REINKARNATION
Die umfassende Wissenschaft
der Seelenwanderung

von Ronald Zürrer

Internet-Veröffentlichung Juli 2008,
(c)
Govinda-Verlag GmbH

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Fünfter Teil: DIE RENAISSANCE

Die Renaissance

Die epochale Kulturwende vom Mittelalter zur Neuzeit bezeichnet die moderne Geschichtswissenschaft mit dem französischen Begriff Renaissance, wörtlich „das Zeitalter der Wiedergeburt“. (Dies bezieht sich allerdings nicht etwa auf die Lehre der Reinkarnation, sondern auf das neu zum Leben erweckte, „wiedergeborene“ öffentliche Interesse an antiker Malerei, Bildhauerkunst, Architektur, Literatur, Philosophie und Wissenschaft.)

Im 14. Jahrhundert von Italien ausgehend, vollzog sich dieser Wandel in sämtlichen Lebens- und Geistesbereichen des Abendlandes und war in der Philosophie erkennbar durch die neue Richtung des Humanismus, in der Religionsgeschichte durch die Reformation und in der Wissenschaft durch die Theorien eines Kepler oder eines Galilei.


KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Fünfter Teil: DIE RENAISSANCE

Das neue Naturwissen

Während die christlichen Kirchen dem kopernikanischen Gedanken des heliozentrischen Weltsystems zunächst nicht ablehnend gegenüberstanden, fällt das Leben und Wirken Keplers und Galileis in die Zeit, als die Kirchen beider Konfessionen die Gefährlichkeit der neuen Lehre für ihre überlieferten Anschauungen erkannt hatten, weshalb das Leben beider von tragischen Kämpfen erfüllt war.

Der Name des deutschen Astronomen und Mathematikers Johannes Kepler (1571–1630) ist vor allem verknüpft mit den von ihm gefundenen und mathematisch formulierten Gesetzen der Planetenbewegung (Keplersche Gesetze, 1619); daneben hat er auch auf allen anderen Gebieten der damaligen Naturwissenschaft Großes geleistet. Kepler sprach als erster das aus, was die moderne abendländische Naturwissenschaft und ihre Methode von der der antiken Griechen unterscheidet, indem er den Grundsatz prägte: Ubi materia, ibi geometria

„Wo Materie, wo Natur ist, da ist auch Geometrie und Mathematik.“ Damit bringt er das bis zum heutigen Tage geltende Verständnis zum Ausdruck, daß alles in der Natur Existierende und Beobachtbare auf unpersönlichen physikalischen Gesetzen beruht, die mathematisch erfaßbar und berechenbar sind.

Konsequenter noch als Kepler hat der italienische Naturforscher und Begründer der modernen Physik, Galileo Galilei (1564–1642), die Prinzipien einer rein quantitativen, mathematischen und mechanischen Naturwissenschaft formuliert und angewendet. Hans Joachim Störig schreibt: 

Dieser große Italiener ist der eigentliche Ahnherr der heutigen Naturwissenschaft. Neben zahlreichen anderen Entdeckungen und Erfindungen hat er vor allem die Grundlagen der Mechanik geschaffen. ... Er spricht klar aus, was schon in der Keplerschen Formel gesagt war: Das große Buch der Natur liegt aufgeschlagen vor uns.

 

Um es lesen zu können, bedürfen wir der Mathematik, denn es ist in mathematischer Sprache geschrieben. Die Naturvorgänge sind quantitativ und damit meßbar; wo das nicht ohne weiteres der Fall ist, muß die Wissenschaft die Anordnung des Experiments so treffen, daß sie meßbar gemacht werden.
 

Mit Galilei beginnt der unvergleichliche Siegeszug der europäischen Naturwissenschaft. Sie übernimmt nun die Führung im Reiche der Wissenschaften und gibt sie nicht wieder ab. Kein Philosoph kann fortan an ihren Methoden und Ergebnissen vorübergehen, ja es ist gesagt worden, daß die großen Naturforscher die eigentlichen Philosophen der Neuzeit seien. (S. 286f.)

