REINKARNATION
Die umfassende Wissenschaft
der Seelenwanderung

von Ronald Zürrer

Internet-Veröffentlichung Juli 2008,
(c)
Govinda-Verlag GmbH

  zum Inhaltsverzeichnis 


KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Erster Teil: DIE ALTEN STAMMESKULTUREN

Afrika

Bereits Jahrhunderte vor der Ankunft der Europäer blühten auf dem gesamten afrikanischen Kontinent zahlreiche hochstehende Kulturen, wie die großen Reiche von Ghana, Mali und Songhai oder die mächtigen Königreiche von Ashanti, Ife und Benin. Die Stadt Timbuktu in Mali (früherer Sudan) war im 15. Jahrhundert der Sitz einer bedeutenden Universität, die den Treffpunkt vieler afrikanischer Gelehrter bildete. Und fast alle afrikanischen Stämme waren in der einen oder anderen Form mit dem Reinkarnationsgesetz vertraut.

Im „Hibbert Journal“ vom April 1957 berichtet Dr. E.G. Parrinder von der Universität Ibadan (Nigeria), Autor zahlreicher Bücher wie „Die traditionelle Religion Afrikas“ oder „Westafrikanische Psychologie“, in einem Artikel über „Verschiedene Arten des Reinkarnationsglaubens“: 

Im tropischen Afrika ist der Glaube an die Wiedergeburt tief verwurzelt. Die Studien, die insbesondere in den letzten vierzig Jahren von Anthropologen und anderen ernstzunehmenden Forschern in den verschiedensten Teilen Afrikas erstellt wurden, haben gezeigt, daß die meisten afrikanischen Völker einen tiefen Glauben an die Reinkarnation besitzen.

Auch der Ethnologe Theodore Besterman, der die religiösen Überzeugungen von über hundert Völkern aus allen Teilen des Kontinents erforschte und systematisierte, kam zu folgendem Ergebnis: 36 Stämme, unter ihnen die kulturell und philosophisch am weitesten entwickelten, glauben, daß die Toten als Menschen auf die Erde zurückkehren; 47 Stämme glauben, sie kämen als Tiere wieder, und 12, als irgendwelche anderen Lebewesen.

Unter denjenigen Stämmen, die an die Wiedergeburt als Mensch glauben, besitzen wohl die Zulus in Südafrika die umfassendste Reinkarnationslehre. Manche Historiker vermuten, daß bereits in vedischer Zeit Verbindungen zwischen dem indischen Subkontinent und Südafrika bestanden, wodurch sich gewisse Ähnlichkeiten mit der vedischen Philosophie erklären ließen.

Die Zulus glauben, daß in jedem Körper eine individuelle Seele (Idhlozi) ruht, in welcher seinerseits ein Funke des universellen göttlichen Geistes (I-Tongo) leuchtet. Sie beschreiben darüber hinaus, daß es insgesamt sieben aufsteigende Stufen der menschlichen Existenz gebe, nämlich 1. den Schüler, 2. den Studenten, 3. den Bruder, 4. den Älteren, 5. den Meister, 6. den Wissenden (Isangoma) und 7. den vervollkommneten Menschen (Abakulu-bantu), der nach vielen Inkarnationen einen Zustand erreicht hat, in dem er nicht wiedergeboren werden muß.

Er bewegt sich auf der Erde in einem physischen Körper nach seiner eigenen Wahl und kann diese Form nach Belieben entweder behalten oder verlassen. Das endgültige Ziel der Seele ist die Wiedervereinigung mit dem I-Tongo.

In einer westafrikanischen Sprache wird das Phänomen der Reinkarnation mit dem Begriff „wiederkommender Kreis“ beschrieben, wobei bemerkenswert ist, daß derselbe Begriff für eine Kletterpflanze verwendet wird, die sich an einem Pfahl allmählich emporwindet. Bei der Wiedergeburt handelt es sich nach dieser Ansicht also nicht um eine endlose Kreisbewegung, sondern um eine aufwärts strebende Spirale. Der ghanaische Lehrer und Wissenschaftler K. Brakatu Ateko schreibt (1962): 

In der westafrikanischen Yoruba-Sprache gibt es Sprichwörter, die das Gesetz des Karma illustrieren – „Wenn Herr Eidechse roten Pfeffer ißt, muß er schwitzen und nicht Frau Eidechse“ oder „Wenn Akosua etwas Böses anrichtet, wird nicht Akua bestraft.“ Die Stämme der Yorubas und Edos, unter denen ich mich vor einem halben Jahrhundert als Lehrer aufhielt, besitzen einen starken Glauben an die Reinkarnation.

