und der Wahrheit am nächsten kommend, wie schon erwähnt, im Buddhaismus. (II, 4. Buch, Kapitel 41)

Noch deutlicher drückte sich Schopenhauer in seinem Werk „Parerga und Paralipomena“ (1851) aus:

Wenn mich ein Asiate früge, was Europa sei, so müßte ich ihm antworten: Es ist der Weltteil, der gänzlich von dem unerhörten und unglaublichen Wahn besessen ist, daß die Geburt des Menschen sein absoluter Anfang und er aus dem Nichts hervorgegangen sei. (Kapitel 15)
 

Der moralische Sinn der Metempsychose, in allen indischen Religionen, ist nicht bloß, daß wir jedes Unrecht, welches wir verüben, in einer folgenden Wiedergeburt abzubüßen haben; sondern auch, daß wir jedes Unrecht, welches uns widerfährt, ansehn müssen als wohlverdient, durch unsere Missetaten in einem früheren Dasein. (Kapitel 16)

Schopenhauers zentraler Begriff zur Charakterisierung allen Lebens, nicht nur des menschlichen, lautet „Wille“, womit er den allesbeherrschenden, blinden Trieb meint, um den und aufgrund dessen die Welt sich dreht. Daneben kommen in seinen Werken auch immer wieder die Stichworte Not, Langeweile, Einsamkeit, Kampf und Krieg, Fressen und Gefressenwerden usw. vor. Über das Werk Schopenhauers schreibt der bereits angeführte Humorist Wilhelm Busch

Das ist, was Schopenhauer den Willen nennt: Der allmächtige Drang zum Leben; überall derselbe ... im Himmel und auf Erden; in Felsen, Wassern, Sternen wie in unserer Brust. Er schafft und füllt und drängt, was ist. Im Oberstübchen sitzt der Intellekt und schaut dem Treiben zu.

 

Er sagt zum Willen: „Alter! Laß das sein! Es gibt Verdruß.“ Aber er hört nicht. Enttäuschung, kurze Lust und lange Sorge, Alter, Krankheit, Tod, sie machen ihn nicht mürbe; er macht so fort. Und treibt es ihn auch tausendmal aus seiner Haut, er findet eine neue, die’s büßen muß. (aus einem Brief vom 25.5.1875) 

Auf die Frage, ob es denn keinen Ausweg aus dem elenden Jammertal des Erdenlebens gebe, antwortet die Philosophie Schopenhauers: Erkenntnis ist kein Ausweg – im Gegenteil, je entwickelter das Bewußtsein ist, desto schmerzempfindlicher wird es. Auch Selbstmord ist zwecklos, weil der „Wille“ sich sogleich eine neue Verkörperung schafft (auch hier zeigt sich Schopenhauers Bekenntnis zur Lehre der Reinkarnation).

Wahnsinn hingegen scheint schon eher eine Lösung zu sein, und mit ihm verwandt ist auch der eigentliche Ausweg: zunächst der ästhetische Weg, der Weg von Genie und Kunst, insbesondere der Musik, dann aber vor allem der ethische Weg – die radikale Verneinung des „Willens“.

Schopenhauer kommt also zu dem Schluß, daß es keinen anderen Ausweg aus dem Leid des Daseins gibt, als die Person, die das Leid erfährt, gänzlich auszulöschen. In „Die Welt als Wille und Vorstellung“ schließt Schopenhauer das Kapitel „Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens“ mit den Worten: 

Das Sterben ist der Augenblick jener Befreiung von der Einseitigkeit einer Individualität, welche nicht den innersten Kern unseres Wesens ausmacht, vielmehr als eine Art Verirrung desselben zu denken ist. ... Ruhig und sanft ist, in der Regel, der Tod jedes guten Menschen: Aber willig sterben, gern sterben, freudig sterben, ist das Vorrecht des Resignierten, dessen, der den Willen zum Leben aufgibt und verneint.