Hieraus wird ersichtlich, daß die Existenz einer immateriellen Seele und damit auch der Reinkarnationsgedanke in einem solchen rein mechanistisch-materiellen Weltbild keinen Platz hatte, da sich die Seele und ihre Wanderung natürlich nicht mit den grobstofflichen mathematischen und physikalischen Gesetzen erfassen läßt.

Die sich nunmehr zum erstenmal anbahnende Trennung zwischen Philosophie und Naturwissenschaft (die in der Antike noch eine Einheit gebildet hatten) sowie die Tatsache, daß letzterer immer größere gesellschaftliche Bedeutung zukam, führten in den kommenden Jahrhunderten dazu, daß das esoterische Wissen um die Reinkarnation mehr und mehr in den Bereich des „Glaubens“ verdrängt und von vielen als „unwissenschaftlich“ erklärt wurde.

Dennoch hat es, wie wir sehen werden, auch in den Jahrhunderten der „Wissenschaftlichkeit“ immer wieder zahlreiche Bestrebungen gegeben, die Seelenwanderung oder Metempsychose, die den griechischen Gelehrten noch durchaus geläufig gewesen war, mit logischen, ja sogar mit wissenschaftlichen Mitteln zu beweisen.

Zunächst jedoch wollen wir uns noch kurz jener zweiten folgenschweren Neuerung im abendländischen Denken zuwenden, welche das Zeitalter der Renaissance mit sich brachte: dem Humanismus.

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Fünfter Teil: DIE RENAISSANCE

Der Humanismus

Mit dem neulateinischen Begriff Humanismus (aus latein. humanitas = menschliche Natur, menschliche Bildung, Humanität) bezeichnet die Philosophiegeschichte die seit dem 14. Jahrhundert aufblühende Bewegung, die sich erneut und in ganz anderer Weise als bisher mit den Idealen der Antike beschäftigte und sich an ihnen orientierte.

Als eigentlicher „Vater des Humanismus“ gilt der Italiener Francesco Petrarca (1304–1374), der zahlreiche Dichtungen und Traktate in lateinischer Sprache verfaßte. Um ihn bildete sich bald ein Kreis erster Humanisten, die eine Bewußtwerdung der individuellen Persönlichkeit und eine rein „menschliche“ (humane), also nicht theologische oder scholastische Bildung forderten und sich somit klar gegen die festen Glaubensformen und die dogmatische Enge der Kirche stellten.

Kurz vor und insbesondere nach der türkischen Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453 zogen viele griechische Gelehrte nach Italien und brachten zahlreiche alte Handschriften mit, die wäh­rend des Mittelalters in Westeuropa nahezu verschollen gewesen waren.

Unter den ersten dieser Gelehrten befand sich der byzantinische Philosoph Georgios Gemistos Plethon (1355–1452), ein begeisterter Verehrer Platons, der das Interesse der italienischen Huma­nisten auf die Werke Platons und Plotins lenkte und so die Vormachtstellung, die Aristoteles im scholastischen Mittelalter innegehabt hatte, beendete.

Durch seine Vorträge gewann Plethon den Florenz beherrschenden Cosimo I. di Medici für den Plan, in Florenz eine neue „Platonische Akademie“ zu begründen, die die Fortsetzung der alten Akademie von Athen sein sollte.

Dieses Vorhaben konnte allerdings erst nach seinem Tode, nämlich im Jahre 1459, verwirklicht werden, und in der Folge brachte diese neue platonische Akademie zahlreiche bedeutende Gelehrte hervor, wie zum Beispiel Marsilio Ficino (1433–1499), der die Werke Platons und der Neuplatoniker ins Lateinische übersetzte und dadurch auch der Lehre der Metempsychose zur längst fälligen Wiedergeburt innerhalb der europäischen Philosophie verhalf. In einer seiner Schriften schreibt Plethon über den Vorgang der Seelenwanderung: 

Was unsere Ansicht betrifft, so bleibt unsere Seele, die an der göttlichen Natur teilhat, unsterblich und ewig selbst innerhalb der Begrenztheit unserer Welt. Einer sterblichen Hülle verhaftet, wird sie von den Göttern bald in diesen, bald in jenen Körper geschickt...
 

