FRIEDRICH JÜRGENSON
Sprechfunk mit Verstorbenen
Praktische Kontaktherstellung mit dem Jenseits

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NACHTRAG

Der Fall Rigmor Anderson

Seite 252 Ein Jahr ist vergangen, seitdem ich dieses Buch in Pompeji abgeschlossen habe. Ich bin wieder einmal zu meiner lieben Campania zurückgekehrt, dieses Mal mit der Absicht, an der Ausgrabung eines Hauses in Pompeji teilzunehmen.

Es ist mir tatsächlich gelungen, die Mittel und die Genehmigung für die Ausgrabung von den zuständigen Behörden zu erhalten. Meine Aufgabe besteht darin, für das schwedische Fernsehen einen Dokumentarfilm zu drehen, in dem man vom ersten Spatenstich an bis zur Freilegung des Hauses den Verlauf der Ausgrabungsphasen eingehend übersehen kann.

Unser ausgewähltes Haus mit der bereits freigelegten Fassade befindet sich ganz in der Nähe meiner Terrasse.

Es ist sonderbar - als im Juni 1967 der Ausgrabungsplan konkrete Formen anzunehmen begann, ereignete sich in Schweden ein tragischer Vorfall, der mich für eine längere Zeit zu meinen Tonbandaufnahmen zurückzwang.

Um das Ganze klarer übersehen zu können, muß ich den Leser zum 46. Kapitel zurückführen. Ich schrieb damals unter anderem: "Heute herrscht Zuversicht im Hause Anderson"; ich erwähnte ebenfalls, daß seine zwei Töchter Mariann und Rigmor uns im Sommer 1965 öfters besucht hatten.

Die jüngste - Rigmor, 16 Jahre - übrigens ein liebliches und sehr hübsches Mädchen - schien trotz ihrer Jugend die Bedeutung der Tonbandkontakte richtig erfaßt zu haben. Sie war es, die ihren Vater zu neuen Einspielungen anspornte, und da sie mit einem feinen Gehör ausgerüstet war und außerdem sich mühelos konzentrieren konnte, ergab sich zwischen den beiden eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Ich hatte die meisten Tonbandeinspielungen von Berndt kopiert und geprüft. Für mich war es völlig klar, daß auch die von Berndt eingespielten Stimmen  Seite 253 - die sich übrigens der gleichen Vielsprachigkeit wie auch bei mir bedienten - von den Toten herstammten. Nur die Stimme der verstorbenen Frau Eivor Anderson war auf keinem Bande zu vernehmen; sie fehlte völlig.

Es war mir unbegreiflich, warum eine so liebende Mutter und Gattin sich jeglicher Tonbandkontakte konsequent entzog. Wie mir Berndt erzählte, war seine Tochter Rigmor in ihrem Wesen und Aussehen ihrer Mutter sehr ähnlich. Sie hatte die gleiche milde Art, war freundlich und geduldig, und man verstand, daß der Vater eine tiefe Zuneigung zu seiner jüngsten Tochter empfand.

Meine Schwester Elly, die mit der Familie Anderson befreundet war, teilte mir eines Tages mit, daß Rigmor sich verlobt habe. Danach verging ein halbes Jahr, und ich hörte nichts mehr von Andersons.

Anfang Juni - wir hatten gerade Besuch aus Neapel erhalten - rief meine Schwester mich aus Köping an. Sie war sehr erregt und erzählte, daß Rigmor seit vier Tagen vermißt wird. Man befürchtete einen Sexualmord, und zwar aus dem Grunde, weil in Köping vor kurzem zwei nicht aufgeklärte Frauenmorde verübt worden waren. Die Polizei hatte am Vormittag eine Vermißtenmeldung über den Rundfunk gebracht, und Köpings Umgebung werde von Militär- und Polizeiverbänden durchgekämmt.

Soweit Ellys Bericht. Da dieser tragische Vorfall in der schwedischen Presse ausführlich geschildert wurde, genügt es, wenn ich mich mit folgender Zusammenfassung begnüge:

Nach elf Tagen wurde Rigmor erdrosselt an einem Waldhang gefunden. Wie sich später erwies, war Rigmor von ihrem Bräutigam ermordet worden, und zwar, nachdem sie ihre Verlobung mit ihm aufgelöst hatte. Soweit die Pressenachrichten.

Das Ganze wirkte wie ein gräßlicher Angsttraum. Ich hoffte innerlich, daß das arme Kind sich nicht lange gequält hatte; jedenfalls mußte für sie jetzt das Schlimmste überstanden sein. Dagegen bezweifelte ich, ob sich ihr Seite 254 Vater von diesem Schlage würde erholen können.

Am Anfang, bevor der Mord geklärt war, brachten die Zeitungen über Rigmors Verschwinden verschiedene Nachrichten, und man hoffte, daß sie sich noch am Leben befinden würde. Wie ich später von Berndt erfuhr, war er sich über Rigmors Schicksal vom ersten Tage an völlig (bewußt) im klaren. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Gleich nach dem Anruf meiner Schwester schob ich das Pompejiprojekt auf und beschloß, meine Zeit und Aufmerksamkeit dem Falle Rigmor zu widmen. Zunächst ließ ich einige Tage vergehen, ohne daß ich die Tonbandkontakte mit meinen unsichtbaren Freunden aufnahm.

Ich zögerte, und zwar aus folgenden Überlegungen. Sollte irgend jemand Rigmor ums Leben gebracht haben, so war es Sache der Polizei, den Mörder ausfindig zu machen. Was meine Aufgabe im Zusammenhang mit den Tonbandkontakten anbetraf, so bestand sie in der Stabilisierung der Verbindungsbrücke, keinesfalls aber in der Errichtung eines kriminalistischen Informationsbüros.

Sollte Rigmor eines gewaltsamen Todes gestorben sein, so brauchte sie Zeit, um sich von dem Schock erholen zu können. Auch wußte ich aus Erfahrung, daß sogar Menschen, die durch Krankheiten gestorben waren, in der ersten Zeit nach dem Übergang mit Orientierungsschwierigkeiten zu kämpfen hatten und mitunter in einen ziemlich verwirrten Zustand gerieten.

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Nun galt es für mich, das ganze sachlich zu behandeln. Was Rigmors Stimme anbetraf, so besaß sie ein eigenes warmes Timbre, und ihre Aussprache verriet einen Västmanländischen Dialekt. Persönlich war ich sicher, ihre Stimme erkennen zu können.

Um jedoch alle Irrtümer und unbewußten Selbsttäuschungen zu vermeiden, beschloß ich, alle Einspielungen zu kopieren, in denen Rigmors Stimme anläßlich ihres seinerzeitigen Besuches bei mir aufgenommen worden war. Ich tat dieses in chronologischer Reihenfolge und bemühte mich dabei, ihre Stimme besonders deutlich hervorzuheben. Dadurch erhielt ich ein objektives Seite 255 Vergleichsmaterial, einen festen Ausgangspunkt, auf den ich mich verlassen konnte.