 

Denn nur er will wirklich und nicht bloß scheinbar sterben, folglich braucht und verlangt er keine Fortdauer seiner Person. Das Dasein, welches wir kennen, gibt er willig auf: was ihm statt dessen wird, ist unseren Augen nichts; weil unser Dasein, auf jenes bezogen, nichts ist. Der Buddhaistische Glaube nennt jenes Nirwana, d.h. Erlöschen. (II, 4. Buch, Ka­pitel 41)
 

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Zehnter Teil: DAS 19. JAHRHUNDERT

Nietzsche und Wagner

Die pessimistische Weltanschauung Schopenhauers, der zu seinen Lebzeiten für Jahrzehnte nahezu unbeachtet blieb, erhielt vor allem nach der gescheiterten Revolution von 1848 einen gewaltigen Auftrieb, als eine Woge des Pessimismus durch die gesamte europäische Kulturwelt ging. Die deutlichsten Beispiele dafür sind Richard Wagner in der Musik und Friedrich Nietzsche in der Philosophie.

Friedrich Nietzsche (1844–1900), der „Philosoph mit dem Hammer“, war einer der bedeutendsten Denker des 19. Jahrhunderts. Da er die düsteren Zeichen seiner Zeit und die folgenschwere Entwicklung der „Industriellen Revolution“ voraussah, wollte er alle Werte umwerten, zerbrach aber letztlich an seiner eigenen Ohnmacht. Von ihm ist der Ausspruch überliefert: „Die Lehre von der Wiedergeburt ist ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit“.

Schon in seinen frühen Werken, den vier „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ (1873–76), versuchte Nietzsche, die sich abzeichnenden Verfallstendenzen Europas zu entlarven und zu bekämpfen, indem er sie am Idealbild einer „echten Kultur“ maß. Bereits hier brachte er den Gedanken der Reinkarnation, der ihn zeitlebens beschäftigte, mit den folgenden Worten zum Ausdruck: 

Wer sein Leben nur als einen Punkt versteht in der Entwicklung eines Geschlechtes oder eines Staates oder einer Wissenschaft, ... hat die Lektion, welche ihm das Dasein aufgibt, nicht verstanden und muß sie ein andermal lernen ...

 

Erst wenn wir, in der jetzigen oder in einer kommenden Geburt, selber in jenen erhabenen Orden der Philosophen, der Künstler und der Heiligen aufgenommen sind, wird uns auch ein neues Ziel unserer Liebe und unseres Hasses gesteckt sein. (in: „Schopenhauer als Erzieher“, 1874)

Nach einer ersten schweren Krankheit im Jahre 1876, von der er sich nie wieder ganz erholte, mußte Nietzsche 1879 bereits mit 35 Jahren sein Lehramt für klassische Philologie an der Universität Basel aufgeben und sich pensionieren lassen.

Sein Wille, der Zeit und der Menschheit neue Gesetzestafeln zu geben und damit über die bloße Moralkritik hinauszukommen, führte ihn nach seiner vorläufigen Genesung zur Schöpfung seiner Gedankendichtung „Also sprach Zarathustra“ (Teil I-III 1883/84; IV 1891), in der er seine Lehren vom „Übermenschen“ und von der „Ewigen Wiederkehr“ darstellte. Hier rufen die Schüler Zarathustras ihrem Meister zu: 

Siehe, wir wissen, was du lehrst: daß alle Dinge ewig wiederkehren und wir selber mit, und daß wir schon ewige Male dagewesen sind und alle Dinge mit uns. Du lehrst, daß es ein großes Jahr des Werdens gibt, ein Ungeheuer von großem Jahre: das muß sich, einer Sanduhr gleich, immer von neuem umdrehn..., so daß alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Größten wie auch im Kleinsten, so daß wir selber in jedem großen Jahre uns selber gleich sind, im Größten und auch im Kleinsten. ...

 

Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, ... nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben: – ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Größten und auch im Kleinsten. (in: „Der Genesende“)

Im „Zarathustra“ finden wir auch das folgende Gedicht: 

O Mensch! Gib acht!

Was spricht die tiefe Mitternacht?

„Ich schlief, ich schlief –,

Aus tiefem Traum bin ich erwacht –:

Die Welt ist tief,

Und tiefer als der Tag gedacht.

Tief ist ihr Weh –,

Lust – tiefer noch als Herzeleid:

Weh spricht: Vergeh!

