Seit Kurzem gibt es in Deutschland das „Institut für Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“, kurz: IQWiG. Es sitzt in Köln und
wertet klinische Studien im Hinblick darauf aus, ob neue Medikamente tatsächlich
einen medizinischen Nutzen haben. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Denn
in solchen Studien wird ein Medikament, das den Wirkstoff enthält, mit einem
Scheinmedikament ohne Wirkstoff, einem Placebo, verglichen. Erst wenn das
Medikament mit dem Wirkstoff signifikant besser wirkt als das Placebo, hat es
eine Chance, zugelassen zu werden.
Aber jeder kennt es: Das Gefühl, einem
habe ein Hausmittelchen, eine alternative oder fernöstliche Therapie sehr gut
geholfen, die nach schulmedizinischer Einschätzung eigentlich nichts bewirken
dürfte. Wie weit reicht er wirklich, der umstrittene Placeboeffekt?
Und würde er nicht die Arbeit des IQWiG komplizieren? Tatsächlich zeigen Analysen klinischer Studien klar: Eine positive Wirkung von Placebos ist nachweisbar. Das Sensationelle an den neuesten Analysen ist Folgendes: Placebos wirken sogar ganz spezifisch auf ein Organ, während andere unbeeinflusst bleiben.
Dieses Ergebnis
lässt die Bewertung des Nutzens von Medikamenten in einem ganz neuen Licht
erscheinen. So sollte die organspezifische Wirkung von Placebos bei der
Behandlung von Erkrankungen stärker berücksichtigt werden.
Ein paar
Beispiele: Die Magenaktivität kann durch Placebogabe und entsprechende
Placebosuggestionen in unterschiedliche Richtungen reguliert werden – wahlweise
zur Steigerung oder zur Senkung der Magenaktivität. Puls, Atmung oder
Hautleitfähigkeit (ein Stress-Indikator) bleiben davon unbeeinflusst.
Die
Wirkung von Arzneimitteln kann durch entgegengesetzte Suggestionen gemindert,
aufgehoben oder ins Gegenteil verkehrt werden. Auf diese Weise können
Beruhigungsmittel zu Aufputschmittel werden.
Ebenso bemerkenswert: Wird
eine Placebocreme nur an einem Arm aufgetragen, dann tritt bei experimenteller
Schmerzreizung Schmerzfreiheit nur dort, nicht aber am andern Arm auf. Oder: Bei
Migräne, Arthritis oder Hypertonie sind Placeboinjektionen wirksamer als
Placebotabletten. Vor allem das Wissen des Patienten ist entscheidend.
Bei
Schmerzen, Angststörungen oder Parkinson wirken Medikamente deutlich schwächer,
wenn sie versteckt verabreicht werden. Sie wirken erheblich besser, wenn die
Patienten wissen, ein Medikament zu bekommen. Es kommt also auf die Information
an, die ein Patient erhält.
Wie kommt man zu solchen Aussagen? Klinische
Studien, beschrieben in weltweit führenden medizinischen Zeitschriften, wurden
unter neuen Gesichtspunkten analysiert. Es wurde nicht nur auf die Wirkung der
Medikamente geschaut, sondern auch auf die Placebowirkung.
Dabei wurde festgestellt, dass die Placebowirkung im Vergleich
zur Medikamentenwirkung nicht zu vernachlässigen ist. In einer Lungenstudie
erreichte man medikamentös eine Verbesserung des Atemvolumens um 39 Prozent.
Allein mit einem Placebo ging der Wert schon um 16 Prozent nach oben. In einer
Herzstudie führte das Medikament zu einer Verbesserung des Blutdrucks um acht
Prozent, das Placebo zu einer Besserung um vier Prozent.
Wie kann man
solche Wirkungen von Placebos erklären? Neben dem Wirkstoff, der im Medikament
verabreicht wird und der unmittelbar auf ein Organ wirkt, gibt es einen zweiten
Wirkstoff, der immer beteiligt ist: die Information. Das Wissen um die
Erkrankung und um die Behandlung führt zu einer selektiven Beeinflussung des
betreffenden Organs.
Dies ist nichts Ungewöhnliches, denn alle Organsysteme
haben auch einen Repräsentanten im zentralen Nervensystem. Durch die enge
Vernetzung des Nervensystems mit dem Hormonsystem und mit dem Immunsystem kann
es zu diesen positiven Wirkungen kommen.
Das Wissen um Probleme, die ich
am Herzen, im Magen, im Darm oder mit der Haut habe, ist im Gehirn gespeichert.
Dort ist es aber nicht eingekapselt, es steht über die Nervenleitungen und das
Immunsystem überall im Körper zur Verfügung. Diese Wechselwirkung zwischen den
Systemen ist völlig normal, man muss keine paranormalen Kräfte bemühen, wie
manche Geistheiler es tun.
Die positiven Placebowirkungen gilt es zu
nutzen – und mögliche negative zu meiden. Vor nicht langer Zeit äußerte der
Dalai-Lama den Wunsch, die westliche Medizin mit der tibetischen oder der
ayurvedischen zu vergleichen.
Natürlich sind die Medizinsysteme sehr
verschieden, doch gibt es einen gemeinsamen Nenner: die Beziehung zwischen Arzt
und Patient. Hier gelten überall die gleichen Bedingungen, dass nämlich das
Wissen um eine Behandlung und das Vertrauen, das man in einen Arzt oder Heiler
setzt, wesentlich für die erfolgreiche Behandlung ist.
Das Wissen um
positive Placebowirkungen sollte einen Arzt dazu veranlassen, seine Worte beim
Überreichen des Rezeptes gut zu überlegen. Der Satz „dieses Medikament hilft
Ihnen und ist gut verträglich“ wird die Wirkung erheblich steigern. Die Ansage:
„Probieren Sie es mal, es wird schon nicht schaden“, wir den Heileffekt
schmälern.
Und für Sie persönlich heißt das, nur zu einem Arzt zu gehen,
zu dem Sie auch Vertrauen haben. Nur in einem Rahmen von Sicherheit können sich
alle positiven Wirkungen entfalten. [06.10.2006]
Aus der
WirtschaftsWoche 40/2006. Gibt es ein Thema aus den Bereichen Medizin,
Ernährung, Fitness oder Entspannung, zu dem Sie sich schon lange den Rat eines
prominenten Experten wünschen? Dann schicken Sie Ihre Anregung zu dieser Kolumne
an
susanne.kutter (ett) wiwo.de.
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