 

Zu jener Zeit hatte der Einfluß des weißen Mannes den Glauben und das tägliche Leben des nigerianischen Hinterlandes noch nicht beeinflußt. Zum Beispiel nennen die Yorubas einen Sohn Babatunde, was heißt, „Vater ist zurückgekommen“, und ein Mädchen wird oft Yetunde genannt, „Mutter ist zurückgekommen“. In Ghana hat der Name Ababio, „er ist wiedergekommen“, dieselbe Bedeutung.

Häufig ist man also der Überzeugung, daß die Vorfahren in derselben Familie wiedergeboren werden, oft sogar als ihre eigenen Enkelkinder, und für gewöhnlich wird der Medizinmann des Stammes beauftragt, nach der Geburt eines Kindes zu ermitteln, welcher Vorfahre wiedergekommen sei.

In Nordnigeria herrscht die Vorstellung, daß die Seelen der Toten in der Nähe ihres ehemaligen Hauses in Baumstämmen versteckt auf die Gelegenheit warten, wieder in den Leib einer Mutter einzugehen, und in ähnlicher Weise glauben die Frauen im Süden Nigerias, daß die Seelen ihrer Kinder aus nahegelegenen Bäumen, Felsen oder Wasserstellen, wo sie auf die Wiedergeburt warten, zu ihren Müttern gelangen. Manchmal kommt es auch vor, daß ein Vorfahre einer Frau in einem Traum seinen Wunsch mitteilt, als ihr Kind wiedergeboren zu werden.

Der Bassongo-Stamm besitzt den Glauben, daß die Seele nach dem Tod des physischen Körpers zunächst zu Gott im Zentrum des Erdplaneten gelangt, wo sie nach einiger Zeit (zwischen zwei Monaten und zwei Jahren) vom Heimweh geplagt wird und darum bittet, wieder als Kind auf der Erdoberfläche geboren zu werden, wobei das Geschlecht sich durchaus ändern kann.

Einige afrikanische Stämme glauben auch, daß die Seelen der Verstorbenen als Schlangen in ihr ehemaliges Zuhause zurückkehren; diesen wird zuweilen Milch oder Fleisch geopfert, um die hungrigen Vorfahren zu sättigen und damit sie das eigene Haus beschützen mögen.

Der Betsileo-Stamm in Madagaskar lehrt, daß die Adligen als Boa Constrictor wiedergeboren werden, die gewöhnlichen Stammesmitglieder als Krokodile und der Abschaum des Stammes als Aale. In anderen Stämmen herrscht die Meinung, daß die Seelen der Menschen in alle möglichen Tierkörper eingehen, wobei nur Häuptlinge Löwen oder Flußpferde werden dürfen.

Das zukünftige Schicksal hängt, wie beim Karma-Gesetz in der vedischen Philosophie, auch von den Taten im gegenwärtigen Leben ab. Arme und vernachlässigte Menschen zum Beispiel werden zu Schimpansen; die Seele eines Menschen, dessen Nachkommen nicht die erforderlichen Rituale ausgeführt haben, kehrt als einsiedlerisches Tier oder als Verrückter wieder; wer keine Nachkommen besitzt und wessen Familie ausstirbt, wird zu einem Frosch.

Allgemein werden die Guten als Menschen oder als nützliche Tiere wiedergeboren, während die Schlechten in den Körper wildlebender Tiere eingehen müssen.

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Afrikaner, im Gegensatz beispielsweise zu den Buddhisten, das Leben auf der Erde als etwas Schönes und Fröhliches und die Reinkarnation als großes Glück für die Seele betrachten. Man findet bei ihnen kaum die Vorstellung, daß dieser Kreislauf letztlich ein Ende haben könnte. Im Gegenteil: Nicht wiedergeboren zu werden wird als schlecht erachtet, und Kinderlosigkeit gilt als Fluch, weil sie den „Fluß der Wiedergeburten“ aufhält.

  zum Seitenanfang    zum Inhaltsverzeichnis 

KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Erster Teil: DIE ALTEN STAMMESKULTUREN

Ozeanien und Australien

Das Wissen um die Seelenwanderung ist auch bei den Ureinwohnern Ozeaniens (pazifische Inseln), Indonesiens und Australiens weit verbreitet. So sind zum Beispiel die Dayaks auf Borneo der Ansicht, daß die Seele verstorbener Menschen mehrere Tode durchmachen muß, bevor sie schließlich zu einem Insekt oder einer Urwaldpflanze wird. Mehrere Völker Melanesiens glauben, daß die Seelen für eine gewisse Zeit in einer jenseitigen Welt leben, dort ein zweites Mal sterben und dann zu weißen Ameisen oder irgendwelchen anderen Geschöpfen werden.

