Stimmen aus einer anderen Welt
- Chronik und Technik der Tonbandstimmenforschung -
von Hildegard Schäfer (
)

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1. Religion und Wahrheit

    Was ist Wahrheit? Seit es auf unserer Erde den Homo sapiens gibt, wurde und wird diese Frage immer wieder gestellt. Kein Mensch kann an ihr vorübergehen, ob er sie nun von der Natur, der Religion, der Philosophie oder der Wissenschaft her zu lösen versucht, sie drängt sich auf in immer neuen, unserer Entwicklung gemäßen Variationen.

    Will man einer Frage auf den Grund gehen, muß zunächst eine genaue Bestimmung ihres Inhalts erfolgen. Eine Definition des Begriffs "Wahrheit" scheint unkompliziert und eindeutig. Jedoch - ist sie das auch? - sub specie aetemitatis?

    Wahr ist, was richtig, zutreffend, unbezweifelbar ist. Doch - wer bestätigt die Unbezweifelbarkeit? Welcher menschlichen Instanz und welchem bekanntlicherweise lebenslänglich irrenden Menschen könnte eine absolute Wahrheitsfindung zuerkannt werden?

    Wie jeder Mensch seinen unverwechselbaren Fingerabdruck besitzt, seine ureigensten Gesichts- und Wesenszüge, wie es niemals zwei sich völlig gleichende Individuen gibt, so kann es vom Gesichtspunkt des Menschen aus keine übereinstimmende Wahrheit geben.

Die Betrachtung ein und desselben Gemäldes, das Lesen ein und desselben Buches erzeugt bei jedem Betrachter und jedem Leser andere Empfindungen. Genauso erweckt der Gottesbegriff in allen Menschen ein anderes Echo, auch wenn sie derselben Religionsgemeinschaft angehören, dieselbe Weltanschauung verfechten.

    ORIGINES, einer der gelehrtesten Apologeten des Christentums, sagte ausdrücklich, daß er beispielsweise über die Seele gar nichts sagen könne, denn alles, was er vorbringe, sei nur seine persönliche Meinung. Es gab viele Kirchenväter, die über die Seele und ihre Unsterblichkeit nachdachten, aber ihre Ansichten sind so unterschiedlich, daß keine Folgerichtigkeit davon abgeleitet werden kann. Wer versucht, daraus eine klare Formel zu gewinnen, verstrickt sich in unlösbare Widersprüche.

    Der Mensch erfaßt ethisch-religiöse Begriffe gemäß seiner Wesens- und Geistesstruktur und ordnet sie individuell ein. Gott ist

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zwar aller Menschen Gott, aber mein Gott ist dennoch nicht meines Nächsten Gott und sein Gott ist nicht mein Gott, weil ich nicht so bin wie er und er nicht so ist wie ich.

    "Das Gottes empfinden entspringt der Konstitution unserer Seele. Es wird nicht von Gott hervorgerufen, sondern wir erleben im Empfinden Gottes in uns das Einzigartige unseres persönlichen Seins, das von Gott geschaffen, göttlicher Natur ist.

Gott gleicht einem von Menschen geschaffenen Gefäß, in das sie ihre Meinungen über den von ihnen erdachten Charakter und Willen Gottes legen. In Wahrheit ist das Auslegen des, Willen und Wort Gottes' ein Hineinlegen der eigenen Gedanken in das von Menschen geschaffene Gottesideal." [1]

    Woher wollen wir den Willen Gottes kennen? Können wir uns auf das verlassen, was uns von Jesus Christus überliefert worden ist?

    Die Evangelien nach Johannes, Matthäus, Lukas und Markus weichen in vielen Einzelheiten voneinander ab. Die ältesten Abschriften, die die Grundlage des Neuen Testaments bilden, stammen aus dem 4. Jahrhundert. Außer unzähligen Abschreibefehlern und falschen Interpretationen wurden Tatsachen, die der Kirche in irgendeiner Weise abträglich schienen, einfach ignoriert oder ins Gegenteil verkehrt.

