Heilen mit Sicherheit - Placebowirkung.
Hirnforscher Ernst Pöppel über die neuronalen Grundlagen der Placebowirkung.



Seit Kurzem gibt es in Deutschland das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“, kurz: IQWiG. Es sitzt in Köln und wertet klinische Studien im Hinblick darauf aus, ob neue Medikamente tatsächlich einen medizinischen Nutzen haben. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

 

Denn in solchen Studien wird ein Medikament, das den Wirkstoff enthält, mit einem Scheinmedikament ohne Wirkstoff, einem Placebo, verglichen. Erst wenn das Medikament mit dem Wirkstoff signifikant besser wirkt als das Placebo, hat es eine Chance, zugelassen zu werden.

Aber jeder kennt es: Das Gefühl, einem habe ein Hausmittelchen, eine alternative oder fernöstliche Therapie sehr gut geholfen, die nach schulmedizinischer Einschätzung eigentlich nichts bewirken dürfte. Wie weit reicht er wirklich, der umstrittene Placeboeffekt?

 

Und würde er nicht die Arbeit des IQWiG komplizieren? Tatsächlich zeigen Analysen klinischer Studien klar: Eine positive Wirkung von Placebos ist nachweisbar. Das Sensationelle an den neuesten Analysen ist Folgendes: Placebos wirken sogar ganz spezifisch auf ein Organ, während andere unbeeinflusst bleiben.

 

Dieses Ergebnis lässt die Bewertung des Nutzens von Medikamenten in einem ganz neuen Licht erscheinen. So sollte die organspezifische Wirkung von Placebos bei der Behandlung von Erkrankungen stärker berücksichtigt werden.

Ein paar Beispiele: Die Magenaktivität kann durch Placebogabe und entsprechende Placebosuggestionen in unterschiedliche Richtungen reguliert werden – wahlweise zur Steigerung oder zur Senkung der Magenaktivität. Puls, Atmung oder Hautleitfähigkeit (ein Stress-Indikator) bleiben davon unbeeinflusst.

 

Die Wirkung von Arzneimitteln kann durch entgegengesetzte Suggestionen gemindert, aufgehoben oder ins Gegenteil verkehrt werden. Auf diese Weise können Beruhigungsmittel zu Aufputschmittel werden.

Ebenso bemerkenswert: Wird eine Placebocreme nur an einem Arm aufgetragen, dann tritt bei experimenteller Schmerzreizung Schmerzfreiheit nur dort, nicht aber am andern Arm auf. Oder: Bei Migräne, Arthritis oder Hypertonie sind Placeboinjektionen wirksamer als Placebotabletten. Vor allem das Wissen des Patienten ist entscheidend.

 

Bei Schmerzen, Angststörungen oder Parkinson wirken Medikamente deutlich schwächer, wenn sie versteckt verabreicht werden. Sie wirken erheblich besser, wenn die Patienten wissen, ein Medikament zu bekommen. Es kommt also auf die Information an, die ein Patient erhält.

Wie kommt man zu solchen Aussagen? Klinische Studien, beschrieben in weltweit führenden medizinischen Zeitschriften, wurden unter neuen Gesichtspunkten analysiert. Es wurde nicht nur auf die Wirkung der Medikamente geschaut, sondern auch auf die Placebowirkung.

 

Dabei wurde festgestellt, dass die Placebowirkung im Vergleich zur Medikamentenwirkung nicht zu vernachlässigen ist. In einer Lungenstudie erreichte man medikamentös eine Verbesserung des Atemvolumens um 39 Prozent. Allein mit einem Placebo ging der Wert schon um 16 Prozent nach oben. In einer Herzstudie führte das Medikament zu einer Verbesserung des Blutdrucks um acht Prozent, das Placebo zu einer Besserung um vier Prozent.

Wie kann man solche Wirkungen von Placebos erklären? Neben dem Wirkstoff, der im Medikament verabreicht wird und der unmittelbar auf ein Organ wirkt, gibt es einen zweiten Wirkstoff, der immer beteiligt ist: die Information. Das Wissen um die Erkrankung und um die Behandlung führt zu einer selektiven Beeinflussung des betreffenden Organs.

 

Dies ist nichts Ungewöhnliches, denn alle Organsysteme haben auch einen Repräsentanten im zentralen Nervensystem. Durch die enge Vernetzung des Nervensystems mit dem Hormonsystem und mit dem Immunsystem kann es zu diesen positiven Wirkungen kommen.

Das Wissen um Probleme, die ich am Herzen, im Magen, im Darm oder mit der Haut habe, ist im Gehirn gespeichert. Dort ist es aber nicht eingekapselt, es steht über die Nervenleitungen und das Immunsystem überall im Körper zur Verfügung. Diese Wechselwirkung zwischen den Systemen ist völlig normal, man muss keine paranormalen Kräfte bemühen, wie manche Geistheiler es tun.

Die positiven Placebowirkungen gilt es zu nutzen – und mögliche negative zu meiden. Vor nicht langer Zeit äußerte der Dalai-Lama den Wunsch, die westliche Medizin mit der tibetischen oder der ayurvedischen zu vergleichen.

 

Natürlich sind die Medizinsysteme sehr verschieden, doch gibt es einen gemeinsamen Nenner: die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Hier gelten überall die gleichen Bedingungen, dass nämlich das Wissen um eine Behandlung und das Vertrauen, das man in einen Arzt oder Heiler setzt, wesentlich für die erfolgreiche Behandlung ist.

Das Wissen um positive Placebowirkungen sollte einen Arzt dazu veranlassen, seine Worte beim Überreichen des Rezeptes gut zu überlegen. Der Satz „dieses Medikament hilft Ihnen und ist gut verträglich“ wird die Wirkung erheblich steigern. Die Ansage: „Probieren Sie es mal, es wird schon nicht schaden“, wir den Heileffekt schmälern.

Und für Sie persönlich heißt das, nur zu einem Arzt zu gehen, zu dem Sie auch Vertrauen haben. Nur in einem Rahmen von Sicherheit können sich alle positiven Wirkungen entfalten. [06.10.2006]
 

Prof. Dr. Ernst Pöppel ist Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie (IMP) der Ludwig-Maximilians-Universität in München


 

Aus der WirtschaftsWoche 40/2006. Gibt es ein Thema aus den Bereichen Medizin, Ernährung, Fitness oder Entspannung, zu dem Sie sich schon lange den Rat eines prominenten Experten wünschen? Dann schicken Sie Ihre Anregung zu dieser Kolumne an susanne.kutter (ett) wiwo.de.


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