Die Einwohner Nordguineas betrachten Affen, Schlangen und Krokodile als heilig, da in ihnen die Seelen der verstorbenen Vorfahren ruhen. Aus dem gleichen Grunde essen gewisse Völker Neuguineas keine Fische, Schweine oder Kasuare. Einige indonesische Stämme schließlich glauben, die Seelen würden wilde Tiger, Nashörner oder Elefanten werden, um in dieser Form ihre Stammesgenossen zu beschützen.

Auf Celebes vertreten die Poso Alfures eine der vedischen Philosophie sehr ähnliche Auffassung von drei verschiedenen Bestandteilen des Menschen: das Lebensprinzip (Inosa), der Intellekt (Angga) und das göttliche Element, die Seele (Tanoana). Letztere verläßt während des Schlafes den Körper und wandert in Träumen, und nach dem Tod wandert sie in gleicher Weise in eine neue körperliche Gestalt weiter. Sie befindet sich auch in den Tieren und Pflanzen.

Eine ähnliche Theorie vertreten auch die sogenannten Kahunas („Hüter der Geheimnisse“) auf Hawaii, deren religiöse Philosophie Huna genannt wird. Nach ihrer Lehre besitzt der Mensch drei Teile, die als „niederes, mittleres und höheres Selbst“ bezeichnet werden.

Das niedere Selbst stellt den physischen Körper und die Emotionen dar und das mittlere die Vernunft, während das höhere Selbst die Quelle spiritueller Weisheit und Kraft ist. Dadurch, daß sich eine individuelle Seele am Ende ihrer Evolution durch eine Reihe von Inkarnationen (von Felsen und Gewässern über Pflan­zen, Insekten und Vögeln bis zu Säugetieren und schließlich Menschen) diesem höheren Selbst öffnet, kann sie schließlich vollständig „geheilt“, das heißt geläutert, werden.

Die Lehre der Reinkarnation ist nahezu ausnahmslos auch bei sämtlichen Stämmen der australischen Ureinwohner (Aborigines) zu finden, welche glauben, daß alle Lebenden Wiederverkörperungen der verstorbenen Vorfahren sind. Ganz ähnlich wie in den afrikanischen Schilderungen geistert auch hier die Seele nach dem Tode in der Umgebung ihrer ehemaligen Wohnstätte in Teichen, Felsschluchten oder Bäumen umher und wartet so auf eine Möglichkeit, wieder in einen Mutterleib einzugehen. Nach Ansicht einiger Aborigines kann man nur im eigenen Stamm wiedergeboren werden. Auch hier wird der Kreislauf der Geburten und Tode als endlos betrachtet.

  zum Seitenanfang    zum Inhaltsverzeichnis 

KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Erster Teil: DIE ALTEN STAMMESKULTUREN

Nord- und Mittelamerika

Die Tlingit-Indianer Alaskas besitzen eine der vedischen Auffassung stark verwandte Vorstellung von Karma und Reinkarnation. Die meisten Anthropologen sind sich heute einig, daß der Ursprung des zivilisierten Menschengeschlechts in Asien, genauer in Indien, liegt und daß die Überwanderung nach Amerika bereits vor Jahrtausenden durch die heutige Beringstraße erfolgte, und zwar zu einer Zeit, da Asien und Amerika durch eine Landbrücke verbunden oder durch eine viel engere Wasserstraße als die heutige Meerenge voneinander getrennt waren.

Der amerikanische Parapsychologe Dr. Ian Stevenson, der in den Jahren 1961–1965 ausgedehnte Studien von Reinkarnationsfällen unter den Tlingit-Indianern betrieb, schreibt in diesem Zusammenhang in seinem Standardwerk „Reinkarnation – Der Mensch im Wandel von Tod und Wiedergeburt“: 

Den Beweis dafür liefert die Tatsache, daß Kunst, Architektur, Sitten, Gebräuche und Glaubensvorstellungen der Völker Nordsibiriens denen der Eingeborenen Nordwestamerikas äußerst ähnlich sind. ...