    Nach Angaben des katholischen Theologen HENRI-DANIEL ROPS wird die Fehlerzahl mit ca. 250.000 angegeben. Unangenehme Tatbestände wurden zuweilen ins Gegenteil verkehrt. ALBERT SCHWElTZER äußerte sich dazu einmal wie folgt: "Statt der Wahrheit ihr Recht zu lassen, wurde ihr ausgewichen, sie umgebogen oder zugedeckt." Laut Prof. GEISELMANN wurde die heutige Fassung des Evangeliums mehrfach redigiert. Hinlänglich bekannt ist auch, daß die Kirche jahrhundertelang das Lesen der Heiligen Schrift verboten hatte.

    Heute weiß man allerdings zur Genüge, daß die Bibel nicht nur Gotteswort, sondern auch Menschenwort enthält. Die Bibelauslegungen sind ohnehin eine mehr als heikle Sache. Um Wahres durch Wahres auszulegen, dazu müßte man im Besitz dieser Wahrheit bereits sein, und wenn dem so wäre, wäre eine Deutung überflüssig.

    Das Begreifen und Erfassen Gottes ist ureigenste Schöpfung. Ob Gott in der Natur, in der Kirche, am nächtlichen Sternenhimmel

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oder unter Menschen gesucht wird, ist gleichgültig, denn finden läßt er sich nur in unserem Inneren. Weil dieses Innere jedes einzelnen individuell ist, ist auch das Bild, das wir uns von Gott vermitteln, ein urpersönliches, eigengeprägtes, divergierendes. Alles, was wir als Hinführen zum Gotterleben betrachten, - ist Kolorit,  Kulisse, Vorstellung, Stimulans - aber nicht Notwendigkeit. Vielleicht aber für viele der Schlüssel zum geheimnisvollen Tor der Unio mystica.

    Wahr ist, daß ich von meinem Fenster aus eine Birke sehe, aber ebenso wahr ist, daß mein Nachbar von seinem Fenster aus keine Birke, sondern einen Kastanienbaum sieht. Wir haben beide recht, denn wir sehen durch verschiedene Fenster.

Es kann demnach keine allgemeine, sondern nur eine individuelle Wahrheit geben, einen für das innere Auge jedes einzelnen seiner Aufnahmefähigkeit angepaßten wahrnehmbaren Ausschnitt. Es kommt auf den Standpunkt des Betrachters an. Nachweislich hat jeder seinen unverwechselbaren Standpunkt, deshalb kann das, was er als Wahrheit empfindet, nicht eine umfassende, unumstößliche, apodiktische Wahrheit sein.

    Allein der Versuch, den Begriff "Seele" zu definieren, ist schon zum Scheitern verurteilt. Des Menschen Vorstellung hiervon ist äußerst differenziert, und wenn auch "Seele" genau wie "Gott" in Wirklichkeit nur ein einziger Begriff sein kann, ein unmanipulierbares Etwas, so gelingt es dem Menschen dennoch nicht, eine einheitliche Vorstellung zu erzielen.

    Der berühmte Arzt RUDOLF VIRCHOW, der Begründer der Zellulartherapie, hat einmal das Wort geprägt: "Ich habe sehr viele Leichen seziert, aber eine ,Seele' habe ich nicht gefunden."

    VIRCHOW hat es sich zu einfach gemacht. Wenn die Seele eine rein ätherische Substanz ist, kann sie auch mit dem leistungsfähigsten Elektronenmikroskop nicht nachgewiesen werden.

    IMMANUEL KANT, der große Denker und Philosoph, sagte: "Der Anfang des Lebens ist die Geburt, diese ist aber nicht der Anfang des Lebens der Seele, sondern des Menschen. Das Ende des Lebens ist der Tod. Dieser ist aber nicht das Ende des Lebens der Seele, sondern des Menschen. Geburt, Leben und Tod sind nur Zustände der Seele.