Um den 10.6.1966 begann ich zögernd die Tonbandkontakte aufzunehmen, und zwar in der Hoffnung, daß meine Assistentin Lena mir einige Tips geben würde. Ich muß hier hervorheben, daß zu jenem Zeitpunkt die Frage, ob Rigmor ums Leben gekommen war oder ob sie aus irgendwelchen Gründen ihr Haus verlassen hatte, noch nicht geklärt war.

Als erstes versuchte ich, meine Assistentin Lena über das Mikrophon zu erreichen. Ich tat es auf folgende Weise: Ich sprach meine Frage ins Mikrophon hinein und benutzte dazu wie stets die Geschwindigkeit 7½ i.p.s. (19 cm/sec). Nach der Einspielung schaltete ich die Aufnahme auf Geschwindigkeit 3¾ i.p.s. (9,5 cm/sec) um und lauschte auf Lenas Reaktion.

Aus Erfahrung wußte ich ja, daß Lena im Flüsterton zu sprechen pflegte, wobei ihre Antworten teils in übersprudelnder Hast, teils aber auch in schleppender Sprechweise gegeben wurden. Daß sich Lena dabei gewisser Schwingungen meiner Stimme und anderer Geräusche bediente war offenbar.

Sie tat dies auf eine meisterhafte Weise, indem sie von vornherein mit einer gewissen Zeitdehnung rechnete, die bei der Umschaltung auf die langsamere Geschwindigkeit 9,5 cm zustande kam.

Als ich nun damals zum ersten Mal die Frage über Rigmors Schicksal stellte, war ich, wie üblich, beim Ablauschen der Einspielung auf Lenas Geflüster eingestellt, das will sagen, ich konzentrierte mich auf eine gewisse Zischfrequenz und schenkte den anderen vorhandenen Tönen und Klängen keine Aufmerksamkeit. Zu meiner größten Überraschung erhielt ich damals so gut wie keine direkte Antwort, abgesehen von einem gleich am Anfang geflüsterten Satz: "Heute abend durch das Radio..."

Ein wenig enttäuscht beschloß ich, abends den Radiokontakt aufzunehmen. Ich befand mich allerdings in einem ziemlich gespannten Zustand. Der Fall war noch Seite 256 keinesfalls geklärt, und die Möglichkeit, daß das arme Mädchen vielleicht sich doch noch am Leben befinden könnte, war nicht ausgeschlossen.

Gerade diese quälende Ungewißheit war es, die ein sachliches Lauschen erschwerte. So geschah es auch, daß ich damals eine klar gegebene Antwort völlig überhörte. Erst nach einem halben Jahr stieß ich auf das Wichtige, das mir damals entgegangen war - in Pompeji.

Es verlief auf folgende Weise: Da meine Ausgrabungen auf Grund gewisser technischer Umstände sich bedeutend verzögert hatten, beschloß ich, in meiner Freizeit den Fall Rigmor einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Es war gerade zu der Zeit, als Florenz und Norditalien von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht wurden und über Süditalien heftige Gewitterregen sich ergossen.

Ich hatte mir ein größeres Tonbandgerät geliehen, und wenn es gerade draußen nicht donnerte und blitzte, prüfte ich meine Einspielungen vom Juni 1966. Wenn ich ein älteres Band einer Kontrolle unterziehe, so versuche ich es auf eine unvoreingenommene Weise zu tun.

Ich höre das Band Zoll für Zoll ab, so ungefähr, als hätte ich es vorher noch nie gehört. Übrigens läßt sich diese geistige Einstellung mühelos erreichen, denn man kann sich unmöglich an alle Einzelheiten erinnern.

Ich hatte den Fall Rigmor auf einem großen Bande (Langspielband 540 m) eingespielt, und zwar auf beiden Seiten. Nun aber erwies es sich, daß die Zahlenreihenfolge des in Pompeji geliehenen Tonbandgerätes mit der von mir notierten Zahlenfolge (Zählwerk) nicht übereinstimmte, in diesem Fall ein günstiger Umstand, denn nun war ich gezwungen, buchstäblich von neuem anzufangen.

Ich hatte aber viel Zeit und befand mich außerdem in einem harmonischen Gemütszustand. Auch war ich körperlich ausgeruht und konnte nun meine ganze Aufmerksamkeit der Kontrolle des Bandes zuwenden.

Wie schon erwähnt, erklang gleich am Anfang Lenas deutliches Geflüster: "Heute abend durch das Radio..."

Seite 257 Bevor ich aber meine Frage an Lena abschloß - und dieses ist der springende Punkt -, erklang eine deutliche Männerstimme, die kurz, aber bestimmt "Rigmor tot!" sagte. Die Stimme, die übrigens an Felix Kerstens Stimme erinnerte, sprach, sie flüsterte nicht.

Es ist mir nur in seltenen Fällen vorgekommen, daß Stimmen, die mit normaler Geschwindigkeit aufgenommen wurden, nach der Umschaltung auf die langsamere Geschwindigkeit 9,5 cm/sec. so klar zu verstehen waren.

Es handelte sich um ein äußerst sonderbares Phänomen, denn wenn man bedenkt, daß die Einspielung in der Geschwindigkeit 19 cm/sec. gemacht wurde, so müßten sich alle Stimmen und Töne, die sich gleichzeitig mit meiner fragenden Stimme eingespielt hatten, bei der Umschaltung auf Geschwindigkeit 9,5 cm/sec. automatisch um eine ganze Oktave vertieft haben.

Jedoch die Männerstimme, die "Rigmor tot!" gesagt hatte, sprach in ihrer gewöhnlichen Stimmlage, und zwar gerade so, als hätte sie sich in der Geschwindigkeit 9,5 cm/sec. eingespielt, was technisch eine glatte Unmöglichkeit ist.

Doch die Stimme war vorhanden, die Antwort gegeben; sie konnte von allen vernommen werden. Ich aber hatte im Eifer und bei meiner damaligen einseitigen Konzentrationseinstellung die Antwort überhört.

Am 11. Juni 1966, elf Tage nach Rigmors Verschwinden, hatten junge Leute bei freiwilligen Geländeübungen im Walde Rigmors Leiche gefunden. Am nächsten Tage, früh morgens, rief mich Berndt Anderson an. Irgendwie war ich auf seinen Anruf innerlich vorbereitet.

Berndt sagte nicht viel; er nannte seinen Namen und schwieg. Ich antwortete, daß ich seinen Anruf erwartet hatte und daß ich bereits vor kurzem die Tonbandkontakte aufgenommen habe und mein Bestes tun werde, um eine Verbindung herzustellen. Abschließend bat ich ihn, zu mir nach Nysund zu kommen. Berndt willigte ein. "Jedoch erst nach der Beerdigung" fügte er hinzu.