Doch alle Lust will Ewigkeit –,

– will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

Aus diesen Zitaten wird deutlich, daß die Wiedergeburt beim späteren Nietzsche die Schreckensgestalt des Gedankens einer „ewigen Wiederkehr der Gleichen“ und somit von ewigem, ausweglosem Leid und Langeweile annahm. Denn ohne genaue Kenntnis der subtilen Gesetzmäßigkeiten von Karma und Reinkarnation – geschweige denn der Möglichkeit, aus deren Kreislauf befreit zu werden –, wurde Nietzsche mehr und mehr ein tragisches Opfer seines eigenen Genies.

Seine späteren Schriften – wie „Jenseits von Gut und Böse, Vorspiel einer Philosophie der Zukunft“ (1886) oder seine vehementen Angriffe gegen das verfallene Christentum „Götzendämmerung“ und „Antichrist“ (1888), vor allem aber der unvollendet gebliebene „Wille zur Macht, Versuch einer Umwertung aller Werte“ (postum 1906) – sind denn auch gekennzeichnet durch Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Pessimismus.

Er starb, nach einem paralytischen Zusammenbruch 1889 und über einem Jahrzehnt der geistigen Umnachtung, im Alter von nur 56 Jahren als vereinsamter, unverstandener Vorkämpfer gegen eine Zeit, die ihn selbst schon eingeholt hatte.

Ein Zeitgenosse und Wegbegleiter des jungen Nietzsche war der Opernkomponist Richard Wagner (1813–1883), der wie dieser ein leidenschaftlicher Verehrer Schopenhauers war. Durch seine eingehende Beschäftigung sowohl mit Schopenhauer als auch mit dem Buddhismus war er ein überzeugter Verfechter der Reinkarnationslehre, die auch sein musikalisches Schaffen nachhaltig beeinflußte.

Gemeinsam mit seinem Freund, dem Dichter Georg Herwegh (1817– 1875), plante Wagner ein großes Epos, dessen Grundlage der Seelenwanderungsgedanke sein sollte. In seiner Autobiographie „Mein Leben“ erinnerte er sich an jene Begebenheit im Jahre 1856: 

Dies brachte mich auf den Gedanken, ihm [Herwegh] als den erwünschten Rahmen seines Gedichtes den Mythus der Metempsychose, wie er aus der Brahmanischen Religion durch Plato selbst unserer klassischen Bildung nahegebracht worden sei, vorzuschlagen.

 

Da er diese Idee nicht übel fand, beschäftigte ich mich sogar näher damit, ihm die Form eines solchen Gedichtes zu bezeichnen: er sollte dazu drei Hauptakte, jeden in drei Gesänge geteilt, somit neun Gesänge, wählen. Der erste Akt würde seinen Haupthelden in der asiatischen Heimat, der zweite in der hellenisch-römischen, der dritte in der mittelalterlichen und modernen Welt wiedergeboren erscheinen lassen. Das alles gefiel ihm sehr wohl, und er meinte, es könne wohl etwas daraus werden.

An seine Geliebte Mathilde Wesendonk schreibt Wagner im August 1860 von Paris aus die folgenden Zeilen: 

Gestern ergriff mich der „Lohengrin“ sehr, und ich kann nicht umhin, ihn für das allertragischste Gedicht zu halten, weil die Versöhnung wirklich nur zu finden ist, wenn man einen ganz furchtbar weiten Blick in die Welt wirft. – Nur die tiefsinnige Annahme der Seelenwanderung konnte mir den trostreichen Punkt zeigen, auf welchem endlich alles zur gleichen Höhe der Erlösung zusammenläuft, nachdem die verschiedenen Lebensläufe, welche in der Zeit getrennt nebeneinander laufen, außer der Zeit sich verständnisvoll berührt haben. 

Auch das letzte Werk Wagners, „Parsifal“ (1882), ist durchsetzt mit dem Wissen um Karma und Reinkarnation, insbesondere in der Gestalt der vom Fluch verfolgten Kundry. Im ersten Akt heißt es über sie: „Ja, eine Verwünschte mag sie sein. Hier lebt sie heut – vielleicht erneut, zu büßen Schuld aus früh’rem Leben, die dorten ihr noch nicht vergeben.“ Und am Ende enthüllt Kundry dem Parsifal selbst das Geheimnis ihres Schicksals: weil sie in einem früheren Dasein Christus geschmäht habe, müsse sie sich nun von Leben zu Leben nach Erlösung sehnen.

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