Wenn sich in einem Menschen für einen Augenblick die unsterbliche Natur mit der sterblichen verbindet, nur um diese dann für immer aufzugeben, würde zwischen diesen beiden Elementen, dem sterblichen und dem unsterblichen, keine dauerhafte Bindung entstehen, sondern eine zeitweilige, die, sobald das sterbliche Element entfernt, im gleichen Moment aufgehoben würde.

 

Es bleibt zu sagen, daß die Verbindung dieser beiden Elemente bei einer erneuten Inkarnation nur teilweise und zeitweilig besteht und daß, sobald der Körper vernichtet wird, ein jedes Teil für eine gewisse Zeit zu seiner betreffenden Unabhängigkeit zurückkehrt und sich dieser Vorgang in Ewigkeit unzählige Male wiederholt.

Die humanistische Idee griff daraufhin in kurzer Zeit auf alle Gebiete des kulturellen Lebens über und gelangte von Italien aus nach Deutschland, Frankreich, England, Spanien und Holland. Die Erfindung des Buchdrucks förderte zudem die Ausbreitung der neuen Gedanken, und in zahlreichen Städten bildeten sich Humanistenkreise, die wieder auf Schulen und Universitäten wirkten.

Unter den führenden Humanisten seien der Holländer Erasmus von Rotterdam (1466–1536) sowie die Deutschen Johannes Reuchlin (1455–1522), Konrad Celtis (1459–1508) und Ulrich von Hutten (1488–1523) als die bekanntesten genannt. Von Reuchlin ist bekannt, daß er sich intensiv mit dem Studium diverser orientalischer Sprachen und esoterischer Lehren beschäftigte und Kommentare zur Kabbala verfaßte, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß ihm der Gedanke der Wiedergeburt geläufig und lieb war.

In seiner Schrift „De arte cabalistica“ bekennt Reuchlin, daß in der gleichen Weise, wie Ficino Platon in Italien und Jacques Lefevre d’Etaples (1450–1536) Aristoteles in Frankreich eingeführt hatte, er selbst diese Reihe vervollständigen wolle, indem er „den Deutschen zeige, daß Pythagoras in mir wiedergeboren wurde.“

Für unsere Betrachtung der Entwicklung des Reinkarnationsgedankens ist die Renaissance deshalb von entscheidender Bedeutung, weil in ihr die seit nahezu 1000 Jahren vernachlässigte platonische Schule durch die Bestrebungen der Humanisten in Westeuropa erstmals wieder im großen Rahmen Beachtung fand – und mit ihr auch das Wissen um die Präexistenz der Seele und die Seelenwanderung. Dieses Wissen konnte nunmehr, trotz anhaltenden Widerstandes seitens der Kirche, nicht mehr länger unterdrückt werden und erlangte in der Folge immer mehr Gehör und Akzeptanz.

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Die Reformation

Die dritte einschneidende Veränderung in der europäisch-christlichen Kultur zur Zeit der Renaissance bildet die sogenannte Reformation (latein., wörtlich „Erneuerung, Umgestaltung“).

Diese Reformation wurde im Oktober 1517 von Martin Luther (1483–1546) ausgelöst, der die immer lauter gewordene Forderung der Massen nach einer Erneuerung der mittelalterlichen Kirche verkörperte. Luther und sein humanistisch gebildeter Mitarbeiter Philipp Melanchthon (1497–1560) sowie Huldrych Zwingli (1484–1531) in Zürich und Johannes Calvin (1509–1564) in Genf riefen eine religiöse Bewegung ins Leben, die zur Entstehung neuer, vom Papsttum unabhängiger Kirchen führte.

Von den Historikern werden zahlreiche Gründe genannt, die den Erfolg der Reformation vorbereitet hatten, so zum Beispiel die in der Renaissance beginnende historische Kritik auch an den kirchlichen Institutionen oder die durch die Erfindung der Buchdruckerkunst allgemein zugänglich gemachten Schriften der Bibel und der Kirchenväter. Soziale Gründe waren unter anderem das allgemeine Auflehnen gegen die Fürsten und weltlichen Machthaber, die eng mit der Kirche zusammenarbeiteten, sowie die ungerechten sozialen Verhältnisse in den Städten und auf dem Lande.

