REINKARNATION
Die umfassende Wissenschaft
der Seelenwanderung

von Ronald Zürrer

Internet-Veröffentlichung Juli 2008,
(c)
Govinda-Verlag GmbH

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KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION

Warum können wir uns nicht erinnern?

Die vorherigen Betrachtungen führen nun unweigerlich zu der Frage: Wenn wir doch schon so viele Male gelebt haben – warum können wir uns dann nicht an frühere Leben erinnern? Warum vergessen wir unsere früheren Existenzen jedesmal wieder? Und: Was nützt uns das Immer-wieder-Reinkarniertwerden, wenn wir doch stets alles wieder vergessen?

Das Phänomen des Vergessens

Tatsächlich dient das Phänomen, daß wir uns im Normalfall nicht an unsere vergangenen Leben erinnern können, als eines der Hauptargumente, das die Gegner der Reinkarnationslehre seit Jahrhunderten immer wieder vorbringen. Und doch kann dieses Argument, wie ich im folgenden darlegen werde, vor einer genaueren Analyse nicht bestehen.

Bereits der griechische Philosoph Platon, einer der ersten und genialsten abendländischen Verfechter des Reinkarnationsgedankens, erklärt diesbezüglich in seinem Werk „Der Staat“ (621a), daß den zur Wiedergeburt bestimmten Seelen vor der Einkörperung der sogenannte „Trunk des Vergessens“ (griechisch: Lethe) gereicht werde, wodurch es ihnen dann später nicht mehr möglich sei, sich an frühere Existenzen zu erinnern. (Ich werde auf Platon in Kapitel 5 noch ausführlich zu sprechen kommen.)

Und der deutsche Lehrer und Schriftsteller Jean Paul (1763–1825) entgegnet auf den Einwand der fehlenden Rückerinnerungen in seinem Aufsatz „Über die Seelenwanderung“: 

Nur zweierlei ist gegen diesen Seelenumlauf [Reinkar­na­tion] am wenigsten einzuwenden, erstlich das Vergessen dieser Reisen. Denn sogar im eigenen Leibe, ohne Körperhemdwechsel, entschwinden ungleichartige Zustände für das Gedächtnis, z.B. den in der Wildnis erwachsenen Kindern nach der Zähmung aller Erinnerung der Wildnis – und der Hellseherin nach dem Erwachen der Durchgang durch die ganze Glanzwelt. Wie sollte nun hienieden Erinnerung gar aus verschiedenen Leibern und noch verschiedeneren Zustän­den körperlich möglich sein?
 

Lasset einer Ansicht des Daseins, welche ein Plato, ein Pythagoras und ganze Völker und Zeiten nicht verschmähten, wenigstens ihr volles Licht zukommen! Lasset uns die Menschenseelen im Familienzirkel der Menschheit behalten und umzuwandern nötigen, ein Zauberkreis, innerhalb dessen uns alle Schätze des Lebens offenstehen, wie außerhalb desselben das Unheimliche und Unsichere wartet und droht.
 

Lasset denn eine Seele so oft wiederkehren, als sie will; die Erde ist reich genug, sie immer mit neuen Gaben zu beschenken, mit neuen Jahrhunderten und neuen Vergangenheiten und mit neuer Zukunft – mit neuen Ländern und Geistern und Entdeckungen und Hoffnungen. Kein Geist ging so reich davon, dem nicht bei jeder Rückkehr das Leben der Erde frische Reichtümer entgegentragen könnte. ...

 

So bliebe denn die verschwisterte Menschengemeinde in ihrem Bruder- und Schwesternhause der Erde zusammenwohnend, bis allen endlich das Einstürzen desselben, das ihm die Jahrhunderte unvermeidlich bereiten, neue Erden und Wohnungen aufdeckt, im unermeßlichen Himmel, in welche nur ein unendlicher Arm das Menschengeschlecht heben kann.