Seite 258 Das, was in diesem kurzen Gespräch nicht ausgesprochen wurde, ließ mich verstehen, welche entscheidende Bedeutung die Verbindung mit den Verstorbenen für einen gequälten Menschen hat. Gerade in Berndts Fall, wo das Brutalste und Schlimmste eingetroffen war, konnte nur die persönliche Kundgabe der Verstorbenen den Schmerz des Hinterbliebenen stillen.

Ich wußte aus Erfahrung, daß eine Verbindung sich herstellen ließ, jedoch nie erzwungen werden konnte. Meine Aufgabe bestand nun darin, mit größter Geduld und Beharrlichkeit den erforderlichen Verbindungsweg herzustellen und auszubauen. Ich mußte mit anderen Worten, im Dunkeln tastend, den geeigneten Verbindungsweg erkunden, über den sich der erwünschte Kontakt ergeben könnte.

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Am gleichen Abend schaltete ich das Radio ein und begann, wie üblich, die Wellen abzulauschen. Wie ich schon früher erwähnt habe, läßt sich so ein Verfahren ohne die Hilfe eines Assistenten überhaupt nicht durchfuhren.

Da ich persönlich von Lenas Mitarbeit abhängig bin, so ging es zunächst für mich darum, den Kontakt mit ihr aufzunehmen, d. h., ihre meist sehr rasch geflüsterten Hinweise richtig aufzufassen. Ich muß gestehen, daß trotz meiner achtjährigen Erfahrung es mir nicht immer gelingt, Lenas Worte auf Anhieb einwandfrei zu verstehen.

Zweifellos hat auch Lena mit großen rein technischen Schwierigkeiten zu kämpfen, die nicht nur durch elektromagnetische Störungen, sondern durch viele mir noch unbekannte Faktoren verursacht werden. Schon allein die Tatsache, daß Lena sich mitunter deutlich und klar ausdrücken kann, in anderen Fällen dagegen in gehetzten und abgerissenen Wort- und Satzfetzen ihre Mitteilungen buchstäblich herausschleudert, spricht für sich selber.

Es wirkte oft so, als wäre unser Zeitverlauf - vielleicht in Sekunden gerechnet - für die Verstorbenen von entscheidender Bedeutung, denn wenn auch eine günstige Verbindung sich herstellen läßt, so kann man sich des Eindruckes nicht Seite 259 erwehren, als hätten es alle Mitwirkenden äußerst eilig, als müsse man eine kurze Zeitspanne rasch ausnutzen, so ungefähr, als wolle man aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug einem Freund ein paar Grüße zurufen.

Glücklicherweise lassen sich auch Verbindungen von einwandfreier Klarheit ohne solche Zeitdehnungen auf normaler Geschwindigkeit herstellen. Solche Kontakte stellen den besten Beweis dar, sie sind Volltreffer, die keiner weiteren Kommentare bedürfen. Eine Botschaft dieser Art verleiht demjenigen, der sie erlebt, nicht nur den frischen Duft der Ewigkeit, sondern hier wird er direkt von der Unsterblichkeit angesprochen.

Als ich am Abend, nachdem mich Berndt Anderson angerufen hatte, vor meinem Radioapparat saß, meldete sich plötzlich Lena und rief kurz und energisch: "Kontakt halten!"

Ich schaltete sofort das Tonbandgerät ein, regulierte die Lautstärke und lauschte aufmerksam den Klängen des Äthers.

Ich möchte hier folgendes hervorheben: Wir dürfen nicht vergessen, daß bei solchen Gelegenheiten auch bei klarer Aufnahme nur ein geringer Teil der Mitteilungen unmittelbar verstanden werden kann.

Der Vorgang verläuft nicht nur zu rasch, sondern es treten auch in den meisten Fällen Nebengeräusche und atmosphärische Störungen auf, die auf ein ungeübtes Ohr verwirrend wirken. Erst nach Abschluß der Einspielung läßt sich eine sachliche und gründliche Kontrolle durchführen, die aber auch bei klarer Aufnahme viel Zeit in Anspruch nehmen kann.

Hier in Kürze das Ergebnis der Aufnahme. Dieses Mal gab es glücklicherweise keine atmosphärischen Störungen. Man vernahm nur jenen charakteristischen Brauseton, der beinah ständig bei direkten Kontakten vorzukommen pflegt. Dann erklangen Lenas energische Zurufe: "Lena, Lena! - tag (nimm - schwed.) Kontakt - Radarkontakt! - - -"

Seite 260 Eine Weile war es still im Äther. Irgendwo aus der Ferne - ich kann es nicht treffender ausdrucken - begann plötzlich eine Frauenstimme zu singen oder richtiger gesagt: sie formte sich aus einem klingenden Laut heraus, der sich dann plötzlich in einen klaren Text verwandelte, gleichzeitig aber auf Deutsch und Italienisch vorgetragen wurde.

Ich kannte diese Melodie - es war eine typische Tonfolge, die von den Toten öfters gebraucht wurde -, aber die Sängerin, ein heller, beinahe kindlicher Sopran, hatte ich vorher noch nie gehört. Das Ganze sollte ein scherzhafter Gruß an mich sein und lautet, übersetzt von mir, so: "Pelle (ich werde zu Hause Pelle genannt) - geehrter Pelle! Die Toten grüßen - Skål! Dem Jüngling ein Skål!"

Sofort nach dem Gesang schaltete sich eine Männerstimme ein, die auf Deutsch rasch und dringend, vielleicht für Lena bestimmt, ausrief: "Wenn sie mit ihm spricht, gib eine Mitteilung!"

An dieser Stelle hatte ich versehentlich die Einspielung abgebrochen. Wer aber war der helle Sopran, der mich in jener typischen Polyglottsprache gegrüßt hatte? Wie gesagt, kannte ich die Stimme nicht, hatte jedenfalls nie vorher dieses weibliche Wesen singen gehört. Sollte es vielleicht Rigmor gewesen sein? Nach alledem, was ihr zugestoßen war, konnte ich mir nicht vorstellen, welche Veranlassung sie zu dieser ungezwungenen Heiterkeit hatte.

Ich stellte ein paar Fragen an Lena, erhielt aber keine Antwort.

"Wir arbeiten... Apparat halten..." war alles, was Lena erwiderte.

Am 16. Juni abends schaltete ich abermals das mit dem Tonband gekoppelte Radio ein. Dieses Mal signalisierte Lena "direkten Kontakt" mit einem vor kurzem verstorbenen Bekannten. Sie nannte deutlich seinen Familiennamen, doch die Stimme des Verstorbenen verlor sich im Rauschen des Äthers.

Ein paar Freunde schickten mir Grüße. Seite 261 Sie schienen alle über meine Pompejipläne gut orientiert zu sein. Eine Männerstimme rief mir rasch auf Deutsch zu: "Hier aus deinem Pompeji - man hört den Bojevsky".

Hierauf erklang die Stimme des alten Juden, der auf Schwedisch "lebe wohl, ich erwarte in Napoli" hinzufügte.