Innerhalb der Kirche schließlich war es durch das große Schisma (Spaltung zwischen der westlichen und östlichen Kirche im Jahre 1045) zu einem bedeutenden Autoritätsverlust des Papsttums gekommen; die Reformkonzilien waren gescheitert, und eine immer sichtbarer werdende Korruption und Verweltlichung des Klerus führte dazu, daß ein Klima schwelender Unzufriedenheit entstand.

Diese wurde durch das Auftreten Luthers und durch die schnelle Verbreitung seiner Hetz- und Programmschriften zu einer hellen Flamme entfacht, so daß eine regelrechte Volksbewegung zum Träger seiner reformatorischen Gedanken wurde. Zwar erwuchsen dieser Bewegung durch Bauernaufstände und durch die Absage des Erasmus von Rotterdam und damit eines Großteils der Humanisten gewisse Schwierigkeiten, doch bis etwa 1530 hatte sich die Reformation gefestigt.

Im Jahre 1561 war Deutschland zu 80% protestantisch, doch gelang der katholischen Kirche in den folgenden Jahrzehnten eine „Gegenreformation“, durch die sie manche Gebiete zurückgewinnen konnte.

Alles in allem läßt sich sagen, daß der Protestantismus entscheidend dazu beigetragen hat, daß die mittelalterliche Alleinherrschaft der katholischen Kirche auf allen Gebieten des Geisteslebens gebrochen wurde, wenn ihm auch für die innere „Befreiung des Geistes“ nicht dieselbe gesamteuropäische Bedeutung zukommt wie beispielsweise dem Humanismus. Die lutherische Reformation wurde später von manchen Beurteilern, so auch von Friedrich Nietzsche, sogar als Rückfall und Unterbrechung in der Entwicklung des europäischen Geistes angesehen.

Wenn ich an dieser Stelle die Hintergründe und Folgen der Reformation nur in sehr knapper Weise darstelle, so hat dies vor allem drei Gründe. Erstens scheint sie mir zu bedeutend, als daß ich sie völlig unerwähnt lassen könnte, zweitens würde es jedoch den Rahmen unserer Betrachtungen sprengen, in alle Einzelheiten auf sie einzugehen, und drittens hat sie schließlich für unser Thema des Reinkarnationsgedankens keine wesentlichen Veränderungen gebracht.

Auch wenn Luther die mittelalterliche Tradition der degenerierten scholastischen Kirche verworfen hatte und die Möglichkeit der Erlösung allein im Glauben an die offenbarten Schriften der Evangelien sah (weshalb seine Lehre auch als die evangelische bezeichnet wird), fand die Seelenwanderung doch keinen Platz in dem von ihm und seinen Nachfolgern errichteten Lehrgebäude.

Dies ist insbesondere deshalb erstaunlich und auch enttäuschend, weil das Wissen um die Reinkarnation in den urchristlichen Quellen durchaus vorhanden gewesen war und erst später durch ebendiese Kirche beseitigt wurde, gegen deren Verweltlichung sich nun auch Luther gewandt hatte.

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Fünfter Teil: DIE RENAISSANCE

Giordano Bruno

Der Reinkarnationsgedanke tauchte jedoch, vielleicht unerwartet, an ganz anderer Stelle mit großer Macht und erschütternder Deutlichkeit in der Person eines der größten Philosophen und Theologen der späten Renaissance auf: in dem Italiener Giordano Bruno (1548–1600).

Angeregt wurde Bruno durch die Werke des Pythagoras, des Platon und der Neuplatoniker und insbesondere durch die Schriften des Deutschen Nicolaus Cusanus (auch: Nikolaus von Kues, 1401– 1464), eines der ersten Philosophen der Frührenaissance, der innerhalb der Kirche zu den höchsten geistlichen Ämtern und Würden (Kardinal, Bischof von Brixen) aufgestiegen war.