 

Denn ohne eine Gottheit gibt es für den Menschen weder Zweck, noch Ziel, noch Hoffnung, nur eine zitternde Zukunft, ein ewiges Bangen vor jeder Dunkelheit und überall ein feindliches Chaos unter jedem Kunstgarten des Zufalls. Aber mit einer Gottheit ist alles wohltuend geordnet und überall und in allen Abgründen Weisheit... – So laßt uns wandern und hoffen! („Über die Seelenwanderung“, aus: „Selina“, postum 1827)

Das Argument, das Jean Paul hier in bezug auf die fehlenden Rückerinnerungen vertritt, lautet also: Wir vergessen bereits im gegenwärtigen Leben fortwährend so vieles und sind uns so vieler Dinge nicht mehr bewußt und können uns nicht an sie erinnern – obwohl es Dinge sein mögen, die wir wirklich erlebt oder gelernt haben und die auch erinnerbar und bewußtmachbar sind.

Wer kann sich schon an seine eigene Geburt oder an seine frühe Kindheit erinnern? Oder wer könnte auf Anhieb angeben, welche Kleidung er zum Beispiel bei seinem zehnten Geburtstag getragen hat? Wer würde nicht bestätigen, daß er den größten Teil dessen, was er während der Schulzeit in mühseliger Arbeit auswendig lernen mußte, längst wieder vergessen hat, obschon er es damals für die Prüfung bestens wiederzugeben vermochte?

Spontan erinnern wir uns womöglich nicht einmal mehr daran, was wir heute vor genau einem Monat oder vor einer Woche oder vielleicht auch nur vor genau einem Tag getan haben, ganz zu schweigen also von Ereignissen, die viele Jahre zurückliegen.

Wenn also unsere Vergangenheit von der Erinnerung abhängig wäre, so würde dies konsequenterweise bedeuten, daß wir alle gar nicht geboren wurden, daß wir nie Kleinkinder waren, daß wir nie unseren zehnten Geburtstag gefeiert haben, daß wir in der Schule nie etwas gelernt haben und daß wir auch vor einem Monat noch nicht existierten.

Somit wird offensichtlich, wie unsinnig es ist, die Ereignisse der Vergangenheit von deren Erinnerung abhängig zu machen. Vielmehr ist es eine natürliche Funktion des menschlichen Verstandes, daß er alte, weiter zurückliegende Geschehnisse und Erfahrungen „vergißt“, um neuen Platz zu machen.

Doch dieses Vergessen ist nur scheinbar. Denn wenn uns jemand daran erinnert oder wenn wir alte Fotoalben durchblättern oder in ähnliche Situationen geraten, wie wir sie schon einst erlebten, dann kann es vorkommen, daß die vergessen geglaubten Erinnerungen uns plötzlich wieder deutlich ins Bewußtsein treten.

Warum also sollte dieses gleiche Phänomen des natürlichen Vergessens nicht auch im Bereich außerhalb eines einzelnen Lebens gelten? Und warum sollte das Phänomen des möglichen Wiedererinnerns nicht ebenfalls im Bereich außerhalb dieses einen Lebens gelten? Tatsächlich haben neueste Forschungen in der Parapsychologie gezeigt, daß es sehr wohl möglich ist, die bewußte Erinnerung an vergangene Leben wiederzuerwecken, beispielsweise durch die Methode der Regressionstherapie (siehe Kapitel 7).

Der Dichter Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) bringt in seiner Schrift „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ (1780) seine Gedanken zum Vergessen der vergangenen Leben Ausdruck: 

Sollte ich etwa nicht wiederkommen..., weil ich es vergesse, daß ich schon dagewesen? Wohl mir, daß ich es vergesse! Die Erinnerung meiner vorigen Zustände würde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegenwärtigen zu machen erlauben. Und was ich auf jetzt vergessen muß, habe ich denn das auf ewig vergessen?

Lessing weist mit Recht darauf hin, daß es von der Natur durchaus sinnvollerweise so eingerichtet wurde, daß wir fortwährend vergessen, denn wer könnte sich einen Zustand vorstellen, in dem er sich ständig an sämtliche vergangenen Existenzen erinnert?