Ein Freund unseres ältesten Sohnes Sven, der zur Zeit bei uns in Nysund zu Besuch weilte, bat mich, an einer Einspielung teilnehmen zu dürfen. Er hatte vor einigen Jahren seinen Vater verloren, und ich willigte gerne ein. Kurz gesagt: der junge Mann erhielt tatsächlich einige Grüße.

Ich weiß nicht genau, ob sie von seinem Vater kamen. Jedenfalls wurde er zweimal bei seinem Familiennamen und einmal bei seinem Spitznamen angesprochen, der ziemlich außergewöhnlich ist. Ich habe selten vorher beim Tonbandabhören einen Menschen so ergriffen weinen gesehen.

Als ich später allein geblieben war, schaltete ich von neuem die Apparate ein. Lena signalisierte "direkten Kontakt", doch zu meiner Enttäuschung vernahm ich die Stimme einer russischen Ansagerin. Mein erster Impuls war, die Welle abzudrehen, doch wußte ich aus Erfahrung, daß Lena sich nicht zu irren pflegte, und so ließ ich das Band unverändert weiterlaufen. Hier das Ergebnis der überprüften Einspielung:

Es begann damit, daß eine mir bekannte Männerstimme auf Deutsch und Schwedisch "Här ist Schweden!" sagte. Beinahe gleichzeitig signalisierte Lena "direkten Kontakt". Eine Männerstimme rief hastig "Mädchen!" Danach erklang der bekannte Brauseton, durch den sich die Stimme einer russischen Rundfunkansagerin hindurchkämpfte.

Ihre letzten Worte lauteten: "Mit folgenden Worten..." In diesem Moment erklang eine helle Mädchenstimme, der gleiche Sopran, der mich vorher scherzhaft begrüßt hatte. "Friedrich! Jag vill hjälpa Friedrich!" (ich will helfen Friedrich) sang sie klar auf Schwedisch. Es entstand eine Seite 262 längere Pause, und dann hörte ich wieder die gleiche Stimme, sie sang auf Deutsch wie aus der Ferne: "Glaub', wir kommen!"

Lena signalisierte rasch "Radarkontakte!" und anschließend folgte eine rein persönliche Botschaft für mich. Drei Freunde hatten mich beinahe gleichzeitig angesprochen. Der helle Sopran tauchte wieder auf; ihre Stimme klang etwas erregt, sie sang auf Deutsch: "Der Friedel sucht uns!"

Und dann kam der Höhepunkt der Sendung: die gleiche Stimme brach plötzlich durch, rückte nach vorne - so ungefähr, wie man im Film eine besondere Szene mit Hilfe des Zoomobjektives rasch in den Vordergrund versetzen kann - und sang mit klarer, lauter Stimme gleichzeitig auf Deutsch und Schwedisch: "Jag behövede hjälp (ich brauchte Hilfe) - ich bin bei Freddie!"

Danach brach die Sendung ab.

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Nun galt es für mich festzustellen, wer der Sopran war. Da Lena mir keinen Bescheid gegeben hatte, mußte ich selber mir Gewißheit verschaffen. Eines war offenbar, daß die singende Stimme durch ihren hellen, mädchenhaften Klang den andern Sprechstimmen an Klarheit weit überlegen war.

Durch ihre hohe Tonfrequenz drang sie mühelos durch alle tieferen Klänge und Geräusche hindurch. Dieses muß auch der Grund gewesen sein, warum das junge Mädchen den Gesang für ihre Botschaft gewählt hatte. Auch mußte sie mich gekannt haben, denn zweimal hatte sie mich mit Pelle, zweimal mit Friedrich und einmal mit Freddie angesprochen.

Die Worte "Hjälpa" und "Hjälp" (helfen und Hilfe) interessierten mich besonders, denn in beiden Fällen konnte man den breiten västmanländischen Dialekt erkennen. Sollte die Sängerin vielleicht doch Rigmor gewesen sein? Meine Vermutungen schienen nur berechtigt, jedoch konnte hier Rigmors Vater leichter ein Urteil fällen.

Ich hatte in den letzten Wochen bei jedem Radiokontakt mich stets in Gedanken an Rigmor gewandt, und zwar mit Seite 263 der Bitte, sie möge doch ihrem Vater eine Botschaft bringen. Ich war mir dabei völlig bewußt, daß ihr Auftreten auf dem Tonband von äußerst wichtiger Bedeutung sein würde, und zwar nicht nur für ihren Vater und ihre Geschwister, sondern schlechthin für alle diejenigen, die durch einen plötzlichen Unfall ihre Nächsten verloren haben.

Auch der Umstand, daß Rigmors tragisches Schicksal von der schwedischen Presse so eingehend geschildert worden war, konnte sich im Falle eines Tonbandkontaktes als positiv erweisen.

Der Satz "Friedrich, jag will hjälpa Friedrich!" lautete er nicht wie ein direktes Versprechen für weitere Mitarbeit? Sollte der Sopran Rigmor gewesen sein, so hatte sie sich ungewöhnlich rasch von dem Todesschock erholt. Schon allein der Umstand, daß sie sich der Vielsprachigkeit der Toten bediente, ließ ein waches und elastisches Anpassungsvermögen erkennen, denn so weit ich wußte, hatte Rigmor im Erdenleben nie italienischen Unterricht erhalten.

Sollte sich die Verbindung und Zusammenarbeit mit Rigmor weiterhin festigen lassen, so wäre uns dadurch ein Einblick in die Verhältnisse des Jenseits gegeben, wobei eine vor kurzem Ermordete zum ersten Mal über sich selber auf dem Tonband berichten könnte.

Nicht genug damit: gleichzeitig ließ sich die Auswirkung einer physischen Gewalttat auf die menschliche Psyche erkennen, und das bedeutet, den Gesetzen von Ursache und Wirkung näher auf die Spur zu kommen.

Ich wartete ungeduldig auf Berndt Andersons Besuch, doch hatte sich Rigmors Beerdigung auf Grund der Obduktion verzögert. Da aber geschah etwas gleich einem Zauberschlage, der den Fall Rigmor in ein klares Licht stellte. Ich erhielt eine Sendung, die meine Erwartung weit übertraf.

Dabei ahnte ich nicht, daß dieses bloß der Anfang einer geplanten Sendereihe war, die mir im Laufe der folgenden acht Tagen zugesandt wurde.

Es war am 21. Juni 1966, am Abend des Sommersonnenwendetages, so gegen 20 Uhr. Ich hatte wie gewöhnlich Seite 264 das Tonbandgerät am Radioapparat angeschlossen und drehte behutsam am Sucherrädchen herum in der Hoffnung, eine Verbindung mit Lena herstellen zu können.

Nach einer kurzen Weile schaltete sich Lena ein, und zwar auf einer Wellenlänge, die beinahe keine Störungen aufwies. Nach Lena meldete sich eine mir bekannte Frauenstimme. Sie sprach gleichzeitig Schwedisch und Italienisch. Sie unterhielt sich mit jemandem über das Laster des Rauchens. Man erhielt den Eindruck, als würde das Gespräch im Vordergrunde nahe einem Mikrophon geführt.