Cusanus hatte Gedanken aus dem Neuplatonismus und von Meister Eckhart übernommen und versucht, die oberflächlichen Gegensätze zwischen den Religionen auf höherer Ebene zu verbinden. So hatte er beispielsweise die Lehren des Koran untersucht und ließ in einer seiner Schriften auf Gottes Geheiß die weisen Männer aller Bekenntnisse zu einer Versammlung zusammentreten, in der sie gemeinsam darüber belehrt wurden, daß sie alle in verschiedener Weise denselben Gott suchten und verehrten.

Giordano Bruno, der mit 15 Jahren in den Dominikanerorden eingetreten war, diesen später aber wieder verlassen hatte, führte nun diese Gedanken weiter und entwarf eine eigene theologisch-mystische Lehre, wofür er schließlich von der Inquisition in 130 Anklagepunkten der Häresie für schuldig befunden und zum Feuertode verurteilt wurde. Dabei sind es insbesondere zwei von der damals gültigen katholischen Doktrin grundlegend abweichende Vorstellungen, die ihn das Leben gekostet haben: 1. sein Gottesverständnis und 2. seine Überzeugung von der Lehre der Seelenwanderung.

Bruno nennt das alles-beherrschende Prinzip „Gott“. Gott ist der Inbegriff aller Gegensätze, Er ist größer als das Größte und kleiner als das Kleinste, gleichzeitig unendlich und unteilbar, Möglichkeit und Wirklichkeit in einem. Eine solche Gottesvorstellung ist zwar mit den christlichen Grundlehren noch durchaus vereinbar; unvereinbar mit dem Katholizismus hingegen ist die Art, wie Bruno das Verhältnis Gottes zur Welt beschreibt.

Er weist die Ansicht zurück, daß Gott die Welt von außen – „wie ein Roßlenker das Gespann“ – regiere. Gott steht nicht über und außer der Welt, sondern in der Welt; Er wirkt als beseelendes Prinzip in ihrem Ganzen wie in jedem ihrer Teile. Bruno schreibt: 

Wir suchen Gott in dem unveränderlichen, unbeugsamen Naturgesetze, in der ehrfurchtsvollen Stimmung eines nach diesem Gesetze sich richtenden Gemütes, wir suchen Ihn im Glanz der Sonne, in der Schönheit der Dinge, die aus dem Schoße dieser unserer Mutter Erde hervorgehen, in dem wahren Abglanz Seines Wesens, dem Anblick unzähliger Gestirne, die am unermeßlichen Saume des einen Himmels leuchten, leben, fühlen, denken und dem Allgütigen, All-Einen und Höchsten lobsingen.

Wie sehr sich Bruno jedoch mit seiner Gottesvorstellung gegen die dogmatische Kirche stellte, war ihm selber klar bewußt. Er bezeichnete seine Anschauungen wiederholt als die uralten, das heißt die heidnischen. Hans Joachim Störig schreibt: 

Es macht gerade seine besondere geschichtliche Stellung aus, daß er aus den Gedanken, die unklar in vielen Köpfen seiner Zeit gärten, die Konsequenzen gezogen, ihnen Ausdruck verliehen und sich zu ihnen bekannt hat – Ausdruck verliehen freilich nicht in einem abgewogenen System, sondern in dichterischem Überschwang, in einer von der Übermacht des innerlich Geschauten hingerissenen, ja trunkenen Dichtung. (S. 306)

Einer dieser Gedanken, die in den Köpfen seiner Zeit gärten – und vielleicht der entscheidendste –, war derjenige der Seelenwanderung. Am Tage seiner Abschiedsrede an der Universität zu Witten­berg am 8. März 1588 schrieb Giordano Bruno unter der Überschrift „Salomon und Pythagoras“ den Spruch aus dem Prediger Salomonis nieder (es ist das einzige Blatt, das uns in seiner Handschrift erhalten ist): 

Quid est quod est? Ipsum quod fuit.

Quid est quod fuit? Ipsum quod est.

Nihil sub sole novum. 