Das gleichzeitige Identifizieren mit Dutzenden von verschiedenen Körpern und Lebensumständen wäre im besten Falle doch höchst verwirrend; im schlimmsten Fall führte es sogar zu krankhafter Schizophrenie. Daher wohl schrieb auch J.W. von Goethe im Jahre 1781 an Charlotte von Stein: „Wie gut ist’s, daß der Mensch sterbe, um die Eindrücke [der Vergangenheit] auszulöschen und gebadet wiederzukommen.“

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KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION - WARUM KÖNNEN WIR UNS NICHT ERINNERN?

Was nützen frühere Leben ohne bewußte Erinnerung?

Nun mag der Kritiker natürlich weiter einwenden: Selbst wenn dem so sein sollte, sind die früheren Leben ohne bewußte Erinnerung doch wertlos, weil wir nichts aus dem Vergangenen – aus unseren Fehlern und Erkenntnissen – lernen können, solange wir uns nicht daran zu erinnern vermögen.

Die Antwort hierauf aber lautet: Nein, denn nicht so sehr die Erinnerung an das Erlebte ist ausschlaggebend, sondern das tatsächliche Erlebthaben, das Gewordensein durch unsere Erfahrungen und Erkenntnisse. Wenn mit dem Tod das alte, unbrauchbar gewordene Gehirn zerstört wird, werden wir mit einem neuen Gehirn ausgestattet, und in die bewußte Erinnerung dieses neuen Gehirns werden nicht einzelne, bruchstückhafte Erlebnisse der gerade beendeten Inkarnation gespeichert, sondern die Gesamtsumme sämtlicher Eindrücke und Erfahrungen all unserer Leben in der Vergangenheit.

Hugo S. Verbrugh legt in seinem Buch „...wiederkommen“ eine in diesem Zusammenhang höchst interessante Analyse des Erinnerungsproblems vor, die für sich spricht und die wir hier in leicht gekürzter Fassung wiedergeben möchten: 

So gut wie niemand kann sich an irgend etwas aus einem vorhergehenden Leben erinnern – jedenfalls nicht in der bei uns gültigen Bedeutung des Wortes „sich erinnern“... Einige Beispiele sollen zeigen, wie stark die Bedeutung des Wortes „Erinnerung“ variieren kann:
 

– Wir alle haben unsere Muttersprache im wesentlichen durch Nachahmung gelernt, die durch einige bewußte Übungen ergänzt wurde. Das gleiche gilt z.B. für die richtige Anwendung des Eßbestecks und der meisten Instrumente, mit denen wir z.B. Autos und zahllose andere Dinge bedienen.

 

Die eigentliche Lernsituation ist oft gänzlich oder zum größten Teil in Vergessenheit geraten. Der Effekt ist geblieben. Er kommt durch zweckmäßiges Handeln zum Ausdruck. Erinnerung? Ja und nein; das hängt davon ab, wie wir den Terminus „Erinnerung“ deuten...
 

– Jeder Mensch kennt das Verblassen von Erinnerungen, besonders bei Angstträumen: die gefühlsmäßigen Eindrücke verflachen, verschwinden, können aber als emotional „neutral“ gewordene Bilder durchaus noch erinnert werden.

 

Dasselbe tritt leider allzuoft in bezug auf gute Vorsätze auf: in dem Moment, in dem wir sie ausführen wollen, wissen wir nur noch, daß wir es tun sollten; den heiligen Ernst des Vorsatzes finden wir aber mit bequemeren Überlegungen im Stile von „ach, was...“ vertauscht...
 

Die negativen Aspekte der Erinnerung, wie z.B. ihre Undeutlichkeit, die im „Vergessen“ gipfeln, haben aber auch eine positive Seite. Durch das Vergessen wird eine ganze Menge „Bewußtseinsballast“ über Bord geworfen. Das Leben wäre unerträglich, müßten wir alle Lernsituationen – die der Muttersprache, des Umgangs mit dem Eßbesteck usw. – in unserer Erinnerung mitschleppen.