Etwas später wurde eine Männerstimme hörbar, die sagte: "Friedel - der Mälar hört!" Wie ich schon früher erwähnt habe, stellt der Name Mälar oder Mälarhöjden, ein Stockholmer Vorort am Mälarsee, ein Signalwort für ein spezielles Zentrum des Jenseits dar, von dem, wie mir berichtet wurde, alle Sendungen für mich ausgestrahlt werden.

Die gleiche Männerstimme fuhr in forcierter Geschwindigkeit fort, und zwar so rasch, daß ich von der Mitteilung nur einzelne Worte erfassen konnte. Dann entstand eine deutlich erkennbare Veränderung im Klangcharakter. Aus dem Rauschen tauchte eine milde Frauenstimme auf, die im Tone zärtlicher Ermunterung "Versuch..." auf Schwedisch sagte. Als ich die Stimme vernahm, blitzte in mir die klare Gewißheit auf: das ist Rigmors Mutter!

Ich hatte Frau Eivor Anderson im Leben nicht gekannt. Die paar Sätze, die ich nach ihrem Tode von ihr auf Band eingespielt hatte, genügten keinesfalls, um mir eine klare Auffassung über ihr Stimmtimbre zu bilden. Trotzdem aber wußte ich intuitiv völlig sicher, daß es ihre Stimme war. Die rasch sprechende Männerstimme schaltete sich wieder ein. Sie sprach gleichzeitig Deutsch, Schwedisch und Italienisch.

Ich konnte nicht den ganzen Text verstehen, doch ging aus ihm hervor, daß es sich um Kommentare über mich, mein Tonband- und Rundfunkgerät handelte. Gleichzeitig schien es mir, als werde jemand zu einem Kontakt ermuntert. Die Stimme einer jungen Frau erklang plötzlich im Vordergrunde und Seite 265 sagte etwas befangen und zögernd auf Schwedisch: "Fred - das ist Rigmor Anderson..."

Es war ein schöner Augenblick, Rigmors warme Stimme zu hören. Sie sprach genau wie im Leben mit ihrem breiten västmanländischen Akzent. Phonetisch klang der Satz ungefähr wie: "Fräd - dä Rigmor Anderson" anstatt "Fred, detta är (das ist) Rigmor Anderson".

Gleich darauf begann eine Frauenstimme zu sprechen. Sie sprach Deutsch und Schwedisch. Ich konnte jedoch nur einen Teil ihrer Worte verstehen. Sie sagte eindringlich: "Rigmor du mußt zu Fred... Pelle auch Deutsch sprechen"

Wiedermal erklang die rasch sprechende Männerstimme und rief hastig in drei Sprachen aus: "Federico, ich will rasch berichten. Eivor... (Eivor war Rigmors Mutter) die Toten..."

Hier flüsterte Lena rasch dazwischen: "Nimm Kontakt, Mutter" und dann fügte sie deutlich hinzu: "Man liebt, man hat Frieden..."

Im Vordergrunde erklang wieder Rigmors Stimme, die langsam und mit Pausen sagte: "Fred - ich habe... Munthe...". Und dann fügt sie bewegt hinzu "Ich bereue..."

Ein eigentümlicher Orgelakkord ertönte, und die Stimme unseres Freundes Arne Falck tauchte plötzlich auf. Halb singend fragte er auf Schwedisch mit seinem norwegischen Akzent: "Wo erhält man die Rechnung?"

Ein neuer Akkord und die hastige Männerstimme von vorhin schaltete sich wieder ein und sagte deutlich und mit Nachdruck: "Det är braattom (es eilt) - Rigmor denk an Karma!..."

Im Vordergrund sang Rigmor wie versonnen: "Det är Karma" (das ist Karma) und fügte dann rasch hinzu: "Hungrig..." Der Rest wurde von anderen Geräuschen übertönt.

Wiedermal erklang die flinke Männerstimme. Sie sprudelte ihre Mitteilung in einer rhythmischen Kadenz auf Seite 266 Schwedisch und Deutsch hervor: "Federico, eine wichtige Mitteilung - der Mälar hat Mölnbo, halte Kontakt, Rigmor berichtet Mikael - wir bringen durch das Radio, wir überbrücken den Apparat von den Toten - wir überbrücken - Lena hat die Verbindung und die Zwischenzeit. Wir bringen durch das Radio - prüfe das Radio..." und dann zum Schluß mit besonderem Nachdruck: "Rigmor wünscht Kontakt..."

Dieses war das Ergebnis der ersten Bandüberprüfung.

Wenn auch ein gewisser Teil der Sendung durch Nebengeräusche übertönt wurde und ohne Hilfe von Filter und Tonverstärker nicht korrekt vernommen werden konnte, so war doch das Ergebnis der Einspielung von einzigartiger Bedeutung.

Ich rief Berndt an und erzählte ihm in Kürze über meine Kontakte. Berndt versprach, am Sonntag, dem 26. Juni, nach Nysund zu kommen. Im Laufe der nächsten Wochen erhielt ich täglich übers Radio eingehende Mitteilungen. Mit Ausnahme von einigen persönlichen Sendungen handelte es sich hauptsächlich um Rigmor und ihre nächsten Anverwandten.

Mit Berndts Erlaubnis werde ich nur das Wesentliche dieser persönlichen Mitteilungen bringen, Dinge also, die uns allen von großem Nutzen sein können. Auch möchte ich betonen, daß Berndt Anderson nach allen schweren Prüfungen - ich glaube kaum, daß wir die Tiefe seines Schmerzes richtig erfassen können - aus reinem Verständnis für seine Mitmenschen die Veröffentlichung seiner persönlichen Erlebnisse gestattet hat.

Sonntag Vormittag, am 26. Juni, besuchte mich Berndt. Ich hatte ihm absichtlich die Einzelheiten der Einspielungen verschwiegen. Ich wollte mich selber davon überzeugen, wieweit Berndt imstande sein würde, die Stimmen und den Text erkennen und auffassen zu können.

Leider mußte Berndt am gleichen Tage nach Köping zurückfahren, und deswegen beschlossen wir, keine gemeinsamen Tonbandaufnahmen zu machen, sondern die Einspielungen vom 21.6. einer gemeinsamen Kontrolle zu unterziehen.

Seite 267 Es war ein schöner, sonniger Vormittag, wir saßen zu zweien im Gastzimmer am Kaffeetisch. Das Gespräch drehte sich um ziemlich belanglose Dinge. Ich hatte das bestimmte Gefühl, als wollte mir Berndt etwas Wichtiges erzählen, als zögere er aber, als erwarte er einen geeigneten Augenblick, vielleicht eine Frage von mir.