 

Die meisten Anthropologen glauben, daß die Wanderungen aus Asien und der Kontakt zwischen den Kulturen von Asien und Amerika Jahrtausende vor der christlichen Ära aufgehört haben. Einiges Material jedoch legt nahe, daß ein beträchtlicher Kontakt zwischen Asien und Nordwestamerika noch weit bis in die christliche Ära fortbestanden hat, möglicherweise sogar bis kurz vor dem Beginn der historischen Periode in Alaska im 18. Jahrhundert. ...

 

Wir wissen, daß den Tlingits ihr Reinkarnationsglaube nicht von den Europäern übermittelt wurde, da Alaska-Reisende im frühen 19. Jahrhundert den Glauben unter ihnen fest verankert fanden. (S. 234–35)

Die Tlingit-Indianer besitzen in Ergänzung zur eigentlichen Reinkarnationslehre, die für sie selbstverständlich ist, auch eine Vorstellung, die stark mit dem Gesetz des Karma verwandt ist, wenngleich dieser Begriff selbst nicht verwendet wird.

Sie gehen davon aus, daß Glück und Unglück von den Taten im vergangenen Leben abhängig sind, und sie haben eine höchst interessante Wissenschaft entwickelt, durch die man anhand der Muttermale eines neugeborenen Kindes eindeutige Hinweise darauf ableiten kann, wer wiedergeboren worden ist. Auch bei den Tlingit-Indianern findet die Wiedergeburt in den meisten Fällen innerhalb desselben Stammes statt.

Auch bei den meisten Eskimostämmen im gesamten Gebiet zwischen Alaska und Grönland finden wir konkrete Reinkarnationsvorstellungen. Dies bestätigt der Forscher Vilhjalmur Stefansson, der über zehn Jahre mit den Eskimos im Coronationgolf lebte. Die Wiederverkörperung als Tier wird nicht ausgeschlossen; eine Eskimofrau zum Beispiel weigerte sich, Walroßfleisch zu essen, nachdem ihr ein Medizinmann mitgeteilt hatte, ihr verstorbener Ehemann sei in den Körper eines Walrosses eingegangen.

Es herrscht auch der Brauch, daß ein älterer Eskimo sich ein frisch vermähltes Ehepaar auswählt und sie bittet, ihr erstgeborenes Kind werden zu dürfen. Handelt es sich um einen guten und ehrenwerten Herrn, willigt das Paar ein, worauf er sich in einiger Entfernung zurückzieht und sich selbst tötet, so daß er in der entsprechenden Familie Geburt nehmen kann.

Einige Eskimos in Alaska entwickelten gar ein System von fünf aufeinanderfolgenden Himmeln, die einer nach dem anderen jeweils nach einer irdischen Inkarnation erlangt werden, wodurch die Seele allmählich geläutert wird und letztlich Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten erlangt.

Mindestens einige Dutzend weiterer nordamerikanischer Indianerstämme weisen ebenfalls teilweise weitreichende Konzepte der Reinkarnation auf. So bauten beispielsweise die Hopi in Arizona eine Straße vom Grab eines verstorbenen Kindes zu seinem ehemaligen Heim, so daß die Seele noch einmal als das nächste Kind in derselben Familie geboren werden konnte.

In „Das Buch der Hopi“ schreibt der amerikanische Hopi-Kenner Frank Waters (1902–1995): 

Leben und Tod werden ... nicht als zwei verschiedene Stufen angesehen, in denen sich das zeitliche und das jenseitige Dasein der Menschheit erschöpft, sondern als zwei einander ergänzende Phasen eines immer wiederkehrenden Kreislaufs.

 

Diese Phasen schließen in ungebrochener Stetigkeit aneinander an, bis die Menschheit alle sieben aufeinanderfolgenden Welten in allen sieben aufeinanderfolgenden Universen durchmessen und somit schließlich alle 49 Stufen des Gesamtdaseins vollendet hat. Das liegt im Ritualsystem und in der Symbolik der Hopi offen zutage. ...

 

Das Zeremonialsystem der Hopi beschäftigt sich nicht mit der Auslegung von Glaubensinhalten, durch die das Individuum seine Seele vor der ewigen Verdammnis im Tod retten kann, sondern es stellt einfach den kosmischen Plan dar, in dem sich alle Lebensformen auf die ihnen bestimmten Ziele zubewegen.