 

Der damalige Bewußtseinsinhalt wurde in die Fähigkeit, spezifisch zu handeln, in Verhalten umgewandelt, metamorphosiert. Es bleibt sozusagen ein „Extrakt“ der Lernsituationen übrig, welcher unser Verhalten gemäß dem Inhalt der jeweiligen Lernsituation von damals bestimmt und lenkt...
 

So gesehen wird die Tatsache, daß wir uns normalerweise nicht an ein vorhergehendes Leben erinnern, in ein ganz anderes Licht gerückt. Das Erinnerungsmotiv kann – so gesehen – sogar, wenn wir es, wie oben geschehen, als den hier gemeinten Aspekt des Vergessens herausarbeiten, als ein vorsichtiges Argument „für“ die Reinkarnation gelten; es ist also kein absolutes Gegenargument.

 

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um einzusehen, daß das Leben für die meisten Menschen – wahrscheinlich für uns alle – eine nicht zu bewältigende Aufgabe darstellen würde, wenn wir alle Erinnerungen an vorhergehende Erdenleben als bewußten Empfindungs- und Gefühls-“Ballast“ mitschleppen müßten. (S. 65ff.)

Der Parapsychologe Rudolf Passian (*1924) knüpft in seinem Buch „Wiedergeburt – Ein Leben oder viele?“ an diesen Gedanken folgendermaßen an: 

Bei tieferem Nachdenken wird wohl jeder zur Einsicht kommen, daß ein derartiges Wissen [um die früheren Inkarnationen] eine ungeheure Belastung wäre. Denn logischerweise besäßen dann nicht nur wir selbst, sondern auch alle anderen die volle Erinnerung an Vergangenes.

 

Und abgesehen davon, daß dann unsere Gehirnkapazität überfordert wäre, würden wir ja zwangsläufig jenen Menschen wieder begegnen, denen wir einstmals schweres Leid zugefügt haben und die auch darum wissen!

 

Dann würden Haß, Neid und Zwietracht, diese ohnehin üppig wuchernden Sumpfgewächse einer ethisch fehlentwickelten Zivilisation, nur noch schlimmer ins Kraut schießen, als es ohnehin bereits der Fall ist, und die Hölle auf Erden wäre allenthalben perfekt. (S. 153)

Richard Specht, der Biograph des österreichischen Musikers Gustav Mahler (1860–1911), berichtet von der folgenden Begebenheit, welche die Einstellung Mahlers zum Thema der Rückerinnerungen ver­deutlicht: 

Bei alledem war Mahler vollkommen von der Lehre der ewigen Wiederkunft durchdrungen. Das erfuhr ich, gleichzeitig mit der gewalttätigen Heftigkeit seines Wesens, als ich das erstemal [in Hamburg im Herbst 1895] an seinem Tisch saß.

 

Ich weiß nicht, wie es kam und von welchem Ereignis irgendeiner noch lange nicht anbrechenden Zeit gesprochen wurde, daß ich mich zu der albernscherzhaften Frivolität hinreißen ließ: „Das interessiert mich nicht, denn dann bin ich schon längst nicht mehr da, und wenn ich wieder da bin, weiß ich doch nichts mehr von meinem früheren Leben“, als ein lauter, klirrender Krach alle auffahren ließ; Mahler hatte auf den Tisch geschlagen, daß die Gläser hochsprangen, und schrie zu mir herüber:

 

„Wie kann ein Mensch Ihrer Art etwas so Leichtfertiges sagen! Wir kehren alle wieder, das ganze Leben hat nur Sinn durch diese Bestimmtheit, und es ist vollkommen gleichgültig, ob wir uns in einem späteren Stadium der Wiederkunft an ein früheres erinnern. Denn es kommt nicht auf den einzelnen und sein Erinnern und Behagen an; sondern nur auf den großen Zug zum Vollendeten, zu der Läuterung, die in jeder Inkarnation fortschreitet.“