Ich weiß nicht, war es Gedankenübertragung, Intuition oder Zufall jedenfalls wendete ich mich plötzlich an Berndt und fragte ihn ohne Umschweife: "War nicht die Ungewißheit um Rigmors Schicksal schmerzhafter als die nackte Tatsache?"

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Berndt sah mich ruhig an. Er schien die Frage erwartet zu haben. "Ich möchte dir etwas erzählen...", begann er mit ernster Stimme, "worüber ich mit noch niemandem gesprochen habe. Als Rigmor am Abend des 1. Juni ums Leben gebracht wurde, wußte ich, daß sie gestorben war."

Hier in Kürze Berndts Erzählung: "Da meine Arbeit in diesem Frühjahr in die Umgebung von Stockholm verlegt war, wohnte ich in Stockholm und besuchte nur über das Wochenende meine Töchter in Köping. Am Abend des 1. Juni, so gegen 21 Uhr, lag ich auf dem Bett. Ich war müde, suchte mich zu entspannen.

Ich weiß nicht, woran ich dachte, doch lag ich wach. Plötzlich - und zwar wie ein heftiger Schock, ergriff mich ein eisiger Todesschreck, das Erlebnis des Sterbens, und zwar wußte ich mit entsetzlicher Klarheit: Rigmor stirbt! Ich weiß, daß Worte hier versagen, aber die Gewißheit um Rigmors Tod war so wirklich, daß ich auf dem Bette wie gelähmt weiter liegenblieb, und zwar deshalb, weil ein neues Erlebnis mich beteils ergriffen hatte, nämlich ein Gefühl der Geborgenheit und des Friedens: Rigmor ist bei ihrer Mutter! Es geht ihr gut - alle Angst und Qual sind vorbei..."

Es entstand eine längere Pause. Ich benutzte die Gelegenheit und fragte: "Riefst du nicht sogleich Köping an?"

"Nein, ich tat das nicht, ich wollte vielleicht damit den letzten Funken der Hoffnung in mir nicht verlöschen; es Seite 268 war eine Art Selbstbetrug, eine Kleingläubigkeit." Berndt schwieg eine Weile.

"Und was passierte weiter?" unterbrach ich die Stille.

"Marianne, meine älteste Tochter, rief mich nach ein paar Tagen an. Rigmor wohnte zu der Zeit allein in unserer Wohnung in Köping. Man hatte Marianne von Rigmors Arbeitsstelle angerufen. Für mich war alles klar. Wir unterrichteten die Polizei. Das übrige kennst du bereits."

"Ahntest du, wer der Mörder war?" fragte ich nach einer Weile. Berndt nickte zustimmend.

"Ich ahnte es, wollte es aber nicht glauben. Janne war ein lieber Junge; jedoch als ich sein zerkratztes Gesicht sah, wußte ich Bescheid. Ich hoffte, er würde gestehen, denn es schmerzte mich, daß Rigmors Körper irgendwo im Walde dem Wetter ausgesetzt war, vielleicht auch von Tieren angegangen werden konnte. Wie du weißt, war dies jedoch nicht der Fall."

Das übrige war mir bekannt. Die Zeitungen hatten es nicht unterlassen, alle Einzelheiten der Tragödie ausführlich zu beschreiben. Am Tage, als Rigmor beerdigt werden sollte, gestand der Bräutigam seine Tat. Ich wußte, daß Berndts Eingreifen in diesem Falle von entscheidender Bedeutung gewesen war.

Auch wußte ich, daß Berndt trotz seines großen Kummers aus rein menschlichem Verständnis dem Mörder verziehen hatte. Der junge Mann tat ihm leid, der im Zustande einer Sinnesverwirrung zu jener Gewalttat sich hatte hinreißen lassen. Wenn man es richtig bedachte, so war es schwer zu entscheiden, wen das Schicksal in diesem Drama am härtesten getroffen hatte.

Vielleicht aber konnten uns die Verstorbenen in diesem Punkte einen Hinweis geben. Wir erhoben uns und begaben uns in mein Atelier, das sich im oberen Stock der Villa befindet. Von hier aus ergibt sich eine schöne Aussicht auf den Long-See. Hier konnte man ungestört arbeiten und die Stille des Landes genießen.

Ich hatte das Tonband mit Rigmors Einspielung vorher aufgesetzt und Seite 269 schaltete nun den Apparat auf Wiedergabe ein. Ich wußte, daß Berndt ein scharfes Gehör hatte, das er eigenen Tonbandaufnahmen verdankte. Und noch eins - vielleicht das Wichtigste bei dieser Arbeit: Berndt kannte die verborgenen Fallgruben des Wunschträumens und war deswegen sich selber gegenüber äußerst kritisch.

Als die Stimme des hellen Soprans erklang, bat mich Berndt, ihm den Gesang mehrere Male vorzuspielen. Er vernahm den Text genauso, wie ich ihn notiert hatte, war aber nicht völlig sicher, ob es sich um Rigmors Stimme handelte oder nicht.

"Wenn sie sprechen würde, könnte ich ihre Stimme sofort erkennen", sagte er mit Überlegung.

Beim nächsten Auftreten des Soprans rückte Berndt seinen Stuhl dicht an den Apparat heran. Nachdem ich mehrere Male den Gesang vorgespielt hatte - Berndt konnte den Text perfekt auffassen -, sagte er schließlich nachdenklich: "Dieses breite 'hjälpa' klingt wirklich Västmanländisch, das könnte vielleicht doch Rigmor gewesen sein..."

"Warte einen Augenblick", unterbrach ich ihn, "jetzt kommt die Einspielung vom 21. Juni." Berndt beugte sich dicht über den Apparat. Sein ganzes Wesen war Gestalt gewordene Konzentration. Ich drückte die Taste zur Wiedergabe nieder und ließ das Band laufen.

Als die milde Frauenstimme das Wort "Versuch" gesagt hatte, zuckte Berndt zusammen. "Noch einmal!" rief er hastig. Seine Stimme verriet den Klang freudiger Überraschung. Nachdem ich das Wort Versuch eine längere Zeit wiederholt hatte, sank Berndt erschöpft in seinen Stuhl zurück. Ich wußte, was er jetzt sagen würde, und freute mich im voraus.

"Das war Eivor!" stieß er erregt hervor. "Das war ihre Stimme, ich weiß es ganz sicher!"

"Hör, was jetzt folgt!" rief ich dazwischen, und dann erklang der Höhepunkt der Sendung: "Fred, de-är Rigmor Anderson..." Ich weiß nicht mehr, wie viele Male wir die Seite 270 Sendung abgelauscht haben, jedenfalls waren wir beide am Nachmittage ziemlich erschöpft.

"Welchen Teil der Einspielung hat auf dich den stärksten Eindruck gemacht", fragte ich Berndt.

"Der lebendige Klang der Stimmen!" erwiderte er spontan. "Natürlich auch der Inhalt der Worte, aber vor allem die Stimmen. Es gibt keinen Zweifel: die Toten leben!"