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Mithin bleibt Substanz, wenngleich der Körper vergeht, und also muß auch die Substanz gewesen sein, als der Körper entstand."

    In JAKOB LORBERS [2] Neuoffenbarung heißt es: "Die Seele ist gewisserart durch die Kraft des Geistes wieder aufgelöste Materie, die in des Geistes eigene Urform, durch seine Kraft genötigt, übergeht und sodann, mit ihrem Geist vereint, gleichsam seinen lichtätherisch-substantiellen Leib ausmacht, so wie die Seele aus der sie umgebenden Fleischmaterie, wenn diese völlig verwest und aufgelöst worden ist, sich durch ihren rein geistkräftigsten Willen ihr einstiges Kleid formt und bildet."

    In OTTO AHRs Studie "Das Problem der Seele" [3] ist nachzulesen: "Die Seele besteht mit größter Wahrscheinlichkeit aus einer magnetischen Form der Energie, im Gegensatz zur Materie, die aus einer elektrischen Form der Energie aufgebaut ist.

Und das Leben ist ein Ergebnis der Wechselwirkung zwischen den elektrisch geladenen Elementarteilchen der Seele; vereinfacht ausgedrückt: eine Wechselwirkung zwischen elektrischen und magnetischen Kräften."

    Bei JOHANNES GREBER ist von einer "Seele" dagegen überhaupt nicht die Rede. Für den Begriff "Seele" setzt er den Begriff "Od-kraft". Er führt aus wie folgt:

    "Die Gelehrten der alten Zeit nannten den Kraftstrom im Menschen "Seele", im Gegensatz zu "Geist" und "Körper". Die heutige Wissenschaft hat dem Kraftstrom im Menschen den Namen ,Odkraft' gegeben." [4]

So rätseln die Menschen um die Form ihres Seins und kommen letztlich doch zu keinen schlüssigen Ergebnissen. Der Verstand, der sich die Welt weder endlich noch unendlich denken kann, reicht zur Erfassung der absoluten Wahrheit nicht aus.

    Die absolute Wahrheit können wir wahrscheinlich im Diesseits nicht ergründen; dies käme einer Vorwegnahme der Todeserfahrung gleich. Alles, worauf sich die Wahrheitssucher stützen und als die Wahrheit bezeichnen, ist bezweifelbar, dem Geist und der Seele des Menschen entsprechend vielseitig auslegbar. Selbstverständlich muß es eine einzige, letzte Wahrheit geben, aber wir können sie, solange wir noch nicht durch das Tor des Todes gegangen sind, mit unserer

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für das Diesseits ausgerüsteten Geist-Seelen-Struktur in ihrer Ganz- heit und Einmaligkeit nicht erfassen.

    Professor HERMANN OBERTH, der Nestor der Weltraumforschung, gibt in seinem Buch "Stoff und Leben" zu bedenken, "daß eine völlige Gewißheit für unsere guten Werke psychologisch betrachtet nur noch den Charakter einer Anleihe auf Wucherzinsen bedeuten würde" [5] - und dies scheint ein einleuchtender Grund für unser Nichtwissen zu sein.

    Wir müssen unseren Wissensdurst auf das beschränken, was durch die Nebelwand, die das Diesseits vom Jenseits trennt, manchmal ein wenig hindurchschimmert. Wer den Schimmer sieht, ist beglückt, aber eine Weitervermittlung an andere stößt meist auf unüberwindbare Sperren. Eigenes Unterrauchen, eigenes Versenken in das unauslotbare Meer geistiger Jenseitserkenntnisse ist immer gleichbedeutend mit "splendid isolation".

