Stimmen aus einer anderen Welt
- Chronik und Technik der Tonbandstimmenforschung -
von Hildegard Schäfer (
)

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11. Besuch bei Dr. Konstantin Raudive

    Nachdem ich Dr. RAUDIVES Buch "Unhörbares wird hörbar" mit der dazugehörigen Schallplatte kennengelernt hatte, war meine Neugierde geweckt und - zugegeben - natürlich auch die Hoffnung, bei einem solchen Einspielversuch mit Dr. RAUDIVE vielleicht etwas von meiner Tochter zu hören.

   Ich überlegte nicht lange und schrieb ihm. Wider Erwarten traf die Antwort postwendend ein. In liebenswürdiger Weise räumte mir Dr. RAUDIVE trotz seiner Überbeanspruchung einen Besuchstermin ein. Aber nicht nur das, sein Brief enthielt für mich völlig neue, interessante Aspekte.

   So schrieb er beispielsweise unter anderem:

   "Die objektiven Ergebnisse meiner Untersuchungen sind erregend. Wir können daraus folgern, daß die Hingeschiedenen individuell weiterexistieren und von einer anderen Ebene mit uns in Kontakt zu treten vermögen. Die Experimente gehen aber nicht so einfach vor sich, daß man einen Verstorbenen ruft und er sogleich antwortet.

Die Arbeit erfordert eine Unmenge von Geduld, Zeit, Konzentration und psychischer Kraft. - Der Mensch ist überhaupt eine sehr verworrene Erscheinung hier auf unserer Erde, und ohne eine Gegenwelt oder eine andere Wirklichkeit können wir unsere irdischen Phänomene nicht erklären. Wir werden immer zwischen den verschiedenen Möglichkeiten hin- und hergezerrt.

Die parapsychoogischen Studien helfen, durch die Wirrnis einen Pfad in die Unendlichkeit zu finden. Durch die genauere Stimmenforschung bin ich zur Einsicht gekommen, daß es viele Seins- und Überseinsstufen gibt, die wir durchschreiten müssen."

   Außer der Schallplatte von RAUDIVE hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Stimmen gehört. Meine Hoffnung, das Stimmenphänomen sei keine Täuschung, und meine Zweifel hielten sich die Waage.

   Ich folgte der freundlichen Einladung Dr. Raudives zwar sehr erfreut, aber gewappnet mit dem Vorsatz, ohne Beeinflussungen supraneutraler Art einzig und allein Fakten gelten zu lassen.

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    Man kann ein Werk nicht getrennt vom Menschen und den Menschen nicht getrennt von seinem Werk beurteilen. Deshalb schien mir besonders wichtig, diesen Mann, der sich einer damals immerhin noch sehr suspekten Sache mit einer so völligen Hingabe verschrieben hatte, persönlich kennenzulernen.

    Ich war überrascht. Der Mann, der mir an einem Nachmittag im Mai 1972 die Türe seines Hauses am Römerweg in Bad Krozingen persönlich öffnete und mich mit einem warmherzig-freundschaftlichen Händedruck und ungekünstelt liebenswürdigen Worten begrüßte, machte nicht den Eindruck eines Sonderlings oder metaphysischen Einsiedlers.

Bald schon waren wir in ein interessantes Gespräch vertieft, und ich war beeindruckt von seinem frappierenden Allgemeinwissen. Besonders überraschte mich aber seine Kontaktfreudigkeit, seine herzliche Gastfreundschaft und sein feinsinniger Humor.

   Trotzdem nahm ich mir vor, Augen und Ohren offenzuhalten und gut aufzupassen, ob hier etwas Dubioses geschieht. Konstantin Raudive möge es mir verzeihen, daß ich damals sogar so skeptisch war, seine geflissentlichen Vorbereitungen für einen ganz besonders guten lettischen Tee mit Argwohn zu verfolgen.

Er hätte ja irgendwelche Ingredienzen hineinmischen können, die mich meines klaren Bewußtseins und meines nüchternen Verstandes beraubt hätten. Beschämt denke ich heute noch manchmal daran zurück, und wenn ich meine eigenen Tonbandstimmen abhöre, leiste ich insgeheim bei Konstantin Raudive Abbitte.