"Hat sich Eivors Stimme also nicht verändert?" fragte ich. "Überhaupt nicht! Sie klingt vielleicht etwas vitaler als in dem letzten Jahr ihrer Krankheit, jedoch das Timbre ist das gleiche geblieben, genau wie auch bei Rigmor. Vor allem freut es mich, daß die beiden jetzt beisammen sind."

Berndt versprach, am nächsten Sonnabend wiederzukommen. Als wir uns verabschiedeten, sah er richtig heiter aus.

Im Laufe der nächsten Woche war ich völlig mit den Tonbandeinspielungen beschäftigt. Meistenteils traten die Sendungen abends ein. Da ich nachts nicht imstande bin zu arbeiten, begann ich frühmorgens mit der Bandkontrolle. Der Tag reichte mir nicht aus, ich hatte noch nie vorher so zahlreiche und lange Sendungen erhalten.

Die Tonstärke und Klarheit der Mitteilungen war ziemlich ungleichmäßig. Es gab Einspielungen von hervorragender Deutlichkeit, darunter aber auch solche, bei denen sich die Stimmen überstützten und durcheinander sprachen. Ich hatte eine Reihe persönlicher Botschaften erhalten, meistenteils von alten Freunden aus Rußland, Estland und dem damaligen Palästina.

Arne Falck z. B. brachte wie gewöhnlich seine Mitteilung in singendem Tonfall. Bojevsky, mein russischer Freund aus Palästina, rief seinen Vor- und Familiennamen mehrmals nacheinander. Er sprach Russisch, Jiddisch und Deutsch. Unser schwedischer Freund Hugo F., der in Nysund in meinen Händen starb, schaltete sich plötzlich ein und rief deutlich auf Deutsch und Schwedisch: "Guten Abend - du bist sehr müde!"

Seite 271 Und gleich danach erklang die Stimme meiner Mutter, die mir eindringlich zurief: "Mein Friedel, du bist sehr müde!" Tatsächlich war es sehr spät geworden, und ich hatte den ganzen Tag ziemlich hart gearbeitet. Übrigens bin ich öfters von Lena gewarnt worden, am Abend zu arbeiten.

Der Grund dazu liegt nicht nur darin, daß man seinen Gehörsinn und seine Nerven überanstrengt, sondern man ist bei Müdigkeit überhaupt nicht imstande, sachliche Kontrollen durchzuführen. Ich hatte am selben Tage, dem 28. Juni, einen sonderbaren Satz eingespielt, der von einem älteren Mann gesprochen wurde und übersetzt wie folgt lautet: "Rigmor lebt nach dem Fleisch (physischer Körper) viel behaglicher." Ich hatte die Stimme früher nie gehört.

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Am nächsten Tage ereignete sich etwas sehr Interessantes. Wie der Leser sich vielleicht erinnern wird, habe ich öfters über die Tätigkeit meiner Assistentin Lena berichtet. Ihr Einsatz ist einzigartig und unschätzbar. Ohne ihn könnten keinerlei Radiokontakte zustande kommen, und da Lena auch über das Mikrophon wichtige Mitteilungen gibt, fällt ihr bei diesem Brückenschlag zwischen dem Jenseits und dem Diesseits eine Hauptrolle zu.

Obwohl ich im Laufe von über acht Jahren beinahe täglich mit Lena in Verbindung stehe, war es mir bislang nicht gelungen, ihre Persönlichkeit einwandfrei identifizieren zu können. Am Abend des 29. Juni erhielt ich eine sehr ausführliche Mitteilung.

Es sprachen mehrere Freunde, darunter auch Hugo F. Es war eine rein private Sendung. Plötzlich schaltete sich eine bekannte Frauenstimme ein und sagte in gebrochenem Deutsch - der Akzent war unverkennbar Russisch: "Du hörst von den Toten eine Meinung". Und dann teilte sie mir mit, wer Lena im Leben gewesen war.

Ich war freudig überrascht, jedoch gleichzeitig ein wenig erstaunt über den sonderbaren Umstand, daß zahlreiche Verstorbene nach dem Tode ihren Namen zu ändern pflegen. Was Lena anbelangt - ich werde ihr Pseudonym Seite 272 auch weiter beibehalten -, so war sie im Leben ein reifer und durchgeistigter Mensch gewesen.

Ich kann es nicht trefflicher ausdrucken, aber ihr Wesen strahlte Freimut und Herzlichkeit aus. Trotz ihrer verfeinerten Sensibilität und hellseherischen Begabung war sie praktisch veranlagt und meisterte den grauen Alltag im damaligen Sowjetrußland souverän.

Ihre Mutter war Russin, ihr Vater Schwede. Lena war mit einem meiner Jugendfreunde verheiratet gewesen in Odessa, und nachdem ich Rußland im Jahre 1925 verlassen hatte, brachen alle Kontakte mit ihr ab. Ich weiß nur, daß sie durch politische Wirrnisse von ihrem Mann getrennt wurde, und wie sich ihr weiteres Schicksal gestaltete hatte, blieb für mich unbekannt.

Am 1. Juli erhielt ich eine Reihe interessanter Mitteilungen. Eine Frauenstimme erzählte ausführlich über Rigmor. Unter anderem berichtete sie, daß Rigmor einen Führer erhalten hatte, der sie in Deutsch unterrichten sollte und daß für sie die größten Schwierigkeiten überwunden wären. Nach einer Weile erklang Rigmors Stimme. Sie sang heiter auf Schwedisch: "Pe-e-lle - Riiig-mor! Aah - Pelle kämpft im Radio - Pelle? Kannst du helfen meinem Vater?..."

Ich war beinahe bestürzt. Hier sang eine vor kurzem Ermordete, sie sang munter, ja direkt schelmisch... War das der Tod?

Am nächsten Tage - es war Sonnabend, der 2. Juni - besuchte mich Berndt. Als ich ihm die Männerstimme vorspielte, die gelassen sagte: "Rigmor lebt nach dem Fleisch viel behaglicher!" rief Berndt spontan aus: "Das ist mein Vater, er ist vor kurzem gestorben!"

Bei Rigmors Gesang rückte Berndt dicht an den Apparat heran, seine Augen glänzten. "Das ist Rigmor - ihre Stimme, ich erkenne sie!"

Mich freute es besonders, daß Berndt jeden Text Wort für Wort verstehen konnte, und zwar ohne daß ich ihm vorher den Text zu erklären brauchte. Es gelang ihm, sogar Seite 273 deutsche, russische und italienische Worte richtig aufzufassen, ohne daß er dabei ihren Inhalt verstand.

Den ganzen Nachmittag verbrachten wir am Tonbandgerät. Nachdem wir aber ein leichtes Mahl genommen hatten, beschlossen wir, eine gemeinsame Aufnahme einzuspielen. Ich schaltete das Radio an und erhielt sofort Kontakt. Eine weiche Frauenstimme sang ein Lied in drei Sprachen. Lena war auch anwesend, jedoch gab es atmosphärische Störungen.