Was ist das, was jetzt ist? Es ist dasselbe, was früher war.
Was ist das, was früher war? Es ist dasselbe, was jetzt ist.
Es gibt nichts Neues unter der Sonne. (Kohelet 1,9) 

Dieser Spruch war Bruno, wie auch aus der Nennung des Pythagoras neben dem Namen des Salomo hervorgeht, ein Ausdruck dieses einen grundlegenden Gedankens, der den wichtigsten Angelpunkt seines Denkens bildete: die Erkenntnis von den Gesetzmäßigkeiten der Seelenwanderung.

Er hatte denselben Spruch schon früher einmal, nämlich in seinem Hauptwerk „Über die Ursache“, neben die Worte gestellt, in denen Ovid den Pythagoras das Geheimnis der Seelenwanderung aussprechen läßt: „Nimmer vergeht die Seele, vielmehr die frühere Wohnung tauscht sie mit neuem Sitz und lebt und wirket in diesem. Alles wechselt, doch nichts geht unter.“

Bruno ist außerdem der Begründer der sogenannten Monadenlehre, die später vor allem bei Leibniz wieder auftaucht (wo ich sie auch eingehender behandeln werde). Er nahm zudem an, daß der gesamte Kosmos bewohnt sei und daß einige Planetenbewohner den Erdenmenschen bei weitem überlegen sein müßten.

Als Giordano Bruno schließlich wegen seiner „ketzerischen Anschauungen“ vor das Inquisitionsgericht gestellt wurde, bekannte er sich von neuem zum Gedanken der Seelenwanderung. Darüber gibt es in den Inquisitionsakten ein überaus lehrreiches Dokument. In dem zweiten Verhör, am 2. Juli 1592 im Gefängnis des Inquisitionsgerichtes zu Venedig, wurde ihm die Frage vorgehalten: „Glauben Sie, daß die Seelen unsterblich sind – und nicht von einem Körper in einen anderen übergehen, wie uns berichtet wird, daß Sie behauptet haben?“

Die Antwort Giordano Brunos lautete: 

Ich habe immer für wahr gehalten und halte für wahr, daß die Seelen selbständig subsistierende Substanzen sind, d.h. die vernünftigen Seelen, und daß solche, katholisch geredet, nicht von einem Körper in einen anderen übergehen, sondern entweder in das Paradies oder ins Fegefeuer oder in die Hölle kommen.
 

Aber andererseits habe ich philosophisch die Lehre behandelt und auch verteidigt, daß, da die Seele ohne den Körper bestehen und in einem Körper existieren kann, sie in derselben Weise, wie sie in einem Körper sein kann, auch in einem anderen Körper sein und von einem Körper in einen anderen Körper übergehen kann, was, wenn es nicht wahr ist, doch wenigstens wahrscheinlich ist nach der Meinung des Pythagoras.

Für dieses Bekenntnis zur Lehre der Reinkarnation (sowie für seine Lehre von der Unendlichkeit des Weltalls und seine Propagierung eines heliozentrischen Weltbilds) wurde Giordano Bruno sieben Jahre lang in einem Kerker in Rom gefangengehalten, gefoltert und dort schließlich im Jahre 1600 auf dem Scheiterhaufen öffentlich verbrannt.

Doch von ihm pflanzte sich der Gedanke der Seelenwanderung trotz der dogmatisch sturen Haltung der christlichen Kirchen durch die europäische Geistesgeschichte fort, fand neuen fruchtbaren Boden und beeinflußte beispielsweise auch Leibniz und Goethe.

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KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Fünfter Teil: DIE RENAISSANCE

Weitere bedeutende Dichter und Philosophen der Renaissance

Ein ähnlich bewegtes Leben wie Giordano Bruno, aber ein weniger tragisches Ende hatte der Schweizer Arzt und Naturphilosoph Paracelsus (1493–1541). In seinen Werken unterschied er zwischen dem vergänglichen physischen und einem ewigen „spirituellen Körper“, wobei er nicht ausschloß, daß letzterer im Laufe der Zeit auch verschiedene physische Verkörperungen annehmen könne: 

Die Ursache aller Dinge ist der Geist. Er bringt einen Körper hervor, durch den er seine Wunder vollführt. Ist der Körper zerstört, schafft sich der Geist einen neuen Körper, der ähnliche oder höhere Eigenschaften hat.