    Während dieser nachmittäglichen Teestunde bediente mich RAUDIVE charmant und unterhielt sich eingehend mit mir. Dabei fiel kein Wort über Tonbandstimmen. Vielleicht wollte er bewußt erst einen menschlichen Kontakt herstellen, vielleicht auch nicht mit Worten, sondern mit Taten überzeugen.

   Er erzählte vieles aus seiner Vergangenheit, von der Flucht aus Lettland, von seinem Exil; und aus seinen manchmal bitteren Worten war unschwer zu entnehmen, daß diese Erlebnisse ihn sehr geprägt hatten. Probleme des täglichen Lebens und philosophische Betrachtungen rundeten unser Gespräch ab.

   Die Vorsichtsmaßnahme der Ratio, Emotionen auszuschalten,

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wich schon bald einer uneingeschränkten Bewunderung der geistig-menschlichen Größe dieses Mannes. Ich begriff, daß viele ineinandergreifende Komponenten ihn für die Forschung prädestinierten. Seine Humanität, seine tiefe Gläubigkeit und sein Altruismus zum einen, und seine wissenschaftliche Akribie, seine Sprachkenntnisse und sein eiserner Wille, die übermenschliche Ausdauer und Zähigkeit, die ihn Nacht für Nacht bei seinen Apparaten verbringen ließ, zum anderen.

   Später führte er mich zu seiner Lebensgefährtin, der berühmten, begnadeten Schriftstellerin und Essayistin Dr. ZENTA MAURINA. Dieses Kennenlernen war für mich ein großes Erlebnis. Aus dieser ersten Begegnung sollte später eine herzliche Verbundenheit erwachsen.

Seit ihrem sechsten Lebensjahr ist Zenta Maurina an den Rollstuhl gefesselt. Sie sagte: "Ich muß schon einen halben Zentner Geduld aufbringen, aber Konstantin hat davon einen ganzen Zentner."

   Diese Ausdauer, verbunden mit einem lange und gründlich geschulten Gehör, scheint für das Experimentieren die "conditio sine qua non" überhaupt zu sein.

   Dann endlich war es so weit.

   RAUDIVE führte mich in das "Allerheiligste". Hier gaben sich Muse und Technik die Hand. Die Wände versteckten sich restlos hinter Büchern, und so wie sich wilder Wein um Fenster rankt, so umwucherten die mit Büchern angefüllten Regale die Fensterscheiben.

Auf Tischen, Bänken und Stühlen dagegen war nichts anderes zu sehen als Apparate - Apparate -. Sie verwirrten mich, denn der Technik stand ich seit jeher stiefmütterlich gegenüber. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim darauf machen, welche Funktionen diese Apparate zu erfüllen hatten.

Ich wollte aber auch nicht danach fragen, denn nur zu gen au wußte ich, daß mir Erklärungen nicht weitergeholfen hätten. Andrerseits befürchtete ich auch, daß RAUDIVE ähnlich wie ein Kochexperte seine Geheimnisse nicht verraten werde.

    RAUDIVE gab sich nun alle Mühe, mir das Erfassen seiner Forschung zu erleichtern. Um mich mit dem Charakteristikum der Stimmen vertraut zu machen, ließ er mehrere bereits besprochene

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Bänder ablaufen. Die Satzfragmente, die Prägnanz und die lapidare Ausdrucksweise waren mir zwar durch seine Schallplatte bekannt, aber ohne seine Kommentare wären mir die meisten Stimmen unverständlich geblieben.

Es wurde mir bei dieser Vorführung sehr rasch klar, daß das Konglomerat der Sprachen erst nach längerem Studium erfaßt werden kann und daß hierzu äußerste Konzentration und geistige Flexibilität erforderlich sind. Nachdem sich die Jenseitsstimmen auch in verschiedenen Sprachen äußerten, vorwiegend in Lettisch und Lettgalisch, war für mich eine Verifizierung außerordentlich schwierig.