 

Der Hopi sucht keine Abkürzung für den Weg des Lebens, sondern er ist zufrieden damit, sich langsam und und im Einklang mit allem Leben ringsum in einem Sinnzusammenhang zu bewegen, in den er durch seine Geburt hineinversetzt wurde. (S. 102f.)

Seit der Entzifferung der Maya-Schrift durch den Religionswissenschaftler Paul Arnold wissen wir, daß die Maya von einer feinstofflichen Existenzebene zwischen zwei inkarnierten Leben überzeugt waren. Bevor der Tote wiedergeboren werden kann, muß er verschiedene Stadien der Läuterung durchlaufen.

Seine Wiedergeburt ist von den himmlischen Kräften abhängig, die wiederum von lebenden Menschen (insbesondere vom Priester) mobilisiert werden. Nicht nur der Geschlechtsakt, auch die Anrufung und Beschwörung des Magiers sowie verschiedene Rituale und ein günstiger Zeitpunkt sind erforderlich, um den Verstorbenen auf die Reise zur Wiedergeburt zu bringen. In „Das Totenbuch der Maya“ weist Arnold auf erstaunliche Parallelen zwischen den Jenseitsvorstellungen der Maya und denen des Buddhismus hin.

Bei anderen Stämmen war es üblich, daß sich Frauen, die sich Kinder wünschten, um einen Sterbenden versammelten, in der Hoffnung, seine Seele würde in ihren Leib eingehen. Es heißt auch, daß nur diejenigen, die rein im Herzen sind, sich an ihre vergangenen Leben erinnern können.

Der Brauch des Skalpierens weist darauf hin, daß gewisse Indianer der Auffassung waren, die Seele befinde sich im Haar des Menschen, und in den meisten indianischen Kulturen herrschte der Glaube, daß jemand, der sich freiwillig als menschliches Opfer für die Götter zur Verfügung stelle, im nächsten Leben auf der Erde spezielle Belohnungen ernten werde.

Ein anderer weitverbreiteter Glaube besagte, daß die Weißen (Europäer) wiedergeborene Indianerhelden der Vergangenheit waren, die gekommen waren, um sich der Ländereien zu bemächtigen, die sie einstmals besessen hatten. Diese Auffassung könnte auch eine der Ursachen gewesen sein, daß das gesamte Reich der Inkas von einer Handvoll Spaniern zu Fall gebracht werden konnte.

  zum Seitenanfang    zum Inhaltsverzeichnis 

KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Erster Teil: DIE ALTEN STAMMESKULTUREN

Südamerika

In ganz Südamerika, vor allem in Brasilien, ist der Glaube an ein Weiterleben nach dem Tode im Volk tief verankert. Aus den ursprünglichen indianischen, aber auch aus den afrikanischen Elementen in der südamerikanischen Kultur entstanden ein sehr starker Glaube an eine Geisterwelt sowie unzählige Praktiken, die dazu bestimmt sind, diese Welt in den Alltag hineinwirken zu lassen. Dazu gehören auch die okkulte Beschäftigung mit (schwarzer) Ma­gie sowie die Bewußtseinsmanipulation durch Drogen.

Nicht weniger als fünf Prozent der Bevölkerung Brasiliens bezeichnen sich heute formell als Spiritisten, aber es gibt überzeugende Beweise dafür, daß weitere 25% der Brasilianer spiritistisch tätig sind, obgleich sie bei der Volkszählung als römisch-katholisch registriert wurden.

Auch hier ist die Auffassung, daß die Seele eines Menschen wieder in Tierkörper eingehen könne, weit verbreitet.

Es läßt sich feststellen, daß das Wissen um übersinnliche Dimensionen gerade in Südamerika meistens dazu verwendet wird, mit Hilfe feinstofflicher Naturmächte das Leben anderer zu beeinflussen, während Hinweise auf das Bestreben, sich aus dem Kreislauf von Geburt und Tod zu befreien, praktisch nicht zu finden sind.

  zum Seitenanfang    zum Inhaltsverzeichnis 

KAPITEL 5: GESCHICHTE DES REINKARNATIONSGEDANKENS - Erster Teil: DIE ALTEN STAMMESKULTUREN

Europa

Der deutsche Historiker Uwe Topper (*1940), Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Bücher über frühgeschichtliche Themen, berichtet in seinem Aufsatz „Reinkarnationsvorstellungen in Europa von der Steinzeit bis heute“: 

Felsmalereien und Grabfunde lassen den Schluß zu, daß die ältesten kulturellen Äußerungen europäischer Jägervölker den Gedanken an die Wiedergeburt der Seele zur Grundlage hatten. Einweihungsriten in den Höhlen waren auch schon mit dem Gebrauch von Rauschmitteln verbunden, durch die ein todesähnlicher Zustand ausgelöst wurde, der Einblick in die Zusammenhänge des Lebens ermöglichte.