Schließlich noch ein Zitat aus neuerer Zeit. Es stammt von dem amerikanischen Schriftsteller Jerome David Salinger (*1919), der in einer seiner Kurzgeschichten schreibt: 

Alles, was du im Augenblick des Todes tust, ist, daß du den Körper verläßt. Meine Güte, jeder hat das vieltausendmal gemacht. Die bloße Tatsache, daß man sich nicht daran erinnern kann, bedeutet nicht, daß man es nicht getan hat. (in: „Neun Erzählungen“, 1953)

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KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION - WARUM KÖNNEN WIR UNS NICHT ERINNERN?

Träume: Erinnerungen aus vergangenen Leben?

Obwohl es die Naturgesetze also so eingerichtet haben, daß wir unsere Erinnerungen an frühere Existenzen normalerweise vergessen, so daß unsere Aufmerksamkeit nicht unseren (oft unrühmlichen) Taten der Vergangenheit verhaftet bleibt und wir die uns gegenwärtig gebotenen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung unseres Bewußtseins voll ausschöpfen können, gibt es, wie bereits erwähnt, doch Ausnahmen.

Diese Ausnahmefälle lassen sich grundsätzlich in zwei Gruppen aufteilen, nämlich 1.) Spontane Erinnerungen, wie sie vor allem bei Kindern auftreten (siehe Kapitel 7) und 2.) Erinnerungen in Träumen.

Im Shrimad-Bhagavatam (4.29.64) wird darauf hingewiesen, daß es vorkommen kann, daß wir uns in Träumen tatsächlich an vergangene Leben erinnern. Manchmal sehen wir in Träumen Dinge, die wir im gegenwärtigen Leben nicht erfahren haben; es kann beispielsweise vorkommen, daß wir in einem Traum hoch am Himmel fliegen, obwohl wir keine Erfahrung vom Fliegen haben. Das könnte darauf hinweisen, daß wir in einem früheren Leben einst am Himmel geflogen sind – vielleicht als Vogel oder irgendein anderes flugfähiges Lebewesen.

Unser feinstofflicher Körper läßt sich mit einem riesigen „Archiv“ vergleichen, in dem sämtliche Gedanken und Erfahrungen, die wir in all unseren Existenzen je gehabt haben, als unauslöschliche Eindrücke gespeichert sind. Diese Eindrücke können manchmal spontan – wie in Träumen – oder aber gesteuert – wie unter Hypnose oder mit ähnlichen Techniken – ins Bewußtsein treten.

Dabei vermischen sich oft die Grenzen zwischen dem gegenwärtigen und einem früheren Leben. In der Erläuterung zu dem genannten Vers aus dem Shrimad-Bhagavatam schreibt Prabhupada: 

Manchmal träumen wir von einem Ort, den wir niemals in diesem Leben gekannt oder besucht haben, doch dies zeigt, daß wir in einem früheren Leben dort eine Erfahrung gemacht haben. Der Eindruck wird im Geist festgehalten, und er manifestiert sich manchmal in Träumen oder Gedanken.

 

Der Geist ist also eine Speicherkammer vielfältiger Gedanken und Erfahrungen, die wir im Laufe unserer früheren Leben gesammelt haben. Unsere Leben sind wie die Glieder einer fortlaufenden Kette, von früheren Leben zum jetzigen Leben und vom jetzigen Leben zu künftigen Leben.

Diese Erfahrung der Rückerinnerung können wir alle machen, wenn wir den Reinkarnationsgedanken nicht einfach von vornherein als falsch ablehnen, sondern versuchen, unsere gesamte Existenz, einschließlich unserer Träume, in diesem Lichte zu sehen.

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KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION - WARUM KÖNNEN WIR UNS NICHT ERINNERN?