   Sehr beeindruckten mich die erschütternden Bekenntnisse einiger Stimmen, die auf ein Weiterleben nach dem Tode hinwiesen. Unvergeßlich eine weibliche Stimme, die in überraschtem Tonfall gesteht: "Bedenke - ich bin." Oder eine männliche Stimme, die sagt:"Wir - Kosti - sind."

   Dr. RAUDIVE ließ mich auch ein Tonband abhören, auf dem eine verzweifelte italienische Mutter ihren verstorbenen kleinen Sohn anspricht und prompt eine beglückende Antwort in ihrer Muttersprache erhält. Die Stimme des Knaben war in diesem Fall sehr deutlich zu vernehmen.

   Diese Stimmenbeispiele versetzten mich natürlich in Erstaunen. Voller Spannung erwartete ich nun unsere gemeinsame "Life- Einspielung".

   RAUDIVE entsiegelte ein neu es, unbespieltes Band, legte es auf, notierte Bandnummer, Zählwerk und Datum der Einspielung. Dann sprach er durch das Mikrofon seine verstorbene Mutter und Schwester an, erwähnte meine Anwesenheit und bat um Kontakt mit den Jenseitigen.

Anschließend sprach ich zu meiner Tochter. Nach unserer Ansprache lief das Band einige Zeit, wobei absolute Ruhe sowohl im Raum selbst als auch außerhalb des Hauses herrschte. Ich wagte kaum zu atmen. Zwischendurch, während des monotonen Ablaufens des Bandes, bat Dr. RAUDIVE nochmals die Verstorbenen um ein Echo, und ich schloß mich seinen Worten an.

   Diese Einspielung brachte eine Vielzahl von Stimmen, die sich bereits teilweise schon unter die von uns zu Anfang gesprochenen Worte mischten. Sie wurden jedoch stark durch atmosphärische

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Störungen und das sogenannte "weiße Rauschen" beeinträchtigt. Mehrfach handelte es sich auch um fremdsprachliche Texte.

   Dr. RAUDIVE meinte, auf meine Frage an meine Tochter, wie es ihr jetzt ginge, das Wort "glücklich" zu hören, aber leider konnte ich es selbst nicht vernehmen. - Vor allem wurde RAUDIVE in lettischer Sprache oder lettgalischem Dialekt angesprochen, und ich konnte mehrmals sehr deutlich seinen Namen bzw. Kosenamen hören.

Er wurde mit "Kosta - Koste - Kosti - oder Konstantin" gerufen. Ebenso deutlich hörte ich auch mehrmals den Namen "Raudive." Es gab keinen Zweifel - die Stimmen existierten tatsächlich.

   Zum Beispiel erläuterte mir der Experimentator eine weibliche Stimme als seiner Mutter zugehörig, die ihn schelmisch "Faulenzer" titulierte, ein in lettischer Sprache schwieriges Wort, das ich jedoch aufgrund von RAUDIVES Übersetzung einwandfrei beglaubigen konnte.

Dieser sanfte Vorwurf sollte darauf hinzielen, daß er einige Zeit nicht an seinem neuen Buch gearbeitet hatte. Eine andere Stimme meldete sich gut verständlich mit: ,,I am Findlay." Der Parapsychologe FINDLAY wurde in Deutschland vor allem bekannt durch sein Buch: "Gespräche mit Toten." RAUDIVE freute sich über diese Stimme, weil sich FINDLA Y, wie er mir erzählte, schon lange nicht mehr manifestiert hatte.

   Beim Abhören des Bandes gewann ich immer mehr den Eindruck, als wollten viele Wesenheiten auf einmal sprechen, als drängten sie sich förmlich dazu, Kontakt mit uns aufzunehmen. Doch zum großen Teil waren es nur Flüsterstimmen. Während RAUDIVE viele auf Anhieb verstand, mußte ich meist passen. Zwar nahm ich das Gesagte wahr, erfaßte aber nicht seinen Inhalt.