    "Gott schafft Originale, und demzufolge offenbart sich auch das Göttliche auf individualspezifische Weise", sagte Fastenarzt DR. BUCHINGER. KIERKEGAARD lehrte, daß man die Bibel als Gottes Liebesbrief an jeden einzelnen aufzufassen habe. Weil jeder das nur ihn Betreffende herausliest, kann es niemals eine Übereinstimmung geben. Wen wundert da, daß die Versuche der Bibelforscher und Bibelausleger zum Scheitern verurteilt sind?

Die Vielschichtigkeit Gottes, eines so unfaßbaren Geistes, kann nicht genormt begriffen werden. In "Roman mit Gott" von JOSEF WITT wird von einem "Milligramm Gott" gesprochen, das in jedem wirksam wird. Und GUSTAV MEYRINK meinte, "man müsse sich von Gott anschauen lassen mit dem Blick, den er für jeden einzelnen hat, um zu erfahren, auf welche Weise und unter welchem Aspekt man ihn zu meinen und zu minnen hat".

    Allen diesen Aussagen ist gemeinsam, daß man sich nicht in den Sog allgemeiner Gottesvorstellungen ziehen lassen, nicht kollektiv denken soll. Am Beginn aller Religionen steht die Suche nach dem persönlichen Gott, was aber keineswegs bedeutet, daß Gott einer "Person" gleichzusetzen ist. Ob der Mensch Gott als Person, geheimnisvolles Etwas, Nirvana, Urgrund allen Seins, unermeßliche Potenz, Natur, oder als Kosmos jenseits alles Unfaßbaren erlebt,

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muß seiner ureigensten Erfahrung, außerhalb der Intoleranz dogmatischer Religionsverfechter, überlassen bleiben.

    Kirchliche Dogmen sind Erkenntnis- und Wahrheitssuchenden ebenso unmaßgeblich wie der Geisterglaube den Kirchen. Christus hat keine Dogmen verkündet und keine Glaubenslehre aufgestellt, er hat uns "Christ-sein" vorgelebt. Es gab immer schon große Christen, die aus der Kirche austraten, um ihr Leben in einen echten, wahrhaften Gottesdienst jenseits aller Dogmatik zu verwandeln. Man denke nur an TOLSTOI, NIKOLAI BERD)A)EW und an DOSTO)EWSKI).

    Jede Religion hat ihr eigenes Gottesbild geschaffen. Welches entspricht der Wahrheit? Das des Buddhismus, Hinduismus, Islams, der Adventisten, Mormonen, Nazarener, Katharer, Zeugen Jehovas? Jeder Anhänger irgendeiner Religion oder der etwa 270 christlichen Sekten und weiterer ca. 600 Denominationen hält seine Lehre für die allein richtige.

Muß man sich da nicht fragen, wie das durchwegs Individuelle verallgemeinert, das Unorganisierbare organisiert werden kann? Aber genau das geschieht in allen Religionen. Der Tiefgläubige lebt im Geheimnis und lehnt ein menschengeformtes Gottesbild und alle davon abgeleiteten Vorstellungen ab. Nicht aus Hochmut, sondern aus Demut; jener Demut, die das Christentum von seinen Gläubigen fordert, aber durch seine organisierten, konkretisierten Ansprüche verleugnet.

    Die Gefahr aller Religionen liegt in einem gewissen Pharisäertum. "Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin wie jener." Oder wie es beispielsweise PATER LEPPICH in einer seiner lautstarken Predigten ausdrückte: "Herrgott, ich habe dir noch nie gedankt für meine Zugehörigkeit zur wahren Kirche. Ich habe in meiner katholischen Selbstsicherheit nie daran gedacht, meinen irrenden Brüdern durch mein Leben und Wort Brücke zur Wahrheit zu werden".

    Welch erschreckender Gedanke, daß nur eine einzige unter der Vielzahl aller Religionen die alleinseligmachende sein könnte. Wie viele Menschen auf Erden müßten demnach der ewigen Seligkeit verlustig gehen.