Unbewußte Erinnerungen als Hinweis auf frühere Leben

Bisher haben wir nur die eine Seite der Erinnerungsproblematik behandelt und dabei nachgewiesen, daß fehlende bewußte Erinnerungen durchaus kein stichhaltiges Argument gegen die Reinkarnationslehre darstellen. Die nächste Fragestellung geht nun noch einen Schritt weiter: Gibt es in diesem Zusammenhang – neben den soeben erwähnten Ausnahmefällen von Rückerinnerungsträumen und spontanen Rückerinnerungen – auch positive Argumente und Hinweise für die Reinkarnation der Seele?

In der Tat gibt es sie. Beispielsweise finden wir keine andere These, welche nicht nur die unterschiedlichen körperlichen und sozialen Gegebenheiten, sondern auch die unendlich differenzierte individuelle Lernfähigkeit der einzelnen Menschen besser erklären könnte als die der Reinkarnation. Wir wollen daher kurz untersuchen, wie der Mensch überhaupt Dinge lernt und wiedererkennt, also zu Wissen kommt.

Angenommen, wir fahren in die Berge und sehen dort eine Kuh. Warum wissen wir, daß dies eine Kuh ist? Im oben erwähnten „Archiv“ unseres Gedächtnisses sind offensichtlich Bilder von früheren Erlebnissen mit Kühen gespeichert, und erst im Vergleich mit diesen Bildern können wir die Kuh als solche wiedererkennen. Mit anderen Worten, wir wissen nur, daß dies eine Kuh ist, weil wir bereits Erfahrungen mit Kühen besitzen.

Fehlen diese Vergleichserfahrungen, wird dieser Geisteszustand „Unwissenheit“ genannt. „Lernen“ und „Wissen“ bedeutet also, daß wir aus entsprechenden früheren Erfahrungen schöpfen können. Der Philosoph Platon drückt diesen Sachverhalt in seinem Werk „Menon – Über das Wesen der Erkennt­­nis als Wiedererinnerung“ wie folgt aus: 

Weil nun die Seele unsterblich ist und oftmals geboren und alle Dinge, die hier und in der Unterwelt sind, geschaut hat, so gibt es nichts, was sie nicht in Erfahrung gebracht hätte, und so ist es nicht zu verwundern, daß sie imstande ist, sich der Tugend und alles anderen zu erinnern, was sie ja auch früher schon gewußt hat.

Und im „Phaidon“ sagt er: „Das, was wir Lernen nennen, ist nichts anderes als ein Wiedergewinnen uns schon zugehörigen Wissens.“ (Weitere Zitate von Platon finden sich in Kapitel 5).

Wenn Wissen nur aus Erfahrungen gesammelt wird und wir gewisse Erfahrungen in diesem einen Leben nachweisbar nicht gesammelt haben können, welche andere Schlußfolgerung können wir dann daraus ziehen als die der Wiedergeburt und des allmählichen Lernprozesses über eine Vielzahl von Leben hinweg? (In diesem Lichte betrachtet, lassen sich auch die außergewöhnlichen Begabungen sogenannter „Wunderkinder“ und „Genies“ erklären. Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen.)

Ein zweites Beispiel soll dies noch verdeutlichen: Woher kommt die allgegenwärtige Angst, die in dieser Welt auf Schritt und Tritt lauert, insbesondere die jedem Lebewesen natürlicherweise angeborene Angst vor dem Tode? Wie kommt es, daß ein junges Küken, das eben erst aus dem Ei geschlüpft ist, bereits bei der kleinsten Gefahr zur Mutterhenne rennt, um bei ihr Schutz zu suchen?

Woher weiß es, daß die Gefahr gefährlich ist, woher weiß es, daß der Tod schmerzhaft ist? Es kann ja aus diesem eben erst begonnenen Leben keinesfalls eine Erfahrung vom Tod besitzen, und doch fürchtet es ihn. Woher also kennt es den Tod? (Nun, so würde manch gebildeter Abendländer wohl antworten, das ist ganz einfach „Instinkt“.