RAUDIVE war außerordentlich nachsichtig mit meinem damals so entsetzlich ungeschulten Gehör. Immer und immer wieder spulte er das Band zurück, um mir eine Stimme wiederholt vorzuführen und fragte: "Haben Sie jetzt verstanden?" Wenn ich dann zum so-und-so-vielten Mal immer noch "nein" hätte sagen müssen, sagte ich lieber "ja", um RAUDIVES Geduld und Toleranz nicht noch mehr zu strapazieren. Heute begreife ich, wie langmütig RAUDIVE wirklich war und welche unsagbare Mühe er sich mit mir gegeben hat, denn

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jetzt weiß ich, wie einem zumute ist, wenn man x-mal eine Stimme vorführt, die man selber eindeutig dechiffrieren kann, anderes nichts zu deuteln gibt, aber ein ungeschulter Partner immer wieder behauptet, nichts oder nur Geräusche zu hören.

    Während dieser Sitzung wurde mir klar, daß ein einziges Experiment nicht ausreicht, um das Stimmenphänomen in seiner ganzen akustisch-physikalischen und transzendenten Einmaligkeit und gleichzeitig Vielseitigkeit begreifen zu können. Unverständliche Aussagen stellen die Tatsächlichkeit keineswegs in Frage, sondern beweisen sie vielmehr.

Vor allem sind direkte Antworten und viele nur dem Experimentator bekannte Mitteilungen so offenkundig, daß man sie nicht in das vage Gebiet des Unterbewußtseins abschieben kann, sondern als postmortale Kundgaben betrachten muß.

    RAUDIVE zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Es war schon weit über Mitternacht, es ging auf 2 Uhr zu. Ich war erschöpft, ausgelaugt. Die weite Fahrt bei strömendem Regen, die Eindrücke, die auf mich einstürzten, die Anspannung, die stundenlange Konzentration beim Abhören, das alles hatte mich überfordert, um so mehr, als ich ohnehin kein Nachtmensch bin.

   Anders RAUDIVE. Die Einspielung war zwar beendet, aber Raudive dachte nicht daran, mich zu entlassen. Nun wollte er sich unterhalten. Trotz der vorgerückten Stunde war sein Geist frisch wie am Nachmittag, und ich hatte Mühe, dem Gespräch zu folgen.

    Als die Nacht schon beinahe dem Morgen wich, bat mich Raudive noch, etwas in sein Besucherbuch zu schreiben. Es handelte sich hierbei nicht um ein übliches Gästebuch, in das man irgendwelche Floskeln oder einen kurz abgefaßten Dank zu schreiben pflegt, sondern um ein Buch, in dem die Teilnehmer an seinen Einspielungen ihre Eindrücke niederschrieben. Mit Gliedern schwer wie Blei, aber einem Gehirn leicht wie eine Feder, weil total leergepumpt, versuchte ich dieser Bitte gerecht zu werden.

   RAUDIVE lud mich zwar ein, auch den nächsten Tag noch bei ihm zu verbringen, aber leider hatte ich bereits anderweitig disponiert. So blieb es also bei dieser einzigen Nacht, vollgepackt mit Erlebnissen. Als ich gegen 4 Uhr in mein Hotelzimmer kam, war an Schlaf nicht mehr zu denken.

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    Es war geplant, weitere gemeinsame Einspielungen zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen, Briefe gingen hin und her; aber einmal war es die Arbeit am neuen Buch, die Raudive keine Zeit gönnte, ein andermal wurde nach einem Herzinfarkt ein Erholungsaufenthalt in der Schweiz erforderlich, Reisen mußten bewältigt, Tagungen besucht, Vorträge gehalten und Interviews gewährt werden. Seine zunehmende Berühmtheit als Tonbandstimmenforscher forderte ihren Tribut. So blieb es beim Briefwechsel.

    Als es dann endlich so weit war und er mir mitteilte, daß er mir seine neuesten Forschungsergebnisse vorführen wolle, war es zu spät. Dieses Treffen konnte nicht mehr stattfinden.

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rodiehr Nov 2007 


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