    Was ist von einer Religion zu halten, die in Fanatismus ausartet und sich gegen Andersgläubige richtet, die Interessen des Einzelnen

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der Allgemeinheit opfert, zur geistigen Verfinsterung, zur Konvertitenfolter, zur Kolonialpolitik und Tyrannei wird? Ein eklatantes Beispiel für die seligmachende oder unseligmachende Kirche liefern die christlichen Konfessionen in Irland, die, auf mittelalterliche Praktiken zurückfallend und allen christlichen Forderungen zum Hohn sich gegenseitig umbringen.

    Wie menschlich-allzumenschlich sich der kleine Menschengeist Gott denkt, bezeugen die Gebete der Kirchen während der Kriegsjahre. Priester und Gläubige beteten für einen gerechten Sieg ihres Landes. Welch lächerliche Gottesvorstellung liegt solchen Gebeten zugrunde. Wen wundert es da, daß sich denkende Menschen von solchen Entgleisungen distanzieren und ihren eigenen Weg suchen?

    Im Jakobusbrief 2, 24 und 26 heißt es: ". . . Denn gleichwie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot. . ." In der Broschüre "Tod" von FRIEDRICH-WILHELM HAACK, dem evangelischen Beauftragten für Sektenforschung, ist jedoch zu lesen: "Vor dem Gericht können wir uns unserer guten Taten nicht rühmen. Gute Werke sind kein Verdienst, auf das wir uns im Gericht berufen können. Sie sind eine Gnade Gottes, nämlich dadurch, daß er uns die Möglichkeit gegeben hat, sie zu tun." [6]

    Ohne über Freiheit oder Unfreiheit des Willens, über "Determinismus" zu konferieren, ist dieses Thema nicht auszuschöpfen. Jedoch auch oberflächlich betrachtet ist diese Aussage eine sehr widersprüchliche Spekulation.

Wenn wir uns auf unsere guten Werke nicht berufen können, weil wir sie nur durch Gottes Gnade auszuüben vermochten, dann können wir analog dieser Hypothese auch nicht für unsere schlechten Taten zur Verantwortung gezogen werden, weil die Erlangung oder das Fehlen der Gnade nicht in unserem Machtbereich liegt.

Das Gute wird uns nach Belieben zugeteilt. Wen oder was aber können wir für das Böse verantwortlich machen? Da bleibt nur zu hoffen, daß ein gerechter Gott beide Seiten berücksichtigt und alles abwägt, was dazu beigetragen hat, daß wir Gutes oder Schlechtes getan haben.

    Was nützt dem Menschen ein dogmatischer Glaube ohne Bestätigung durch gute Werke? Er gleicht einer Attrappe ohne

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Inhalt und Wert. Damit soll nicht der Glaubenslosigkeit das Wort gesprochen werden. Aber Nichtglauben ist nicht gleichbedeutend mit Gottesferne. Da nach kirchlicher Aussage Glauben "Gnade" ist, bleibt dem Suchenden und Nichtfindenden nur der Weg selbstzubewältigender Vervollkommnung, außerhalb jeder Observanz, obgleich der Versuch, christlich im eigenen Sinne zu sein, eine beträchtliche Bürde bedeutet. Leichter ist es für den, der in der vorgeschriebenen Form einer Konfession zu leben vermag.

    Wer die Gnade bedingungslosen Glaubens erfahren darf und sie nicht sinnvoll in ein verantwortungsbewußtes, praktizierendes Christentum einzubauen versteht, gleicht einem Gewinner in der Lotterie, der das ohne Mühe erworbene Geld nicht zu schätzen weiß und sinnlos verplempert.