Als wir gemeinsam den Text verstanden hatten - Berndt war fest überzeugt, daß die Sängerin seine Frau Eivor war - ergab sich etwas sehr Sonderbares. Die Frau sang nämlich über Berndt, sie erwähnte einen Tag in Dalarna, brachte persönliche Einzelheiten und schloß den Gesang mit folgenden Worten ab: "Berndt spukt nun im Radio..."

Wie mir Berndt später erklärte, handelte es sich um einen Ausflug nach Dalarna. Eivor, Berndt und ein gemeinsamer Freund hatten einen Wohnwagen am Siljansee geparkt. Es war kurz vor Eivors Tod, doch die Kranke fühlte sich damals ungewöhnlich wohl, und es herrschte eine heitere Stimmung.

Wir hatten später noch mehrere Stimmen eingespielt, meistens rein persönliche Mitteilungen. Zuallererst erklang eine Männerstimme und sagte kurz: "Berndt, d'är Einar". Berndt fuhr hoch und rief freudig überrascht aus: »Einar Johansson - mein lieber Freund! Er war damals mit uns in Dalna, er starb ganz vor kurzem!"

An jenem Abend konnte ich nicht einschlafen. Ich saß am offenen Fenster und betrachtete das Farbenspiel am Horizont. Der See lag wie ein leuchtender Spiegel vor mir, die Nacht war still und warm. Es war um jene Stunde, zu welcher der grüne Schimmer des Abends sich zaghaft in das Morgenrot zu verwandeln beginnt.

Plötzlich ergriff mich das Verlangen, eine Tonbandeinspielung aufzunehmen. Es war ein sonderbarer Impuls, denn ich pflegte so gut wie nie nach 22 Uhr Radiokontakte zu suchen. Dieses Seite 274 Mal aber schaltete ich den Apparat ein. Da ich aus Erfahrung wußte, daß Lena spät abends nicht erreichbar war, drehte ich auch nicht am Sucherrädchen, sondern überließ alles dem Zufall.

Es gab nicht die geringsten Störungen, keinen "Brauseton", keine Klänge, Stimmen oder Musik. Plötzlich erklang ein metallischer Einschalteton, und eine bekannte Männerstimme rief, nein rezitierte halb singend klar und scharf: "Burchardt - Mölnbo, wir warten auf Lena!" Darauf schaltete sich die Stimme meines Jugendfreundes Burchardt ein und sang klar zurück: "Lena hat "Schwärige" (eigentlich: Sverige = Schwed.)

Es war typisch für Burchardt, die Namen zu verdrehen. Nach einer kleinen Weile erklang ein leises Einschalten, und dann sagte Lena in etwas bedauerndem Ton: "So viele Menschen..."

Danach wurde es völlig still im Äther. Sollte es sich hier vielleicht um jene mystischen Radarkontakte handeln, über die Lena so oft gesprochen hatte?

Bei dieser Gelegenheit möchte ich einen Begriff klarlegen, der sonst zu vielen Mißverständnissen führen könnte. Unter Radar oder Radarschirmen versteht man normalerweise ein bewegliches antennenähnliches Gerät, das in bestimmte Richtungen elektromagnetische Impulse ausstrahlt, die ihrerseits, falls sie eine kompakte Masse, Flugzeug, Bergwand, Wolke usw. getroffen haben gleich einem Echo zum Ausgangspunkte zurückschnellen und den getroffenen Gegenstand durch leuchtende Punkte auf dem Radarschirme aufzeichnen.

Der Radarschirm ersetzt bei Dunkelheit oder Nebel das menschliche Auge. Sollten nun die Toten sich eines ähnlichen Gerätes bedienen, so geht daraus hervor, daß wir und unsere Welt im gewöhnlichen Falle für das Jenseits unsichtbar sein müssen. Gerade hier fällt mir eine Mitteilung ein, die ich mir hier in Pompeji im Frühjahr 1967 eingespielt hatte. Es war eine helle Männerstimme, die rasch und etwas forciert sprach. Sie sagte: "Elli und Friedel, wir kennen eure Gedanken, wir nehmen sie über das Radar..."

Seite 275 Heute bedaure ich, daß ich keine Ausbildung in der Elektrophysik erhalten habe. Ich bin sicher, daß ein erfahrener Physiker durch Richtantennen, Filter und Lautsprecher die Verbindung mit den Toten bedeutend ausbauen könnte.

Es würde schon ein großer Fortschritt sein, wenn sich ein störungsfreier Empfang erzielen ließe, so ungefähr, wie es in jener stillen Julinacht zustande kam. Am nächsten Tage fuhr Berndt nach Köping zurück. Er sah zufrieden und erleichtert aus. Nach einer Woche verreisten wir, meine Frau, meine Schwester und ich, nach Pompeji.

Ich habe dieses Buch mehrere Male abgeschlossen, doch unerwartete Ereignisse zwangen mich immer wieder, die Niederschrift fortzusetzen.

Als ich im Frühjahr 1967 für kürzere Zeit in Schweden weilte, besuchte mich Berndt über ein Wochenende in Nysund. Bei dieser Gelegenheit hatten wir Tonbandkontakte aufgenommen, die sich als sehr positiv erwiesen.

Unter anderem grüßte Eivor Anderson ihren Mann, und zwar tat sie das, indem sie die gleiche Melodie vortrug, die sie im vorigen Juli gesungen hatte. Auch Rigmor stellte sich singend ein und rezitierte sie in gleichem Tonfall und Rhythmus auf Deutsch und Schwedisch.

Dieser heitere Ton, den die Toten öfters benutzen, hat zweifellos seinen tieferen Grund. Man sollte die Erklärung dazu nicht nur darin suchen, weil die Verstorbenen eine "schwere Operation" glücklich überstanden haben, sondern eher darin, weil sie die wahre Wesenheit des Leidens von einer ganz anderen Perspektive sehen und durchschauen können.

Sie kennen nicht nur die Vergänglichkeit des Kummers und der Angst, sondern sie wissen, auf welche Weise der Mensch sich ständig in Sorge und Elend verstrickt. Auch würde es nur zu negativen Ergebnissen führen, wenn die Toten auf unseren Kummer eingehen wollten, und zwar, indem sie nur zu trösten versuchten.

"Wir leben - wir sind glücklich!" ist der Kern ihrer Seite 276 Botschaft. Eigentlich ist damit alles gesagt: die Unsterblichkeit des Lebens, die transformierende Kraft des Todes und das Vorhandensein der Brücke zwischen hier und dem Jenseits. Wenn wir nur den wahren Sinn dieser Worte erfassen könnten, so stünde es uns frei, unsere Lebenseinstellung grundsätzlich zu ändern.

Die Quintessenz des Lebens offenbart sich im zeitlosen Schaffen. Dort aber, wo Angst und Kummer herrschen, kann der Geist sich nicht frei entfalten.

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