 

Die Vorstellung, daß sich Tod und Geburt gegenseitig bedingen, gehörte auch später zur Philosophie der Jungsteinzeit. (abgedruckt in: „Wiedergeburt“ von Harald Wiesendanger, S. 40) 

Auch in den antiken europäischen Stammeskulturen, lange bevor sich Europa zum Christentum bekehrte, finden wir zahlreiche Zeugnisse des Reinkarnationsglaubens. Beginnend im hohen Norden, gehören hierzu die Völker Finnlands, Islands und Lapplands; außerdem die Norweger, Schweden, Dänen und Germanen.

Eine weitere Gruppe bilden die Letten, die Preußen und die Litauer. Mehr im Südwesten folgen die Kelten in Irland, Schottland, England, Wales und in der französischen Bretagne. Die keltische Kultur umfaßte auch die alten Gallier, die neben den Gebieten des heutigen Frankreich auch Norditalien und Belgien sowie Teile der Niederlande, der Schweiz und Deutschlands bevölkerten.

Ganz im Süden schließlich waren natürlich auch die Philosophien der alten griechischen und römischen Hochkulturen mit dem Reinkarnationsgedanken vertraut. (Auf diese werden wir im dritten Teil, „Das klassische Altertum“, noch ausführlich zu sprechen kommen.)

In seinem Werk über die Zivilisation der Wikinger berichtet der Anthropologe Axel Olrik, daß die alten Norweger wie auch die Goten einem neugeborenen Kind oft den Namen eines kürzlich verstorbenen Verwandten gaben, da sie meinten, dieser habe in derselben Familie erneut Geburt genommen. Und unter den Lappen glaubte man, die verstorbenen Vorfahren unterrichteten ihre zukünftigen Mütter im Traum über den Namen, den sie sich wünschten.

Auch in der alten germanischen Literatur findet sich die Lehre der Seelenwanderung an zahlreichen Stellen wieder, und uralte englische und schottische Balladen besingen die Seelen von Männern und Frauen, die in die Körper von Tieren, Vögeln und Pflanzen eingegangen sind. Germanen und selbst Römer (wie Plinius berichtet) hielten sich Hausschlangen als Wächter ihrer Häuser, von denen sie annahmen, es seien Wiederverkörperungen ihrer Vorfahren.

Was die keltischen Völker der Antike betrifft, so gibt es keine direkten schriftlichen Quellen zur Reinkarnation, denn den keltischen Weisen und Priestern, den Druiden, war es verboten, ihre Geschichten und Lieder, die Regeln religiöser Riten und Inhalte ihrer Mysterien schriftlich festzuhalten, und so sind wir gezwungen, auf zeitgenössische römische Schriftsteller zurückzugreifen.

So schreibt z.B. der römische Feldherr Gaius Julius Caesar (100–44) in seinem Werk „De Bello Gallico“ („Der Gallische Krieg“): 

Vor allen Dingen suchen die Druiden davon zu überzeugen, daß die Seelen unsterblich sind und nach dem Tode von einem Körper in einen anderen übergehen. Sie meinen, diese Lehre sei ganz besonders geeignet, zur Tapferkeit anzuspornen, weil man dann den Tod nicht fürchtet. (VI,14,5)

Diodor, der griechische Geschichtsschreiber aus Sizilien, der im 1. Jahrhundert v.u.Z. lebte und eine in Bruchstücken erhaltene Weltgeschichte verfaßte, schreibt über die Kelten: 

Das Sterben achten sie für nichts. Es herrscht bei ihnen nämlich der Glaube des Pythagoras, daß die Seelen der Menschen unsterblich seien und nach einer bestimmten Reihe von Jahren wieder ein neues Leben beginnen, indem die Seele in einen neuen Leib übergeht.