Wieviel Gläubige, Gut-Gläubige, Streng-Gläubige, Treu-Gläubige treiben Schindluder mit ihrem unverdienten Gnadengeschenk, benützen es als zweckdienliche Waffe gegen Andersgläubige, betrachten es dünkelhaft als ihnen zustehenden Besitz, tragen es marktschreierisch vor sich her - oder verbergen es schamhaft, wenn sie um seine Unerwünschtheit wissen. Sie sollten wie ein freizügiger, hochherziger Reicher ihren Besitz dazu benützen, anderen zu helfen, ihnen Gutes zu tun.

    Ein Mensch, der ohne Hinwendung zu einer bestimmten Religion und ohne religiöse Verpflichtung, ohne Angst vor Gottes Strafgericht und ohne berechnende Hoffnung auf Gottes Lohn sein Leben ethisch-moralisch, der Nächstenliebe geweiht, ausrichtet, wird sich sicher höher einstufen als derjenige, der aus Angst vor Bestrafung oder spekulativ im Hinblick auf eine Belohnung handelt.

    Bei SCHOPENHAUER ist nachzulesen: "Bei keiner Sache hat man so sehr den Kern von der Schale zu unterscheiden, wie beim Christentum. Eben weil ich diesen Kern so hoch schätze, mache ich mit der Schale bisweilen wenig Umstände".

    Professor HERMANN OBERTH führt in seinem Buch "Katechismus der Uraniden" folgendes aus: "Vor allem aber müssen die Glaubensgemeinschaften gleich der Wissenschaft zugeben, daß auch sie noch nicht im Besitz der absoluten Wahrheit sind und vielleicht schon morgen anders lehren müssen, und sie müssen daraus die Konsequenzen ziehen: Was man weiß, muß man immer wieder an den

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Erfahrungen prüfen und notfalls ändern. Die Menschen werden irren, solange es Menschen gibt."

    Wie recht OBERT hiermit hatte, beweisen die Abstriche oder Zugeständnisse, die die Kirchen inzwischen verschiedentlich bereits machen mußten.

    An anderer Stelle heißt es in Prof. OBERTHS Buch: "Gott hat gewußt, warum er nicht allen Menschen den gleichen Glauben gab, und auch hier den Wettbewerb walten läßt". [7]

So wie die Frage nach einem persönlichen oder unpersönlichen Gott ohne Einflußnahme auf unsere Lebensführung sein sollte, ist auch die oft diskutierte Frage nach der Gott- oder Menschheit Jesu Christi für unsere Weiterentwicklung und Vervollkommnung unwichtig.

    Aus der Haft für unser Tun können wir trotz des Erlösungsglaubens der Kirche nicht entlassen werden. Ich zitiere OTTO AHR, der in seinem Buch "Was ist Wahrheit?" ausführt:

    "Niemand kann die Schuld eines anderen tilgen, mag sein Opfer auch noch so groß sein. Mit seiner opferbereiten Tat erringt der Selbstlose nur seelische Werte für sich. Jeder Mensch muß seine Schuld selbst sühnen. Das ist ein unabänderliches Naturgesetz.

Der Wunsch, einem anderen, Schuldlosen, die eigene Schuld aufzubürden, ist nicht zu verwirklichen. Es ist ein sehr seltsamer Glaube, daß Gott seinen Sohn auf die Erde schickt, damit ihn die Menschen zur Tilgung ihrer Schuld martern und qualvoll töten. Was würden wir von einem Vater sagen, der wünscht, daß sein Sohn geschlagen wird, weil ein anderer Junge etwas angestellt hat?

Wird durch die Züchtigung des eigenen Sohnes die Schuld des anderen getilgt? Die Anschauung, daß Gott einen Gerechten für die Schuld der Ungerechten büßen und sühnen läßt, setzt die Annahme eines Gottes voraus, der nach Gnade und Ungnade, doch nicht nach Recht und Gerechtigkeit urteilt." [8]

    Eine Religion, die alle Leiden dieser Erde einer "Erbsünde" aufhalst und Gott zu einem schlechten Bildhauer degradiert, der sein unvollkommenes Werk zu Boden schmettert, um es durch den Erlösungsakt seines Sohnes wieder zusammenzukitten, ist unglaubhaft. Gott wird vermenschlicht und Christus vergöttlicht.