In seinem Sonett Nr. 59 geht auch William Shakespeare (1564– 1616), der wohl größte englische Dramatiker und Dichter, dessen Schaffen deutlich von der neuplatonischen Metaphysik beeinflußt war, auf den Seelenwanderungsgedanken ein, und zwar unter zwei verschiedenen Aspekten.

Zuerst drückt er sein Erstaunen darüber aus, wie das gleiche Kind (die gleiche Seele) denselben Eltern erneut geboren werden kann; dann betrachtet er die Möglichkeit, daß der gegenwärtige Charakter einer Person seinen Urspung in einem früheren Leben hat. 

Wenn nichts mehr neu, schon alles dagewesen,

dann ist’s ein Trug, daß unser Hirn erfinde.

Vergebne Müh: es wollte neu genesen,

und nieder kommt’s mit schon gebornem Kinde.

 

O daß ich doch fünfhundert Sonnenjahre

zurück könnt’ schreiten auf der Zeiten Pfad,

bis ich dein Bild in einem Buch gewahre,

worin zuerst der Geist aus Zeichen trat!

 

Dann wüßt’ ich, ob die Alten Ruhm gebreitet

um deiner Schönheit Wunder, deinen Wert;

ob vorwärts unsre Welt, ob rückwärts schreitet,

ob wandelnd nur das Gleiche wiederkehrt.

 

Doch weiß ich: man vermocht’ in frühern Tagen

von schlechterm Wert zu singen und zu sagen.

(in der Nachdichtung von Karl Kraus, 1933)

In Shakespeares zahlreichen Schauspielen (z.B. in „Heinrich VI.“) finden sich ebenfalls gelegentliche Anspielungen auf die Präexistenz und Postexistenz der Seele sowie auf die Seelenwanderung oder das Karma-Gesetz.

Auch in den insgesamt über 4000 Seiten umfassenden Notizbüchern des Italieners Leonardo Da Vinci (1452–1519), des größten Universalgenies nicht nur der Renaissance, sondern wohl auch der gesamten abendländischen Kulturgeschichte, finden sich einige Passagen, die belegen, daß er von der Präexistenz der Seele überzeugt war und sich immer wieder mit dem Reinkarnationsgedanken beschäftigt hatte.

Bezeichnend für die Übergangsphase vom Mittelalter zur Neuzeit war schließlich auch das Aufkommen zahlreicher geheimer gnostischer Bünde und Bruderschaften, die im Unterschied zur etablierten Kirche in dem Glauben an die Reinkarnation keinen Widerspruch zum ursprünglichen christlichen Gedankengut sahen.

Zu erwähnen wäre hier besonders die Gemeinschaft der Rosenkreuzer, die auf drei anonyme Traktate zurückgeht, welche Johann Valentin Andreae (1586–1654) in den Jahren 1614/15 veröffentlichte. Mit ihrem Gemisch von pansophistisch-neuplatonischen und alchimi­stischen Gedanken regten sie bis in die heutige Zeit immer wieder zur Gründung esoterischer Bruderschaften an.

Eine kurze Zusammenfassung der Reinkarnationsvorstellungen der Rosenkreuzer findet sich in dem folgenden Zitat: 

Die Theorie der Wiedergeburt lehrt, dass jede Seele ein integrierender Bestandteil der Gottheit sei, der alle göttlichen Eigenschaften entfaltet, so wie sich aus dem Samen die Pflanze entwickelt. Sie lehrt, dass durch wiederholte Leben in immer besseren Erdenkörpern die latenten Möglichkeiten sich langsam zu treibenden Kräften entwickeln, dass bei diesem Vorgang niemand verloren geht, und dass alle Menschen am Ende das Ziel der Vollkommenheit und der Wiedervereinigung mit Gott erreichen. (Max Heindel, „Die Weltauffassung der Rosenkreuzer“, S. 128)

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