 

Deshalb geschieht es auch, daß bei den Begräbnissen der Verstorbenen Einige an ihre gestorbenen Verwandten geschriebene Briefe in den Scheiterhaufen werfen, gleich als ob diese sie lesen würden. (Fünftes Buch) 

Der Politiker und Dichter Lukan (39–65) läßt die Druiden versichern, daß die Seelen nicht im blassen, stillen Totenreich landeten, sondern daß „mit einem neuen Körper der Geist in einer anderen Welt herrsche“.

In der inselkeltischen Sage wird die Reinkarnationsidee mit Selbstverständlichkeit vertreten. Seelenwanderungen durch unterschiedliche Existenzen finden sich zwar nicht häufig, schließen jedoch, wie einige Metamorphosen, mit einer Wiederverkörperung ab. (Metamorphosen sind bei den Kelten Gestaltsumwandlungen, die zu Lebzeiten bewußt oder unbewußt herbeigeführt werden.) Menschen wie Götter können nach langen Metamorphosen auch als Tiere wiedergeboren werden.

Daneben gibt es ebenfalls direkte, unkomplizierte Wiedergeburten als Mensch. So gilt, der Sage nach, der irische heldenhafte Krieger CÍchulainn als Reinkarnation des großen, gesamtkeltischen Gottes Lugh, dessen Sonnen- und Heileraspekt besonders hervorzuheben ist.

Besonders der Stand der Druiden vertrat und förderte den Unsterblichkeitsglauben und die Lehre von der Wiedergeburt. Die anspruchsvolle Ausbildung zu einem anerkannten Druiden dauerte zwölf Jahre und umfaßte neben Philosophie und Gesetzeskunde auch die praktische Kenntnis der zahlreichen Druidengeheimnisse. Viele dieser alten Aufzeichnungen wurden jedoch durch die Ankunft der ersten christlichen Missionare verbrannt und gingen so verloren.

Ross Nichols (1902–1975), ein moderner Vertreter der Druiden (er war gewähltes Oberhaupt des Ordens der Barden, Ovaten und Druiden), arbeitete in seinen letzten beiden Lebensjahren an einem Buch, um die Zusammenhänge druidischer Weisheiten verständlich zu machen. Hier ein Auszug aus seinem erst nach seinem Tode er­schienenen „Book of Druidry“: 

Und Gott bewirkte, daß jedes lebendige und beseelte Wesen jede Art und Form des Seins durchlaufen sollte, auf daß jedes lebendige und beseelte Wesen am Ende vollkommenes Wissen, Leben und Gwynvydd [Kreis der Fülle der Macht, des Wissens und der Güte, erreichbar durch umfassende Liebe und Vollendung] haben möge, und all dies aus der vollkommenen Liebe Gottes, die er kraft seiner Göttlichkeit gegenüber dem Menschen und allen Lebewesen zeigt. 

Bei den traditionellen Lehren und Sitten Irlands finden wir weitgehende Ähnlichkeiten mit dem Brauchtum des alten Indien. Den Kennern Irlands ist seit jeher der Unterschied zwischen der irischen und der allgemein-europäischen Geisteshaltung aufgefallen, und vieles im Wesen des irischen Volkes mutet orientalisch, ja indisch an.

So sind denn in den älteren irischen Heldensagen Beispiele der Wiedergeburt keine Seltenheit, wenngleich im Volksglauben die Vorstellung der Reinkarnation nicht direkt mit einer ethischen Läuterung verbunden ist. Zudem ist in Irland der Glaube weit verbreitet, daß die Seelen der Verstorbenen als schwarze Kaninchen oder Frösche wiedergeboren werden.

Möwen gelten allgemein als Seelen ertrunkener Fischer und Seeleute, und ein Bauer, der seinem Hof sehr verbunden war, nimmt nach dem Tod die Gestalt einer Kuh auf dem Hof an. Tote können auch als Pferde oder Schweine, als Hunde, Ratten, Schwäne, Tauben, Hähne oder Seehunde weiterleben. Selbst die Namensgebung weist auf den Glauben an die Wiedergeburt der Großeltern als ihre eigenen Enkelkinder hin; irischen Kindern werden nämlich vorzugsweise die Namen bereits verstorbener Großeltern verliehen.

  zum Seitenanfang 

  zum Inhaltsverzeichnis 

  


Sie befinden sich auf der Website: 

Hier geht es zur Homepage!