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    Lag es nicht im Ermessen des als barmherzig gepriesenen Gottes, die Schuld der Menschen zu verzeihen, ohne seinen "Sohn" zu opfern? Wenn schon angenommen wird, daß der legendäre erste Sündenfall die grausame Strafe der Sterblichkeit nach sich zog und Gott nur durch den qualvollen Tod seines Sohnes versöhnt werden konnte, wie sollen dann jemals die grauenvollen Vergehen der späteren Menschheit Vergebung erlangen? Stellt dies nicht ein Paradoxum dar?

    In der Frage nach der Gottheit oder Menschheit Jesu Christi gehen die Meinungen, auch wenn sie sich auf mediale Durchgaben stützen, wie im Fall Pfarrer GREBERS oder JAKOB LORBERS weit auseinander. Während dem Musiker LORBER die Dreifaltigkeit und somit Christus als Gottessohn bei seinen Jenseitskontakten bestätigt wurde, behauptet Pfarrer GREBER in seinem Buch "Der Verkehr mit der Geisterwelt Gottes", ihm sei folgende Kundgabe zuteil geworden:

"Ihr lehrt einen Gott in drei Personen. Das ist menschlicher Wahn und größte Torheit. Es gibt keine Dreifaltigkeit und keine Dreieinigkeit. Gott ist nur eine einzige Persönlichkeit. Nur der Vater ist Gott. Alle anderen Geister sind Geschöpfe Gottes. Keiner von ihnen ist dem Vater gleich. Christus ist der höchste Geist, den Gott in seiner Allmacht schaffen konnte. Er ist aber nicht Gott, sondern sein höchstes und vollkommenstes Geschöpf.." [9]

In Orro AHRs Buch "Was ist Wahrheit?" ist nachzulesen:

    ,Jesus von Nazareth ist einer der bedeutendsten Gestalter des Gottesideals, der Stifter der christlichen Religion. Doch Gott hat keinen Sohn auf die Erde gesandt, damit ihn die Menschen um ihrer Sünden willen zum Opfer bringen. Christus war ein Mensch so wie wir auch. Unser Seelenheil hängt nicht davon ab, ob wir an Jesu Worte und an seinen Erlösungstod glauben. Der Glaube macht aus einem Sünder keinen Gerechten. Der Gott, der nach Glaube und Unglaube richtet, existiert nur in der Phantasie der Gläubigen." [10]

    Ob Christus Gott oder Mensch war, ein von Gott gesandter Prophet, ein Mystiker, Wundertäter oder ein Revolutionär - fest steht, daß er einer der größten Verkünder der Wahrheit war, ein

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Verfechter der Herrschaft des Geistes über die Materie. Er hat der Menschheit den einzig möglichen Erlösungsweg aus ihrem Elend und ihrer Not aufgezeigt. Daß dieser Weg nicht begangen wurde oder vielmehr bewußt in einen Irrweg umgeleitet wurde, kann nicht ihm angelastet werden. Sein Wollen und sein Wirken waren rein und sein Ziel eine ethisch-geistig hochstehende Menschheit.

    Hätten die Menschen nach seiner Lehre gelebt, gleichgültig, ob er nun Gottes- oder Menschensohn gewesen ist, hätte es für die Menschheit der vergangenen 2000 Jahre keine Probleme gegeben. Alle menschlichen Probleme können nur durch die richtige geistige Einstellung gelöst werden. Die Überschätzung des Materiellen und die Unterschätzung des Geistigen sind die Kardinalfehler des Menschen. Solange er ihnen unterliegt, gestaltet sich die Welt für ihn niemals besser. Er baut sich seine Welt, so wie er sie verdient.

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rodiehr Nov 2007


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