Doch was ist Instinkt? Es mag vielleicht wie ein wissenschaftliches Wort klingen, aber mit dieser scheinbaren Erklärung sind wir genau gleich weit wie zuvor, wenn nicht sogar einen Schritt weiter zurück.)

Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß die bloße Tatsache, daß die meisten Menschen keine bewußten Erinnerungen an ihre vergangenen Leben besitzen, keineswegs gegen die Lehre der Reinkarnation spricht.

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KAPITEL 4: PRAKTISCHE FRAGEN ZUR REINKARNATION - WARUM KÖNNEN WIR UNS NICHT ERINNERN?

Zukunft statt Vergangenheit

Eine kleine Anmerkung sei mir zum Abschluß unserer Diskussion über die Erinnerungsproblematik früherer Existenzen noch erlaubt. Seit der modernen esoterischen „Renaissance“ des Reinkarnationsgedankens hat es sich bereits zu einer Art „Mode“ oder „Sport“ entwickelt, herauszufinden oder darüber zu spekulieren, wer man wohl in den vergangenen Inkarnationen gewesen sei. Da ich in Kapitel 7 (Moderne Reinkarnationsforschung) noch ausführlich auf die Methoden und Gefahren der Rückführungstherapien eingehen werde, sei hier nur soviel dazu gesagt:

Nach meiner Ansicht geht es bei der Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten von Karma und Reinkarnation eben gerade nicht darum herauszufinden, wer wir in früheren Leben gewesen sind, also welche historische Persönlichkeit wir waren, wo wir gelebt und welchen Beruf wir ausgeübt haben, usw.

Diese Fragestellung ist lediglich Ausdruck einer zwar verständlichen, in diesem Zusammenhang aber doch unangebrachten egozentrischen Neugier. Vielmehr geht es um die Frage: Wie oder besser wie weit war ich im letzten Leben, welches Bewußtsein habe ich entwickelt, welche Wünsche entfaltet? Und vor allem: Wohin will ich im jetzigen Leben gelangen, welches Ziel werde ich erreichen, wenn ich den jetzt eingeschlagenen Pfad weiter beschreite?

Eine solche Fragestellung lenkt unsere Aufmerksamkeit sofort auf einen ganz anderen Bereich der Reinkarnationsdiskussion, nämlich auf das Thema des in die Zukunft gerichteten spirituellen „Weges nach Innen“, auf dem es überhaupt keine Rolle spielt, ob wir uns nun im einzelnen unserer vielfältigen karmischen Handlungen in unseren unzähligen vergangenen Inkarnationen bewußt sind oder nicht.

Denn um die essentielle Frage nach unserem weiteren Weg in die noch zu gestaltende Zukunft zu beantworten, ist die Erinnerung an frühere Leben nicht erforderlich. Im Gegenteil, es ist geradezu hinderlich, wenn wir uns plötzlich mit all unseren vergangenen, bereits hinter uns gelassenen Inkarnationen zu identifizieren beginnen. Wie gesagt, die Natur hat es in weiser Voraussicht bereits so eingerichtet, daß wir die Erinnerungen an Vergangenes vergessen, um nicht von ihnen überwältigt und gelähmt zu werden.

Nun kann man natürlich einwenden, daß die Rückerinnerung in gewissen einzelnen Fällen aber auch von Vorteil sein könnte. Einverstanden, doch in diesen Ausnahmefällen wird die weise Natur ebenso für die dann förderliche Erinnerung sorgen, wie sie in allen anderen Fällen für das Vergessen sorgt.

Das Rezept ist denkbar einfach: Wenn du dich spontan und ohne eigenes Zutun an deine früheren Leben zu erinnern vermagst, dann kann diese Erinnerung für dich von Nutzen sein, sofern es dir gelingt herauszufinden, was du aus ihr lernen sollst. Wenn dir aber solche Erinnerungen fehlen, warum solltest du dann mit irgendwelchen künstlichen Tricks (wie etwa mit Rückführungen und dergleichen) versuchen, klüger als die Natur zu sein?

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